Schluckbeschwerden, auch Dysphagie genannt, können nach einem Schlaganfall auftreten und das Essen und Trinken erheblich beeinträchtigen. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die Ursachen, Symptome, Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten von Dysphagie nach einem Schlaganfall, um Betroffenen und ihren Angehörigen ein besseres Verständnis dieser Erkrankung zu ermöglichen und aufzuzeigen, wie der Alltag mit Schluckstörungen besser bewältigt werden kann.
Was ist Dysphagie?
Dysphagie oder Schluckstörung bezeichnet Schwierigkeiten beim Schlucken, die den Transport von Nahrung und Flüssigkeit von der Mundhöhle bis zum Magen beeinträchtigen können. Sie ist keine eigenständige Krankheit, sondern ein Symptom, das auf verschiedene zugrunde liegende Ursachen hindeuten kann.
Ursachen von Dysphagie nach Schlaganfall
Ein Schlaganfall stellt eine der häufigsten Ursachen für Schluckstörungen dar. In der Akutphase leidet etwa jeder zweite Schlaganfall-Patient an einer Dysphagie, und bei jedem vierten besteht diese dauerhaft. Neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall, Parkinson-Krankheit, Multiple Sklerose oder Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) können die für das Schlucken zuständigen Nerven beeinflussen. Aber auch andere Faktoren können eine Dysphagie auslösen:
- Strukturelle Probleme: Tumore im Mund, Rachen oder der Speiseröhre, Verengungen der Speiseröhre (Ösophagusstenose), Zungenlähmung oder Divertikel können den Weg der Nahrung blockieren oder behindern.
- Entzündungen: Entzündungen der Speiseröhre (Ösophagitis) oder bestimmte Infektionen können Schwellungen und Schmerzen verursachen.
- Muskuläre Probleme: Schwäche der Schluckmuskulatur, oft altersbedingt oder durch bestimmte Erkrankungen.
- Medikamente: Einige Medikamente können als Nebenwirkung Schluckstörungen verursachen.
Symptome von Dysphagie
Die Symptome einer Dysphagie können vielfältig sein und je nach Ursache und Schweregrad variieren:
- Schwierigkeiten beim Initiieren des Schluckvorgangs (Gefühl, nicht richtig schlucken zu können).
- Husten oder Würgen während oder nach dem Essen oder Trinken.
- Gefühl, dass Nahrung im Hals oder in der Brust stecken bleibt.
- Schmerz beim Schlucken (Odynophagie).
- Speicheln oder Sabbern, Schwierigkeiten, Speichel zu kontrollieren.
- Heisere oder gurgelnde Stimme nach dem Schlucken.
- Unerklärlicher Gewichtsverlust oder Anzeichen von Mangelernährung.
- Wiederholte Lungenentzündungen oder Atemwegsinfektionen (Hinweis auf Aspiration, d.h. Einatmen von Nahrung oder Flüssigkeit in die Atemwege).
Es ist wichtig, bei Auftreten mehrerer dieser Symptome umgehend einen Arzt aufzusuchen, um die Ursache abzuklären und Folgeschäden wie Mangelernährung, Dehydration oder Lungenentzündungen zu vermeiden.
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Diagnostik von Dysphagie
Die Diagnose von Dysphagie erfordert eine gründliche Untersuchung durch einen Arzt, oft unter Einbeziehung von Logopäden oder spezialisierten Therapeuten:
- Körperliche Untersuchung: Untersuchung des Mundes, des Rachens, der Zunge und der Halsmuskulatur sowie Beurteilung von Reflexen.
- Klinische Schluckuntersuchung: Eine Beurteilung am Krankenbett oder im Untersuchungsraum, bei der der Patient unter Beobachtung verschiedene Konsistenzen schluckt.
- Videofluoroskopische Schluckuntersuchung (VFS) / Bariumschluck: Eine Röntgendarstellung des Schluckvorgangs in Echtzeit, bei der der Patient bariumhaltige Flüssigkeiten oder Speisen schluckt. Dies ist eine wichtige Methode zur Beurteilung aller Phasen des Schluckens.
- Flexible Endoskopische Evaluation des Schluckens (FEES): Untersuchung des Rachens und Kehlkopfes mit einem flexiblen Endoskop während des Schluckens. Im Klinikum Darmstadt wird diese Untersuchung routinemäßig bei über 1000 Patienten pro Jahr durchgeführt. Die Klinik ist Ausbildungszentrum der DGN und DGD bzgl. der Erlangung der Fähigkeiten der Durchführungen und Evaluation der fiberendoskopischen Schluckuntersuchung.
Therapie von Dysphagie nach Schlaganfall
Die Behandlung von Dysphagie richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache, der Schwere der Symptome und dem individuellen Zustand des Patienten. In der Klinik für Neurologie und Neurointensivmedizin am Klinikum Darmstadt erfolgt die Therapie durch ein neurologisches Dysphagie-Team. Somit wird eine adäquate, spezifische und patientenorientierte Behandlung gewährleistet.
