Die Auswirkungen von Nikotin auf das Gehirn: Langzeitfolgen und therapeutisches Potenzial

Rauchen ist ein globales Gesundheitsproblem von wachsender Bedeutung. Jedes Jahr sterben Millionen Menschen an den Folgen des Tabakkonsums, und diese Zahl wird voraussichtlich in den kommenden Jahren noch steigen. Die Abhängigkeit von Nikotin ist oft schwerwiegend, wobei viele Raucher Schwierigkeiten haben, mit dem Rauchen aufzuhören. Trotz der enormen Bedeutung des Rauchens für den Einzelnen wie auch für die Gesellschaft ist es bis jetzt nicht gelungen, die Langzeitfolgen des Nikotinkonsums auf das Gehirn vollständig zu verstehen. Eine aktuelle Studie von Forschern der Universität Bern, der ETH Zürich und der Universität Zürich hat nun gezeigt, dass diese Folgen dramatischer und langanhaltender sind als bisher angenommen.

Nikotin: Eine Substanz mit vielfältigen Wirkungen

Nikotin ist ein Nervengift, das natürlich in der Tabakpflanze und anderen Nachtschattengewächsen vorkommt. Es passiert leicht die Blut-Hirn-Schranke und erreicht im Tabakrauch inhaliert in wenigen Sekunden das Gehirn. Dort bindet es an sogenannte nikotinische Acetylcholin-Rezeptoren (nAChRs) und aktiviert diese. Diese Rezeptoren werden eigentlich vom Botenstoff Acetylcholin stimuliert und sind unter anderem auf den motorischen Endplatten und im vegetativen Nervensystem zu finden.

Kurzfristige Effekte

In geringen Dosen wirkt Nikotin anregend. Es führt zur Freisetzung unterschiedlicher Botenstoffe wie Dopamin, Adrenalin, Noradrenalin und Serotonin, aber auch von Hormonen wie Cortisol. Dadurch werden Herzfrequenz und Blutdruck erhöht, die Gefäße verengen sich, und die Leistungsfähigkeit kann kurzfristig gesteigert werden. Psychisch machen sich die stimulierenden Effekte durch eine erhöhte Leistungsfähigkeit sowie eine verbesserte Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistung bemerkbar. Gleichzeitig werden Appetit, Stress, Angst, Unsicherheit, Nervosität und Müdigkeit unterdrückt. Nikotin lässt zudem die Zuckerkonzentration im Blut ansteigen, wodurch es das Hungergefühl dämpft.

Langfristige Effekte

Bei wiederholtem Nikotinkonsum kommt es zur Toleranzbildung. Das heißt, die positiven Wirkungen werden schwächer, und der Verzicht auf Nikotin führt oft zu Entzugssymptomen wie Unruhe, Gereiztheit, Angst, Lustlosigkeit, Kopfschmerzen, Schlafproblemen, Konzentrationsstörungen, Hungergefühl und Gewichtszunahme. Langfristig passen sich die Zellen diesem Mechanismus an und bauen weitere Rezeptoren in die Zellmembran ein. Fehlt nun Nikotin, sind plötzlich zu viele freie Rezeptoren verfügbar, die nachgeschalteten Nervenzellen können nicht mehr in dem Maß erregt werden, wie sie es eigentlich müssten. Der Dopaminlevel sinkt, es entsteht das Verlangen nach einer neuen Zigarette.

Auswirkungen auf das Glutamat-System

Die Entwicklung der Nikotin-Sucht ist eine Art Lernprozess, bei dem der Hirnbotenstoff Glutamat eine zentrale Rolle spielt. Forschende der Universität Bern, der ETH Zürich und der Universität Zürich haben das Glutamat-System bei Rauchern, Ex-Rauchern und Nicht-Rauchern untersucht. Mittels der neu entwickelten Methode der Positron-Emissionstomographie wurde ein wichtiges Protein des Glutamat-Systems gemessen: der stoffwechselaktive (metabotrope) Glutamat-Rezeptor 5 (mGluR5).

