Wie entstehen Gedanken im Gehirn – eine wissenschaftliche Erklärung

Gedanken und Gefühle sind zentrale Bestandteile unseres menschlichen Erlebens. Doch wie entstehen sie im Gehirn? Die neurowissenschaftliche Forschung hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte erzielt, um dieses komplexe Zusammenspiel zu verstehen.

Die neuronalen Grundlagen von Gedanken

Gedanken und Gefühle entstehen primär im Gehirn. Die Amygdala spielt beispielsweise eine wichtige Rolle bei der affektiven Bewertung von Situationen. Läsionen in diesem Bereich können dazu führen, dass Gefahrensituationen zwar kognitiv erkannt, aber emotional nicht richtig bewertet werden.

Auch spezifische Hirnregionen sind an der Verarbeitung bestimmter Arten von Gedanken beteiligt. Der Gyrus fusiformis ist für die Gesichtserkennung zuständig, während der Gyrus parahippocampalis Landschaften und Gebäude repräsentiert. Es wurden sogar einzelne Neuronen identifiziert, die selektiv auf bestimmte Personen oder Orte reagieren, wie beispielsweise Jennifer Aniston, Oprah Winfrey oder die Oper von Sydney.

Die Vorstellung, dass jedem Objekt unserer Gedanken eine bestimmte Nervenzelle im Gehirn zugeordnet ist, hat sich jedoch als unzutreffend erwiesen. Stattdessen arbeiten bei jedem Gedanken komplexe Netzwerke von Neuronen in der Großhirnrinde zusammen. Es gibt keine zentrale Stelle, die den Gedanken erfasst. Vielmehr analysieren verschiedene Hirnregionen Sinnesdaten, verknüpfen diese mit Erfahrungen, bewerten Situationen oder formulieren Wörter. Ein Gedanke ist somit eine über das ganze Gehirn verstreute Erscheinung, bei der sich eine Unmenge elektrischer Signale gleichzeitig ausbreitet.

Die Rolle von Evolution und unbewussten Einflüssen

Gedanken und Gefühle haben auch einen evolutionären Ursprung. Unsere Vorliebe für Fettiges und Süßes ist beispielsweise auf die vorteilhafte Rolle kalorienreicher Nahrung für unsere Vorfahren zurückzuführen. Ebenso können evolutionäre Faktoren unsere Partnerwahl beeinflussen.

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Darüber hinaus unterliegen Gefühle und Gedanken unbewussten Einflüssen. Die Wahl unseres Berufs oder Wohnorts kann von Faktoren beeinflusst werden, die uns weniger bewusst sind, als wir meinen.

Rationalität vs. Intuition

Das rationalistische Ideal betont die Bedeutung des Denkens und verurteilt oft Gefühle. Allerdings haben gefühlsgeleitete "Bauchentscheidungen" sich gerade in komplexen Entscheidungssituationen als erfolgreich erwiesen. Blaise Pascal schrieb treffend: "Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt".

Wie das Gehirn rechnet

Selbst einfache Rechenaufgaben erfordern die Zusammenarbeit zahlreicher Hirnregionen. Rechnen hat viel mit Sprache zu tun: Erwachsene greifen beim Addieren und bei Einmaleins-Aufgaben auf auswendig gelernte Lösungen zurück, wobei sprachverarbeitende Regionen im Gehirn aktiviert werden. Interessanterweise können sich die beteiligten Hirnregionen je nach kulturellem Hintergrund unterscheiden.

Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Gehirnen

Es gibt Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen. Männliche Gehirne sind im Durchschnitt etwas größer und haben mehr Neuronen in der Großhirnrinde, während weibliche Gehirne eine dichtere Vernetzung und mehr Furchen in der Großhirnrinde aufweisen. Ob diese anatomischen Unterschiede das Denken beeinflussen, ist jedoch noch unklar.

