Die Behandlung von Erkrankungen des Gehirns stellt eine besondere Herausforderung dar. Medikamente müssen nicht nur wirksam sein, sondern auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden und gezielt im Gehirn wirken. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte der Medikamentenwirkung im Gehirn, von der Überwindung der Blut-Hirn-Schranke bis hin zu den Mechanismen von Psychopharmaka und dem Placeboeffekt.
Die Blut-Hirn-Schranke: Eine Herausforderung für Medikamente
Das Gehirn ist durch die Blut-Hirn-Schranke (BHS) geschützt, eine hochselektive Barriere, die den Übergang von Substanzen aus dem Blutkreislauf in das zentrale Nervensystem (ZNS) streng reguliert. Die BHS lässt Nährstoffe und Stoffwechselprodukte passieren, wehrt aber Krankheitserreger und Giftstoffe ab. Diese Schutzfunktion erschwert jedoch die Entwicklung von Medikamenten, die im Gehirn oder im ZNS wirken sollen, da viele Wirkstoffe die BHS nicht überwinden können.
Neue Testsysteme zur Überwindung der Blut-Hirn-Schranke
Um die Entwicklung von Medikamenten für das Gehirn zu verbessern, wurden neue Testsysteme entwickelt, die zuverlässig untersuchen, ob ein Wirkstoff vom Blut ins Gehirn gelangt. Ein solches Modellsystem wurde von Dr. Antje Appelt-Menzel und ihren Kollegen entwickelt und von dem Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziell unterstützt. Dieses Modell weist eine höhere Barrierestärke auf als bisherige Systeme und ähnelt der natürlichen BHS im menschlichen Körper. Substanzen können diese Barriere nur überwinden, wenn sie aktiv transportiert werden, was dem natürlichen Vorbild entspricht. Das Team konnte bereits zeigen, dass Referenzsubstanzen wie Koffein und Diclofenac die Barriere in diesem Modellsystem überwinden.
Für das neue Modellsystem verwenden die Forscher induzierte pluripotente Stammzellen, die aus Gewebeproben erwachsener Menschen gewonnen werden und ethisch weniger umstritten sind als embryonale Stammzellen. Diese Zellen bilden zudem die genetischen Besonderheiten der Person ab, von der sie stammen, was zukünftig ein Vorteil des neuen Modellsystems sein könnte.
Gezielte Medikamentendeposition im Gehirn
Wissenschaftler arbeiten an der Möglichkeit, Medikamente im Gehirn gezielter an einem eng begrenzten Wirkort zu deponieren. Ein Ansatz besteht darin, gasgefüllte Bläschen mit einer Hülle aus Fettsäuren als Mikrovehikel zu nutzen. Diese Mikrobläschen können mit Ultraschall gesteuert werden und zersetzen sich nach getaner Arbeit im Körper. Forscher haben diese Bläschen in den Blutkreislauf von Mäusen injiziert und sie mit Ultraschall an Ort und Stelle gehalten oder gegen die Fließrichtung des Bluts durch Gehirngefäße gesteuert. In einem nächsten Schritt möchten die Forscher Wirkstoffmoleküle für den Transport außen an die Bläschenhülle heften und das gesamte Verfahren so weiterentwickeln, dass es auch im Menschen funktioniert.
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Psychopharmaka: Einfluss auf den Stoffwechsel des Gehirns
Psychopharmaka spielen eine zentrale Rolle bei der Behandlung zahlreicher psychischer Störungen. Sie greifen in den Stoffwechsel des Gehirns ein und beeinflussen so unser Fühlen, Denken und Handeln. Obwohl sie oft kritisch gesehen werden, können sie bei schweren psychischen Erkrankungen helfen und seelisches Leid lindern oder abwenden. Psychopharmaka heilen nicht, können aber Symptome gezielt beeinflussen und schwere psychische Krisen überwinden oder erneute Erkrankungsphasen abwenden.
Wirkungsweise von Antidepressiva
Antidepressiva sind eine wichtige Säule der Behandlung von Depressionen. Es gibt verschiedene Arten von Antidepressiva, die unterschiedliche Wirkungen auf die Botenstoffe im Gehirn haben. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) erhöhen beispielsweise die Konzentration von Serotonin im synaptischen Spalt, indem sie einen Mechanismus hemmen, durch den das Serotonin von der Synapse wieder aufgesaugt wird.
Die Entscheidung für oder gegen eine Behandlung mit Antidepressiva hängt vom Schweregrad der Depression, den Präferenzen des Patienten und dem früheren Krankheitsverlauf ab und sollte mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Antidepressiva wirken nicht sofort, sondern zeigen meist innerhalb der ersten zwei Wochen eine erste Besserung der depressiven Symptome. Die volle antidepressive Wirkung zeigt sich oft erst nach drei bis vier Wochen.
Einmal eingenommen, sollten Antidepressiva bei Besserung nicht sofort wieder abgesetzt werden, um das Risiko eines Rückfalls zu vermeiden. Stattdessen sollten sie nach Abklingen der Depression für circa vier bis acht Monate in gleicher Dosierung weiter eingenommen werden. Wenn ein Antidepressivum nicht vertragen wird, kann auf ein anderes mit einem anderen Nebenwirkungsrisiko umgestellt werden.