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Die Studie ergab, dass die Menge dieses Proteins im Gehirn von Rauchern im Durchschnitt um 20 Prozent verringert war, in einzelnen Hirnregionen wie dem unteren Frontallappen und den Basalganglien um bis zu 30 Prozent. Auch die Ex-Raucher, die im Durchschnitt 25 Wochen abstinent waren, zeigten eine Reduktion dieses Proteins um 10 bis 20 Prozent. Diese Veränderung des Glutamat-Systems bei Rauchern ist im Ausmaß und in der Verteilung weit größer, als man bisher angenommen hat. Besonders unerwartet sei, dass die Erholung des Glutamat-Systems offenbar sehr lange dauere. Es ist wahrscheinlich, dass diese sehr langsame Normalisierung zu der sehr hohen Rückfallrate bei Ex-Rauchern beiträgt.

Bisher ungeklärt ist, inwieweit die anhaltenden Veränderungen des Glutamat-Systems Lernprozesse im Allgemeinen beeinflussen - und ob die Reduktion des mGluR5-Proteins zum erhöhten Risiko für Angststörungen bei Rauchern und für Übergewicht bei Ex-Rauchern verantwortlich ist. Hinsichtlich der Entwicklung von Medikamenten, die auf das mGluR5-Protein einwirken, ist zu berücksichtigen, dass sich die Wirkung bei Rauchern und Ex-Rauchern deutlich von der Wirkung bei Nicht-Rauchern unterscheiden könnte.

Weitere schädliche Auswirkungen des Rauchens auf das Gehirn

Rauchen beeinflusst das Gehirn nicht nur durch das Nikotin, sondern auch durch eine Vielzahl schädlicher Begleitstoffe im Zigarettenrauch.

  • Schadstoffe wie Kohlenmonoxid führen dazu, dass sich Blutgefäße im Gehirn verengen. Die Folge: Sauerstoff und Nährstoffe gelangen nicht mehr in ausreichender Menge zu den Nervenzellen.
  • Rauchen fördert systemische Entzündungen im gesamten Körper, auch im Gehirn.
  • Zigarettenrauch enthält viele aggressive Substanzen, die die Bildung sogenannter freier Radikale fördern. Diese Moleküle greifen Zellbestandteile an und setzen die Nervenzellen unter oxidativen Stress.
  • Langjähriges Rauchen kann das Volumen bestimmter Hirnregionen verringern, besonders in Bereichen, die für Gedächtnis, Lernen und Konzentration wichtig sind.

Regeneration des Gehirns nach dem Rauchstopp

Die gute Nachricht ist, dass sich das Gehirn nach dem Rauchstopp zumindest teilweise wieder erholen kann.

  • Kurzfristig (Stunden bis Tage): Nach dem letzten Zug sinkt der Nikotinspiegel rasch ab. Das Gehirn beginnt, überaktivierte Rezeptoren zurückzufahren.
  • Mittelfristig (Wochen): Die neuronalen Verbindungen stabilisieren sich. Konzentration, Schlaf und Stimmung verbessern sich meist deutlich.
  • Langfristig (Monate bis Jahre): Durch die sogenannte Neuroplastizität kann das Gehirn geschädigte Strukturen teilweise neu organisieren. Selbst Funktionen, die vorübergehend beeinträchtigt waren, lassen sich oft wiederherstellen.

Rauchen schädigt das Gehirn auf vielfältige Weise - durch Durchblutungsstörungen, chronische Entzündungen, oxidativen Stress und strukturelle Veränderungen. Doch selbst nach Jahren des Konsums ist Regeneration möglich.

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Nikotin als Therapeutikum?

Nikotin macht abhängig und ist mitverantwortlich für die Gesundheitsschäden durch Rauchen. Doch der Wirkstoff kann auch die kognitive Leistungsfähigkeit erhöhen und wird deshalb als Therapeutikum für einige neuropsychiatrische Erkrankungen erprobt.

