Schmerzzentrum im Gehirn: Lokalisation, Funktion und Behandlung

Schmerz ist eine komplexe Sinneswahrnehmung, die für den Schutz des Organismus unerlässlich ist. Spezialisierte Nervenzellen, sogenannte Nozizeptoren, befinden sich überall im Körper, in der Haut, den Knochen, Muskeln und inneren Organen. Sie warnen vor Gefahren, indem sie Reize über das Rückenmark ins Gehirn senden, wo die Erregung verarbeitet und als Schmerzempfindung gemeldet wird.

Die Grundlagen der Schmerzwahrnehmung

Nozizeptoren und ihre Funktion

Die Wahrnehmung von Schmerzen beginnt an den Nozizeptoren, den freien Nervenenden, die das Gewebe des Körpers mit dem Rückenmark verbinden. An ihrer Oberfläche befinden sich Rezeptoren, die auf Veränderungen der chemischen Zusammensetzung im betroffenen Areal reagieren. Werden diese Rezeptoren stimuliert, senden die Nozizeptoren Botenstoffe ans Rückenmark, von wo aus die Signale über weitere Nervenbahnen bis ins Gehirn geleitet werden. Dort entsteht schließlich die Wahrnehmung von Schmerz.

Schmerzarten: Physiologisch, Pathophysiologisch und Neuropathisch

Man unterscheidet verschiedene Arten von Schmerz:

  • Physiologischer Schmerz: Ein kurzes, sinnvolles Warnsignal als normale Körperreaktion auf eine mechanische, thermische oder elektrische Reizung der Schmerzrezeptoren, z.B. aufgrund einer akuten Verletzung oder Verbrennung. Die Nervenbahnen, die die Schmerzsignale weiterleiten, sind dabei normalerweise nicht geschädigt.
  • Pathophysiologischer Schmerz: Ein Dauerschmerz in Folge einer Gewebeschädigung wie z.B. einer Entzündung oder Verletzung. Unter Umständen ist das Schmerzempfinden auch übersteigert, so dass wie z.B. beim Sonnenbrand schon eine leichte Berührung schmerzhaft ist. Auch der Ruheschmerz kann ein pathophysiologischer Schmerz sein.
  • Neuropathischer Schmerz: Folge einer Nervenschädigung, die durch Verletzung, Operation, Alkoholmissbrauch, Schlaganfall, Stoffwechselstörung (z. B. Diabetes), Autoimmunerkrankung wie Multiple Sklerose oder anhaltende mechanische Manipulation (Bandscheibenvorfall) verursacht werden kann. Auch Viren (z.B. Herpes-Viren) können die peripheren Nerven schädigen.

Die Weiterleitung von Schmerzsignalen

Schmerzreize werden von Sinneszellen, den Nozizeptoren, registriert und weitergeleitet. Diese freien Nervenendigungen befinden sich in der Haut und fast allen inneren Organen. An der Oberfläche des Nozizeptors befinden sich verschiedene Signalempfänger (Rezeptoren) für unterschiedliche Reizarten. Im Rückenmark befinden sich Nervenschaltstellen, die Synapsen, die mittels Botenstoffen (Neurotransmittern) das Schmerzsignal von einer Nervenzelle auf die nächste weiterleiten. So gelangt das Signal am Ende bis zum Gehirn, wo es weiterverarbeitet wird. Erst im Gehirn entsteht die eigentliche Schmerzempfindung und nicht direkt an dem Ort, an dem der Schmerz verursacht wurde.

Das Gehirn als Schmerzzentrum: Ein Netzwerk der Verarbeitung

Kein einzelnes "Schmerzzentrum"

Es gibt kein spezifisches "Schmerzzentrum" im Gehirn. Die Verarbeitung verschiedener Aspekte der schmerzhaften Information findet in einem Netzwerk von Hirnzentren statt. Die Stärke des Schmerzes ist subjektiv und wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst.

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Beteiligte Hirnareale

Die erste Station der meisten schmerzleitenden Nervenbahnen, die aus der Peripherie des Körpers ins Gehirn führen, ist der Thalamus. Diese Struktur des Mittelhirns gilt als "Tor des Bewusstseins", weil dort fast alle Sinneseindrücke verschaltet und in andere Hirnregionen weitergeleitet werden. Bereits hier trennt sich die Verarbeitung der somatosensorischen Aspekte der Schmerzempfindung und der affektiven, also gefühlsmäßigen Auswirkungen des Schmerzes.