Die Entstehung von Intuition

Intuition ermöglicht es uns, schnell und effektiv Entscheidungen zu treffen, ohne uns aller Einzelheiten einer Situation bewusst zu sein. Sie schöpft aus unbewusst vorhandenen Erfahrungen, Erinnerungen und Urteilen und berücksichtigt damit mehr Informationen als das bewusste Gedächtnis. In unübersichtlichen Situationen kann die Intuition dem rationalen Denken sogar überlegen sein.

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Was passiert im Körper, wenn wir denken?

Jeder Gedanke löst im Gehirn eine biochemische Reaktion aus, bei der Botenstoffe wie Neurotransmitter, Neuropeptide und Hormone ausgeschüttet werden. Negative Gedanken können zur Ausschüttung von Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol, Cytokinen und Histaminen führen, während positive Gedanken die Ausschüttung von Serotonin, Oxytocin, Dopamin, Endorphinen und Vasopressin fördern. Diese Botenstoffe beeinflussen unsere Emotionen und können sich auch auf der Körperebene bemerkbar machen.

Neuroplastizität: Die Veränderbarkeit des Gehirns

Unser Gehirn ist lebenslang veränderungs- und lernfähig. Neue Schaltkreise werden gebildet, wenn wir Neues lernen oder uns neuen Herausforderungen stellen, während alte Schaltkreise abgebaut werden, wenn wir sie nicht mehr nutzen. Das bedeutet, dass wir unsere Denkmuster und Überzeugungen aktiv verändern können.

Gedankenlesen: Realität oder Fiktion?

Die Fortschritte in der Hirnforschung haben es ermöglicht, bestimmte geistige Zustände und damit Gedanken anhand von Aktivitätsmustern im Gehirn sichtbar zu machen. Forscher konnten beispielsweise mit einer Erfolgsquote von über 70 Prozent entschlüsseln, ob Versuchspersonen zwei Zahlen lieber addieren oder subtrahieren wollten.

Maschinen, mit denen man sämtliche Gedanken lesen kann, sind jedoch noch Science-Fiction. Die derzeitigen Verfahren knacken eher einen Code mithilfe statistischer Verfahren aus der KI, anstatt die Sprache des Gehirns zu verstehen.

Die Bedeutung der Interaktion mit der Umwelt

Um zu verstehen, wie ein Gedanke entsteht, müssen wir berücksichtigen, dass das Gehirn immer nur als Bestandteil eines Organismus existiert, der mit seiner Umwelt interagiert. Die Bedeutung eines Gedankens entsteht aus der aktiven Interaktion von Gehirn mit seinem Körper und der Umwelt.

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Die Rolle des "Ich"

Die Hirnforschung hat gezeigt, dass es keinen fixen Ich-Punkt im Gehirn gibt. Vielmehr sind es verschiedene Hirnregionen, die miteinander kommunizieren und so das Ich-Bewusstsein entstehen lassen. Das "Ich" ist keine konstante Größe, sondern besteht aus verschiedenen Faktoren, die sich in ihrer Zusammensetzung und Gewichtung verändern können.

Die Anzahl unserer Gedanken

Eine Studie aus dem Jahr 2020 hat den weit verbreiteten Mythos in Frage gestellt, dass Menschen täglich zwischen 60.000 und 80.000 Gedanken haben. Stattdessen deutet die Forschung darauf hin, dass wir eher auf etwa 6.000 Gedanken pro Tag kommen. Die Forscher konzentrierten sich darauf, wie sich die neuronale Aktivität im Gehirn während des Denkens verändert, insbesondere auf die Übergänge zwischen verschiedenen Denkzuständen.

Gedankenkarussell vor dem Einschlafen

Wenn wir grübeln, springen bestimmte Netzwerke im Gehirn an. Diese grübelnden Gedanken begünstigen sich immer wieder selbst, da unser Gehirn im Bett zu wenig andere Ablenkung hat und wir nur mit uns selbst beschäftigt sind.

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