Die Alzheimer-Krankheit, die häufigste Form der Demenz bei älteren Menschen, ist durch den fortschreitenden Verlust von Nervenzellen im Gehirn gekennzeichnet. Betroffene leiden unter Vergesslichkeit, Orientierungslosigkeit und Verwirrung. Trotz intensiver Forschung sind die Ursachen der Erkrankung noch weitgehend unbekannt, und es gibt bisher keine Heilung. Neue Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass das Darm-Mikrobiom eine wichtige Rolle bei der Entstehung und dem Verlauf der Alzheimer-Krankheit spielen könnte.
Das Darm-Mikrobiom und seine Bedeutung
Die Darmflora des Menschen, das sogenannte Darm-Mikrobiom, besteht aus einer Vielzahl von Bakterien und anderen Mikroorganismen. Es enthält etwa hundertmal mehr genetische Informationen als das menschliche Genom und spielt eine zentrale Rolle bei der Unterstützung der menschlichen Gesundheit. Das Darm-Mikrobiom beeinflusst Stoffwechsel-, Hormon-, Immun- und neurotrophe Funktionen und ist an der Kommunikation zwischen Magen-Darm-Trakt und Gehirn beteiligt.
Die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms kann durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden, darunter Ernährung, Lebensstil und Umweltfaktoren. Im Erwachsenenalter bleibt es weitgehend stabil, aber ab etwa 65 Jahren, dem Alter, in dem Alzheimer am wahrscheinlichsten auftritt, kann es sich in einen weniger vielfältigen und widerstandsfähigen Zustand verändern. Dies macht das Mikrobiom anfälliger für äußere Einflüsse und schränkt seine schützende Funktion ein, was die Entstehung von Krankheiten wie Alzheimer begünstigen kann.
Neue Erkenntnisse aus der AlzBiom-Studie
Ein Forschungsteam der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene am Universitätsklinikum Tübingen hat im Rahmen der AlzBiom-Studie das Darm-Mikrobiom von 100 gesunden älteren Menschen, 100 Personen mit leichten Gedächtnisbeeinträchtigungen und 100 Personen mit gesicherter, leichtgradiger Alzheimer-Demenz untersucht. Mithilfe der Shotgun Metagenomics Sequencing, einer Methode zur Sequenzierung und Messung von langen DNA-Strängen, konnten die Forscher zeigen, dass sich das Darm-Mikrobiom von Alzheimer-Patienten sowohl auf der Speziesebene (Zusammensetzung der Bakterien) als auch auf funktioneller Ebene (Stoffwechselprozesse) deutlich von dem gesunder Studienteilnehmer unterscheidet.
Die Analyse des Mikrobioms ermöglichte eine treffsichere Identifizierung von Alzheimer-Erkrankten, was die diagnostische Bedeutung des Darm-Mikrobioms unterstreicht. Laut Studienleiter Prof. Dr. Christoph Laske wurde eine Alzheimer-Signatur im Darm-Mikrobiom identifiziert, die zur Unterscheidung von Amyloid-positiven Alzheimer-Patienten von gesunden Kontrollpersonen verwendet werden kann.
Lesen Sie auch: Informationen für Alzheimer-Patienten und Angehörige
Die Rolle von Amyloid-Beta und Tau-Proteinen
Im Gehirn von Alzheimer-Patienten lagern sich zwischen den Neuronen amyloide Plaques ab, die hauptsächlich aus Beta-Amyloid-Peptiden bestehen. Diese Ablagerungen und kleinere Aggregate von Beta-Amyloid-Peptiden werden als eine der Hauptursachen für Alzheimer diskutiert. Zudem verändern sich im Verlauf der Krankheit auch die Tau-Proteine, die normalerweise das Nervenzell-Gerüst stabilisieren. Bei Alzheimer lösen sie sich vom Zellskelett und verkleben miteinander.
Die Amyloid-Kaskaden-Hypothese geht davon aus, dass Amyloid am Anfang der Alzheimer-Erkrankung steht und zu den Veränderungen am Tau-Protein führt. Forscher haben ein mögliches Bindeglied in dieser Reaktionskette entdeckt: Das Inflammasom, ein Proteinkomplex in den Immunzellen des Gehirns, wird von Amyloid-beta aktiviert. Bei Alzheimer führen also charakteristische Amyloid-beta-Plaques und Tau-Tangles zur gestörten Kommunikation zwischen den Nervenzellen und langfristig zum Zelltod.
