Wie schädlich ist Boxen für das Gehirn: Langzeitfolgen und Risiken

Boxen, ein Sport, der für viele eine Kunstform darstellt, birgt ernsthafte Risiken für das Gehirn. Die wiederholten Schläge gegen den Kopf, die in diesem Sport unvermeidlich sind, können sowohl kurzfristige als auch langfristige Schäden verursachen. Dieser Artikel beleuchtet die potenziellen Gefahren des Boxens für das Gehirn, einschliesslich akuter Verletzungen, subakuter Folgen und chronischer Langzeitwirkungen.

Der tragische Fall von Jeanette Zacarias Zapata

Der Tod der jungen mexikanischen Boxerin Jeanette Zacarias Zapata im August 2021 verdeutlicht auf tragische Weise die Gefahren des Boxens. Zapata erlitt während eines Kampfes in Montreal eine Reihe von Schlägen gegen den Kopf und verlor schliesslich ihren Mundschutz beim letzten Haken. Fünf Tage später starb sie im Krankenhaus. Dieser Fall wirft wichtige Fragen auf: Was passiert, wenn der Kopf so hart getroffen wird? Welche langfristigen Folgen kann dies für das Gehirn haben?

Was passiert bei einem Schlag auf den Kopf?

Der Neurologe Steven Laureys beschreibt die Vorgänge im Gehirn bei einem harten Schlag wie folgt: "Man verliert das Bewusstsein. Schlimmstenfalls fängt das Gehirn an zu bluten." Das Gehirn ist ein empfindliches Organ, das viel Energie benötigt und von vier grossen Arterien und vielen kleinen Gefässen versorgt wird. Schläge gegen den Kopf können diese Verbindungen buchstäblich unterbrechen und zu einer Gehirnkrankheit führen. Die Schäden können so weitreichend sein, dass sie sogar die Persönlichkeit eines Menschen verändern, da Teile des Gehirns betroffen sind, die für Gedächtnis und Emotionen zuständig sind.

Die Tücke der unsichtbaren Verletzungen

Ein besonders tückischer Aspekt des Boxens ist, dass die Verletzungen oft nicht sofort sichtbar sind. Im Gegensatz zu einem gebrochenen Arm oder Bein, bei denen die Verletzung offensichtlich ist, können Gehirnschäden im Verborgenen entstehen. Viele junge Boxer leiden möglicherweise an chronisch-traumatischer Enzephalopathie (CTE), ohne es zu wissen, da spezielle Gehirnscans erforderlich sind, um die Veränderungen im Inneren zu erkennen.

Die Kunst des Boxens vs. die Realität der Hirnschäden

Trotz der mitunter brutalen Auswirkungen bleibt das Boxen für seine Anhänger eine Kunst. Michael Timm, Cheftrainer an einem deutschen Olympiastützpunkt, betont, dass es im Boxen darum geht, Ideen zu entwickeln, schneller zu sein, Schlägen auszuweichen und den Gegner müde zu machen. Ehemalige Boxer wie Kevin Boakye-Schumann betonen, dass es beim Boxen darum geht, zu schlagen, ohne getroffen zu werden, und dass der Sport viel mit Intelligenz, Ernährung, individuellen Stärken und Disziplin zu tun hat.

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Sarah Scheurich, eine zweifache deutsche Amateurmeisterin, sieht im Boxen sogar einen Wendepunkt in ihrem Leben, da es ihr geholfen hat, Erfolg und Selbstvertrauen zu gewinnen. Nina Meinke, eine deutsche Profiboxerin und Europameisterin im Federgewicht, begann im Alter von zwölf Jahren mit dem Boxen und war nach der ersten Trainingseinheit "so kaputt".