  • Somatosensorische Aspekte: Werden in lateralen Thalamuskernen verschaltet und in den primären und sekundären somatosensorischen Kortex (SI und SII) weitergeleitet. In der Großhirnrinde, der äußeren Schicht des Großhirns, findet eine Bewusstmachung und Beurteilung des Schmerzes statt.
  • Affektive Aspekte: Der Verarbeitungsweg der affektiven Schmerzinformation verläuft über mediale Thalamuskerne in den anterioren cingulären Kortex (ACC), den insulären Kortex und die Amygdala. Im limbischen System, angesiedelt im inneren Hirnbereich, wird der Schmerz emotional verarbeitet.
  • Kognitive Aspekte: Ein dritter Aspekt, der den anderen beiden nachgeschaltet ist und auf die affektive Schmerzverarbeitung zurückwirkt, beinhaltet die kognitive (gedankliche) Bewertung des schmerzhaften Reizes. An der Verarbeitung dieser kognitiven Schmerzkomponente sind vermutlich ebenfalls Bereiche des anterioren Cingulum beteiligt, ebenso wie präfrontale Bereiche, hier vor allem der dorsolaterale präfrontale Kortex (DLPFC).

Die Rolle des limbischen Systems und der Großhirnrinde

Im limbischen System wird der Schmerz emotional verarbeitet, während in der Großhirnrinde die bewusste Wahrnehmung sowie die rationale Bewertung des Schmerzes stattfinden. Die bewusste Gesamtempfindung des Schmerzes entsteht am Ende dieser komplexen Verarbeitungskette.

Schmerzgedächtnis und chronischer Schmerz

Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) sind lernfähig. Wenn sie über einen längeren Zeitraum immer wieder ähnlichen Schmerzimpulsen ausgesetzt sind, verändern sie ihre Struktur und ihren Stoffwechsel. Sie bilden vermehrt Rezeptoren aus, die schon bei schwachen Reizen oder sogar ohne jeglichen Reiz Schmerzsignale an das Gehirn weiterleiten. Die Zellen senden selbstständig immer wieder Signale. Die Nervenzellen entwickeln das sogenannte Schmerzgedächtnis. So entsteht ein chronischer Schmerz.Chronische Schmerzen können auch durch die seltener auftretenden neuropathischen Schmerzen ausgelöst werden. Diese treten auf, wenn Nervenbahnen geschädigt oder zerstört werden. Beispielsweise kann ein bei einer Amputation des Beines durchtrennter Nerv weiter das Signal senden, dass das entfernte Bein weh tut. Hier spricht man vom Phantomschmerz.

Veränderungen im Gehirn bei chronischen Schmerzen

Die jüngste Kohortenstudie von Wissenschaftlern der Universitätsmedizin Greifswald konnte nun die Befunde eines geringeren GMV in der linken vorderen und hinteren Insula, dem anterioren Cingulum und dem linken Hippocampus unter drei Schmerzbedingungen replizieren. Ganzhirnanalysen ergaben ein verringertes GMV in der linken anterioren Insula und dem anterioren cingulären Kortex. Bei der Auswertung nach Bereichen von Interesse zeigten zusätzlich die linke posteriore Insula und der linke Hippocampus eine geringeres GMV bei allen Patienten mit chronischen Schmerzen. Der Zusammenhang zwischen Schmerz und GMV im linken Hippocampus wurde durch selbstberichtete Stressoren in den letzten zwölf Monaten vermittelt. Eine binomiale logistische Regressionsanalyse ergab einen prädiktiven Effekt für die GMV im linken Hippocampus und in der linken anterioren Insula/im Temporalpol für das Vorhandensein von chronischen Schmerzen.

Neurophysiologische Prozesse der Schmerzentstehung

Nozizeption und das nozizeptive System

Der Begriff Nozizeption bedeutet neuronale Kodierung der Information über noxische Reize am und im Körper. Neuronale Strukturen, die zur Verarbeitung schmerzhafter Stimuli dienen, werden als nozizeptives System bezeichnet. Die Rezeptoren peripherer sensorischer Neurone setzen die spezifischen Eigenschaften des Stimulus in eine definierte Folge von Aktionspotenzialen um. Die Interaktion zwischen Rezeptoren und Stimuli wird durch deren Art, Intensität, Dauer und Lokalisation bestimmt. Der Reiztyp wird durch den Rezeptortyp (z. B. Mechanorezeptor, Thermorezeptor, Nozizeptor) erkannt. Die Reizintensität beeinflusst die Frequenz der Aktionspotenziale und die Anzahl der erregten Nervenfasern. Die Reizdauer bedingt die Geschwindigkeit der Adaptation des nozizeptiven Systems. Die Lokalisation des Stimulus wird durch die Dichte des rezeptiven Felds determiniert.

