Die faszinierende und zugleich beängstigende Welt der Gifte im Tierreich birgt ein enormes Potenzial für wissenschaftliche Erkenntnisse und medizinische Anwendungen. Gifte sind komplexe Gemische von Toxinen, die von verschiedenen Tierarten zur Verteidigung oder zum Beutefang eingesetzt werden. Die Erforschung dieser Gifte ist oft eine Herausforderung, da die toxischen Cocktails extrem komplex sind und die Tiere, die sie besitzen, oft gefährlich sind.
Die Notwendigkeit der Giftforschung
Die Giftforschung ist von entscheidender Bedeutung, da sie uns hilft, die Auswirkungen von Giften auf den menschlichen Körper zu verstehen und wirksame Gegengifte zu entwickeln. Ohne das Verständnis der Toxine in einem Gift ist es unmöglich vorherzusagen, wie der menschliche Körper darauf reagiert, welche Organe das Gift angreift und wie man einen Patienten am besten behandelt. Wie Fry betont, muss jedes Gegengift auf die Toxine einer bestimmten Spezies abgestimmt sein, um wirksam zu sein. Erschwerend kommt hinzu, dass die Toxine innerhalb einer Spezies stark variieren können, je nach Lebensraum und Beute.
Die Vielfalt der Gifte im Tierreich
Gift findet man bei erstaunlich unterschiedlichen Wildtieren: Spinnen, Skorpionen, Quallen, Tintenfischen, Fischen, Bienen, Wespen, Ameisen, Tausendfüßern, Schnecken, Mollusken, Korallen, Fröschen, Salamandern, Maulwürfen, Fledermäusen, Spitzmäusen, einigen Igeln und Ratten, beim männlichen Schnabeltier und sogar bei einem Primaten, dem Lori. Schätzungen zufolge sind mindestens 15 Prozent aller Tiere giftig.
Konvergente Evolution von Giften
Gift hat sich bei unterschiedlichen Spezies fast 100-mal unabhängig voneinander entwickelt und ist ein Beispiel für die »konvergente Evolution«. Das bedeutet, Lebewesen entwickeln im Verlauf ihrer Evolution ähnliche Lösungen für dieselben Herausforderungen. Die bekanntesten Beispiele für konvergente Evolution sind die Entwicklung von Augen und der Fähigkeit zu fliegen. Gift stellt beide jedoch weit in den Schatten.
Aktive und passive Verabreichung von Giften
Es gibt einen wichtigen Unterschied in der Verabreichung des Gifts: Manche Tiere und Pflanzen verbreiten ihr Gift passiv, etwa die Rohrkröte über ihre warzige Haut oder der Giftefeu über seine Blätter. In diesem Fall gelangt das Gift durch Verschlucken, Einatmen oder Aufnahme durch die Haut in den Körper. Andere verabreichen ihr Gift aktiv über einen Biss oder Stich mit dem Ziel, in die Blutbahn zu gelangen. Einige Tiere können sowohl aktiv als auch passiv giftig sein - der Blaugeringelte Oktopus zum Beispiel, der einen giftigen Schnabel hat, aber auch giftig ist, wenn er verschluckt wird.
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Die fünf Arten der Giftigkeit
Gifte wirken auf eine von fünf verschiedene Arten:
- Neurotoxisch: Greift das Gehirn und das Nervensystem an.
- Koagulopathisch: Greift das Herz-Kreislauf-System an.
- Myotoxisch: Greift das Muskelgewebe an.
- Proteolytisch: Löst die Zellstruktur in Muskeln, Lunge, Herz und Blutgefäßen auf.
- Zytotoxisch: Verursacht Zellschäden oder den Zelltod.
Das Gift eines Tiers kann auf seine Opfer auf eine oder mehrere dieser Arten wirken und wie es wirkt, hängt von der Art des Opfers ab.
Schlangengift und seine Wirkung auf das Nervensystem
Schlangengifte sind komplexe Mischungen von Toxinen, die auf verschiedene Weise auf den Körper wirken können. Einige Schlangengifte sind neurotoxisch, was bedeutet, dass sie das Nervensystem angreifen. Neurotoxische Schlangengifte können die Erregungsübertragung zwischen Nervenzellen stören, was zu Lähmungen, Atemstillstand und sogar zum Tod führen kann.
