Die alternde Bevölkerung in den Industrieländern konfrontiert uns mit einer Zunahme altersbedingter Krankheiten, darunter auch Alzheimer. Dieser Artikel beleuchtet die vielfältigen Aspekte der Erkrankung und geht dabei auf die Herausforderungen bei der Behandlung älterer Menschen ein, die oft von Multimorbidität und Polypharmazie betroffen sind.
Die alternde Bevölkerung und ihre Herausforderungen
Weltweit steigt die Lebenserwartung, was besonders in den Industrieländern zu einem deutlichen Anstieg älterer Menschen führt. Diese Entwicklung bringt jedoch auch eine Zunahme von altersbedingten Krankheiten mit sich. Typischerweise steigen Blutdruck und Blutzucker, das Herz wird schwach, Gelenke schmerzen, und Schlafstörungen treten auf. Bereits ab dem 65. Lebensjahr erhalten Patienten im Schnitt fünf Medikamente gleichzeitig.
Polypharmazie im Alter: Ein zweischneidiges Schwert
Die gleichzeitige Einnahme mehrerer Medikamente, auch Polypharmazie genannt, stellt im Alter ein besonderes Risiko dar. Medikamente werden vor allem an jungen und gesunden Personen getestet, Erkenntnisse über ihre Wirkung auf ältere Menschen fehlen oft. Hinzu kommt, dass sich die Nierenfunktion im Alter verschlechtert, was die Wirkung von Medikamenten beeinflussen kann. Dosierungsfehler sind daher keine Seltenheit.
Anna Wildung, deren 94-jährige Mutter im Pflegeheim lebt, beobachtet die Medikation ihrer Mutter kritisch: "Meine Mutter bekommt etliche Blutdrucktabletten und Entwässerungsmittel, weil ihr Herz nicht mehr gut arbeitet. Es gab auch noch ein Mittel gegen Blutfettwerte, also um das Cholesterin zu senken, und ich hab dann nachgesehen im Blutbefund: Meine Mutter hatte einen ganz niedrigen Blutfettwert - also die Medikation, die wird einfach weiter fortgesetzt ohne aktuell zu schauen, ob das noch notwendig ist."
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen und ärztliche Fehlverordnungen
Menschen über 65 haben ein fast fünfmal so hohes Risiko, unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu erleiden. Dies liegt unter anderem daran, dass die Nierenfunktion im Alter nachlässt, wodurch Medikamente länger und stärker wirken. Professor Martin Wehling, Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie der Universität Mannheim, betont, dass Nebenwirkungen von Medikamenten bei älteren Menschen rapide zunehmen können: "Die Nebenwirkungen, die steigen rapide an, also Magenblutung, Bluthochdruck, Schlaganfall und so weiter. Das ist das größte Problem, dass die alten Leute, um die es hier geht, wirklich einiges wesentlich schlechter vertragen als junge."
Lesen Sie auch: Besteigung des Mount Everest: Gesundheitsgefahren
Experten beklagen die hohe Zahl ärztlicher Fehlverordnungen bei älteren Menschen, die auf Unkenntnis über die veränderten Abbauwege im alternden Körper, mögliche Wechselwirkungen zwischen Medikamenten, Zeitmangel und falsch verstandenes Entgegenkommen zurückzuführen sind.
Das Problem der Arzneimitteldemenz
Ein weiteres Problem ist die sogenannte Arzneimitteldemenz, eine Verschlechterung des Denkvermögens als Nebenwirkung bestimmter Medikamente. Professor Wehling kritisiert, dass diese Form der Demenz in den Leitlinien oft nicht berücksichtigt wird: "In den ´Leidlinien` - ich schreib die gern mit d - zur Demenz kommt diese Arzneimitteldemenz gar nicht vor. Aber sie ist im Rest der Welt absolut bekannt, anerkannt, wird seit 25 Jahren mindestens beschrieben. Und ja - da gibt es ein ziemlich einfaches Oberprinzip: Das sind Arzneimittel, die ins Gehirn können und dort wirken. Das sind die klassischen Psychopharmaka, die Opiate, also die starken Schmerzmittel, auch Parkinsonmittel, Epilepsiemittel - das ist eine Riesenliste."