Anekdotische Beweise vs. wissenschaftliche Erkenntnisse

Während einige Boxer von ihren positiven Erfahrungen berichten und argumentieren, dass der beste Schutz die Fähigkeit ist, Schlägen auszuweichen, räumt Neurologe Steven Laureys ein, dass mehrere Faktoren eine Rolle spielen und dass es immer Menschen geben wird, die keine CTE entwickeln. Er warnt jedoch davor, sich auf anekdotische Beweise zu verlassen. Boxfans argumentieren oft, dass andere Sportarten eine höhere Unfallrate aufweisen, aber der Unterschied beim Boxen besteht darin, dass es nicht darum geht, eine Linie zu überqueren oder einen Ball in ein Netz zu befördern, sondern den Kopf eines Menschen mit Schlägen zu treffen.

Die langfristigen Folgen von Schlägen gegen den Kopf

Hans Förstl von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München betont, dass Schläge gegen den Schädel zu schweren Hirnzerreissungen und Blutungen führen können, die tödlich enden können. Sein Forschungsteam analysierte in einer Metastudie die Folgen von Verletzungen bei Boxkämpfen und wertete rund 300 Studien aus. Demnach starben seit 1890 bei Boxkämpfen pro Jahr im Durchschnitt zehn Boxer.

Gehirnerschütterungen und das Second-Impact-Syndrom

Die Forschung hat gezeigt, dass die schnelle Beschleunigung des Kopfes bei Gehirnerschütterungen dazu führt, dass das Gehirn gegen die Schädelknochen gepresst wird. Dies kann zu einer Stauchung oder Dehnung zentraler Nervenbahnen führen, wodurch die Kommunikation zwischen den Nervenzellen kurzzeitig zusammenbrechen kann. Ein besonders gefährliches Phänomen ist das Second-Impact-Syndrom, bei dem eine weitere Erschütterung auf eine nicht abgeklungene Erschütterung trifft und oft bleibende Schäden drohen.

Chronisch-traumatische Enzephalopathie (CTE)

Gehirnerschütterungen können auch bleibende Schäden verursachen. Bei Patient:innen mit CTE lagert sich ein bestimmtes Protein namens Tau im Gehirn dauerhaft an den falschen Stellen ein. Dieses Protein, das eigentlich als Stützskelett für Axone dient, verklumpt in ungebundener Form und verhindert die Kommunikation zwischen Nervenzellen. Dies führt zum Absterben von Zellen und zum Schrumpfen der weissen Hirnsubstanz.

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Kognitive Störungen und neuropsychiatrische Erkrankungen

Die Folgen von Veränderungen der Gehirnstruktur durch Schädel-Hirn-Trauma können vielfältig sein. Viele Boxer:innen entwickeln bereits während ihrer aktiven Zeit zumindest leichte kognitive Störungen, insbesondere eine Verschlechterung des Neugedächtnisses. Zehn bis 20 Prozent der Profiboxer:innen leiden ihr Leben lang unter anhaltenden neuropsychiatrischen Erkrankungen, ihre motorischen Fähigkeiten lassen nach und sie haben ein erhöhtes Risiko, am Parkinson-Syndrom sowie an Alzheimer zu erkranken.

Vergleich mit anderen Sportarten

Die Risiken von Kopfverletzungen sind nicht auf das Boxen beschränkt. Auch American-Football-Spieler:innen und Eishockeyspieler:innen sind regelmässig heftigen Stössen gegen den Kopf ausgesetzt. Studien haben gezeigt, dass auch bei diesen Sportarten das Risiko besteht, langfristige Hirnveränderungen davonzutragen. Im Eishockey sind Schädigungen des Kopfes mit 39 Prozent sogar die häufigsten Verletzungen, was unter anderem auf die hohen Geschwindigkeiten der Spieler:innen und Pucks zurückzuführen ist.

