Alzheimer-Früherkennung per App: Ein Überblick über Tests und Möglichkeiten

Die Früherkennung von Demenzerkrankungen, insbesondere Alzheimer, ist entscheidend, um den Krankheitsverlauf durch entsprechende Therapien zu verlangsamen und Betroffenen wertvolle Zeit zu schenken. Bisher erfolgt die Diagnose oft spät und mit aufwendigen Tests. Eine vielversprechende Neuerung stellt hierbei die Nutzung von Smartphone-Apps dar, die eine Früherkennung von Alzheimer ermöglichen sollen. Dieser Artikel beleuchtet die Möglichkeiten und Grenzen solcher Apps, insbesondere im Kontext der von Forschern entwickelten und in Studien getesteten "neotivCare"-App.

NeotivCare: Komfortabler Gedächtnis-Check per App

NeotivCare ist eine digitale Anwendung, die es ermöglicht, Gedächtnisfunktionen selbstständig und in Ruhe zu Hause zu überprüfen. Die App zeichnet sich durch eine intuitive Bedienbarkeit aus und ist für Smartphones und Tablets verfügbar.

Aussagekräftige Beurteilung der Gedächtnisleistung

Die Gedächtnisaufgaben von neotivCare sind auf die relevanten Gehirnregionen abgestimmt. Durch die Wiederholung von drei Aufgabenarten über einen Zeitraum von zwölf Wochen soll das Gesamtergebnis unabhängig von der Tagesform sein. Nach Rücksprache mit einem Arzt können die Gedächtnisaufgaben jährlich wiederholt werden, um mögliche Veränderungen der Gedächtnisleistung zu beobachten.

CE-Kennzeichnung als Medizinprodukt

NeotivCare ist ein CE-gekennzeichnetes Medizinprodukt der Risikoklasse I, konform zur Richtlinie 93/42/EEC (MDD).

Der digitale Ansatz für eine bessere Frühdiagnostik

Forschende des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und der US-amerikanischen University of Wisconsin-Madison haben gemeinsam mit dem Magdeburger Unternehmen neotiv in einer Studie gezeigt, dass sich mit speziellen Testaufgaben auf dem Smartphone "leichte kognitive Beeinträchtigungen" (MCI), die auf eine Alzheimer-Erkrankung hindeuten können, mit hoher Genauigkeit erkennen lassen. Die Ergebnisse unterstreichen das Potenzial mobiler Apps für die Alzheimer-Forschung, klinische Studien und die medizinische Routineversorgung. Die hier untersuchte App wird inzwischen Arztpraxen angeboten, um die Früherkennung von Gedächtnisproblemen zu unterstützen.

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Selbsttests zu Hause im Vergleich zur Klinik

Prof. Emrah Düzel, Neurowissenschaftler am DZNE-Standort Magdeburg und an der Universitätsmedizin Magdeburg sowie Unternehmer in der Medizintechnik, plädiert für einen neuen Ansatz: "Es hat Vorteile, wenn man solche Tests selbstständig durchführen kann und erst zur Auswertung der Ergebnisse eine Praxis aufsuchen muss. So wie man das zum Beispiel von einem Langzeit-EKG kennt. Solche Testungen ohne Aufsicht würden helfen, klinisch relevante Gedächtnisstörungen im Frühstadium zu erkennen und Krankheitsverläufe engmaschiger zu erfassen, als es heute möglich ist. Angesichts jüngster Entwicklungen in der Alzheimer-Therapie und neuer Behandlungsmöglichkeiten wird eine frühzeitige Diagnose immer bedeutsamer."

Dr. David Berron, Forschungsgruppenleiter am DZNE und zugleich Mitgründer von neotiv, erläutert: „Als Bestandteil der Validierung haben wir sowohl dieses neuartige Testverfahren, das keine direkte Aufsicht benötigt, als auch eine etablierte neuropsychologische Untersuchung in der Klinik angewandt. Dabei hat sich gezeigt, dass die neue Methode mit klinischen Untersuchungen vergleichbar ist und leichte kognitive Beeinträchtigungen, auch bekannt als MCI, mit hoher Genauigkeit erkennt. Diese Technologie hat ein enormes Potenzial, Ärztinnen und Ärzten Informationen zur Verfügung zu stellen, die sich bei einem Patientenbesuch in der Klinik nicht ermitteln lassen.“

Studienergebnisse und Teilnehmer

An der Studie nahmen insgesamt 199 Frauen und Männer im Alter über 60 Jahren teil, die entweder in Deutschland oder den USA verortet waren. Die Studiengruppe umfasste Personen, die kognitiv gesund waren, Menschen mit MCI sowie andere mit subjektiv empfundenen, jedoch nicht messbaren Gedächtnisbeschwerden. Grundlage für die Diagnose waren Untersuchungen nach einem etablierten Verfahren, das unter anderem Gedächtnis- und Sprachaufgaben beinhaltet. Außerdem führten alle Probanden über einen Zeitraum von mindestens sechs Wochen mehrfache Gedächtnistests mit der neotiv-App durch.

