Multiple Sklerose und Kinderwunsch: Was Sie wissen sollten

Für Frauen mit Multipler Sklerose (MS) ist der Wunsch nach einem Kind oft ein zentrales Thema. Glücklicherweise spricht aus medizinischer Sicht im Allgemeinen nichts gegen eine Schwangerschaft, wenn eine Frau an MS erkrankt ist. Dennoch ist eine sorgfältige Planung und enge Absprache mit dem behandelnden Neurologen und Gynäkologen unerlässlich. Es gibt viele Aspekte zu berücksichtigen, wie den optimalen Zeitpunkt für eine Schwangerschaft, die Notwendigkeit einer Medikamentenumstellung und die Auswirkungen der Erkrankung auf Schwangerschaft und Geburt.

Der optimale Zeitpunkt für eine Schwangerschaft

Der ideale Zeitpunkt für eine Schwangerschaft ist eine stabile Phase der Erkrankung, in der die MS gut unter Kontrolle ist. Eine aktive Erkrankung vor der Schwangerschaft erhöht das Risiko eines Schubs während der Schwangerschaft.

Medikamentenumstellung vor und während der Schwangerschaft

MS-Medikamente können sich auf das ungeborene Kind auswirken. Daher ist es wichtig, mit dem Arzt zu besprechen, welche Medikamente vor und während der Schwangerschaft abgesetzt werden sollten. Bei einem Schub kann eine intensive Schubtherapie, beispielsweise mit hochdosiertem Kortison, erforderlich sein. Eine Kortisontherapie sollte jedoch idealerweise erst im zweiten Schwangerschaftsdrittel erfolgen.

Auch für Männer mit MS ist es ratsam, ihren Medikamentenkonsum mit ihrem Arzt zu besprechen, wenn sie ein Kind planen, da bestimmte Medikamente vorübergehend die Spermienqualität beeinträchtigen können.

Auswirkungen der MS auf Schwangerschaft und Geburt

Eine Schwangerschaft bei einer Frau mit MS verläuft in der Regel ähnlich wie bei einer gesunden Frau. Es besteht jedoch ein leicht erhöhtes Risiko für Frühgeburten oder ein niedriges Geburtsgewicht des Kindes. Auch das Risiko für Infektionen ist bei der Frau erhöht.

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Grundsätzlich spricht nichts gegen eine vaginale Geburt bei MS. Bei fortgeschrittener Erkrankung mit Muskelschwäche oder Fatigue kann jedoch ein geplanter Kaiserschnitt sinnvoll sein.

Verlauf der MS während und nach der Schwangerschaft

Kurzfristig kann eine Schwangerschaft vor neuen Schüben schützen. Unmittelbar nach der Schwangerschaft ist das Risiko eines neuen Schubs jedoch erhöht. Stillen kann sich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken und das Schubrisiko reduzieren. Insgesamt hat eine Schwangerschaft jedoch keinen Einfluss auf den langfristigen Verlauf von MS.

Stillen und MS-Medikamente

Frauen mit MS können ihr Kind stillen, sollten dies jedoch vorab mit ihrem Arzt besprechen, um die geeigneten Medikamente auszuwählen. Stillen fördert die Mutter-Kind-Bindung und stärkt das Immunsystem des Kindes. Es gibt MS-Medikamente, die während der Stillzeit angewendet werden können. Falls aus klinischer Sicht erforderlich, kann die Therapie bei monoklonalen Antikörpern nach dem Wechsel von Vormilch (Kolostrum) zu Muttermilch gestartet werden. Mütter, die während der Schwangerschaft unter Therapie waren, sollten ein paar Tage warten, bis sie mit dem Stillen beginnen. Am besten, nachdem die Bildung des Kolostrums abgeschlossen ist, ca.

Fruchtbarkeit und MS

Die Fruchtbarkeit von Männern und Frauen mit MS ist nicht grundsätzlich eingeschränkt. Dennoch sind MS-Patientinnen häufiger kinderlos oder haben weniger Kinder als gesunde Frauen. Ob dies aber eine biologische Ursache hat ist bisher nicht bekannt. Untersuchungen zeigen, dass es bei unbehandelten Frauen und Patientinnen mit einer hohen Krankheitsaktivität eher zu Abweichungen in der Menge an Sexualhormonen kommen kann. Eine Abschwächung der Wirkung oraler Kontrazeptiva ("Pille") sind für die zugelassenen Multiple Sklerose Therapien nicht bekannt. Ob eine Wechselwirkung von Cladribin (Mavenclad®) mit oralen Kontrazeptiva ("Pille") bestehen könnte, wurde in einer Interaktionsstudie untersucht.

