Die Alzheimer-Krankheit, eine der häufigsten Ursachen für Demenz, betrifft weltweit Millionen von Menschen. Die Suche nach wirksamen Therapien gestaltet sich seit Jahrzehnten schwierig, geprägt von zahlreichen Fehlschlägen und begrenzten Erfolgen. In dieser Situation erregte die Zulassung eines neuen Alzheimer-Medikaments in China im Jahr 2019 große Aufmerksamkeit. Doch wie vielversprechend ist dieser neue Ansatz wirklich?
GV-971: Ein Medikament auf Algenbasis
Das Medikament, bekannt als GV-971, wurde maßgeblich von Professor Dr. Geng Meiyu am Shanghai Institute of Materia Medica der chinesischen Akademie der Wissenschaften entwickelt. Es basiert auf einem Naturstoff namens Natrium-Oligomannurarat (oder Natrium-Oligomannat), der aus Braunalgen gewonnen wird. Der Wirkmechanismus unterscheidet sich von bisherigen Ansätzen in der Alzheimer-Therapie.
Der innovative Wirkmechanismus: Fokus auf das Darm-Mikrobiom
GV-971 zielt darauf ab, die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms zu modulieren. Chinesische Forscher veröffentlichten im Fachjournal »Cell Research« eine Studie, die ein Ungleichgewicht im Darm-Mikrobiom von Alzheimer-Patienten feststellte. Dieses Ungleichgewicht führt demnach zu einer Anreicherung von neuroinflammatorischen Zellen im Darm, die von dort aus ins Gehirn wandern und die Neuroinflammation verstärken, was wiederum die Krankheitsprogression beschleunigt. GV-971 soll dieser Akkumulation entgegenwirken.
Ergebnisse der Phase-III-Studie: Ein Hoffnungsschimmer?
Green Valley Pharmaceuticals, der Hersteller von GV-971, beruft sich auf die Ergebnisse einer abgeschlossenen Phase-III-Studie als Grundlage für die Zulassung in China. An dieser randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Studie nahmen 818 Patienten mit leicht bis mittelschwer ausgeprägter Alzheimer-Erkrankung teil. Die Ergebnisse zeigten, dass GV-971 bereits nach vierwöchiger Anwendung zu einer statistisch signifikanten Verbesserung auf der ADAS-Cog-12-Skala (Alzheimer's Disease Assessment Scale - Cognitive Subscale 12) um durchschnittlich 2,54 Punkte führte. Dieser Effekt hielt über die gesamte Behandlungsdauer von 36 Wochen an.
Skepsis und offene Fragen
Trotz der Zulassung in China und der vielversprechenden Studienergebnisse begegneten andere Alzheimer-Forscher der Nachricht mit Skepsis. Ein Hauptkritikpunkt ist, dass die Studienergebnisse noch nicht in einem wissenschaftlichen Fachjournal mit Peer-Review-Verfahren veröffentlicht wurden. Viele Experten fordern daher mehr Evidenz, um die Wirksamkeit und Sicherheit von GV-971 umfassend beurteilen zu können.
Lesen Sie auch: Informationen für Alzheimer-Patienten und Angehörige
Ein weiterer Diskussionspunkt ist die klinische Relevanz der beobachteten Verbesserung um 2,54 Punkte im ADAS-Cog-12-Score. Es ist umstritten, ob dieser Unterschied für die Patienten tatsächlich eine spürbare Verbesserung ihrer Lebensqualität bedeutet.
Zulassungsstatus und weitere Forschung
Obwohl die chinesische Arzneimittelbehörde NMPA GV-971 zugelassen hat, wurde der Hersteller verpflichtet, den Wirkmechanismus sowie die Langzeit-Wirksamkeit und Sicherheit des Medikaments weiter zu erforschen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit zusätzlicher Studien, um die anfänglichen Ergebnisse zu bestätigen und ein umfassendes Verständnis des Medikaments zu erlangen.
Vergleich mit anderen Alzheimer-Medikamenten
Es ist wichtig, GV-971 im Kontext anderer verfügbarer und in der Entwicklung befindlicher Alzheimer-Medikamente zu betrachten.
Lecanemab (Leqembi)
Ein weiteres neuartiges Alzheimer-Medikament ist Lecanemab (Markenname: Leqembi). Es wurde in den USA, Japan, China, Südkorea und weiteren Ländern zugelassen, jedoch von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) abgelehnt. Lecanemab ist für Menschen mit leichten kognitiven Störungen oder im Frühstadium einer Alzheimer-Erkrankung vorgesehen. Es wirkt, indem es an Beta-Amyloid-Plaques im Gehirn angreift, die als eine der Hauptursachen der Alzheimer-Krankheit gelten. Obwohl Lecanemab die Erkrankung weder heilen noch ihren Verlauf aufhalten kann, vermag es, deren Fortschreiten etwas zu verzögern.
