Chorea Huntington, auch bekannt als Huntington-Krankheit oder Morbus Huntington, ist eine seltene, vererbbare neurodegenerative Erkrankung des Gehirns. Sie ist gekennzeichnet durch eine Kombination aus Bewegungsstörungen, kognitiven Beeinträchtigungen und psychiatrischen Symptomen. Die Krankheit wurde nach dem US-amerikanischen Arzt George Huntington benannt, der sie 1872 erstmals wissenschaftlich beschrieb.
Historischer Hintergrund und Namensgebung
Die auffälligen, unwillkürlichen zuckenden Bewegungen, die mit Chorea Huntington einhergehen, führten im Mittelalter zur Bezeichnung "Veitstanz". Dieser Name leitet sich vom heiligen Veit ab, der im christlichen Volksglauben als Schutzheiliger bei dieser Krankheit angerufen wurde, da er der Legende nach zu seinen Lebzeiten ein Kind von der Krankheit befreit hatte. Der Begriff "Chorea" stammt vom griechischen Wort "choreia" und bedeutet Tanz.
Epidemiologie
Chorea Huntington ist eine seltene Erkrankung. In Deutschland sind derzeit etwa 10.000 Menschen symptomatisch betroffen, wobei Frauen und Männer gleichermaßen betroffen sind. Pro Jahr treten einige hundert neue Fälle auf. Schätzungen zufolge tragen etwa 30.000 Menschen in Deutschland das Huntington-Gen in sich, ohne dass bei ihnen bereits Symptome aufgetreten sind. In Europa geht man von 6 bis 12 Betroffenen auf 100.000 Einwohner aus. In Nordamerika sind es rund 30.000 Kranke und weitere 150.000 sogenannte Risikopersonen. Die HK kommt in allen ethnischen Gruppen vor, ist jedoch bei der europäischen Bevölkerung am stärksten verbreitet.
Symptome
Die ersten Symptome der Chorea Huntington treten meist im Alter von 35 bis 50 Jahren auf, seltener auch schon vor dem 20. Lebensjahr (juvenile Form) oder nach dem 60. Lebensjahr. Der Beginn der Erkrankung ist oft schleichend und unspezifisch.
Frühsymptome
Zu den frühen Symptomen gehören:
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- Verhaltensauffälligkeiten: Reizbarkeit, Aggressivität, Depressionen, Enthemmung, Ängstlichkeit, Misstrauen, Kontrollzwang, Wutausbrüche
- Psychiatrische Störungen: Halluzinationen, Zwangsstörungen, Persönlichkeitsveränderungen
- Kognitive Beeinträchtigungen: Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Leistungsbeeinträchtigungen, verminderte Belastbarkeit, Schlafstörungen, Interessensverlust, Vergesslichkeit, Urteilsfähigkeit schwindet, das Lernen und Planen fällt zunehmend schwer.
- Bewegungsstörungen: Unwillkürliche Bewegungen von Kopf, Händen, Armen, Beinen, Rumpf, Tic-artige Muskelzuckungen (z.B. Augenzwinkern, Verzerren des Mundes), Gleichgewichtsstörungen, Beeinträchtigung der Feinmotorik oder ein Zittern
- Weitere Symptome: Überbewegungen (Hyperkinesen, Chorea) oder Bewegungsverarmung (Hypokinese), hastiges Essen, Sprachstörungen
Spätsymptome
Im weiteren Verlauf der Erkrankung verstärken sich die Symptome. Es kommt zu:
- Zunehmenden Bewegungsstörungen: Der charakteristische tänzelnde Gang entwickelt sich, die Koordination von Bewegungsabläufen wird immer schwieriger. Bei einem Teil der Patienten tritt Muskelsteifheit und Bewegungshemmung auf. Die unwillkürlichen Bewegungen können zu Gehunfähigkeit führen.
