Gliazellen vs. Nervenzellen: Unterschiede in Struktur, Funktion und Bedeutung

Übliche Darstellungen des Gehirns auf Zellebene unterschlagen oft die Gliazellen, obwohl sie neben den Neuronen die zweite große Gruppe von Zellen im Gehirn darstellen. Lange Zeit wurden sie als inaktive Elemente des Gehirns, als "Nervenkitt" bezeichnet. Doch die verschiedenen Typen von Gliazellen (Astrozyten, Oligodendrozyten und Mikrogliazellen) erfüllen klar definierte Aufgaben im Nervensystem. Ihr Anteil im Vergleich zu den Neuronen liegt bei etwas über 50 Prozent. Dieser Artikel beleuchtet die Unterschiede zwischen Gliazellen und Nervenzellen, ihre jeweiligen Funktionen und ihre Bedeutung für die Gesundheit und Funktion des Nervensystems.

Einführung in Nervenzellen und Gliazellen

Nervengewebe besteht im Wesentlichen aus zwei Zelltypen: Nervenzellen (Neuronen) und Gliazellen. Während Nervenzellen Informationen aufnehmen, verarbeiten und weiterleiten, bilden Gliazellen eine Isolationsschicht um die einzelnen Nervenzellen. Gliazellen, oft als "Stützzellen" des Nervensystems bezeichnet, spielen eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung und dem Schutz von Neuronen, indem sie Funktionen wie Nährstoffversorgung, Abfallbeseitigung und die Aufrechterhaltung der Homöostase im Gehirn und Rückenmark übernehmen.

Neuron: Die Zelle der Signalübertragung

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale. Neuronen sind die strukturellen und funktionellen Einheiten des Nervensystems, die elektrische Signale empfangen, verarbeiten und über ihre Zellfortsätze zu und von anderen Teilen des Nervensystems weiterleiten. Es gibt verschiedene Arten von Neuronen, die aufgrund ihrer anatomischen Struktur und Funktion als sensorische Neuronen, Motoneuronen und Interneuronen klassifiziert werden können.

Ein für Nervenzellen sehr repräsentativer Aufbau weisen die für Muskelkontraktionen im Rückenmark verantwortlichen Motoneurone auf. Grundsätzlich bestehen sie aus Dendriten (Reizaufnahme), Perikaryon bzw. Soma (Reizverarbeitung) und Axon (Reizweiterleitung).

Gliazellen: Mehr als nur "Nervenkitt"

Gliazellen stellen neben den Neuronen die zweite große Gruppe von Zellen im Gehirn dar. Sie wurden lange Zeit als die inaktiven Elemente des Gehirns, als "Nervenkitt" bezeichnet. Heute weiß man, dass die verschiedenen Typen von Gliazellen (Astrozyten, Oligodendrozyten und Mikrogliazellen) klar definierte Aufgaben im Nervensystem erfüllen. So reagieren sie z. B. auf Krankheitserreger, spielen eine wichtige Rolle bei der Ernährung der Nervenzellen oder isolieren Nervenfasern.

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Die verschiedenen Arten von Gliazellen und ihre Funktionen

Gliazellen lassen sich in drei große Gruppen unterteilen: Astrozyten, Oligodendrozyten und Mikroglia, die sich innerhalb des Nervensystems in ihrer Funktion stark unterscheiden. Die wichtigsten Gliazellen des peripheren Nervensystems sind die Schwannzellen und Satellitenzellen.

Astrozyten: Die vielseitigen Helfer

Die Astrozyten stellen die häufigste Gliazellform im zentralen Nervensystem dar und haben ein sternförmiges Aussehen. Sie bestehen aus vielen Intermediärfilamenten, was ihre Stützfunktion erleichtert. Man kann protoplasmatische von fibrillären Astrozyten unterscheiden. In der grauen Substanz liegt eher der protoplasmatische vor, in der weißen Substanz eher der fibrilläre Typ. Die Zellen sind miteinander und mit den Oligodendrozyten durch Gap junctions zu einem funktionalen Netz zusammengesetzt.

