Das Jahr 2024 markiert einen Wendepunkt in der Alzheimer-Forschung. Nach jahrzehntelangen Rückschlägen rücken mit Lecanemab und Donanemab voraussichtlich zwei Medikamente in greifbare Nähe, die erstmals die Ursache der Krankheit bekämpfen könnten. Diese Entwicklung basiert auf der bahnbrechenden Arbeit des Biochemikers Konrad Beyreuther, der vor fast 40 Jahren das für Alzheimer verantwortliche Eiweiß identifizierte.
Die Rolle von Konrad Beyreuther in der Alzheimer-Forschung
Konrad Beyreuther revolutionierte vor fast 40 Jahren die Alzheimer-Forschung. Seine Entdeckung des für die Krankheit verantwortlichen Eiweißes legte den Grundstein für die Entwicklung neuer Therapien. "Wir hatten die Vermutung, dass das Gen alle Menschen haben", so Beyreuther, der 1985 die richtige Idee verfolgte. Nun, nach seinem Rückzug in den Ruhestand, tragen seine Erkenntnisse Früchte in Form von Medikamenten, die Hoffnung auf eine wirksame Behandlung der Alzheimer-Krankheit geben.
Frühzeitige Erkennung und interdisziplinäre Forschung
Ein entscheidender Aspekt im Kampf gegen Alzheimer ist die frühzeitige Erkennung der Krankheit. Wir wissen heute, dass eine Alzheimer-Demenz bereits 15 bis 20 Jahre vor dem Auftreten der ersten Symptome beginnt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Krankheit jedoch bereits irreversibel und weit fortgeschritten. Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) verfolgt daher eine interdisziplinäre Forschungsstrategie, die Grundlagenforschung, klinische Forschung, Versorgungsforschung, Populationsforschung und Systemmedizin miteinander verbindet. In rund 80 Arbeitsgruppen arbeiten Forscher standortübergreifend zusammen, um neue Erkenntnisse schnell in die Anwendung zu bringen. So ist es beispielsweise gelungen, erste Anzeichen von Demenz - sogenannte Biomarker - im Blut bereits 15 Jahre vor dem Auftreten der ersten Symptome zu identifizieren.
Innovative Therapieansätze: Grüner Tee und Laserlicht
Ein ungewöhnlicher Therapieansatz, der am Institut für Mikro- und Nanomaterialien der Universität Ulm entwickelt wurde, kombiniert einen Extrakt aus grünem Tee (Epigallocatechingallat, EGCG) mit rotem Laserlicht. In Modellversuchen konnte diese Kombinationstherapie die für Morbus Alzheimer typischen Beta-Amyloid-Plaques (Aβ) um mehr als 60 Prozent reduzieren. Diese Ablagerungen stören die Signalübertragung zwischen Nervenzellen im Gehirn und verursachen so die bekannten Symptome der Krankheit.
Die Idee zu diesem neuartigen Therapieansatz entstand bei der Untersuchung von nanoskopisch dünnen Wasserschichten auf nanokristallinem Diamant. Dabei stellten Materialwissenschaftler und Ingenieure fest, dass sich diese bei Bestrahlung mit rotem Laserlicht ausdehnen und nach Ende der Bestrahlung wieder zusammenziehen. Diese Erkenntnisse gelten auch für Wasserfilme in lebenden Zellen. Beim Zusammenziehen können die Zellen Substanzen aus der unmittelbaren Umgebung aufnehmen. Da in Modellversuchen bereits gezeigt wurde, dass EGCG Aβ-Ablagerungen bekämpft, kombinierten die Forscher diese beiden Erkenntnisse und übertrugen sie auf menschliche Neuroblastomzellen.
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Im Modellversuch wurden Neuroblastomzellen, die Aβ im Zellinneren angereichert hatten, EGCG ausgesetzt und mit Laserlicht der Wellenlänge 670 Nanometer bestrahlt. Bereits die EGCG-Behandlung konnte Aβ-Ablagerungen um die Hälfte reduzieren. Eine Minute alleinige Laserbestrahlung führte zu einer Verringerung von 20 Prozent. Laserstrahlen im Bereich Rot bis Nahinfrarot wirken durch mehrere Zentimeter Gewebe und sogar durch die Schädeldecke hindurch. "Laserlicht in diesem Bereich wird bereits seit Jahren klinisch eingesetzt. In Kombination mit EGCG und anderen potentiellen Aβ-Zerstörern bieten sich vielversprechende Forschungsmöglichkeiten - mit dem Ziel Aβ-Ablagerungen im Gehirn zu verringern", so Dr. Andrei Sommer von der Universität Ulm.