- Schluckbeschwerden: Die Kontrolle über die Zungen- und Schlundmuskulatur geht verloren, was die Nahrungsaufnahme erschwert und das Risiko einer Lungenentzündung erhöht.
- Sprachstörungen (Dysarthrie)
- Demenz
- Gewichtsverlust: Oft sehr gravierend, die Ursachen sind letztlich nicht verstanden. In der Regel nehmen die Überbewegungen mit dem Gewichtsverlust zu.
Ursachen und Vererbung
Ursache der Chorea Huntington ist ein Gendefekt auf Chromosom Nummer vier. Betroffen ist das Huntingtin-Gen (HTT-Gen). Die Huntington Krankheit ist genetisch bedingt und wird autosomal dominant vererbt. Das bedeutet: Gibt ein betroffenes Elternteil das veränderte Gen an seine Kinder weiter, erkranken diese zwangsläufig ebenfalls. Jedes Kind eines Elternteils, der das Huntington Gen in sich trägt, hat eine 50:50 Wahrscheinlichkeit, das mutierte Gen vererbt zu bekommen. Hat ein Kind das mutierte Gen ererbt, wird es die Krankheit irgendwann entwickeln. Dies geschieht normalerweise erst im Erwachsenenalter.
Der Gendefekt im Detail
In einem bestimmten Bereich des Chromosoms vier, im Huntingtin-Gen, wiederholt sich die DNA-Sequenz CAG (Cytosin, Adenin, Guanin) mehrfach. Bei gesunden Menschen liegt die Anzahl dieser Wiederholungen zwischen 10 und 30. Bei Menschen mit Chorea Huntington ist diese Anzahl jedoch deutlich erhöht, in der Regel über 36. Ab zirka 36 Wiederholungen bricht die Krankheit aus. 30 bis 35 CAG-Wiederholungen gelten als Graubereich.
Die Anzahl der Wiederholungen kann von einer Generation zur nächsten zunehmen. Die Faustregel: Je mehr CAGs, umso früher bricht die Krankheit aus und umso rascher schreitet sie voran. Dies wird als Antizipation bezeichnet. Sie gilt insbesondere bei Vererbung durch den Vater, da die Triplettanzahl bei Vererbung über die männliche Keimbahn häufiger ansteigt als bei Vererbung über die weibliche Keimbahn.
Neumutationen
Bei etwa einem bis drei Prozent aller Betroffenen sind keine Fälle von Chorea Huntington in der Familie bekannt. In diesen Fällen handelt es sich um eine neu aufgetretene Veränderung im Erbgut, eine sogenannte Neumutation. Zum anderen gibt es Fälle, bei denen es im Prozess der Vererbung durch den Mann (bei der Bildung der Spermien) zu einer Verlängerung der CAG-Wiederholungen kommen kann. Dies kann der Fall sein, wenn die Anzahl der CAG-Wiederholungen bei einem symptomfreien Mann im sogenannten Intermediär- oder Graubereich liegt, also zwischen 27 und 39 CAG-Wiederholungen. D.h. der Vater der erkrankten Person wird vermutlich selbst keine Huntington-Symptome entwickeln. Oder der das Mutation tragende Elternteil kann an anderer Ursache vor Sichtbarwerden von Huntington-Symptomen verstorben sein oder der wahre leibliche Vater ist nicht bekannt.
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Auswirkungen des Gendefekts
Der verlängerte DNA-Abschnitt führt dazu, dass ein Eiweißstoff namens Huntingtin nicht korrekt hergestellt wird. In der gesunden Form ist Huntingtin für den Körper lebensnotwendig. Die veränderte Form ist jedoch giftig und führt dazu, dass Nervenzellen absterben, insbesondere in den Stammganglien und der Gehirnrinde. Forschende haben herausgefunden, dass die fehlerhafte Form des Eiweißmoleküls entsteht, nachdem das Huntingtin-Gen mit verlängertem CAG-Abschnitt in Boten-RNA (mRNA) übersetzt wurde. Dann heftet sich ein bestimmter Eiweiß-Komplex an den verlängerten Bereich.