Leitlinien und Multimorbidität: Ein Teufelskreis
Zu jeder großen Volkskrankheit gibt es Leitlinien, die jedoch oft nur eine Krankheit im Blick haben. Werden ältere Menschen mit Multimorbidität nach mehreren Leitlinien behandelt, kann dies zu einem Medikamenten-Cocktail führen, der in der Summe viel zu hoch dosiert ist.
Das Studienparadox und die Notwendigkeit von Forschung mit älteren Menschen
Professorin Petra Thürmann vom Philipp-Klee-Institut für Klinische Pharmakologie betont das "Studienparadox": "Wo also gerade der typische Anwender in den Studien kaum vertreten ist. Selbst bei, sagen wir, ganz häufigen Erkrankungen wie Herzschwäche sieht man: Der Routinepatient, die ganz normalen Patienten aus dem wahren Leben - von denen hätten nur 20 bis 30 Prozent in die Studien hineingepasst, auf denen unsere Leitlinien beruhen. Und dann muss man sich natürlich wirklich fragen: Hm, der Patient oder die Patientin, die vor mir sitzt - ist das Ergebnis dieser Studie für diese Person auch noch zutreffend?"
Wissenschaftlich hieb- und stichfeste Medikamentenstudien mit älteren Menschen sind jedoch überaus schwierig durchzuführen. Ein weiteres Problem sind die Wechselwirkungen all der Medikamente, die alte Menschen gleichzeitig einnehmen.
Lesen Sie auch: Wunderbare Genesung nach Schlaganfall
Lösungsansätze und Initiativen zur Verbesserung der Arzneimitteltherapie im Alter
Um die Arzneimitteltherapie älterer Menschen zu optimieren, gibt es verschiedene Initiativen und Lösungsansätze. Dazu gehört das Zentrum für Gerontopharmakologie an der Universität Mannheim, das von Professor Wehling geleitet wird. Hier können Ärzte ältere Patienten überweisen, die mehr als fünf Arzneimittel einnehmen.
Zudem entstanden in den letzten Jahren wichtige Listen, die Ärzte zu Rate ziehen können. Dazu zählt die Priscus-Liste, die 83 Wirkstoffe aus 18 Stoffklassen verzeichnet, die ältere Menschen besser nicht einnehmen sollten.
Fallbeispiel Gerd Müller: Alzheimer im öffentlichen Fokus
Dass Gerd Müller an Alzheimer erkrankt ist, konnte der Öffentlichkeit einige Zeit verborgen werden. Erst kurz vor seinem 70. Geburtstag wurde die Erkrankung öffentlich bekannt.
Die Rolle von Neuroleptika und Benzodiazepinen in Pflegeheimen
Professorin Petra Thürmann weist auf die hohe Anwendungsrate von Neuroleptika und Benzodiazepinen in deutschen Pflegeheimen hin: "Und hier liegt wahrscheinlich auch das größte Problem. Wir haben in Deutschland eine relativ hohe Anwendungsrate von sogenannten Neuroleptika und auch Benzodiazepinen. Das eine sind Medikamente gegen die Aggressionen und die Wahnvorstellungen bei Demenz, und die Benzodiazepine, das sind die Medikamente, mit denen man besser schläft." Diese Medikamente können jedoch die Sturzgefahr erhöhen und das Denkvermögen verschlechtern.
Die Bedeutung von Flüssigkeitszufuhr und die Rolle der Pflegeheime
Wassertabletten können den Blutdruck zu stark senken und die Muskeln schwächen, was die Sturzgefahr erhöht. Die Patienten müssten viel trinken, um den Wasserverlust auszugleichen, doch dies wird oft vermieden, da die vielen Toilettengänge beschwerlich sind. Wildung beobachtet: "Was mir auffällt ist, dass die Getränke oft nicht bereitgestellt sind, wenn ich komme. Da merke ich manchmal, dass meine Mutter verwirrt ist, dass sie Traum und Wirklichkeit durcheinanderbringt. Sie hat manchmal Ängste, weil sie schlimme Sachen während des Krieges erlebt hat und das scheint in solchen Momenten dann hochzukommen."
Lesen Sie auch: Informationen für Alzheimer-Patienten und Angehörige