Mechanismen der neurotoxischen Wirkung
Neurotoxische Schlangengifte wirken auf verschiedene Weise auf das Nervensystem. Einige Toxine blockieren die Natriumkanäle in den Nervenzellen, wodurch die Nervenzellen nicht mehr in der Lage sind, elektrische Signale zu erzeugen. Andere Toxine blockieren die Acetylcholinrezeptoren an den Muskelzellen, wodurch die Muskeln nicht mehr in der Lage sind, sich zusammenzuziehen. Wieder andere Toxine zerstören die Nervenzellen direkt.
Beispiele für neurotoxische Schlangengifte
Ein bekanntes Beispiel für ein neurotoxisches Schlangengift ist das Gift der Kobra. Das Gift der Kobra enthält Toxine, die die Acetylcholinrezeptoren an den Muskelzellen blockieren. Dies führt zu Lähmungen und Atemstillstand. Ein weiteres Beispiel ist das Gift des Taipan, das als das giftigste Landtier überhaupt gilt. Das Gift des Taipan enthält Toxine, die die Blutgerinnung stören und das Nervensystem angreifen.
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Mambalgine: Schmerzmittel aus Schlangengift
Französische Forscher haben im Gift der Schwarzen Mamba zwei Eiweißfragmente entdeckt, die sie Mambalgine getauft haben. Diese sind etwa genauso wirksam wie Morphium, das stärkste bekannte Schmerzmittel, scheinen jedoch nicht dessen Nebenwirkungen zu haben. Auch konnten die Forscher keine Zeichen einer Abhängigkeit bei ihren Versuchstieren feststellen. Damit könnten die Mambalgine ein großes Potenzial als therapeutische Schmerzmittel besitzen.
Die Entwicklung von Gegengiften
Das erste wirksame Gegengift gegen ein natürliches Toxin wurde 1894 in Frankreich entwickelt, indem man Pferden kleine Mengen Kobragift injizierte und die daraus resultierenden Antikörper aus dem Blut der Pferde gewann. An der Technik hat sich kaum etwas geändert. Gegengift stellt man immer noch auf die gleiche Weise her: Kaninchen, Pferde oder Schafe erhalten über einen bestimmten Zeitraum kleine Dosen eines Gifts; die vom Immunsystem des Tiers gebildeten Antikörper extrahiert man und konzentriert sie im Blutserum zu Gegengift in pharmazeutischer Qualität. Dieses Gegengift wirkt jedoch nur gegen den speziellen Giftcocktail des betroffenen Wirtstiers.
Polyvalente Gegengifte
In Australien haben Forscher ein polyvalentes Gegengift entwickelt - eine Art Sammelgegengift, das in der Regel gegen die meisten australischen Schlangenbisse wirkt. Es entsteht, nachdem im Blutplasma der Wirtstiere Antikörper gegen alle fünf Hauptgruppen der australischen Landschlangenarten gebildet wurden. Je nach Menge und Toxizität des Gifts kann ein Bissopfer mehrere Injektionen benötigen, um das Gift vollständig zu neutralisieren.
Die Bedeutung der Giftforschung für die Medizin
Gifte sind nicht nur gefährlich, sondern auch eine Quelle für neue Medikamente und Therapien. Viele Gifte wirken sehr spezifisch auf bestimmte Zellen oder Moleküle im Körper. Diese Spezifität macht sie zu wertvollen Werkzeugen für die Erforschung der menschlichen Biologie und die Entwicklung neuer Medikamente.
Beispiele für medizinische Anwendungen von Giften
- Mambalgine: Wie bereits erwähnt, könnten die Mambalgine aus dem Gift der Schwarzen Mamba ein großes Potenzial als therapeutische Schmerzmittel besitzen.
- Botulinumtoxin (Botox): Botulinumtoxin ist ein starkes Nervengift, das von dem Bakterium Clostridium botulinum produziert wird. In geringen Dosen wird Botulinumtoxin zur Behandlung von Muskelkrämpfen, Migräne und Falten eingesetzt.
- Physostigmin und Neostigmin: Diese Cholinesterase-Hemmer werden zur Behandlung von Vergiftungen und zur Linderung von Entzündungen bei Sepsis eingesetzt.
Rita Levi-Montalcini und der Nervenwachstumsfaktor (NGF)
Rita Levi-Montalcini erhielt für ihre Erkenntnisse zur Entwicklung des Nervensystems bei Hühnern den Nobelpreis. Sie entdeckte den Nervenwachstumsfaktor (NGF), ein Protein, das das Wachstum und die Differenzierung von Nervenzellen fördert. NGF hat ein großes Potenzial für die Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson.
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