Das normale Huntington hat in den Zellen zahlreiche Funktionen: Ihm wird unter anderem eine Beteiligung an der Signalübertragung zwischen Nervenzellen, bei Transportvorgängen, dem Energiehaushalt und in der Embryonalentwicklung zugeschrieben.
Diagnose
Die Diagnosestellung der Morbus Huntington erfolgt mit Hilfe eine Gentests, der aus 5ml Blut des Patienten durchgeführt wird. Die HD-Mutation lässt sich mittels eines einfachen Tests, der sogenannten Polymerasekettenreaktion (PCR), nachweisen. Die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen. Diese Diagnostik ist auch im sehr frühen Krankheitsstadium bei klinisch unauffälligen Anlageträgern und pränatal möglich. Der genetischen Testung muss immer eine ausführliche Beratung des Patienten vorausgehen. Voraussetzung ist eine sehr sorgfältige humangenetische Betreuung.
Manchmal liegen zwar eindeutige Symptome der Erkrankung vor, der Gentest zeigt jedoch nicht die erwartete Mutation. In solchen Fällen müssen andere Ursachen für die Symptome in Betracht gezogen werden. Die Liste weiterer Krankheiten mit choreatiformen Störungen beinhaltet andere genetische Krankheiten wie z.B. die Kupferspeicherkrankheit Morbus Wilson, die spinocerebelläre Ataxie Typ 1, 2, 3, 17, Friedrich Ataxie, Huntingon’s disease like-Erkrankungen, Neuroakanthozytose. Weitere Erkrankungen mit Chorea können entstehen u.a. infolge von Schlaganfällen, Schilddrüsenstörungen oder durch Einnahme von Medikamenten, die den Dopaminstoffwechsel beeinflussen. Differentialdiagnostisch bei o. g. Huntington disease-like 2 (HDL2, Gen JPH3; insb. Insbesondere bei sporadischen Fällen ohne positive Familienanamnese sollten metabolische Erkrankungen (z. B. Hyperthyreose, Morbus Wilson) oder seltene genetische Erkrankungen (z. B. Hallervorden-Spatz Syndrom) ausgeschlossen werden.
Neben dem Gentest ist eine neurologische Untersuchung durch einen erfahrenen Arzt oder Ärztin erforderlich, um festzustellen, ob die Person Symptome der Huntington-Krankheit zeigt. Hierzu gehören eine körperliche Untersuchung und eine ausführliche Erhebung der Vorerkrankungen und Familiengeschichte.
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Therapie
Bislang ist Chorea Huntington noch nicht heilbar. Die Behandlung konzentriert sich auf die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie erfolgt in Abhängigkeit der jeweils vorliegenden Symptome.
- Überbewegungen (Hyperkinesien, Chorea): Dopaminrezeptorantagonisten (Tiaprid), Dopamin-entspeicherer (Tetrabenazin) oder atypische Antipsychotika
- Minderbewegungen (Hypokinese): Parkinson-Medikamente
- Depressionen: Serotoninwiederaufnahmehemmern oder Dopamin-Rezeptorantagonisten
- Vermehrte Reizbarkeit, Aggressivität oder Psychosen: atypische Neuroleptika
Da alle diese Substanzen Nebenwirkungen auslösen können und sich das klinische Bild oft im Laufe der Zeit verändert, gilt es, die Indikation jeweils individuell zu prüfen.
Nicht-medikamentöse Therapie
- Physiotherapie: Regelmäßige Anwendungen, um die Beweglichkeit zu erhalten und Stürzen vorzubeugen.
- Logopädie: Behandlung von Schluck- und Sprachstörungen. Durch das Andicken der Nahrung kann der Schluckakt erleichtert werden.
- Ergotherapie: Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags.
- Psychologische und psychosoziale Maßnahmen: Unterstützung der Patienten und Angehörigen bei der Krankheitsbewältigung.