- Ernährungsanpassung: Veränderung der Konsistenz der Nahrung und Flüssigkeiten. Dies kann von pürierter Kost über passierte oder weiche Speisen bis hin zu angedickten Flüssigkeiten reichen, um das Risiko des Verschluckens zu minimieren. Es wird empfohlen, sich für weiche, jedoch nicht zu flüssige Lebensmittel zu entscheiden. Um die Vielfalt der Ernährung zu bewahren, können sogar Lebensmittel püriert werden, die normalerweise nicht in dieser Form konsumiert werden. Pürierter Schweinebraten? - Kein Problem. Das Wichtigste ist, dass es schmackhaft ist und den Appetit regt. Die Zugabe von Verdickungsmitteln ist bei fester Nahrung oft nicht erforderlich, bei Getränken schon dagegen.
- Schlucktherapie (Logopädie): Spezifische Übungen zur Stärkung der Schluckmuskulatur, Verbesserung der Koordination und Anwendung sicherer Schlucktechniken und -haltungen. Die logopädische Therapie sollte nach einer plötzlichen Hirnschädigung (wie Schlaganfall), sobald es der Allgemeinzustand des Patienten erlaubt, begonnen werden. Häufig erfolgt sie zunächst intensiv im Rahmen einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. Danach erfolgt sie in einer logopädischen Praxis oder zu Hause. Das Ziel der logopädischen Therapie ist eine Wiederherstellung der Funktionen der Sprech- und Schluckwerkzeuge sowie eine Verbesserung der Kommunikation. Dazu werden für die Patienten individuelle Behandlungskonzepte erarbeitet. Bei Therapieraum werden neben den klassischen Methoden der Logopädie auch moderne Therapiekonzepte angeboten, die sich bei der Behandlung von Dysphagien bewährt haben.
- Medikamente: Bei bestimmten Ursachen wie Sodbrennen/Reflux (Ösophagitis) oder Muskelkrämpfen können Medikamente eingesetzt werden.
- Chirurgische Eingriffe: Bei strukturellen Problemen wie Verengungen (Stenosen) oder Tumoren kann ein chirurgischer Eingriff notwendig sein.
- Sondenernährung: In schweren Fällen, wenn die orale Nahrungsaufnahme nicht sicher oder ausreichend ist, kann eine Ernährungssonde (z.B. PEG-Sonde) erforderlich sein. Bei schwerer Schluckstörung oder wenn orale Nahrungsaufnahme nicht möglich ist, bleibt oft nur die Ernährung über klinischen Sonden. Die Magensonde (PEG): Durch einen kleinen Operativen Eingriff wird direkt durch die Bauchdecke in den Magen gelegt, wo man mit spezieller Nahrung ernährt wird. Beide Arten können in der häuslichen Pflege angewendet werden. Die Magensonde sollte regelmäßig vom Ambulanten Pflegedienst kontrolliert und gereinigt werden.
Praktische Tipps für den Umgang mit Dysphagie im Alltag
Die richtige Pflege und Unterstützung spielen bei Menschen mit Dysphagie eine entscheidende Rolle im Alltag. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Betroffenen, Angehörigen, Pflegekräften und medizinischem Fachpersonal ist dabei unerlässlich.
- Unterstützung beim Essen: Sorgen Sie für eine aufrechte Sitzposition (mindestens 90 Grad) während der Mahlzeiten und für eine gewisse Zeit danach. Bieten Sie kleine Bissen und lassen Sie dem Betroffenen ausreichend Zeit zum Kauen und Schlucken. Vermeiden Sie Ablenkungen wie Fernsehen oder laute Gespräche. Sprechen Sie während des Essens nicht übermäßig, fangen Sie nicht an zu plaudern. Klopfen Sie beim Verschlucken/Husten nicht auf den Rücken. Lassen Sie auch nicht die Arme hoch nehmen. Hören Sie nach dem Essen auf die Stimme des Betroffenen - wenn sie sich gurgelnd und belegt anhört, animieren Sie den Patienten noch einmal kräftig zu Husten und zu Schlucken. Lassen Sie den Patienten nach dem eigentlichen Schlucken noch mehrmals „leer“ nachschlucken, sprich Speichel schlucken. Husten Sie nach dem Essen mehrmals und schlucken Sie mehrmals leer nach.
- Konsistenz der Nahrung anpassen: Halten Sie sich strikt an die Empfehlungen des Arztes oder der Logopädie bezüglich der Konsistenz von Speisen und Getränken. Nutzen Sie bei Bedarf Andickungsmittel für Flüssigkeiten (nektar-, honig- oder puddingartig), um das Risiko des Verschluckens zu reduzieren.
- Auf Anzeichen von Aspiration achten: Beobachten Sie den Betroffenen genau während des Essens und Trinkens. Husten, Würgen, eine veränderte Stimme (feucht, gurgelnd) oder Atemnot sind Warnzeichen und erfordern sofortige Aufmerksamkeit.