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Periphere Sensibilisierung

Die Steigerung der Erregbarkeit von Nozizeptoren durch Schmerzreize wird als periphere Sensibilisierung bezeichnet, vermittelt durch Bindung biologisch aktiver Substanzen an spezifische Rezeptoren der Nozizeptormembran. Ein sensibilisierter Nozizeptor besitzt eine abgesenkte Reizschwelle und reagiert daher bereits auf schwache, normalerweise nichtschmerzhafte Reize. Klinisch nehmen Hyperämie, Ödem sowie Ruhe- und Bewegungsschmerz zu.

Zentrale Sensibilisierung

Der aus der Peripherie eintreffende elektrische Impulsstrom wird auf sensorische nozizeptive Neurone im Hinterhorn des Rückenmarks synaptisch übertragen (Transmission) und kann bereits dort moduliert werden. Zahlreiche Hinterhornneurone projizieren zu höheren Gehirnzentren, hauptsächlich über den Tractus spinothalamicus (zum Thalamus), den Tractus spinoreticularis (zur Formatio reticularis), den Tractus spinomesencephalicus (zum Mesenzephalon) sowie den Tractus spinoreticulothalamicus (zum limbischen System). Im Hirnstamm erfolgt die Integration mit der Regulation von Kreislauf und Atmung (Steigerung von Herzfrequenz, arteriellem Blutdruck, Atemfrequenz). Die nächste übergeordnete Relaisstation ist der Thalamus. Die Wahrnehmung von Schmerz erfolgt in supraspinalen Gehirnregionen. Daraufhin werden von Mesenzephalon und Pons deszendierende Bahnen zur Schmerzhemmung aktiviert. Diese dem aszendierenden nozizeptiven Impulsstrom gegenläufigen, deszendierenden, schmerzhemmenden neuronalen Bahnen enden wiederum an den spinalen Hinterhornneuronen.

Neurotransmitter und ihre Rolle bei der Schmerzverarbeitung

Der aus der Peripherie eintreffende, nozizeptive Impulsstrom primär afferenter Neurone setzt an deren zentralen Endigungen im Hinterhorn des Rückenmarks Neurotransmitter frei. Glutamat bindet rasch an glutaminerge Rezeptorsubtypen postsynaptischer Neurone des Rückenmarks. Der NMDA-Rezeptor reguliert einen Kalziumionenkanal, der unter Ruhebedingungen mit einem Magnesiumion verschlossen ist. Nur bei starker Depolarisation der Membran kann Glutamat diesen Magnesiumblock aufheben und dadurch den Einstrom von Kalziumionen in die Nervenzelle auslösen. Kalziumionen sind universelle Trigger für eine große Zahl von Signaltransduktionswegen in Nervenzellen. Mit fortschreitender Dauer und Intensität der peripheren Inflammationsreaktion ändern auch die Rückenmarkneurone ihre Reizantwortmuster auf die periphere Stimulation. Starke und/oder lange andauernde Schmerzreize erhöhen die synaptische Übertragungsstärke. In der Folge wird jedes Aktionspotenzial mit einer gesteigerten Ausschüttung von Neurotransmittern beantwortet oder nozizeptive Hinterhornneurone werden sensibilisiert.

Schmerz als Krankheit: Chronifizierung und ihre Folgen

Chronische Schmerzen in Deutschland

In Deutschland leiden geschätzt über 20 Millionen Menschen an chronischen Schmerzen - das ist durchschnittlich jeder Vierte. Als chronisch bezeichnet man Schmerzen, die anhaltend vorhanden sind, z. B. über 6 Monate, und das Leben der Betroffenen stark beeinflussen. Frauen erkranken häufiger daran als Männer. Dies hat zum Teil anatomische und hormonelle Gründe. Chronische Schmerzen können in verschiedenen Körperbereichen auftreten, am häufigsten jedoch im Rücken sowie im Nacken-, Gelenk- und Kopfbereich. Bestimmte Erkrankungen wie Arthritis, Tumore, Diabetes und Multiple Sklerose werden ebenfalls häufiger mit chronischen Schmerzen in Verbindung gebracht. Chronische Schmerzen sind nicht nur eine große körperliche und seelische Belastung für die Betroffenen, sondern belasten, so schätzen Experten, die deutsche Volkswirtschaft jährlich mit über 40 Milliarden Euro.

Die Entstehung des Schmerzgedächtnisses

Nozizeptoren sind lernfähig und können bei wiederholter Reizung ihre Struktur und ihren Stoffwechsel verändern. Sie bilden vermehrt Rezeptoren aus, die schon bei schwachen Reizen Schmerzsignale senden. So entsteht ein Schmerzgedächtnis, das zu chronischen Schmerzen führen kann.