Um die Blutgefäße herum bilden die Astrozyten eine Gliagrenzmembran, um die eine Basallamina herumführt. In der Nähe zu den Kapillaren haben sie Barriereeigenschaften, die eine funktionelle Blut-Hirn-Schranke ermöglicht. Dabei handelt es sich um Transportmechanismen, die nicht jeden Stoff aus der Peripherie in das Hirngewebe lassen. Das dient dem Schutz der Neurone vor Giften oder anderen Schadstoffen. Sollte Nervengewebe untergehen, beginnen die Astrozyten zu proliferieren und sich zu vergrößern. Sie sezernieren ein saures Gliaprotein (GFAP) und ersetzen das untergegangene Gewebe (nicht funktionell!), was dann als Glianarbe bezeichnet wird.

Klinisch bedeutsam ist vor allem ihre Beteiligung an der Blut-Hirn-Schranke, nach deren Verletzung es oft zu neuroinflammatorischen Erkrankungen der betroffenen Hirnareale kommt. Zudem spielen Astrozyten bei Erkrankungen der Blutversorgung im Gehirn eine wichtige Rolle. Manche haben direkten Einfluss auf die Kontraktion der Blutgefäße im Gehirn, indem diese den Kontakt zu Endothelzellen ausbilden. Ein weitere neue Funktion der Astrozyten ergibt sich aus Untersuchungen, die zur Neudefinition der klassischen, in der Regel aus zwei Neuronen bestehenden, chemischen Synapse hin zu einer dreiteiligen Synapse (tripartite synapse) geführt hat.

Grundlage ist die anatomische Erkenntnis, dass chemische Synapsen zwischen zwei Neuronen fast immer von Astrozytenausläufern umschlossen sind, sowie die funktionelle Integration von Astrozyten in synaptische Vorgänge. Daher sind sie an der Aufnahme und Freisetzung bestimmter Neurotransmitter beteiligt. Von klinischer Bedeutung sind Astrozyten auch bei Verletzungen des ZNS. Hier sind sie bei der Ausbildung der gliären Vernarbung (glial scar) am Läsionsrand beteiligt.

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Oligodendrozyten: Die Architekten der Myelinscheide

Die Zellgruppe der Oligodendrozyten bildet das lipidreiche Myelin, das zahlreiche Neuronenfortsätze (Axone) umgibt. Dadurch wird funktionell die Reizweiterleitung beschleunigt, metabolisch die zum Teil sehr langen Axone unterstützt. Hirnregionen mit einem hohen Anteil an myelinisierten Axonen sind makroskopisch aufgrund des hohen Fettgehalts als weißliche Areale (weiße Substanz) erkennbar, solche mit weniger hohem Anteil dagegen als gräuliche Areale (graue Substanz).

Sie bilden die Myelinscheiden um die Axone der Neurone des zentralen Nervensystems. Diese sind eine Art Isolierung und ermöglichen eine schnellere, sogenannte saltatorische Reizweiterleitung, indem zwischen den Myelinscheiden kleine Bereiche (Ranvier'sche Schnürringe) freibleiben, an denen sich das Aktionspoteinzial sprungweise bilden kann. Dabei bildet ein Oligodendrozyt mehrere Scheiden, was ein Unterschied zum peripheren Nervensystem darstellt.

Auch im Gehirn eines Erwachsenen findet eine dynamische Zu- und Abnahme der Myelinisierung statt. So steht die Zunahme in direktem Zusammenhang mit körperlicher Aktivität (Erlernen von neuen Fähigkeiten) wie auch erhöhter Aktivität bestimmter Neurone beziehungsweise neuronaler Netzwerke. Eine Gruppe von Erkrankungen wie zum Beispiel die Leukodistrophien und Multiple Sklerose sind durch einen Rückgang der weißen Substanz (Demyelinisierung) mit einer darauffolgenden Degeneration der demyelinisierten Axone/Neurone beschrieben.

