Alzheimer und Herpes: Ein möglicher Zusammenhang zwischen Virusinfektionen und Demenz

Die Alzheimer-Forschung deckt immer neue Aspekte der Erkrankung auf. Eine aktuelle Studie deutet darauf hin, dass Herpesviren eine Rolle bei der Entstehung von Alzheimer spielen könnten.

Einführung

Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz und betrifft Millionen von Menschen weltweit. Die Krankheit ist durch den Abbau von Nervenzellen im Gehirn gekennzeichnet, was zu Gedächtnisverlust, kognitiven Beeinträchtigungen und schließlich zum Verlust des Wahrnehmungsvermögens führt. Obwohl die genauen Ursachen von Alzheimer noch nicht vollständig geklärt sind, deuten neue Forschungsergebnisse auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Herpesviren und der Entstehung der Krankheit hin.

Herpesviren und das Gehirn

Herpesviren sind eine Familie von Viren, die beim Menschen weit verbreitet sind. Dazu gehören das Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1), das Varizella-Zoster-Virus (VZV) und das Cytomegalievirus (CMV). Nach der Erstinfektion verbleiben diese Viren in einer Art Ruhemodus lebenslang im Körper und können im Alter wegen des schwächeren Immunsystems wieder ausbrechen. Einige Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Herpesviren ins Gehirn wandern und dort Entzündungen und Schäden verursachen können, die zur Entwicklung von Alzheimer beitragen.

Cytomegalievirus (CMV)

Neun von zehn Menschen, die das Alter von 80 Jahren erreicht haben, tragen das Cytomegalievirus (CMV) in sich. Dieses Virus gehört zur Familie der Herpesviren und kann möglicherweise einen bestimmten Typus der Alzheimer-Krankheit auslösen. Es verbreitet sich über Körperflüssigkeiten wie Muttermilch, Speichel, Blut und Sperma. Nach der ersten Infektion ruht das Virus normalerweise. Eine CMV-Infektion verläuft bei Menschen mit einem gesunden Immunsystem normalerweise ohne oder mit nur leichten Symptomen, wie Erkältungsbeschwerden, Abgeschlagenheit, Fieber und Husten. Bei manchen Menschen scheint das Virus möglicherweise lange aktiv zu bleiben und sich auf die "Superautobahn" zwischen Darm und Gehirn zu begeben, die wissenschaftlich als Vagusnerv bezeichnet wird. Dieser Nerv ist ein wichtiger Vermittler zwischen unserem Magen-Darm-Trakt und dem Gehirn. Bei Patienten, die unter einer bestimmten Form von Alzheimer litten, fand das Wissenschaftsteam Antikörper gegen das Cytomegalievirus im Darm, in der Rückenmarksflüssigkeit und im Gehirn. Im Gehirn stimuliert das Virus offenbar die hirneigene Immunabwehr, um die sich die sogenannten Mikroglia-Zellen kümmern. Sie suchen nach Ablagerungen und nach überzähligen oder kaputten Neuronen und Synapsen, die sie verschlingen. Gerät eine Infektion oder Schädigung außer Kontrolle, schlagen sie Alarm und rufen bestimmte Zellen der Körper-Immunabwehr zu Hilfe. Bei Alzheimer-Patienten sind die Mikroglia ständig überaktiv, was zu einer beständigen Neuroinflammation führt und das zentrale Nervengewebe erkranken lässt.

Herpes-simplex-Virus (HSV) und Varizella-Zoster-Virus (VZV)

Seit Längerem wird darüber diskutiert, welche Bedeutung das Herpes-simplex-Virus (HSV) für Alzheimer hat. Eine neue Studie beweist erneut, dass ein weiterer Übeltäter eine Rolle spielt, nämlich das Varizella-zoster-Virus. Gemeinsam könnten sie eine wesentliche Ursache für die Demenzerkrankung sein. Wer also schon mal an Windpocken erkrankt ist und zusätzlich das HSV in sich trägt, hat ein höheres Risiko, später an Alzheimer zu leiden. Ein Forscher-Team hat nun herausgefunden, dass die Alzheimer-typischen Eiweiß-Plaques bei Menschen, die das Herpes-simplex-Virus und das Varizella-zoster-Virus in sich tragen, verstärkt angestoßen werden. Eine gemeinsame Wirkung beider Virus-Arten gelte damit als eine der wesentlichen Ursachen für die Alzheimer-Krankheit.