Professorin Iris-Tatjana Kolassa, Leiterin der Abteilung Klinische und Biologische Psychologie der Universität Ulm, betont die zahlreichen Anknüpfungspunkte für hoch interdisziplinäre wissenschaftliche Projekte, die sich aus diesen Ergebnissen ergeben. Gerade die neuartige Kombination von materialwissenschaftlicher, psychologischer und medizinischer Grundlagenforschung könne zukünftig zu völlig neuen Ansätzen in der Behandlung altersbedingter Erkrankungen wie beispielsweise der Alzheimer-Demenz führen.
Leqembi und Donanemab: Hoffnungsträger in der Alzheimer-Therapie
Mit Leqembi (Wirkstoff: Lecanemab) und Donanemab stehen seit kurzem zwei neue Medikamente zur Behandlung der frühen Alzheimer-Krankheit zur Verfügung. Leqembi wurde am 15. April 2025 von der EU-Kommission zugelassen und ist seit dem 1. September 2025 in Deutschland erhältlich. Donanemab erhielt am 25. September 2025 ebenfalls eine EU-Zulassung. Beide Medikamente sind Antikörper-Wirkstoffe, die gezielt eine Vorstufe der für Alzheimer typischen Amyloid-beta-Protein-Plaques im Gehirn erkennen und binden. Dadurch wird das körpereigene Immunsystem aktiviert und baut die Plaques ab beziehungsweise verhindert die Bildung neuer Plaques.
Ziel der Behandlung mit Leqembi und Donanemab ist es, den geistigen Abbau bei Menschen im frühen Krankheitsstadium zu verlangsamen. In der großen Phase-3-Studie CLARITY AD zeigte sich, dass die Erkrankung bei den Teilnehmenden, die Leqembi erhielten, langsamer fortschritt als in der Placebo-Gruppe.
Wer kann Leqembi erhalten?
Leqembi ist nur für Menschen mit einer Alzheimer-Erkrankung im frühen Stadium zugelassen - also bei leichten kognitiven Beeinträchtigungen (MCI) oder beginnender Demenz. Hinzu kommen mehrere medizinische Voraussetzungen:
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- Es müssen krankhafte Amyloid-beta-Ablagerungen im Gehirn nachgewiesen werden (durch Lumbalpunktion oder Amyloid-PET).
- Die Patientin oder der Patient darf höchstens eine Kopie des ApoE4-Gens tragen.
- Wer Gerinnungshemmer einnimmt, darf nicht mit Leqembi behandelt werden.
Vor Beginn der Behandlung mit Leqembi wird geprüft, ob die Patientin oder der Patient das so genannte ApoE4-Gen besitzt. Menschen mit einer doppelten Kopie dieses Gens (ApoE4-Homozygote) haben ein erhöhtes Risiko für schwere Nebenwirkungen und können deshalb nicht mit Leqembi behandelt werden.
Verabreichung und Kontrolle auf Nebenwirkungen
Leqembi wird als Infusion alle zwei Wochen direkt in die Vene verabreicht. Die Behandlung dauert jeweils etwa eine Stunde. Vor Beginn und während der Behandlung sind MRT-Untersuchungen notwendig, um mögliche Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder kleine Blutungen im Gehirn frühzeitig zu erkennen. Treten Kopfschmerzen, Verwirrtheit oder Übelkeit auf, entscheiden die behandelnden Ärzte über weitere Untersuchungen.
Besondere Sicherheitsvorkehrungen
Nur Patientinnen und Patienten, die alle Voraussetzungen erfüllen, dürfen mit Leqembi behandelt werden. Vor Beginn der Therapie erhalten sie ebenso wie ihre behandelnden Ärzte ausführliche Informationen, um mögliche Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen und richtig einzuordnen. Zusätzlich ist die Teilnahme an einem EU-weiten Kontrollprogramm verpflichtend (Controlled Access Program, CAP). Patientinnen und Patienten sowie ihre behandelnden Ärzte müssen in ein zentrales Register eingeschrieben werden. Zu Beginn der Therapie erhalten die Erkrankten eine Patientenkarte und ausführliche Aufklärungsunterlagen. Die Behandlung mit Leqembi wird beendet, wenn sich die Alzheimer-Erkrankung deutlich verschlechtert und in ein mittelschweres Stadium übergeht.
