Zahnimplantate und Multiple Sklerose: Risiken und ganzheitliche Betrachtung

Die Inzidenz chronisch entzündlicher Erkrankungen wie Allergien, Multiple Sklerose (MS) und Morbus Crohn hat in den letzten Jahrzehnten in Ländern mit westlichem Lebensstil zugenommen. Im Zusammenhang mit Zahnersatzmaterialien und deren potenziellen Auswirkungen auf das Immunsystem stellt sich die Frage, welche Risiken für MS-Patienten bestehen und wie diese minimiert werden können.

Zunehmende Bedeutung von Triggerfaktoren und individuellen Empfindlichkeiten

Chronisch entzündliche Erkrankungen entstehen durch das Zusammenspiel verschiedener Triggerfaktoren und individueller Empfindlichkeiten. Das Immunsystem verliert seine Fähigkeit zur Toleranz und reagiert auf eigentlich harmlose Reize wie Schadstoffe oder Allergene. Inkorporierte Zahnersatzmaterialien können aufgrund der andauernden Konfrontation eine bedeutende Rolle spielen.

Individuelle Empfindlichkeiten können angeboren sein oder sich im Laufe des Lebens entwickeln, beispielsweise durch Autoimmun- oder Darmerkrankungen. Das Immunsystem reagiert dann empfindlicher auf Störungen der oralen Toleranzmechanismen.

Diagnostik bei Verdacht auf Unverträglichkeiten

Zahnärzte können bei Verdacht auf eine organische Immunantwort auf Zahnersatzmaterialien labordiagnostische Verfahren in Anspruch nehmen. Ziel ist es, den Einfluss einer oralen Entzündungsquelle auf den systemischen Entzündungsprozess zu belegen oder auszuschließen und die individuell verantwortlichen Triggerfaktoren zu identifizieren.

Die Allergiediagnostik wird zunehmend auch vorbeugend eingesetzt, um den Patienten nicht mit Materialien zu konfrontieren, gegen die bereits eine Sensibilisierung besteht. Verdachtsmomente können sich aus der Anamnese ergeben, beispielsweise bei Kunststoff-Fingernägeln oder Kobalt-haltigem Schmuck.

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Neben immunologischen Unverträglichkeiten (Allergien, Titanempfindlichkeit) geht es auch um den Nachweis relevanter toxischer Belastungen durch Zahnersatz. Die Diagnostik erfolgt über Metall- oder Kunststoffanalysen im Speichel. Validierte Laboranalysen können zudem aufzeigen, inwieweit wurzelgefüllte Zähne einen Fokus für systemische Entzündungen darstellen. Bei Parodontalerkrankungen umfasst die Labordiagnostik nicht nur die Keimdiagnostik, sondern auch den Nachweis individueller immunologischer Reaktionstypen.

Die Rolle des Immunsystems und gestörte Immuntoleranz

Das Immunsystem verfügt über pro- und antientzündliche Mechanismen, um auf Fremdmaterialien und -reize angepasst zu reagieren. Regulatorische T-Lymphozyten und antientzündliche Zytokine ermöglichen die Tolerierung nicht-bedrohlicher Fremdeinwirkungen.

Bei chronisch entzündlichen Erkrankungen ist die Immuntoleranz gestört. Das Immunsystem reagiert auch auf banale Reize mit einer Entzündungsreaktion. Definierbare monogenetische Veränderungen können die Zunahme entzündlicher Erkrankungen nicht allein erklären. Vielmehr spielen individuelle Trigger- und Kofaktoren (Umweltfaktoren) auf der Grundlage einer polygenen Prädisposition eine Rolle.

Die zunehmende Auseinandersetzung mit komplexen Fremdstoffen und Umwelteinflüssen kann das immunologische Toleranzsystem stören.

Triggerfaktoren und ihre Auswirkungen

Neben Schadstoffen aus Pestiziden, Herbiziden, Weichmachern, Lösungsmitteln, Farben, Bodenbelägen, Duftstoffen und Bekleidung werden auch alloplastische Ersatzmaterialien und andere medizinische Maßnahmen (Medikamente, Impfungen, Hormonersatztherapien usw.) als Triggerfaktoren diskutiert.