Präventive Massnahmen und Schutz

Um das Risiko von Hirnschäden im Boxen zu minimieren, ist es entscheidend, präventive Massnahmen zu ergreifen und den Kopf bestmöglich zu schützen. Dazu gehören:

  • Gute Deckung: Eine solide Doppeldeckung hilft, direkte Treffer zu vermeiden.
  • Verbesserung der Reaktion und Reflexe: Durch gezieltes Training können Boxer:innen Schläge besser erkennen und ausweichen.
  • Beinarbeit: Eine gute Beinarbeit ermöglicht es, sich aus der Reichweite des Gegners zu bewegen.
  • Auswahl des richtigen Trainingspartners: Sparring sollte nur mit erfahrenen Partnern durchgeführt werden, die nicht auf harte Schläge aus sind.
  • Bedingtes Sparring: Aufgabenbasiertes Sparring minimiert die Anzahl der Kopftreffer.
  • Mund- und Kopfschutz: Ein Mundschutz schützt die Zähne, während ein Kopfschutz vor Kopfstössen und Platzwunden bewahren kann.
  • Ausdauer: Ausreichende Ausdauer hilft, die Konzentration aufrechtzuerhalten und Schläge besser abzuwehren.
  • Weniger ist mehr: Sparring sollte nicht übertrieben werden, um die Belastung des Gehirns zu reduzieren.

Amateurboxen vs. Profiboxen

Es ist wichtig, zwischen Amateur- und Profiboxen zu unterscheiden. Im Amateurbereich sind die Boxer:innen besser geschützt, da sie einen Kopfschutz sowie grössere und schwerere Handschuhe tragen, was die Schlagkraft reduziert. Zudem gehen Amateurkämpfe über maximal vier Runden à zwei Minuten, was das Verletzungsrisiko ebenfalls verringert. Im Gegensatz zu den Profis stehen beim Amateurboxen saubere Treffer mehr im Vordergrund als der K. o.

Eine schwedische Studie aus dem Jahr 1993 verglich die Gehirnschädigungen von Amateurboxern, Fussballern und Leichtathleten und konnte keine auffälligen Unterschiede nachweisen. Anders sieht die Situation bei den Profis aus, wo die Kämpfe länger dauern und weniger Schutzmassnahmen vorhanden sind.

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Forderungen nach einem Verbot des Profiboxens

Aufgrund der schwerwiegenden Risiken fordern Ärztevereinigungen wie die "British Medical Association" seit Jahren ein Verbot des Profiboxens. In manchen Ländern wie zum Beispiel Island, Kuba oder Schweden ist dieses bereits in Kraft. Die Lobby der Boxbefürworter ist jedoch gross, und die Chancen für ein weltweites Verbot sind gering.

Kopfverletzungen und Demenz

Kopfverletzungen sind nicht nur eine akute Gefahr, sondern können langfristig das Risiko für Demenz erhöhen. Wiederholte Schläge auf den Kopf können zu einer Ansammlung von Schäden im Gehirn führen, was letztlich das Risiko erhöht, eine chronisch-traumatische Enzephalopathie (CTE) zu entwickeln, die über die Jahre hinweg fortschreitet und schliesslich in einer Demenz münden kann.

Wie Stürze und Verletzungen das Gehirn schädigen

Bei einem Sturz auf den Kopf prallt das Gehirn gegen den Schädel, was zu Verletzungen der Nervenzellen führen kann. Besonders gefährlich sind dabei axonale Schädigungen, bei denen die Fortsätze der Nervenzellen, die für den Informationsaustausch im Gehirn verantwortlich sind, geschädigt werden. Dies kann langfristig zu kognitiven Beeinträchtigungen führen und die Freisetzung des Tau-Proteins begünstigen, das sich in Nervenzellen ablagern und verklumpen kann, was den Informationsaustausch im Gehirn weiter behindert.

Minimierung des Risikos

Der beste Schutz besteht darin, Kopfverletzungen zu vermeiden. Bei Menschen, die aufgrund von Erkrankungen häufiger stürzen, ist eine frühzeitige physiotherapeutische Behandlung wichtig, um Stürze zu reduzieren. Für Risikosportarten wie Football oder Boxen sollten bessere Schutzmassnahmen eingeführt werden. Regelmässige medizinische Untersuchungen und eine gute Aufklärung über die Risiken sind entscheidend, um Kopfverletzungen und deren langfristige Folgen zu verhindern.

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