Mikroglia: Die Immunwächter des Gehirns

Wichtige Aufgaben der Immunantwort werden von der Gruppe der Mikrogliazellen übernommen. Sie befinden sich unter normalen Bedingungen in einer Art Ruhezustand, werden aber bei Beschädigungen des Nervensystems aktiviert und übernehmen dann die Funktion von Makrophagen: Sie phagozytieren alle möglichen Stoffe inklusive der Reste abgestorbener Zellen. Ein interessanter Mechanismus ist hierbei das „Beschneiden“ von Synapsen (synaptic pruning). Einzelne Synapsen innerhalb des neuronalen Netzwerks werden während der Entwicklung vermehrt auf- und abgebaut.

Abzubauende Synapsen werden durch eine Signalkaskade, an der auch Astrozyten beteiligt sind, markiert und dann durch benachbarte Mikrogliazellen phagozytiert. Interessanterweise scheint der selbe Mechanismus eine entscheidende Rolle bei neurodegenerativen Erkrankungen wie M. Alzheimer zu spielen. Im normalen Hirnstoffwechsel kann der Abbau von Synapsen auch über einen anderen molekularen Mechanismus direkt von den Astrozyten vermittelt werden.

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Ependymzellen: Auskleidung der Liquorräume

Die Ependymzellen kleiden den Liquorraum aus, also mit Hirnwasser gefüllte Bereiche des zentralen Nervensystems. Sie sind kubisch gebaut und tragen viele Mikrovilli und Kinozilien auf ihrer Oberfläche.

Schwann-Zellen: Myelinisierung im peripheren Nervensystem

Schwann-Zellen bilden die Myelinscheiden um die Axone der Neurone in der Peripherie, dabei bildet eine Zelle auch nur eine Scheide. Die Zelle wickelt sich dabei mit ihrem Zellleib um das Axon und viele weitere Male um sich selbst. Funktionell spielen sie des weiteren eine Rolle bei der Regeneration von peripheren Nerven. In der Peripherie degenerieren die Fasern distal der Verletzung innerhalb von mehreren Stunden. Dieser Prozess wird Waller-Degeneration genannt. Danach erfolgt die Degeneration des Myelins, doch die Schwann-Zelle überlebt diesen Prozess dabei in der Regel. Nach Beseitigung der Myelinreste durch in das Gewebe eingewanderte Makrophagen, beginnen die Schwann-Zellen des einen Endes des durchtrennten Axons mit der des anderen Endes zu verbinden. Bei dieser Zusammenlagerung entstehen lange Ketten, die als Büngner-Bänder bekannt sind.

Satellitenzellen: Unterstützung im peripheren Nervensystem

Satellitenzellen bilden eine Gliahülle um die Zellkörper der pseudounipolaren Nervenzellen im Spinalganglion, beziehungsweise generell in den sensorischen Ganglien.

Gliazellen und ihre Rolle bei neurologischen Erkrankungen

Erkrankungen der Gliazellen können schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit des Nervensystems haben und sind mit einer Vielzahl neurologischer Störungen und Krankheiten verbunden. Diese Erkrankungen reichen von entzündlichen Prozessen bis hin zu Tumoren.

Multiple Sklerose: Angriff auf die Myelinscheide

Die wahrscheinlich bekannteste chronisch entzündliche Erkrankung, die das Gliagewebe betrifft, ist die Multiple Sklerose (MS). Bei dieser Krankheit werden die Oligodendrozyten des zentralen Nervensystems von dem eigenen Immunsystem als fremd erkannt und angegriffen. Die Myelinscheiden um die Axone degenerieren und die Signalübertragung ist gestört. Es wird vermutet, dass sich nach Infektionen mit dem Ebstein-Barr-Virus (EBV) eine Autoreaktivität gegen diese Gliazellen entwickelt.