Parkinson-Krankheit

Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass Tabakkonsumenten mit geringerer Wahrscheinlichkeit an Parkinson erkranken. In Tierversuchen und einzelnen Studien an Parkinsonpatienten konnte gezeigt werden, dass Nikotin die motorischen Fähigkeiten verbessern und vor dem Abbau dopaminerger Gehirnzellen schützen kann. Allerdings sprechen nicht alle Patienten gleichermaßen auf den Stoff an, und die Gründe für die therapeutische Wirkung sind weiterhin unklar, was die Entwicklung von Medikamenten erschwert.

Verbesserte Hirnleistungen

Studien haben gezeigt, dass Nikotin im Vergleich zu einem Placebo bei Rauchern wie Nichtrauchern kurzfristig die Feinmotorik, die Aufmerksamkeit, die Reaktionszeiten sowie das Kurzzeit- und das Arbeitsgedächtnis verbesserte. Die vielfältige Wirkung des Nikotins auf das Gehirn beruht in erster Linie darauf, dass es das cholinerge System aktiviert und die Ausschüttung von wichtigen Botenstoffen wie Serotonin, Glutamat, Noradrenalin und vor allem Dopamin beteiligt.

Weitere Anwendungsgebiete

Erste Hinweise deuten darauf hin, dass Nikotin die Signalverarbeitung in jenen Regionen verbessert, die für die Gedächtnisbildung zuständig sind. Nicht nur bei neurodegenerativen Erkrankungen, sondern auch bei Patienten mit psychischen Störungen wie Schizophrenie, Depression, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder der bipolaren Störung kann Nikotin womöglich helfen.

Herausforderungen und Perspektiven

Trotz jahrzehntelanger Forschung und vieler Hinweise auf die positive Wirkung des Alkaloids ist bisher nur ein einziges Medikament auf Basis von Nikotin auf dem Markt: ein Mittel zur Raucherentwöhnung. Das Wissen über die richtige Dosierung des Alkaloids ist noch unzureichend. Auch die Rolle der verschiedenen molekularen Untereinheiten des Nikotinrezeptors verstehe man nicht genügend. Zudem hängt die Wirkung des Nikotins stark vom Einzelnen ab. Fachleute vermuten, dass kognitive Grundeigenschaften, Unterschiede im Hirnstoffwechsel und der individuellen Neuroanatomie eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob und wie die Substanz auf das jeweilige Denkorgan wirkt.

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Rauchen aufhören: Ein wichtiger Schritt für die Gesundheit des Gehirns

Angesichts der vielfältigen schädlichen Auswirkungen des Rauchens auf das Gehirn ist der Rauchstopp der vielversprechendste Weg, die Gehirnleistung wieder auf Top-Leistungen einzustellen. Auch wenn sich die Auswirkungen des Rauchens auf die Gehirnleistung vor allem ab dem 50. Lebensjahr zeigen, sind andere Altersgruppen dennoch betroffen. Vor allem jugendliche Raucher tragen dabei ebenso langfristige Konsequenzen: Das heranwachsende Gehirn junger Raucher ist deutlich anfälliger für Veränderungen.

Viele nehmen sich jedes Jahr vor, mit dem Rauchen aufzuhören. Häufig obsiegt jedoch die Sucht, und es kommt zum Rückfall. Es gibt verschiedene Methoden und Ersatzstoffe, die den Platz des Nikotins einnehmen können. Manche beginnen zum Beispiel mit exzessivem Laufen oder anderem Ausdauersport. Hier können ähnliche Hochgefühle hervorgerufen werden, wie durch Drogenkonsum. Als Ersatzmittel haben sich das Nikotinpflaster und der Nikotinkaugummi besonders bewährt. Beides kann mit der Substanz Bupropion (Handelsname: Zyban) kombiniert werden. Das ist ein Mittel, das seit vielen Jahren auf dem Markt ist und in der Psychiatrie als Antidepressivum verwendet wird. Hier besteht eine hohe Erfolgsrate hinsichtlich der Entgiftung. Durch die Kombination aus Pflaster oder Kaugummi mit Bupropion gibt es Jahresabstinenzraten von etwa 36 Prozent.

Die erste Adresse für Hilfe beim Rauchstopp ist der Hausarzt. Es gibt auch allgemeine Suchtgruppen im Klinikum.

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