Die Gedächtnistests der App

Die Testung mit der neotiv-App ist interaktiv und umfasst drei Arten von Gedächtnisaufgaben, die jeweils unterschiedliche Bereiche des Gehirns ansprechen.

  • Test 1: Bilder merken und Unterschiede erkennen. Hier geht es darum, sich Bilder zu merken oder Unterschiede zwischen Bildern zu erkennen, die von der App eingeblendet werden.
  • Test 2: Räumliches Langzeitgedächtnis. Dieser Test prüft das räumliche Langzeitgedächtnis, indem sich die Testpersonen merken müssen, wo sich bestimmte Gegenstände in einem Raum befunden haben.
  • Test 3: Langzeitgedächtnis. Bei diesem Test müssen die Teilnehmenden nach einiger Zeit erkennen, ob sie bestimmte Bilder schon einmal gesehen haben.

Vorteile gegenüber herkömmlichen Methoden

Gegenüber den herkömmlichen Gedächtnistests, die in Arztpraxen oder Gedächtnisambulanzen mit Papier und Stift durchgeführt werden, haben die digitalen Tests einige Vorteile:

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  • Die Tests können bequem von zu Hause durchgeführt werden.
  • Die Tests werden automatisch ausgewertet.
  • Da die Tests wiederholt werden können, fallen tagesformabhängige Schwankungen in der Gedächtnisleistung weniger ins Gewicht und stellen so ein repräsentativeres Bild der tatsächlichen kognitiven Leistung dar.

Es ist wichtig zu betonen, dass die App nicht als alleinstehender Selbsttest gedacht ist, sondern als Teil einer umfassenden Diagnostik und gegebenenfalls späteren medizinischen Begleitung von Demenzerkrankungen. Die Testergebnisse werden in einem Befundbrief zusammengefasst, der als Grundlage für die weitere Diagnostik und Behandlung dient.

Die App als Diagnosehilfe für Arztpraxen

Die App wird schon in klinischen Studien eingesetzt - und mit einigen Krankenkassen gibt es Pilotprojekte, sodass Praxen sie als diagnostisches Hilfsmittel verschreiben können. Denn dass die Technik funktioniert, ist inzwischen belegt. Derzeit arbeitet Berrons Team daran, die Tests noch feinfühliger zu machen und in der Regelversorgung zu etablieren: kein Selbstläufer, denn noch fehlen Leitlinien für solch innovative Ansätze in der Demenzversorgung.

Bilder als Testobjekte

Die App arbeitet mit Bildern; wer das Programm öffnet, durchläuft drei verschiedene Test-Situationen:

  1. Präzision des Gedächtnisses: Aufnahmen von einem Telefon und Schlüssel lassen sich beispielsweise gut auseinanderhalten. Aber wie sieht es aus, wenn zwei verschiedene Telefonmodelle zur Auswahl stehen - gelingt es auch da noch, sich an das vorher präsentierte, richtige Bild zu erinnern?
  2. Assoziatives Gedächtnis: Es wird etwa ein Zimmer mit drei Gegenständen gezeigt. Nach einer halben Stunde muss man sich nicht nur an diese Objekte erinnern, sondern auch an ihre Anordnung innerhalb des Zimmers.
  3. Langzeitgedächtnis: 80 Bilder werden der Reihe nach vorgeführt. Nach einer Stunde werden sie wiederholt, zusammen mit 40 neuen Motiven. Welche der Aufnahmen hat man schon einmal gesehen, welche sind neu?

Die Früherkennung als heiliger Gral der Neurowissenschaft

"Wir wollen mit diesen Tests präzisere Ergebnisse erreichen als die bisherigen Verfahren", sagt David Berron. Die App erkennt nicht nur, ob eine Aufgabe korrekt gelöst wird oder nicht, sondern auch den Weg dorthin. Wie lange hat es bis zur Lösung gedauert? War der Patient oder die Patientin unsicher, hat mehrere Anläufe genommen? Und: Wie entwickelt sich die Leistung über den Zeitverlauf hinweg, hatte die Person vielleicht einfach nur einen schlechten Tag?

Ziel ist es, die Tests so präzise zu justieren, dass man aus dem Ergebnis erkennen kann, welche Gehirnnetzwerke bereits von der Erkrankung betroffen sind. Daraus lassen sich dann Rückschlüsse darauf ziehen, wie fortgeschritten die Erkrankung ist.

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Versorgungsstudie zur Erkennung von MCI

In einer aktuellen Versorgungsstudie wird untersucht, ob digitale Tests auf einem Mobilgerät niedergelassenen Fachärzten bei der Erkennung einer MCI helfen können. Im Rahmen der Studie wird die App "neotivCare" eingesetzt, die vom Magdeburger Start-Up "neotiv" auf der Grundlage langjähriger Forschung des DZNE entwickelt wurde und als Medizinprodukt zugelassen ist.

Langzeitstudien zur Verbesserung der Alzheimer-Diagnose

In einem neuen Forschungsprojekt untersuchen Dr. Berron und sein Team nun in der DELCODE Studie des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen, ob die regelmäßige Anwendung der digitalen Gedächtnistests über einen längeren Zeitraum dazu beitragen kann, den Verlauf der Alzheimer-Erkrankung besser zu verstehen.

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