Neuromyelitis optica: Autoimmunreaktion gegen Astrozyten

Bei der Neuromyelitis optica werden die Astrozyten im Sehnerv und im Rückenmark vom eigenen Körper angegriffen. Dadurch werden Immunreaktionen hervorgerufen und die Neurone in diesen Bereichen beginnen zu demyelinisieren.

Gliome: Tumoren der Gliazellen

Gliome sind Tumoren, die von Gliazellen ausgehen. Astrozytome und Oligodendrogliome sind dabei die primären Vertreter. Das Astrozytom kann nach WHO-Kriterien in vier Grade eingeteilt werden. Das Grad-I-Astrozytom ist das pilozytische Astrozytom, das typischerweise eher bei Kindern auftritt und bei dem ein Möglichkeit auf Heilung besteht. Die Grad-II und Grad III Astrozytome werden am häufigsten um das 35. - 37. Lebensjahr herum diagnostiziert. Astrozytome, die in diesen Stadien eine Mutation im Isocitratdehydrogenase-1/-2 Gen (IDH-Mutation) haben, unterliegen einer besseren Prognose. Die mediane Überlebenszeit der Grad II- und Grad III-Astrozytome liegt zwischen neun und elf Jahren. Die aggressivste Form ist das Glioblastom, das als Astrozytom Grad IV eingestuft wird. Es tritt am häufigsten um das 62.

Weitere neurologische Erkrankungen mit Beteiligung von Gliazellen

Es gibt eine Vielzahl weiterer neurologischer Erkrankungen, bei denen Gliazellen eine Rolle spielen, darunter:

  • Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
  • Parkinson-Krankheit
  • Alzheimer-Krankheit
  • Schizophrenie und andere psychiatrische Erkrankungen

Gliazellen: Aktive Teilnehmer an der synaptischen Funktion

Durch die beschriebenen Funktionsweisen wird deutlich, dass bestimmte Gliazellen grundlegend in Abläufe des neuronalen Netzwerks eingebunden sind. Sie rücken daher verstärkt in den Fokus. Betrachtet man einige der häufigsten neurologischen oder neuropsychiatrischen Erkrankungen wie Depression, Schizophrenie, Autismus oder M. Parkinson, so liegen diesen zum Teil nur leichte Änderungen in der Funktionsweise eines bestimmten neuronalen Netzwerks in einem Areal des Gehirns zugrunde. Die Änderungen gehen oft mit einem Ungleichgewicht in der erregenden oder hemmenden synaptischen Signalübertragung einher. Da Gliazellen, wie inzwischen bekannt ist, auch selbst aktiv an der synaptischen Funktion beteiligt sind, bieten sich hier neue und interessante Ansatzpunkte für mögliche zukünftige Therapien.

Zwar gibt es für viele Erkrankungen eine genetische Prädisposition, gleichwohl treten bisher nur schwer therapierbare neurologische und neuropsychiatrische Krankheiten hauptsächlich sporadisch auf, also ohne direkten Bezug zu einer genetischen Veranlagung. Will man hier neue Therapiekonzepte entwickeln, ist es hilfreich, die bei den Erkrankungen oft auftretende erhöhte oder erniedrigte neuronale Aktivität oder eine veränderte synaptische Signalübertragung in den betroffenen Hirnarealen genauer zu untersuchen.

Die Bedeutung der Gliazellforschung für zukünftige Therapien

Die Erkenntnis, dass Gliazellen mehr sind als nur "Nervenkitt", hat die Neurowissenschaften revolutioniert. Die Gliazellforschung hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht und neue Einblicke in die komplexen Funktionen dieser Zellen und ihre Rolle bei neurologischen Erkrankungen ermöglicht. Diese Fortschritte eröffnen vielversprechende Perspektiven für die Entwicklung neuer Therapien zur Behandlung von neurologischen Erkrankungen, die auf die Modulation der Gliazellfunktion abzielen.

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