Genetische Aspekte und familiäres Risiko

Die MS ist keine klassische Erbkrankheit, sondern wird durch genetische Faktoren und Umweltfaktoren ausgelöst. Infektionen, wie das Epstein-Barr-Virus, können ebenfalls eine Rolle spielen. Das Risiko, an MS zu erkranken, ist abhängig vom Verwandtschaftsgrad zu einem MS-Erkrankten. Eineiige Zwillinge haben ein deutlich höheres Risiko als Kinder mit einem an MS erkrankten Elternteil oder entfernten Verwandten. Insgesamt ist das Risiko für Kinder eines MS-erkrankten Elternteils, auch eine MS zu bekommen, im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung geringfügig erhöht und liegt bei ca.

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Impfungen und Infektionsrisiko

Personen mit Autoimmunerkrankungen wie MS haben ein allgemein erhöhtes Infektionsrisiko. Impfungen können das Risiko für infektionsgetriggerte Schübe und eine erhöhte Morbidität und Mortalität aufgrund von Infektionen mindern. Bestenfalls sollten alle Impfungen vor Beginn einer immunmodulatorischen MS-Therapie abgeschlossen sein. Während der immunsuppressiven Therapie wird von der Gabe von Lebendimpfstoffen abgeraten.

Kinderwunschbehandlungen

Ältere Studien zeigten, dass Kinderwunschbehandlungen Schübe auslösen können. Neuere Studien deuten jedoch auf ein geringeres Schubrisiko hin. Frauen, die ihre immunmodulatorische Therapie beibehalten, haben ein noch geringeres Risiko. Zum Schutz vor Schüben raten wir Frauen in der Regel ihre Multiple Sklerose Therapie während der Stimulation beizubehalten und diese abzusetzen, wenn der Schwangerschaftstest positiv ist. Dies gilt für alle Medikamente außer Teriflunomid (Aubagio®), Fingolimod (Gilenya®), Ozanimod (Zeposia®), Siponimod (Mayzent®), Ponesimod (Ponvory®) und Cladribin (Mavenclad®), welche in der Schwangerschaft kontraindiziert sind. Eine Stimulationsbehandlung kann wenige Monate nach der letzten Behandlung mit Anti-CD20 Antikörpern wie Ocrelizumab (Ocrevus®), Rituximab (MabThera®, Truxima®, Rixathon®), Ofatumumab (Kesimpta®) oder Cladribin (Mavenclad®) begonnen werden.

Schubrisiko während und nach der Schwangerschaft

Das Schubrisiko sinkt im Verlauf der Schwangerschaft und steigt nach der Entbindung wieder an. Bei Frauen mit milden bis moderaten Verläufen, die mit Injektionstherapien behandelt wurden, ist das Schubrisiko in der Schwangerschaft sehr niedrig. Das Schubrisiko ist umso höher, je höher die Krankheitsaktivität zuvor war, insbesondere wenn stärker wirksame MS-Therapien abgesetzt werden. Eine frühe Wiederaufnahme der Therapie in den ersten 4 Wochen nach der Entbindung kann das Schubrisiko nach der Schwangerschaft reduzieren.

Empfehlungen für die Planung und den Verlauf der Schwangerschaft

  • Sprechen Sie frühzeitig mit Ihrem Behandlungsteam über Ihren Kinderwunsch.
  • Planen Sie die Schwangerschaft in Absprache mit Ihrem Neurologen und Gynäkologen.
  • Informieren Sie sich umfassend über die Auswirkungen von MS-Medikamenten auf die Schwangerschaft und Stillzeit.
  • Achten Sie auf einen gesunden Lebensstil, eine ausgewogene Ernährung, Bewegung und Ruhepausen.
  • Lassen Sie sich bei Bedarf von Ihrem Arzt Folsäure und Vitamin D empfehlen. Während der Schwangerschaft können täglich 4.000 I.E. Vitamin D eingenommen werden. Der Vitamin D Spiegel sollte über 25 ng/ml liegen. Wird auch während der Stillzeit Vitamin D verabreicht (ab 6.000 I.E./Tag), so muss bei dem gestillten Säugling nicht noch zusätzlich eine Vitamin D Prophylaxe stattfinden. Bitte informieren Sie den behandelnden Kinderarzt oder die behandelnde Kinderärztin über Art und Dosierung der Vitamin D Einnahme während der Stillzeit.
  • Bauen Sie sich ein Netzwerk auf, das Sie während der Schwangerschaft und nach der Geburt unterstützt.
  • Nutzen Sie Angebote wie Webinare und Beratungsstellen, um sich weiter zu informieren.