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Um herauszufinden, wann genau Herpesviren im Gehirn solche Alzheimer-Symptome hervorrufen, züchteten die Forscher aus neuronalen Stammzellen dreidimensionale Gewebekulturen, die aus menschlichen Neuronen und ihren Hilfszellen, den Gliazellen, bestanden. Im Anschluss infizierten sie diese Zellkulturen mit dem Herpes-simplex- und dem Varizella-zoster-Virus. Waren die Hirnzellen lediglich mit dem VZV infiziert, wurden zwar entzündungsfördernde Botenstoffe ausgeschüttet, nicht aber die Alzheimer-typischen Eiweiß-Plaques. Waren sie vorher allerdings schon mit dem Herpes-simplex-Virus infiziert, reaktivierte die Doppelinfektion die ruhenden HSV-1-Viren. Das wiederum hatte die zügige Bildung jener Eiweiß-Ablagerungen an den Nervenzellen zur Folge. Das bedeutet, dass der Windpocken-Erreger Entzündungssignale im Gehirn verursacht, die dann wiederum Herpes simplex aktivieren kann. Die Studienergebnisse zeigen, welche indirekte Rolle der Virazella-Virus für Alzheimer spielt: Er könnte womöglich die wahre Ursache sein. Eine Infektion mit dem Herpes-simplex-Virus vom Typ 1 allein scheint die Demenzerkrankung nämlich nicht auszulösen - es muss reaktiviert werden, was durch den Windpocken-Erreger geschieht. Bei wem also das Varizella-zoster-Virus erneut ausbricht, z.B. als Gürtelrose, der trägt ein höheres Risiko in sich, dass auch das HSV1 reaktiviert wird. Und dadurch steigt auch die Wahrscheinlichkeit für Eiweißablagerungen an den Nervenzellen bzw. Alzheimer. Allerdings scheinen Menschen, die gegen Gürtelrose bzw. Windpocken geimpft sind, einen gewissen Schutz gegen die Reaktivierung des VZV in sich zu tragen.

Herpes simplex Virus Typ 1

Britische Forscher haben in Hirnproben von verstorbenen Alzheimerpatienten Herpes-simplex-Viren vom Typ 1 gefunden. 90 Prozent der für Alzheimer typischen Amyloidablagerungen, die Plaques, enthielten Virus-DNA. Insgesamt befanden sich 72 Prozent des Virusmaterials in den Plaques. Zwar fanden sie auch in den Kontrollproben von Nicht-Alzheimerpatienten zu 80 Prozent Virusmaterial, doch nur 24 Prozent davon in den krankhaften Proteinablagerungen. «Es kommt sehr spezifisch in den Plaques vor. Das unterstreicht die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus ein Hauptgrund für die Plaquebildung ist», sagt Ruth Itzhaki von der Universität Manchester, Großbritannien. Zusätzlich fanden die Wissenschaftler bei allen sechs Patienten mindestens eine Kopie einer Variante des APOE-ε4-Gens, die mit einem hohen Alzheimerrisiko verbunden ist. Sie vermutet, dass bei älteren Patienten eine schlechtere Immunabwehr eine latente Infektion der Herpesviren im Gehirn zulässt, die das Gehirn normalerweise unter Kontrolle hält. Bei Patienten mit der APOE-ε4-Variante funktioniert dieser Mechanismus nicht mehr, so die Vermutung. Sollten Herpesviren tatsächlich eine Hauptursache der Alzheimererkrankung sein, ließe sich Alzheimer mit Virustatika wie Aciclovir bekämpfen. «Wir haben diese antiviralen Medikamente in infizierten menschlichen Zellen getestet und herausgefunden, dass sie die Last an β-Amyloiden reduzieren», sagt Itzhaki. So benutzen die Viren das Amyloidvorläuferprotein (APP), um sich in den Nervenzellen fortzubewegen. Aus APP wiederum entstehen bei fehlerhafter Abspaltung die gefürchteten β-Amyloide.