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Neuropathische Schmerzen und ihre Ursachen

Chronische Schmerzen können auch durch neuropathische Schmerzen ausgelöst werden, die durch Schädigung oder Zerstörung von Nervenbahnen entstehen. Ein Beispiel ist der Phantomschmerz nach einer Amputation.

Therapieansätze zur Schmerzbehandlung

Multimodale Schmerztherapie

Die Behandlung von chronischen Schmerzen erfordert einen multimodalen Ansatz, der verschiedene Therapieformen kombiniert. Dazu gehören:

  • Medikamentöse Therapie: Schmerzmittel, Antidepressiva, Antikonvulsiva
  • Physiotherapie: Bewegungstherapie, manuelle Therapie
  • Psychotherapie: Schmerzbewältigungstraining, kognitive Verhaltenstherapie
  • Alternative Therapien: Akupunktur, Entspannungsverfahren

Moderne Medizintechnologien

Moderne Therapien zielen häufig darauf ab, die Entstehung eines Schmerzgedächtnis zu verhindern. In der Regel werden die Patienten dazu medikamentös behandelt. Gerade bei chronischen Schmerzpatienten, die häufig als "austherapiert" gelten, können zudem Medizintechnologien, wie Neurostimulation und Schmerzpumpen zu einer besseren schmerztherapeutischen Versorgung beitragen und so die Lebensqualität der Betroffenen erhöhen.

  • Schmerzpumpen: Beispielsweise kann bei Krebspatienten mit nozizeptiven Schmerzen eine Medikamentenpumpe dafür sorgen, dass starke Schmerzmittel wie Morphine direkt an die Nervenbahnen des Rückenmarks abgegeben werden. So werden zur Schmerzbekämpfung sehr viel geringere Wirkstoffmengen benötigt als bei der Verabreichung über Tabletten oder intravenöse Infusionen. Im Vergleich zur oralen Gabe minimiert sich die Dosis in der Regel auf ein Prozent davon.
  • Neurostimulation: Bei der Neurostimulation geben Elektroden Impulse an das Rückenmark oder direkt an betroffene Nerven ab. Diese Signale werden im Gehirn sowohl registriert als auch verarbeitet und überlagern damit das eigentliche Schmerzsignal. Die Betroffenen empfinden häufig im Bereich der Schmerzen ein Kribbeln, aber es gibt bereits Stimulationsverfahren, die dieses Kribbeln nicht mehr erzeugen. Beide Verfahren können nach der Implantation nicht-invasiv genau auf die Bedürfnisse der jeweiligen Patienten ausgerichtet werden.

Die Bedeutung der frühen Behandlung

Eine frühzeitige und konsequente Behandlung von akuten Schmerzen ist wichtig, um die Entstehung chronischer Schmerzen und eines Schmerzgedächtnisses zu verhindern.

Besonderheiten bei Borderline-Patienten

Veränderte Schmerzwahrnehmung

Borderline-Patienten nehmen Schmerzen in der Regel weniger intensiv wahr als gesunde Personen. Dies gilt sowohl für experimentelle Schmerzreize als auch für selbstverletzendes Verhalten. Im Zustand hoher Anspannung reduziert sich die Schmerzempfindlichkeit noch mehr.

Hirnaktivität bei Schmerzreizung

Bei Borderline-Patienten zeigt sich bei schmerzhafter Reizung ein charakteristisches Muster an Hirnaktivität, das bei gesunden Probanden nicht zu finden ist. Das betrifft besonders eine starke Aktivierung des dorsolateralen präfrontalen Cortex in Verbindung mit einer Deaktivierung des perigenualen ACC und der Amygdala. Dieser Befund könnte die hirnorganische Entsprechung eines kognitiven Hemm-Mechanismus sein, der die affektiven Schmerzanteile reduziert.

Beeinflussbarkeit des Schmerzempfindens

Es ist interessant, die Gedanken und Gefühle, die die Patienten hinsichtlich des Schmerzes haben, gezielt zu beeinflussen. Dies könnte andere Auswirkungen haben als bei gesunden Personen.

Nervenschmerzen (Neuralgien)

Ursachen und Symptome

Neuralgien werden durch dauerhafte Reizung oder Schädigung von Nerven ausgelöst. Nervenschädigungen können vielfältige Ursachen haben: Entzündungen, Viren, Diabetes mellitus, Operationen oder auch mechanische Einflüsse können das Nervengewebe zerstören. Typische Symptome sind anfallsartige, brennende, stechende oder auch dumpfe Schmerzen im Versorgungsgebiet eines oder mehrerer Nerven.

Diagnose und Therapie

Die Diagnose von Neuralgien erfordert eine genaue Anamnese und Untersuchung durch den Arzt. Neben der medikamentösen Therapie können auch physiotherapeutische Maßnahmen und Entspannungsverfahren hilfreich sein.

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