Mögliche Nebenwirkungen
In Studien traten bei einem Teil der Teilnehmenden Nebenwirkungen auf - darunter Hirnschwellungen (ARIA-E) und Hirnblutungen (ARIA-H). Diese waren in den meisten Fällen symptomlos, wurden aber engmaschig kontrolliert. Das Risiko für solche Nebenwirkungen hängt stark vom ApoE4-Gen ab: Menschen mit zwei Kopien dieses Gens sind besonders gefährdet und daher von der Behandlung ausgeschlossen. Bei den für die EU-Zulassung relevanten Patientengruppen - also Menschen mit höchstens einer Kopie des ApoE4-Gens - kam es in rund 13 % der Fälle zu Hirnblutungen und in 9 % zu Hirnschwellungen. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen (11 %) und Infusionsreaktionen (26 %).
Einschätzung der Wirksamkeit
Trotz der messbaren Wirksamkeit wird die Wirkung von Leqembi von vielen Experten eher als moderat eingeschätzt. Es ist fraglich, inwieweit die Wirkung für an Alzheimer erkrankte Menschen spürbar ist und im Alltag einen Unterschied macht. Die Studie hat jedoch gezeigt, dass sich der verzögernde Effekt mit der Dauer der Einnahme zunimmt. Das könnte bedeuten, dass eine Einnahme über den Zeitraum der bisher untersuchten 18 Monate hinaus die Wirksamkeit von Lecanemab noch erhöht.
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Neue Anforderungen an die ärztliche Versorgung
Die Behandlung mit Leqembi stellt neue Anforderungen an die ärztliche Versorgung. Es braucht eine frühzeitige Diagnose sowie spezialisierte Einrichtungen mit ausreichender personeller und technischer Ausstattung.
Die Rolle der klinischen Forschung
Prof. Dr. Dorothee Saur, Neurologin am Universitätsklinikum Leipzig, betont, dass die neuen Alzheimer-Therapien, die kurz vor der Zulassung stehen, einen echten Meilenstein darstellen. Bisher gab es keine wirksamen Therapien, um den Abbau kognitiver Fähigkeiten bei einer Demenz zu beeinflussen. Die jetzt vor der Zulassung stehenden Therapien setzen genau da an - sie bremsen den Verlust an Gehirn- und Gedächtnisleistung. Das geschieht, indem die verabreichten Antikörper das Immunsystem so stimulieren, dass dieses die vorhandenen Amyloid-Ablagerung im Gehirn, die Plaques, angreift und entsorgt.
Prof. Saur rechnet in Deutschland im Frühsommer 2024 mit der Zulassung der neuen Medikamente. Dann werden die entsprechenden Voraussetzungen für die sehr aufwändigen Therapien geschaffen werden müssen: Die Bildgebung und Nervenwasseruntersuchung für die Frühdiagnostik und die Therapieplätze. Zum einen müssen die mehrstündigen Infusionen, um die es sich dabei handelt, regelmäßig im Abstand von zwei bis vier Wochen verabreicht werden. Wir sprechen dabei über eine Behandlung, die über mehrere Monate dauern wird, wobei die genaue Dauer noch gar nicht bekannt ist. Die Patient:innen müssen in dieser Zeit gut betreut werden, mit regelmäßigen MRT-Untersuchungen zur Verlaufskontrolle, vor allem zu Beginn der Therapie. Zwar gilt die Therapie grundsätzlich als gut verträglich, aber jeder reagiert individuell, und auch hier gibt es unerwünschte Reaktionen, die rechtzeitig erfasst und behandelt werden müssen.
Weitere Forschungsansätze und Projekte
Neben den medikamentösen Therapien gibt es eine Vielzahl weiterer Forschungsansätze und Projekte, die sich mit der Bekämpfung der Alzheimer-Krankheit beschäftigen.
Forschungsprojekt von Prof. Dr. Claus Pietrzik
Prof. Dr. Claus Pietrzik arbeitet an einem ganz neuen Behandlungsansatz, um den Abtransport der giftigen Proteine anzukurbeln, die sich im Verlauf der Krankheit zu sogenannten Plaques verdichten. Diese stören die Kommunikation zwischen den Nervenzellen im Gehirn und führen zu den bekannten Symptomen der Krankheit. Da dies bisher an der Blut-Hirn-Schranke scheitert, will Prof. Dr. Pietrzik in seinem Forschungsprojekt einen Weg finden, diese Barriere zu umgehen. Die schädlichen Proteine sollen in die Blutbahn gelangen und woanders im Körper abgebaut werden können - zum Beispiel in der Leber.