- Hochkalorische Ernährung: Empfohlen bei drohendem Gewichtsverlust, mit bis zu 6 bis 8 Mahlzeiten pro Tag. In späten Krankheitsstadien ist dennoch gelegentlich die Anlage einer Magenfistel (perkutanen endoskopischen Gastrostomie (PEG)) unumgänglich.
Zukünftige Therapieansätze
Da derzeit keine neuroprotektiven Wirkstoffe zur Behandlung der Huntington-Erkrankung zur Verfügung stehen, kommt es im Verlauf der Erkrankung unweigerlich zu einem zunehmenden Verlust der Nervenzellen im Striatum, aber auch im Cortex und im Hirnstamm. Man versucht, diesen Zellverlust über Transplantation von Stammzellen in das Gehirn hinein auszugleichen. Ein weiterer Ansatz ist die Tiefe Hirnstimulation mit experimenteller Implantation eines Hirnschrittmachers. DZNE-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschäftigen sich intensiv damit, die Mechanismen zu verstehen, die dazu führen, dass eine verlängerte CAG-Region zu fehlerhaftem Huntingtin führen.
Verlauf und Prognose
Die Huntington-Krankheit ist eine fortschreitende Erkrankung. Die Lebenserwartung nach Erstdiagnose der Huntington Krankheit liegt bei durchschnittlich 20 Jahren. Während dieser Zeit bedarf der Patient mehr und mehr Betreuung und Pflege. Wie schnell der Krankheitsverlauf voranschreitet, ist von Person zu Person sehr unterschiedlich.
Stadien der Erkrankung
- Prämanifestes Stadium: Phase vor dem Auftreten von Symptomen.
- Prodromale Phase: Auftreten erster leichter Symptome.
Herausforderungen
Die Betreuung von Menschen mit Chorea Huntington stellt viele Herausforderungen dar, sowohl für die Betroffenen als auch für die Angehörigen. Dazu gehören:
- Finanzielle Problematiken
- Kontrollverluste
- Erschwerend kann zudem sein, dass viele Betroffene ihre eigenen Symptome oft nicht wahrnehmen.
- Erhöhtes Suizidrisiko
Selbsthilfe und Unterstützung
Für Betroffene und Angehörige gibt es in Deutschland gut organisierte Selbsthilfegruppen. Patienten und Angehörige können sich in das Europäische Huntington-Netzwerk einschließen lassen. Dies kann über unsere Ambulanz für Bewegungsstörungen gemacht werden.
George Huntington
George Huntington (1850-1916) war der Arzt, der die Krankheit 1872 erstmals beschrieb. Er war gerade einmal acht Jahre alt, als er erstmals zwei Frauen begegnete, die an der Krankheit litten. Huntington hatte seinen Vater begleitet, der als Allgemeinarzt auf Long Island im Bundesstaat New York tätig war. Die beiden Patientinnen - Mutter und Tochter - waren nur noch Haut und Knochen. Sie bewegten sich in gebeugter Haltung und sich windend fort, schnitten Grimassen.
Nach Abschluss seines Medizinstudiums stürzte sich der junge Huntington auf die Patientenakten seines Vaters und seines Großvaters, studierte deren Aufzeichnungen über die Krankheit und erkannte unter anderem als erster das Vererbungsmuster. Er selbst glaubte zu dieser Zeit noch, es handle sich um eine lokale beschränkte Rarität - auf Long Island oftmals verschämt als „jene Störung“ bezeichnet.
Die Leistung des Arztes bestand insbesondere darin, dass er Chorea Huntington als eigenständige, erblich bedingte Erkrankung erkannte und von anderen Chorea-Formen, die beispielsweise nach einer Infektion auftreten können, abgrenzte. Huntington entschied sich für eine Laufbahn als traditioneller Hausarzt. Seine Untersuchungen zu der nach ihm benannten Krankheit vertiefte er später nicht weiter.
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