Weitere Hypothesen zur Entstehung von Alzheimer
Neben der Amyloid-Kaskaden-Hypothese gibt es weitere Ansätze, die die Entstehung von Alzheimer zu erklären versuchen:
Die Calcium-Homöostase-Hypothese: Sie besagt, dass das Calcium-Gleichgewicht und die -Dynamik bereits früh zu Beginn der Erkrankung gestört sind.
Die Neurovaskuläre Hypothese: Sie postuliert, dass Fehlfunktionen der Nerven und Blutgefäße auch eine Rolle bei der Entstehung von Alzheimer spielen.
Lesen Sie auch: Kinder-Alzheimer: Ein umfassender Überblick
Die Entzündungshypothese: Sie geht davon aus, dass Entzündungen nicht nur eine Begleiterscheinung von Alzheimer sind, sondern auch zum Fortschreiten der Neurodegeneration beitragen.
Die Metallionen-Hypothese: Sie setzt sich unter anderem mit der Rolle von Biometallen (z. B. Kupfer, Eisen, Zink) bei der Entstehung von Alzheimer auseinander.
Die Hypothese des lymphatischen Systems: Sie setzt sich unter anderem mit der Rolle des lymphatischen Systems bei der Entstehung von Alzheimer auseinander.
Parodontitis und Alzheimer: Ein möglicher Zusammenhang
Ein weiterer Forschungsansatz untersucht den Zusammenhang zwischen Parodontitis, einer bakteriell bedingten Entzündung des Zahnhalteapparates, und Alzheimer. Studien haben gezeigt, dass im Gehirn von Alzheimer-Patienten mehr Spuren von Parodontitis-Bakterien gefunden werden als bei kognitiv gesunden Menschen. Insbesondere Gingipain-Enzyme, die von Parodontitis-Bakterien gebildet werden, scheinen eine Rolle zu spielen. Es wird vermutet, dass diese Enzyme die Bildung von Beta-Amyloid- und Tau-Ablagerungen fördern könnten.
In Versuchen mit Alzheimer-Mäusen konnte gezeigt werden, dass die Behandlung mit einem Gingipain-Blocker (Atuzaginstat) und Antibiotika zu weniger Proteinablagerungen im Gehirn führte. Allerdings wurde die Entwicklung von Atuzaginstat als Alzheimer-Medikament im Jahr 2022 eingestellt, da es bei einigen Testpersonen zu einem Anstieg der Leberwerte kam.
Lesen Sie auch: Alzheimer und Demenz im Vergleich
Störung im Lipidstoffwechsel als möglicher Auslöser
Wissenschaftler haben möglicherweise einen neuen Auslöser für die charakteristischen Veränderungen im Gehirn von Alzheimer-Patienten gefunden: eine Störung im Lipidstoffwechsel. Denn zu viele Lipide in der Zellmembran von Neuronen können die Bildung von Alzheimer-Peptiden begünstigen.
Im Gehirn von Patienten mit Alzheimer-Demenz lagern sich zwischen den Neuronen amyloide Plaques ab. Diese charakteristischen Anhäufungen des Proteinfragments Beta-Amyloid werden auch zur endgültigen Diagnose nach dem Tod der Betroffenen in Gewebeschnitten nachgewiesen. Das Alzheimer- Protein Beta-Amyloid entsteht durch die Spaltung von Vorläuferproteinen - ist dieser genau regulierte Prozess gestört, wird vermehrt Beta-Amyloid produziert.
In gesunden Nervenzellen wird beispielsweise das C-terminale Peptid - eine wichtige Zwischenstufe bei der Entstehung von Beta-Amyloid - stets effektiv abgebaut und somit die Bildung von Alzheimer-Plaques verhindert. Diese Säuberung der Nervenzellen von Zwischenstufen des Beta-Amyloids geschieht über einen Prozess, der Autophagozytose genannt wird. "Bei der Autophagozytose baut die Zelle eigene Bestandteile aber auch Eindringlinge von außen wie etwa Viren oder Bakterien ab", beschreibt Prof. Dr. Jochen Walter von der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Bonn. Ist die Autophagozytose in Nervenzellen gestört, häuft sich Beta-Amyloid an.