Nebenwirkungen und Absetzen von Antidepressiva
Antidepressiva können Nebenwirkungen haben, wie Mundtrockenheit, veränderter Blutdruck, Schlaflosigkeit, verminderte Libido oder Erektionsstörungen. Treten Nebenwirkungen auf, sollte dies dem behandelnden Arzt mitgeteilt werden, um gegebenenfalls die Dosis zu reduzieren oder auf ein anderes Medikament umzustellen.
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Ein plötzliches Absetzen von Antidepressiva kann zu Absetzbeschwerden führen. Um dies zu vermeiden, sollten Antidepressiva ausschleichend abgesetzt werden. Die Dauer des Ausschleichens hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie der Wirkungsweise des Medikaments und der Dauer der Einnahme.
Neuronale Schaltkreise und Angststörungen
Ein Team von Wissenschaftlern hat einen neuronalen Kreislauf im Gehirn identifiziert, der eine wichtige Rolle bei Angstzuständen spielt, und gezeigt, wie gewöhnliche psychiatrische Medikamente darauf wirken. Angst entsteht aus dem Zusammenspiel mehrerer Kreisläufe im Gehirn. Die Wissenschaftler verglichen ihre an Mäusen gewonnenen Erkenntnisse mit funktionellen menschlichen Gehirnscans und fanden Hinweise darauf, dass die gleichen Mechanismen auch beim Menschen wirksam sind. Die Kenntnis der exakten Netzwerke von Neuronen, die den angstlösenden Effekt von Benzodiazepinen (BZDs) vermitteln, könnte die Entwicklung neuer Medikamente zur Behandlung von Angstzuständen ohne die üblichen Nebenwirkungen ermöglichen.
Hirndoping: Kognitive Leistungssteigerung durch Medikamente
Viele Menschen greifen zu vermeintlich leistungssteigernden Substanzen, um ihre kognitiven Leistungen zu verbessern. Methylphenidat (Ritalin) gilt als Wundermittel, von dem sich gesunde Menschen eine gesteigerte Wachheit und Konzentration beim Lern- und Arbeitsmarathon erhoffen. Obwohl einige Substanzen die Aufmerksamkeit verbessern oder die Erschöpfung bei Schlafentzug mindern können, fehlen gesicherte Ergebnisse, die eine leistungssteigernde Wirkung bei Gesunden belegen. Zudem haben all diese Präparate Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen und Persönlichkeitsveränderungen.
Der Placeboeffekt: Wie Medikamente ohne Wirkstoff wirken
Der Placeboeffekt beschreibt eine erwünschte psychische oder körperliche Reaktion nach Verabreichung eines Medikaments oder einer anderen Therapie, die jedoch nicht auf im Medikament enthaltene Wirkstoffe oder ein spezifisches Wirkprinzip der Therapie zurückzuführen ist. Der Placeboeffekt beruht auf der Erwartungshaltung des Patienten gegenüber dem Medikament und auf Erfahrungen, die bisher mit Medikamenten gemacht wurden. Auch Farbe, Form oder Größe der Scheinmedikamente können den Placeboeffekt beeinflussen.
Studien haben gezeigt, dass der Placeboeffekt die Schmerzwahrnehmung im Gehirn beeinflusst und körperliche Veränderungen hervorrufen kann. Wissenschaftler vermuten, dass Placeboschmerzmittel eine Endorphinausschüttung auslösen können und auf diese Weise ihren schmerzlindernden Effekt erzielen. Placebos werden insbesondere in klinischen Studien eingesetzt, um die Wirkung neuer Medikamente zu überprüfen.
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Auch offen verabreichte Placebos können helfen, wobei wichtig ist, dass neben der Information, dass ein Placebo verordnet wird, wieder eine positive Wirksamkeitserwartung induziert wird. Obwohl Ärzte grundsätzlich wirksame Therapien anwenden müssen, kann der Placeboeffekt genutzt werden, um die positiven Effekte der verordneten wirkstoffhaltigen Medikamente noch einmal merklich zu verstärken.
Medikamenteninduzierte Kognitionsstörungen im Alter
Bei älteren Menschen können Medikamente Kognitionsstörungen, Verwirrtheit oder Delir auslösen oder das Sturzrisiko erhöhen. Zu diesen Substanzen gehören nicht nur Psychopharmaka wie Benzodiazepine, sondern auch Opiate, Parkinsonmittel, Antidepressiva und Antiepileptika. Auch rezeptfreie Arzneimittel können bei älteren Menschen zu kognitiven Beeinträchtigungen führen.
Es ist wichtig, den Zusammenhang zwischen kognitiven Störungen bei älteren Menschen und der Medikation zu erkennen, da diese Symptome einer „medikamentösen Demenz“ meist zu einem Großteil wieder reversibel sind. Ärzte sollten bei der Verschreibung von Medikamenten für ältere Menschen die FORTA-Klassifikation (Fit fOR The Aged) berücksichtigen, die Medikamente in Kategorien von „unverzichtbar“ bis „zu vermeiden“ einteilt.
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