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Die Zahnmedizin trägt ebenfalls zu potenziellen Fremd- und Störfaktoren bei. Trotz verbesserter Verarbeitungstechniken und reduzierter Freisetzung von Materialbestandteilen hat die Anzahl der Fremdstoffe zugenommen. Die Vielfalt an Zahnersatzmaterialien, Implantationen, Versiegelungen, Fluoridierungen und der Kontakt zu potenziellen Allergenen in Kieferorthopädie und Endodontie können individuell zu immunaktivierenden Reizen werden.

Werkstoffallergien haben aufgrund der steigenden Sensibilisierungsrate auf Metalle und Kunststoffe eine wachsende Bedeutung. Metalle und Acrylate sind die wichtigsten Auslöser von Typ-IV-Sensibilisierungen im zahnärztlichen Bereich.

Allergietests und ihre Aussagekraft

Der Epikutantest (ECT) ist ein bekannter Allergietest zum Nachweis von Kontaktallergien der Haut. Er ist jedoch nicht für systemische Sensibilisierungen oder über die Schleimhaut aufgenommene Allergene validiert. Schwachstellen des ECT sind die subjektive Bewertung, die Abhängigkeit von der Hautbeschaffenheit und die Belastung des Patienten mit den Teststoffen. Falsch negative Ergebnisse sind häufig.

Der Lymphozytentransformationstest (LTT) ist ein validiertes Laborverfahren zum Nachweis einer zellulären Sensibilisierung. Er kann auch native Werkstoffe als Originalmaterial austesten, was wichtig ist, da die Bestandteile von Kunststoffmaterialien oft unzureichend deklariert sind. Der LTT weist Allergen-spezifische T-Lymphozyten im Blut nach.

Multielementanalyse (MEA) zur Bestimmung der Metallfreisetzung

Die Multielementanalyse (MEA) mittels Massenspektrometrie ermöglicht den Nachweis zahlreicher Metalle in einer Speichelprobe. Sie kann sowohl die basale als auch die stimulierte Freisetzung (durch Kaugummikauen) von Metallen messen.

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Eine Messung der Metallbelastung ist auch dann indiziert, wenn keine individuelle Sensibilisierung vorliegt, aber der klinische Verdacht auf eine Unverträglichkeit besteht. Toxisch-irritative Effekte der freigesetzten und verschluckten Metalle könnten intestinale Barrieremechanismen beeinflussen. Vielfachbelastungen können die Wirkungen des einzelnen Metalls potenzieren.

Umwelt-Zahnmedizin und ganzheitliche Ansätze

Die Umwelt-Zahnmedizin betrachtet den Menschen in seiner Gesamtheit und setzt auf biologische, metall- und amalgamfreie Materialien. Ziel ist es, Entzündungsherde im Mund aufzudecken, um chronische Entzündungen zu lindern und Folgeerkrankungen zu vermeiden.

Wurzelbehandelte Zähne und Zahnersatzmaterialien können chronische Entzündungen im Körper auslösen. Umwelt-Zahnmediziner verwenden daher Keramik-Implantate aus Zirkoniumoxid, die besonders gut verträglich sind und eine ästhetische Optik bieten.

Titan-Implantate: Risiken und Alternativen

Titan galt lange als idealer Werkstoff für Implantate. Es gibt jedoch zunehmend Warnungen vor negativen Auswirkungen. Titan-Implantate können toxische Metalle wie Palladium, Nickel und Cadmium enthalten, die den Organismus belasten. Zudem können sich Titanoxidpartikel von der Oberfläche lösen und im Gewebe ablagern. Bei manchen Patienten reagiert das Immunsystem darauf mit einer chronischen Entzündung.

Als Alternative zu Titan haben sich Keramik-Implantate aus Zirkoniumoxid etabliert. Sie sind metallfrei, antiallergen und besonders verträglich. Zirkoniumoxid gibt keine Partikel an das umliegende Gewebe ab und löst keine immunologischen oder entzündlichen Reaktionen aus. Keramik-Implantate integrieren sich optimal in das Gewebe und regen das Zahnfleischwachstum an. Sie haben eine geringe Plaque-Affinität und reduzieren das Risiko für Parodontitis und Zahnfleischentzündungen.