Die EMA begründete ihre Ablehnung mit einem ungünstigen Nutzen-Risiko-Profil, insbesondere aufgrund von Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen und Hirnblutungen. Einige Experten bedauern diese Entscheidung, da Lecanemab bei richtiger Patientenauswahl und Nutzen-Risiko-Abwägung einen Gewinn an "gesunder" Lebenszeit bedeuten könnte.
Lesen Sie auch: Kinder-Alzheimer: Ein umfassender Überblick
Im August 2025 wurde Lecanemab jedoch von der EU-Kommission für eine genau umrissene Gruppe von Patientinnen und Patienten mit Alzheimer im Frühstadium zugelassen.
Donanemab (Kisunla)
Ein weiteres Antikörper-basiertes Alzheimermedikament, Donanemab (Handelsname: Kisunla), erhielt am 25. September 2025 ebenfalls die EU-Zulassung. Donanemab zielt wie Lecanemab auf Amyloid-Plaques im Gehirn ab und soll den geistigen Verfall im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit verlangsamen.
Wichtige Unterschiede zwischen Leqembi und Kisunla sind die Verabreichungsfrequenz (Leqembi alle zwei Wochen als Dauertherapie, Kisunla alle vier Wochen mit Therapieende nach spätestens 18 Monaten) und das Nebenwirkungsprofil.
Traditionelle Alzheimer-Medikamente
Bisher verfügbare Alzheimer-Medikamente wirkten hauptsächlich symptomatisch, indem sie die Hirnleistung stimulierten oder Begleiterscheinungen wie Depressionen behandelten. Im Gegensatz dazu setzen Lecanemab und Donanemab an einer der möglichen Hauptursachen von Alzheimer an: den Amyloid-Plaques.
Die Rolle der Prävention und eines ganzheitlichen Ansatzes
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) betont die Bedeutung eines ganzheitlichen Ansatzes, der neben neuen medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten auch Beratung, Begleitung und Selbsthilfe, nicht-medikamentöse Therapien sowie angemessene Pflege von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen während des gesamten Krankheitsprozesses einbezieht.
Lesen Sie auch: Alzheimer und Demenz im Vergleich
Zudem wird die Bedeutung der Präventionsforschung immer deutlicher. Studien deuten darauf hin, dass Menschen, die regelmäßig Algen verzehren, seltener an Alzheimer erkranken. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Lebensstilfaktoren und Ernährungsgewohnheiten zu untersuchen, die das Risiko für die Entwicklung von Alzheimer beeinflussen könnten.
Die Herausforderungen der Alzheimer-Forschung
Die Alzheimer-Forschung ist mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Eine große Schwierigkeit besteht darin, dass die eigentliche Ursache der Erkrankung trotz großer Anstrengungen noch immer nicht vollständig bekannt ist. Zudem ist die Alzheimer-Demenz eine seit mehr als 100 Jahren beschriebene Erkrankung, deren eigentliche Ursache trotz großer Anstrengungen noch immer nicht bekannt ist. Sie macht zwei Drittel aller Demenzerkrankungen aus. Aktuell wird von mehr als 50 Millionen Erkrankten weltweit ausgegangen. Hochrechnungen zeichnen ein dramatisches Szenario mit 106 bis 360 Millionen Erkrankten im Jahr 2050.
Ein weiteres Problem ist die hohe Misserfolgsquote bei der Entwicklung neuer Medikamente. Eine 2014 publizierte Untersuchung ergab eine Misserfolgsquote von 99,6 % für in klinischen Studien erprobte Alzheimer-Medikamente.
Die Zukunft der Alzheimer-Therapie
Trotz der Herausforderungen gibt es Grund zur Hoffnung. Die Entwicklung von Medikamenten wie GV-971, Lecanemab und Donanemab zeigt, dass die Forschung Fortschritte macht und neue Therapieansätze entwickelt werden.
Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass eine erfolgreiche Alzheimer-Therapie in Zukunft auf einer Kombination verschiedener Ansätze basieren wird. Mögliche Ansatzpunkte sind neben den Amyloid-Plaques auch die sogenannten Tau-Proteine, die sich bei Alzheimer ebenfalls im Gehirn ansammeln, entzündliche Prozesse sowie kardiovaskuläre Begleiterkrankungen.
Zudem wird die Bedeutung der frühzeitigen Diagnose und Behandlung immer deutlicher. Viele Experten sind sich einig, dass die Behandlung sehr frühzeitig begonnen werden muss, wenn sie noch wirksam ins Krankheitsgeschehen eingreifen soll, und nicht erst, wenn die Alzheimer-Symptome schon ausgeprägt sind.
tags: #Alzheimer #Medikament #China