Geburt und Stillen

Eine vaginale Geburt ist in den meisten Fällen möglich. Ein Kaiserschnitt ist nur bei medizinischer Notwendigkeit erforderlich. Eine Periduralanästhesie (PDA) beeinflusst den Schubanstieg nach der Entbindung nicht.

Stillen hat viele Vorteile für Mutter und Kind und kann sich positiv auf die Schubrate auswirken. Es gibt MS-Medikamente, die während der Stillzeit angewendet werden können. Die Entscheidung, unter einer MS-Therapie zu stillen, sollte gemeinsam mit dem behandelnden Neurologen oder der behandelnden Neurologin und nur nach intensiver Risiko-Nutzen-Abwägung unter Berücksichtigung des potentiellen Risikos für den Säugling und dem Risiko eines schweren Schubes erfolgen.

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Medikamente und Stillen

Es gibt Multiple Sklerose Medikamente die in Europa offiziell zur Verwendung während der Stillzeit zugelassen sind: Dazu gehören Beta-Interferone (Betaferon®, Avonex®, Rebif®, Extavia®, Plegridy®), Glatirameracetat (Copaxone®, Clift®), Ofatumumab (Kesimpta®) und Ocrelizumab (Ocrevus®). Einige andere Multiple Sklerose Medikamente wie monoklonale Antikörper gelangen jedoch wahrscheinlich nicht in biologisch relevantem Maße in die Muttermilch und wieder andere überwinden zwar die Blut-Milch-Schranke, haben aber keinen negativen Effekt auf den Säugling.

Ofatumumab (Kesimpta®) ist der erste monoklonale Antikörper, der in der Stillzeit zugelassen ist. Laut Fachinformation sollte erst einige Tage nach der Geburt mit der Behandlung begonnen werden, da Antikörper direkt nach der Geburt vermehrt in die Muttermilch (Vormilch) gelangen können. Nach wenigen Tagen kann unter Ofatumumab (Kesimpta®) gestillt werden, wenn die Therapie für die Mutter als notwendig erachtet wird. Seit 2025 ist Ocrelizumab (Ocrevus®) ebenfalls für die Anwendung in der Stillzeit zugelassen. Obwohl die anderen monoklonalen Antikörper einen anderen Zulassungstext haben und nicht offiziell während der Stillzeit zugelassen sind, sollten ähnliche Überlegungen gelten. Dazu gehören monoklonale Antikörper wie Natalizumab (Tysabri®), das in geringem Umfang in der Muttermilch nachgewiesen wurde und Alemtuzumab (Lemtrada®). Die Wahrscheinlichkeit der Aufnahme von monoklonalen Antikörpern aus dem Magen-Darm-Trakt des reifgeborenen Säuglings ist sehr gering.

Eine Woche nach der letzten Einnahme von Cladribin (Mavenclad®) darf auf Grund der kurzen Halbwertszeit weiter gestillt werden. Sollten Schübe in der Stillzeit auftreten, können diese mit hochdosierten Steroiden behandelt werden, eine Stillpause von 1 bis 4 Stunden wird empfohlen. Es ist nicht nötig deswegen abzustillen. Immunglobuline sind in der Behandlung der Multiplen Sklerose nicht mehr empfohlen, auch nicht in der Stillzeit.

Frauen, die nicht stillen möchten oder eine hohe Krankheitsaktivität in und vor der Schwangerschaft aufwiesen, ist eine zügige Wiederaufnahme der Multiple Sklerose Therapie in den ersten zwei Wochen nach der Geburt zu empfehlen. Es gibt erste Hinweise darauf, dass der frühe Wiederbeginn der Therapie mit Natalizumab (Tysabri®) oder Fingolimod (Gilenya®) die Schubrate ab 3 Monaten nach der Geburt senken kann. Bei einer aktiven Multiplen Sklerose ist es wahrscheinlich von Vorteil, eine Schwangerschaft im Vorhinein zu planen und Medikamente zu wählen, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, schubfrei in der Schwangerschaft und nach der Geburt zu bleiben. Erste Daten existieren hier für Ocrelizumab (Ocrevus®) und Cladrinin (Mavenclad®).

Medikamente für Männer

Männer müssen die gängigen Multiple Sklerose Medikamente in der Regel vor einer geplanten Zeugung nicht absetzen. Eine Ausnahme stellt das Medikament Cladribin (Mavenclad®) dar. Es wird Patienten beider Geschlechter empfohlen, die Therapie mindestens 6 Monate vor einer geplanten Schwangerschaft abzusetzen.

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