Eine Ursache für die Störung der Autophagozytose und somit für die vermehrte Entstehung von Beta-Amyloid ist eine Veränderung im Lipidstoffwechsel der Nervenzellen. Wissenschaftler des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Degenerative Demenzen mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) herausgefunden. "Wenn bestimmte Bestandteile der Zellmembran, die sogenannten Sphingolipide, übermäßig vorhanden sind, blockieren sie den natürlichen Prozess der Autophagozytose", so Professor Walter. Die Folge: Eiweiße, darunter auch das C-terminale Peptid, können nicht mehr effektiv per Autophagozytose abgebaut werden und das gefährliche Beta-Amyloid sammelt sich an.
Zugleich aktivieren zu viele Sphingolipide ein bestimmtes Enzym, die y-Sekretase, deren Funktion darin besteht, das gefährliche Beta-Amyloid vom C-terminalen Peptid abzuspalten. Sphingolipide begünstigen somit die Entstehung von Alzheimer-Proteinen auf zwei Wegen. "Wir schließen daraus, dass den charakteristischen Veränderungen im Gehirn von Alzheimer-Patienten möglicherweise eine Störung im Lipidstoffwechsel zugrunde liegt", sagt Professor Walter.
Sphingolipide sind in Nervenzellen an der Übertragung von Signalen und der Interaktion einzelner Zellen beteiligt. Sie sind wichtige Bestandteile der Zellmembran, aber auch von Membranvesikeln, die für den Prozess der Autophagozytose notwendig sind. Doch zu viele Sphingolipide stören den kontrollierten Einweißabbau in der Zelle, so das Ergebnis von Zellkulturexperimenten. "Zum einen haben wir Nervenzellen quasi mit Sphingolipiden gefüttert. Zum anderen haben wir Zellen von Patienten untersucht, die aufgrund eines genetischen Defektes übermäßig viele Lipide in der Zellmembran einlagern", erklärt Professor Walter. Patienten mit einer solchen Lipidspeicherkrankheit zeigen Symptome, die auch für Alzheimer-Patienten typisch sind. In beiden Untersuchungen wurde deutlich: Zu viele Sphingolipide stören den Proteinabbau der Zellen. "Die Sphingolipide reduzieren vor allem den Abbau des C-terminalen Peptids, sodass sich mehr schädliches Beta-Amyloid anhäufen kann", so Professor Walter.
Diese Erkenntnisse der Neurowissenschaftler könnten zukünftig doppelt genutzt werden - zur Prävention und zur Früherkennung von Alzheimer. So könnten die übermäßigen Sphingolipide als Ansatzpunkt für neue präventive Maßnahmen dienen. Professor Walter: "Wenn wir beispielsweise den Abbau von überzähligen Sphingolipiden in Nervenzellen gezielt stimulieren könnten, könnte dies gegebenenfalls die Entstehung schädlicher Beta-Amyloid Peptide verhindern." Aber die Ergebnisse bieten vielleicht auch die Möglichkeit für eine Früherkennung von Alzheimer. Denn fallen Alzheimer-Patienten erstmals durch ihre Vergesslichkeit auf, hat sich ihr Gehirn meist schon über Jahre hinweg verändert. Deshalb werden verschiedene Biomarker gesucht, um Personen im Frühstadium einer Alzheimer-Demenz beziehungsweise mit einem erhöhten Risiko für Alzheimer zu identifizieren. "Veränderungen im Lipidstoffwechsel und eine erhöhte Lipidkonzentration in Membranen könnten möglicherweise frühzeitig auf eine Alzheimer-Erkrankung hinweisen", sagt Professor Walter. Für beide Ansätze sind allerdings noch umfangreichere Studien nötig.
Beeinflussung des Darm-Mikrobioms als Therapieansatz?