Priavoid: Ein neuer Wirkstoff zur Stabilisierung von Proteinen
Dieter Willbold geht das Problem der Alzheimer-Krankheit urphysikalisch, gleichgewichtsorientiert an. Ihm ist klar, dass der Hebel für Heilung angesetzt werden muss: Es gilt, das Gleichgewicht zwischen dem guten Einzelprotein und dem toxischen Knäuel zu verschieben. Und das geht nur, so Willbold, indem man einen Wirkstoff hinzufügt, der seine Wirkung im Gehirn entfaltet und dafür sorgt, die Monomer-Struktur zu stabilisieren und die Oligomere in ungefährliche Monomere direkt und ohne Zutun des Immunsystems zu zerlegen.
Genau diesen anti-prionischen Wirkmechanismus, der die Ausbreitung und Vermehrung der Oligomere stoppt und verhindert hat Dieter Willbold - mit seinem Unternehmen Priavoid, einer Forschungs-Ausgründung - untersucht und den entsprechenden Wirkstoff entwickelt. PRI-002 ist ein sogenanntes All-D-Peptid, relativ günstig herstellbar und oral verabreichbar. Es muss also zum Beispiel nicht injiziert werden - ein riesiger Vorteil für Patient:innen. Der Wirkstoff ist wichtig, die Sprunginnovation liegt aber im mode of action, stellt Willbold klar. Der Prozess ist das Bahnbrechende, das Zerlegen neurotoxischer Protein-Verbünde in harmlose Monomer-Bausteine. Und führt weiter aus: Sind die toxischen Strukturen beseitigt, kann man die verheerende Krankheit stoppen.
Die klinischen Phase-1-Studien an gesunden Probanden, in der es um Sicherheit und Verträglichkeit des Wirkstoffs geht, sind bereits erfolgreich verlaufen. Um den Wirkstoffkandidaten zusammen mit der SPRIND weiterzuentwickeln, wurde 2021 die PRInnovation GmbH, ein Tochterunternehmen der SPRIND, gegründet; die PRInnovation GmbH übernimmt dabei die Aufgaben und Pflichten des Sponsors der klinischen Studie.
Im Februar 2025 wurde mit dem erfolgreichen Abschließen der Rekrutierungsphase für die klinische Phase-2-Studie PRImus-AD ein weiterer Meilenstein zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit in Bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit erreicht. Die Ergebnisse für diese Phase-2-Studie werden 2026 erwartet. Es wird angestrebt, dann nahtlos in eine entsprechende Phase-3-Zulassungsstudie zu gehen.
Risikofaktoren und Prävention
Neben der Forschung an neuen Therapien ist es wichtig, die Risikofaktoren für Alzheimer zu kennen und präventive Maßnahmen zu ergreifen. Zu den wichtigsten Risikofaktoren gehören:
- Alter: Mit höherem Lebensalter steigt die Wahrscheinlichkeit, eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln.
- Genetische Veranlagung: Bestimmte genetische Besonderheiten (APO-E4 Allel-Hetero- oder Homozygotie) können das Risiko erhöhen.
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Bluthochdruck, hohe Blutzucker- oder Cholesterinwerte belasten die Gefäße und fördern Entzündungen im Gehirn.
- Übergewicht: Besonders Bauchfett kann Entzündungen fördern und die Gefäße belasten.
- Bewegungsmangel: Bewegungsmangel beeinträchtigt die Durchblutung des Gehirns und schwächt Nervenzellen.
- Rauchen: Rauchen erhöht das Risiko für Alzheimer und vaskuläre Demenz.
- Alkohol: Ein zu hoher Alkoholkonsum kann zum Verlust der grauen Masse im Gehirn führen.
- Soziale Isolation: Soziale Isolation kann das Gehirn unterfordern und das Risiko erhöhen.
- Luftverschmutzung: Feine Partikel aus Abgasen können Entzündungen auslösen und die Gefäße schädigen.
- Sehschwäche: Unbehandelte Sehschwächen können das Gehirn unterfordern.
- Kopfverletzungen: Schwere oder wiederholte Kopfverletzungen erhöhen das Risiko für Demenzerkrankungen.
Es gibt jedoch auch Faktoren, die das Gehirn schützen können:
- Geistige Anregung: Geistige Anregung in jungen Jahren schützt das Gehirn durch den Aufbau sogenannter kognitiver Reserven.
- Bewegung: Regelmäßige Bewegung fördert die Durchblutung des Gehirns und stärkt Nervenzellen.
- Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse und gesunden Fetten kann das Gehirn schützen.
- Soziale Kontakte: Regelmäßige soziale Kontakte halten das Gehirn wach und leistungsfähig.