Demenz ist ein Thema, das oft mit Betroffenheit und Unsicherheit begegnet wird. Doch Bettina Tietjen, die bekannte Fernsehmoderatorin, hat es geschafft, diesem Thema eine überraschend frische und humorvolle Seite abzugewinnen. In ihrem Buch „Unter Tränen gelacht“ beschreibt sie ihre Erfahrungen mit der Demenzerkrankung ihres Vaters.
Ein ungewöhnlicher Leseort
Im Rahmen der Reihe „500plus“ las Bettina Tietjen im Altenberger Dom aus ihrem Buch vor. Sie zeigte Respekt vor dem gotischen Gotteshaus als Leseort und gestand, dass dies für sie ein besonderes Erlebnis sei. Die zahlreich erschienenen Zuhörer erfuhren viel über die Licht- und Schattenseiten des Alltags mit einem dementen Familienangehörigen.
Von Wuppertal nach Hamburg: Eine plötzliche Veränderung
Tietjen begleitete ihren Vater zweieinhalb Jahre durch sein dementes Lebensende und besuchte ihn täglich im Pflegeheim. Wie es dazu kam, dass sie ihn von Wuppertal nach Hamburg holte, liest sich wie ein Krimi. Die Polizei rief Tietjen an, weil der 86-Jährige spätabends in der Nachbarschaft geklingelt hatte und ins Bett gebracht werden wollte. Er hatte sich aus seinem Reihenhaus ausgesperrt, und seine lettische Betreuerin reagierte nicht. Man fand sie betrunken hinter dem Sofa. Dieser Vorfall veränderte Tietjens Leben schlagartig.
Umgang mit der Krankheit
Tietjen lernte, dass vor allem das „Thema untenrum“ bei Demenz bestimmend ist. Schamgefühle verschwinden, und der Umgang mit Inkontinenz wird zur Normalität. Der Windelkauf ist nur am Anfang peinlich. Sie gewann einen neuen Blick auf das Pflegepersonal und dessen unermessliche Arbeit.
Heim oder Eigenpflege?
Die Entscheidung, den Vater ins Heim zu geben, fiel Tietjen anfangs schwer. Sie war hin- und hergerissen zwischen Entlastung und dem Gefühl, ihn abzuschieben. Heute ist sie jedoch überzeugt, dass ein gutes Heim in der Nähe besser ist, als sich selbst zu überlasten. Routinearbeiten wie Windeln wechseln und Anziehen kosten viel Kraft und kommen zum normalen Familienalltag hinzu. Viele Angehörige verlieren dann die Empathie für den Dementen. Bei Tietjen war das Gegenteil der Fall. Sie betrachtete mit ihrem Vater Fotos, spazierte singend mit ihm durch den Park, lachte über seine Witze und staunte über seine Zeichnungen.
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Gottvertrauen als Stütze
Pfarrerin Claudia Posche fragte Tietjen, ob ihr Gottvertrauen sie gestärkt habe. Tietjen, die durch eine Freikirche geprägt wurde und die Bibel fast auswendig kennt, antwortete, dass Gottvertrauen immer helfe. Es sei ein ungeheurer Halt zu wissen, dass es nach dem Tod weitergehe. Kirchenlieder waren für sie und ihren Vater eine Quelle der Freude. Das Publikum sang gemeinsam mit der Moderatorin schallend „Geh aus mein Herz und suche Freud“.
Bettina Tietjen als Botschafterin der Demenzwoche
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey erhalten prominente Unterstützung bei ihren Bemühungen um mehr Verständnis für die Belange von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen. Bettina Tietjen wird Botschafterin der diesjährigen Woche der Demenz, die unter dem Motto "Demenz - dabei und mittendrin" stattfindet.
Tietjen betont, dass Demenz immer noch ein Tabuthema sei und die Gesellschaft Angst davor habe. Sie fordert, Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen nicht allein zu lassen und ihnen die Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen. Demenziell veränderte Menschen haben genauso ein Recht auf Lebensfreude wie alle anderen.
Unterstützung durch die Politik
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn betont, dass mit den Pflegestärkungsgesetzen Menschen mit Demenz und ihre Familien deutlich mehr Hilfe erhalten. Neben den Leistungsverbesserungen sollte eine demenzfreundliche Gesellschaft das gemeinsame Ziel sein. Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey fordert, dass die Diagnose Demenz nicht zum Ausschluss aus der Gesellschaft führen darf. Sie betont die wichtige Arbeit der Lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz, die Beratung und Hilfe leisten.