Die Erkenntnisse aus der AlzBiom-Studie und anderen Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass eine Beeinflussung des Darm-Mikrobioms ein neuer, innovativer Ansatz zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung darstellen könnte. Die Wirksamkeit eines solchen Behandlungsansatzes muss jedoch in zukünftigen Studien noch untersucht werden.
Prof. Dr. Christoph Laske und sein Team gehen der Frage nach, ob sich die Veränderungen im Gehirn von Menschen mit Alzheimer auf die Zusammensetzung des Darmmikrobioms auswirken oder ob der Darm am Anfang des Prozesses steht und die Amyloid-Ablagerungen im Gehirn entstehen, weil dort etwas nicht stimmt. Wenn man gezielt die Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm verändert, ließen sich dann nicht die pathologischen Prozesse im Gehirn stoppen?
Das Mikrobiom als Frühwarnsensor
Das Mikrobiom könnte als Frühwarnsensor eingesetzt werden. Da sich Demenzerkrankungen wie Alzheimer über Jahre und oft Jahrzehnte entwickeln, ohne dass die Patienten etwas spüren, könnte die Untersuchung des Darms helfen, neurodegenerative Erkrankungen frühzeitig zu entdecken und gegenzusteuern. Forscher haben in Tierexperimenten herausgefunden, dass sich die Zusammensetzung des Darmmikrobioms bereits vor der Ablagerung von Amyloid-Plaques im Gehirn verändert.
Forschungsprojekt an der Universität des Saarlandes
Dr. Yang Liu von der Universität des Saarlandes untersucht im Rahmen eines Forschungsprojekts den Zusammenhang zwischen Darmbakterien und dem Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit. Die Forschenden wissen bereits, dass die Bakterien des Darms unverdauliche Nahrungsbestandteile in kurzkettige Fettsäuren spalten, die von einem Rezeptor mit der Bezeichnung „GPR109a“ erkannt werden müssen. Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass eine verminderte Leistung des Rezeptors sowohl zu weniger Entzündungsreaktionen als auch zu weniger Ablagerungen von Beta-Amyloid im Gehirn führt.
Die Ergebnisse von Dr. Yang Liu bestätigen seine Hypothese. Eine Hemmung des Rezeptors "GPR109a" könnte das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit tatsächlich verlangsamen. Die Studie von Dr. Yang Liu und seinem Team konnte bestätigen, dass eine verminderte Leistung des Rezeptors ein Gleichgewicht der Aktivität der Mikroglia fördert wodurch weniger Entzündungen entstehen. Außerdem konnte der verstärkte Abbau von Beta-Amyloid durch Mikroglia beobachtet werden, wodurch die Ablagerungen im Gehirn von Mäusen reduziert wurden. Bei an Alzheimer erkrankten Mäusen konnten dadurch die kognitiven Fähigkeiten wieder verbessert werden. Diese wichtigen Erkenntnisse können langfristig zur Entwicklung neuer Therapien der Alzheimer-Erkrankung beitragen.
Kontroverse um die Amyloid-Hypothese
Die Suche nach einer Heilung für Alzheimer ist von intensiven Kontroversen geprägt. Ein Schlüsselforschungspapier aus dem Jahr 2006, das Beta-Amyloid als Ursache der Krankheit identifizierte, steht nun unter Verdacht, auf gefälschten Daten zu basieren. Jahrelang konzentrierten sich Wissenschaftler auf Beta-Amyloid, in der Hoffnung, dass die Verhinderung der Bildung von Proteinablagerungen zu wirksamen Behandlungen führen würde. Diese Fokussierung führte jedoch zu keinem bahnbrechenden Erfolg.
Forscher am Krembil Brain Institute in Toronto vertreten die Ansicht, dass Alzheimer eher eine Störung des Immunsystems im Gehirn als eine reine Hirnerkrankung ist. Sie sehen Beta-Amyloid nicht als abnormales Protein, sondern als Teil des Gehirn-Immunsystems, das bei Verletzungen und Infektionen eine Rolle spielt. Aufgrund von Ähnlichkeiten zwischen den Membranen von Bakterien und Gehirnzellen kann Beta-Amyloid diese nicht unterscheiden und greift fälschlicherweise Gehirnzellen an. Dies führt zu einem fortschreitenden Verlust von Gehirnzellen und letztendlich zu Demenz.