Titan-Unverträglichkeit: Immunologische und toxische Aspekte

In der Titan-Implantologie werden drei Arten möglicher Unverträglichkeitsreaktionen unterschieden:

  1. Allergische Reaktionen: Klar definierte entzündliche Abwehrreaktionen auf Titan. Spätreaktionen (Typ IV) können durch Hauttests (Epicutan-Test) oder Bluttests (Lymphozyten-Transformationstest = LTT) diagnostiziert werden.
  2. Entzündliche (Über-)Reaktionen: Überschießende Entzündungsreaktionen bei genetischer Veranlagung können das Einheilen des Implantats erschweren und Entzündungen an anderen Stellen des Körpers verursachen. Immunologische Highresponder können durch einen Titan-Stimulationstest erkannt werden.
  3. Subtoxische Belastungen: Substanziell-toxische Belastung durch Titan unterhalb definierter Grenzwerte, die sich über lange Zeit im Körper kumuliert. Die Folgen können medizinisch nur durch ihre gesundheitlichen Auswirkungen postuliert werden. Korrodiertes Titan kann verschiedene immunologische Prozesse auslösen und stille Entzündungen fördern.

Aus umwelt-zahnmedizinischer Sicht ist Titan als Umwelttoxin einzustufen.

Keramik-Implantate als Alternative

Keramik-Implantate aus Zirkonoxid bieten folgende Vorteile:

  • Korrosionsbeständigkeit
  • Hervorragende Biokompatibilität
  • Geringere Bakterienanlagerung
  • Möglichkeit der Sofortimplantation nach Zahnextraktion
  • Hohe Härte und Bruchfestigkeit

Genetische Faktoren und Parodontitis

Die Parodontitis ist eine Entzündung der Gingiva und des Zahnhalteapparates, bei der das Immunsystem mit der Bildung von Entzündungsmediatoren reagiert. Interleukin-1 (IL-1) spielt eine wichtige Rolle bei der Zerstörung von bakteriellen Erregern und beim Knochenauf- und -umbau.

Genetische Veränderungen in den Genen IL-1A und IL-1B können zu einer überschießenden Produktion von IL-1 führen, was eine erhöhte Entzündungsneigung und Knochenabbau zur Folge hat. Eine Veränderung im Gen des IL-1-Rezeptor Antagonisten (IL-1RN) kann die Hemmung entzündlicher Prozesse abschwächen.

Patienten mit diesen genetischen Veränderungen haben ein erhöhtes Risiko für Parodontalerkrankungen und benötigen eine besonders sorgfältige und intensive Betreuung.

IL-1-Genotyp und Implantatkomplikationen

Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von IL-1-Veränderungen und einem schwerwiegenden Krankheitsverlauf bzw. dem Auftreten von Komplikationen bei Implantaten. Insbesondere Raucher mit Veränderungen im IL-1-Gen haben ein erhöhtes Risiko für Implantatverlust.

Die Bestimmung des IL-1-Genotyps kann dem Implantologen helfen, das Risiko für Implantatversagen besser einzuschätzen und sich gegen Regressforderungen abzusichern.

IL-1 und Allgemeinerkrankungen

Veränderungen der IL-1-Gene werden auch mit Allgemeinerkrankungen wie rheumatoider Arthritis, Multipler Sklerose, Alzheimer oder Angina Pectoris in Verbindung gebracht. Parodontale Entzündungen können das Risiko einer Früh- bzw. Fehlgeburt erhöhen.

Periimplantitis: Entzündungen um Implantate

Periimplantitis ist eine chronische Entzündung, die das Gewebe und den Knochen um ein Zahnimplantat betrifft. Hauptursache sind bakterielle Beläge. Risikofaktoren sind Rauchen, Diabetes und eine schlechte Mundhygiene.

Der beste Schutz vor Periimplantitis ist eine regelmäßige Kontrolle und professionelle Zahn- und Implantatreinigung (PZIR). Im Anfangsstadium kann die Periimplantitis meist vollständig gestoppt werden.

Multiple Sklerose und Zahngesundheit

Bei MS-Patienten können Entzündungen an Zähnen, Zahnfleisch oder tief im Kiefer einen MS-Schub auslösen oder laufende Therapien beeinträchtigen. Zahnpflege und Zahnputztechniken sind daher besonders wichtig.

MS-Patienten haben häufig eine verminderte Knochendichte im Kiefer, was an einem erhöhten RANTES-Blutspiegel ablesbar ist. NICO/FDOK-Herde (versteckte Kieferknochenentzündungen) können MS-Symptome auslösen oder verstärken. Eine strahlungsfreie DVT-Tiefendiagnostik kann Entzündungsherde im Kiefer lokalisieren.

Amalgamfüllungen und NICO/FDOK-Störfelder in der Mundhöhle können Nervenzellen schädigen.

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