Frühe Anzeichen und der Umgang damit
Meistens beginnt Alzheimer sehr langsam, ist anfangs schwer zu erkennen. Bei Tietjens Vater begann es mit dem Verlegen von Dingen und dem wiederholten Stellen derselben Fragen. Da er schon Anfang 80 war, machten sich die Töchter zunächst keine großen Gedanken. Später gab es jedoch mehrere Alarmsignale, wie das mehrmalige Abheben derselben Summe Geldes bei der Bank, die Brille in der Tiefkühltruhe und der Kauf unnötiger Produkte an der Haustür. Ein Autounfall, an den sich der Vater nicht erinnern konnte, war ein weiteres Warnsignal.
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Die Diagnose Demenz war ein Schock für die Familie. Tietjen fand es merkwürdig, dass ihr Vater seine Krankheit beim Arztbesuch überspielen wollte. Es scheint vielen Menschen immer noch peinlich zu sein, wenn ein Angehöriger an Alzheimer erkrankt ist. Tietjen selbst erlebte peinliche Situationen mit ihrem Vater, versuchte aber nie, die Krankheit zu verheimlichen, sondern ging immer offen damit um.
Hilfsangebote und die Bedeutung der Pflege
Die Ärzte verschrieben durchblutungsfördernde Medikamente, Krankengymnastik und Ergotherapie. Sehr hilfreich war die Pflegeberatung. Es wurden Pflegerinnen engagiert, die dem Vater im Haushalt halfen. Als sich sein Zustand verschlechterte, wurde ein Platz in einem Pflegeheim in Hamburg gefunden.
Eine intensive Zeit
Tietjen beschreibt die Zeit mit ihrem Vater als unglaublich intensiv, die sie nicht missen möchte. Sie machten viele Ausflüge zusammen, spielten Memory und lernten ihn auf eine ganz neue Art kennen. Er war viel emotionaler als früher, und sie lachten viel zusammen. Trotz Alzheimer führte ihr Vater ein zufriedenes Leben. Tietjen möchte Betroffenen Mut machen, da es neben traurigen Momenten auch viele schöne gibt.
Zweifel und Auszeiten
Oft fragte sich Tietjen, ob die Entscheidungen, die sie traf, richtig waren. Diese Zweifel begleiteten sie lange. Stressig war es vor allem dann, wenn sie gerade im Fernsehstudio war und ein Anruf aus dem Pflegeheim kam. Wichtig war für sie, dass sie sich weiterhin Auszeiten nahm, um Urlaub mit ihrem Mann und ihren Kindern zu verbringen.
Das Langzeitgedächtnis
Der Abbauprozess verlief langsam. Vermutlich kam Tietjens Vater zugute, dass er von Beruf Architekt gewesen war und stets viel gelesen hatte. Erstaunlich war, dass er auch im fortgeschrittenen Zustand noch Gedichte aufsagen und komplette Lieder singen konnte. Er konnte auch sehr gut zeichnen und malte bis zuletzt sein Elternhaus und Porträts von sich selbst. Als ihm die deutsche Sprache nicht mehr so leicht über die Lippen kam, konnte sie sich mit ihm auf Französisch und Englisch unterhalten. Offenbar ist das Langzeitgedächtnis erhalten geblieben.
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Bettina Tietjens Tipps für ein gesundes Leben
Tietjen betont, dass ihre Arbeit als Moderatorin sie sehr fit hält, ebenso wie die Gespräche mit anderen Menschen. Privat geht sie regelmäßig joggen und ernährt sich gesund. Außerdem ist sie sehr gesellig und hat einen großen Freundeskreis.
Das Buch "Unter Tränen gelacht"
In ihrem Buch „Unter Tränen gelacht: Mein Vater, die Demenz und ich“ berichtet Bettina Tietjen von der Demenzerkrankung ihres Vaters.
Beratung und Hilfe
Es gibt zahlreiche Beratungsangebote für Erkrankte und Angehörige, die neutral und kostenfrei Unterstützung bieten.
Lesung und Gespräch
Bettina Tietjen sagt, dass es letztendlich nicht so einfach ist, dass der Körper gesund ist, wenn es auch der Seele gut geht. Ihr Vater habe im Leben alles richtig gemacht und sei trotzdem an Demenz erkrankt. Sie berichtet sehr persönlich, einfühlsam und voller Respekt vor Menschen, die sich selbst verlieren. Ihr Bericht ist eine beeindruckende Liebeserklärung an das Leben - mit all seinen Höhen und Tiefen.