Kopfverletzungen und Herpesviren

Eine britische Studie hat gezeigt, dass Kopfverletzungen wie Gehirnerschütterungen die Entstehung einer Alzheimer-Demenz unter bestimmten Umständen begünstigen können. Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass Herpes-Viren ein gesamtes Leben lang im menschlichen Körper überdauern und zu den gefürchteten Ablagerungen (englisch: „Plaques“) im Gehirn führen können, wenn sie auf bestimmte Weise „geweckt“, also reaktiviert werden.

„Geweckt“ werden könnten langfristig im Körper schlummernde Herpes-Viren etwa durch Erschütterungen und Verletzungen des Kopfes. Sie beobachteten, wie leichte Stöße die ruhenden Herpes-Viren aktivierten. „Diese Reaktivierung löste Entzündungen, die Bildung von Beta-Amyloid-Plaques und die Bildung schädlicher Tau-Proteine ​​aus“, resümierte Leslie K. Ferrarelli, die als Forscherin an der Studie beteiligt war. Und weil jene Proteine dafür bekannt sind, neurodegenerative Prozesse im Gehirn und darunter auch eine Alzheimer-Demenz in Gang zu bringen, fügt Ferarelli an: „Die Ergebnisse stellen eine direkte Verbindung zwischen zwei Risikofaktoren in einem Mechanismus her, der zur Demenz-Erkrankung beitragen kann.“

Die Rolle von Amyloid-Plaques

Bei der Alzheimer-Krankheit entstehen in der Großhirnrinde viele abnormale Proteine namens Amyloid-Plaques und Tau-Tangles. Es gibt Hinweise darauf, dass diese Peptide Teil eines Abwehrmechanismus sein könnten. So lautet jedenfalls eine etablierte Hypothese, mit der wir uns ebenfalls beschäftigen. Die Frage: Kämpft unser Körper gegen die Virusinfektion tatsächlich mithilfe einer erhöhten Amyloid-Beta-Produktion - zu dem Preis einer späteren Plaquebildung und einer möglichen Alzheimer-Krankheit? Wir wissen jedenfalls, dass Patienten, die keine antivirale Therapie erhalten haben, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, eine Alzheimer-Krankheit zu entwickeln.

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Forschungsprojekte und Studien

Dr. Oliver Goldhardt

Dr. Oliver Goldhardt von der Technischen Universität in München geht der Frage nach, ob das Herpes-Virus erst dann schädlich ist, wenn Menschen bereits an Alzheimer erkrankt sind. Im gesunden Gehirn ist das lösliche Protein Beta-Amyloid in der Lage, ein schädliches Zusammenspiel zwischen Herpes-Viren und Nervenzellen zu blockieren. Bei der Alzheimer-Krankheit verändert sich dieses lösliche Protein allerdings und lagert sich zu Verklumpungen ab, zu den sogenannten Amyloid-Plaques. Die Konzentration der löslichen Proteine, die einen Schutz vor dem Herpes-Virus bieten, nimmt mit der Alzheimer-Erkrankung also ab. Dr. Oliver Goldhardt untersucht mit seiner Arbeitsgruppe, ob und wie Herpes-Viren zum Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit beitragen.

Dr. Oliver Goldhardt untersucht in seiner Studie ungefähr 100 Menschen, die in einem frühen Stadium an Alzheimer erkrankt sind. Die Aktivität des Herpes-Virus wird gemessen und mit anderen Viren verglichen. Dann wird geprüft, ob das Herpes-Virus den Krankheitsverlaufs negativ beeinflusst. Dies wird an Ergebnissen von Hirnleistungstests und Alzheimer-Biomarkern wie Beta-Amyloid und Tau im Liquor, der Rückenmarksflüssigkeit, dargestellt.