- Mundpflege: Eine sorgfältige und regelmäßige Mundpflege ist extrem wichtig. Sie reduziert die Bakterienlast im Mundraum und verringert so das Risiko einer Lungenentzündung, falls es doch zur Aspiration kommt. Mundpflege ist nach jedem Essen wichtig! Hören Sie nach dem Essen auf Ihre Stimme - wenn sie sich gurgelnd und belegt anhört, husten Sie kräftig und schlucken Sie noch mehrmals kräftig nach.
- Ausreichende Flüssigkeitszufuhr: Achten Sie darauf, dass der Betroffene genügend trinkt, ggf. unter Verwendung von Andickungsmitteln oder speziellen Trinkhilfen. Dehydration kann die Schluckbeschwerden verschlimmern und zu weiteren Gesundheitsproblemen führen.
- Regelmäßige Kontrollen und Therapien: Stellen Sie sicher, dass regelmäßige Arzttermine und empfohlene Therapiesitzungen (z.B. Logopädie) wahrgenommen werden.
Hilfsmittel und Produkte für Menschen mit Dysphagie
Die Bewältigung von Schluckstörungen im Alltag wird durch eine Vielzahl von speziellen Hilfsmitteln und Produkten erleichtert. Diese sind darauf ausgelegt, die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sicherer, komfortabler und selbstständiger zu gestalten.
- Andickungsmittel: Diese werden verwendet, um Flüssigkeiten (z.B. Wasser, Saft, Tee) anzudicken und das Risiko des Verschluckens zu reduzieren.
- Spezielles Essgeschirr: Dazu gehören Teller mit einem erhöhten Rand, der das Aufnehmen von Speisen erleichtert, rutschfeste Unterlagen, die das Verrutschen des Tellers verhindern, oder ergonomisch geformtes Besteck für einen besseren Griff. Das Essen mit herkömmlichem Geschirr und Besteck stellt für Menschen mit Schluckstörungen eine besondere Herausforderung dar.
- Trinkbecher: Becher mit Nasenaussparung ermöglichen das Trinken, ohne den Kopf stark in den Nacken legen zu müssen.
Viele Apotheken, Sanitätshäuser und spezialisierte Online-Shops bieten eine breite Palette an Hilfsmitteln für Menschen mit Dysphagie an. Auch die Krankenkassen können unter Umständen einen Teil der Kosten für bestimmte Hilfsmittel übernehmen.
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Die Rolle der Angehörigen und Pflegekräfte
Die Angehörigenarbeit stellt einen sehr wichtigen Baustein dar, denn diese stehen den Patienten am nächsten und verbringen am meisten Zeit mit ihnen.
- Schulung und Information: Es ist wichtig, dass Angehörige und Pflegekräfte über die Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten von Dysphagie informiert sind. Fortbildungen und Informationsveranstaltungen in Pflege- und Altenheimen (neurologische Störungsbilder) können hier eine wertvolle Unterstützung bieten.
- Unterstützung im Alltag: Angehörige und Pflegekräfte können den Betroffenen im Alltag unterstützen, indem sie bei der Zubereitung der Mahlzeiten helfen, auf eine korrekte Sitzposition achten und die Nahrungsaufnahme überwachen.
- Emotionale Unterstützung: Schluckstörungen können für die Betroffenen sehr belastend sein. Angehörige und Pflegekräfte sollten daher einfühlsam sein und den Betroffenen emotional unterstützen.
Logopädische Störungsbilder bei Erwachsenen
Neben der Dysphagie können nach einem Schlaganfall auch weitere logopädische Störungsbilder auftreten, die eine logopädische Therapie erforderlich machen. Dazu zählen:
- Aphasie (Sprachstörung): Eine Aphasie kann sich in Wortfindungsstörungen, Störung des auditiven Sprachverständnisses, Störung des Lesesinnverständnisses, in einer Dysgraphie (Schreibstörung), Dyslexie (Lesestörung) und/oder einer Akalkulie (Rechenstörung) äußern.
- Dysarthrophonie (Sprechstörung): Diese äußert sich in einer müden, schweren, verlangsamten Zunge. Das Sprechen wird langsamer und undeutlicher. Der Betroffene wird von anderen schwerer verstanden.
- Trachealkanülenmanagement: Menschen mit degenerativen Erkrankungen wie bsp. ALS, Menschen mit sehr starken Schluckstörungen oder komatöse Patienten haben oftmals eine Trachealkanüle, die für die ausreichende Beatmung sorgt. Auch hier setzt die Logopädie an. Es wird Schlucktraining, Entblockungstraining und Entwöhnungstraining durchgeführt.
- Zentrale / periphere Facialisparese (Gesichtslähmung), Hypoglossusparese (Zungenlähmung) und Gaumensegelparese.
- Hypomimie: Darunter versteht man ein "Einfrieren der Mimik" oder auch "Maskengesicht" genannt. Die Betroffenen können nur mit Mühe ihre Gefühlslage durch die Mimik äußern. Dies findet man vor allem bei Menschen mit M. Parkinson, Multi-System-Atrophie und Chorea Huntington.
Je nach Schwere der Symptome wird entschieden, welche Störung im Mittelpunkt der logopädischen Therapie steht. Häufig behandelt der Logopäde mehrere Störungen parallel.
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