Falls sich bestätigt, dass das Herpes-Virus für Alzheimer-Betroffene zu einem schnelleren Krankheitsverlauf führt, könnte eine Herpes-Behandlung zum Bestandteil der Alzheimer-Therapie werden. Bei Therapien, die auf Beta-Amyloid-Ablagerungen abzielen könnte es wichtig werden zunächst die Herpes-Viruslast im Gehirn zu messen. Langfristig soll dieses Projekt zu einer individuellen und verbesserten Therapie von Alzheimer-Betroffenen führen.

Antivirale Therapie

Eine neue Analyse aus den USA stärkt nun Hinweise, dass mit HSV-1 infizierte Menschen eher an Alzheimer zu erkranken scheinen. Viel spannender ist jedoch: Sie bestätigt auch, dass antivirale Medikamente davor schützen könnten.

Ein Team der University of Washington und des kalifornischen Pharmaunternehmens Gilead Sciences durchforstete Daten der amerikanische Versicherung IQVIA PharMetrics Plus nach Diagnosen und verordneten Medikamenten. Dabei identifizierten die Forschenden fast 350.000 Personen mit Alzheimerdiagnose. Deutlich mehr Alzheimerpatienten mit Herpes-Diagnose. Von den an Alzheimer erkrankten Menschen hatten 1.507 (0,44 Prozent) eine HSV-1-Diagnose erhalten. In der Kontrollgruppe, die genauso viele Personen umfasste, waren es nur 823 (0,24 Prozent) Männer und Frauen - also deutlich weniger.

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Rund 40 Prozent der Personen mit HSV-1-Diagnose in der Vorgeschichte waren mit antiviralen Herpesmedikamenten wie Aciclovir oder Valaciclovir behandelt worden. Ihr Risiko, an Alzheimer zu erkranken, war um 17 Prozent niedriger als für Patientinnen und Patienten, in deren Akten ein entsprechendes Medikament nicht vermerkt war.

Weitere Forschungsergebnisse

  • Epstein-Barr-Virus (EBV): Vor fast jeder MS-Erkrankung trat eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus auf. Mit einer Epstein-Barr-Virus-Infektion ging ein 32-fach erhöhtes Risiko einher, an multipler Sklerose zu erkranken, während andere Viren, wie das zum Vergleich herangezogene Zytomegalievirus, keinen Einfluss hatten.
  • Impfung gegen Varizella-Zoster-Virus: Als diese Impfung eingeführt wurde, beobachteten Fachleute, dass die Zahl von Alzheimererkrankungen zurückging. Ein neuer, verbesserter Impfstoff zeigt sogar noch geringere Erkrankungszahlen als der erste Impfstoff. Sie machen zwar nicht völlig immun gegen das Virus, verhindern jedoch dessen Reaktivierung, die vielfach bei Stress auftreten kann.
  • Long Covid: Bhupesh Prusty von der Universität Riga forscht an Herpesviren wie dem Humanen Herpesvirus 6, kurz HHV-6. Der Virologe konnte dabei bemerkenswerte Verbindungen zwischen Long Covid, neurodegenerativen Erkrankungen und Herpesviren aufdecken. So zeigte er während der Pandemie, dass eine Infektion mit Sars-CoV-2 zur Reaktivierung von Herpesviren beitragen kann. Diese lassen dann die Mitochondrien absterben, die Kraftwerke der Zelle.

Kritik und Einschränkungen

Es gibt derzeit keine Belege dafür, dass eine Impfung oder antivirale Medikamente gegen Alzheimerdemenz wirken. Sich gegen Gürtelrose impfen zu lassen, ist trotzdem sinnvoll, aber nicht wegen der Demenz, sondern weil die Erkrankung richtig unangenehm sein kann.

Die Ansteckung mit dem Epstein-Barr-Virus ist so weit verbreitet, dass irgendwann jede Person infiziert sein wird. EBV gab es vermutlich schon, als der moderne Mensch aus Afrika auswanderte. Da ist es seltsam, dass EBV so plötzlich mit multipler Sklerose assoziiert wird. Hatten die Menschen früher schon MS oder geht das Immunsystem durch unseren veränderten Lebensstil anders mit Herpesviren um?

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