Die Alzheimer-Krankheit ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die durch den Verlust von kognitiven Fähigkeiten wie Gedächtnis, Denkvermögen und Orientierung gekennzeichnet ist. Bisher gibt es keine Heilung für Alzheimer, aber es gibt Medikamente, die den Krankheitsverlauf verlangsamen und bestimmte Symptome lindern können. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Alzheimer-Medikamente, ihre Wirkungsweise, Nebenwirkungen und die Erfahrungen von Patienten und Experten.
Neue Therapieansätze: Leqembi (Lecanemab)
Verfügbarkeit und Zulassung
Leqembi (Wirkstoff: Lecanemab) ist ein neuer Antikörper-Wirkstoff zur Behandlung der frühen Alzheimer-Krankheit, der gezielt eine Vorstufe der für Alzheimer typischen Amyloid-beta-Protein-Plaques im Gehirn erkennt und bindet. In den USA wurde dem Wirkstoff am 6. Januar 2023 unter dem Handelsnamen Leqembi eine vorläufige Marktzulassung erteilt, die vollständige Zulassung durch die US-Arzneimittelbehörde (FDA) folgte am 6. Juli 2023. Am 15. April 2025 erfolgte die Zulassung durch die Europäische Kommission. Seit dem 25. August 2025 ist Leqembi in Österreich und seit dem 1. September 2025 in Deutschland erhältlich.
Wirkungsweise und Zielgruppe
Leqembi reduziert schädliche Amyloid-beta-Ablagerungen im Gehirn, indem es das körpereigene Immunsystem aktiviert und die Plaques abbaut bzw. die Bildung neuer Plaques verhindert. Der Wirkstoff kommt nur für Menschen infrage, die sich im frühen Stadium der Erkrankung befinden und bislang nur geringe Einbußen ihrer geistigen Leistungsfähigkeit haben. Dazu zählen vor allem Personen mit einer Alzheimer-Diagnose im Stadium eines Mild Cognitive Impairment (MCI, zu Deutsch „leichte kognitive Störung“) oder im frühen Stadium einer Alzheimer-Demenz.
Voraussetzungen für die Behandlung
Wer mit Leqembi behandelt werden kann, muss in jedem Einzelfall genau geprüft werden. Die krankhaften Amyloid-beta-Ablagerungen müssen im Gehirn nachgewiesen werden - entweder durch eine Lumbalpunktion oder mittels Amyloid-PET. Auch genetische Voraussetzungen spielen eine Rolle: Erkrankte dürfen höchstens eine Kopie des sogenannten ApoE4-Gens tragen. Personen mit zwei Kopien sind wegen der erhöhten Gefahr für Hirnblutungen von der Behandlung ausgeschlossen. Leqembi eignet sich außerdem nicht für Menschen, die Gerinnungshemmer einnehmen, da in Kombination mit dem Medikament das Risiko für eine Hirnblutung deutlich steigt. Zusätzlich ist die Teilnahme an einem EU-weiten Register verpflichtend.
Anzahl potenzieller Patienten
Nach einer Einschätzung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) von Mai 2025 erfüllt etwa 1 von 100 Menschen mit einer Alzheimer-Demenz alle Voraussetzungen für eine Behandlung mit Leqembi, also in etwa 12.000 Erkrankte. Neuere Berechnungen von August 2025 - etwa des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) - sprechen von bis zu 73.000 Patientinnen und Patienten in Deutschland, was bei 1,2 Millionen Erkrankten etwa 6 Prozent entspricht. Diese Zahl gilt jedoch als optimistische Obergrenze. In der Praxis wird die Zahl deutlich niedriger sein, da die aufwendige Diagnostik, mögliche Ausschlusskriterien und begrenzte ärztliche Kapazitäten berücksichtigt werden müssen.
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Verabreichung und Kontrollen
Leqembi wird als Infusion (Tropf) alle zwei Wochen direkt in die Vene verabreicht. Die Behandlung dauert jeweils etwa eine Stunde. Vor Beginn und während der Behandlung sind MRT-Untersuchungen notwendig, um mögliche Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder kleine Blutungen im Gehirn frühzeitig zu erkennen. Diese Untersuchungen müssen vor der 5., 7. und 14. Dosis erfolgen. Werden die vorgeschriebenen MRTs nicht durchgeführt, muss die Behandlung beendet werden. Treten Kopfschmerzen, Verwirrtheit oder Übelkeit auf, entscheiden die behandelnden Ärztinnen und Ärzte über weitere Untersuchungen.
Nebenwirkungen von Leqembi
In Studien traten bei einem Teil der Teilnehmenden Nebenwirkungen auf - darunter Hirnschwellungen (ARIA-E) und Hirnblutungen (ARIA-H). Diese waren in den meisten Fällen symptomlos, wurden aber engmaschig kontrolliert. Das Risiko für solche Nebenwirkungen hängt stark vom ApoE4-Gen ab: Menschen mit zwei Kopien dieses Gens sind besonders gefährdet und daher von der Behandlung ausgeschlossen. Bei den für die EU-Zulassung relevanten Patientengruppen - also Menschen mit höchstens einer Kopie des ApoE4-Gens - kam es in rund 13 % der Fälle zu Hirnblutungen und in 9 % zu Hirnschwellungen. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen (11 %) und Infusionsreaktionen (26 %). In der Studie wurden drei Todesfälle gemeldet, von denen zwei mit der gleichzeitigen Einnahme von Gerinnungshemmern in Verbindung gebracht wurden.
Studienergebnisse zur Wirksamkeit
Ausschlaggebend für die Zulassung von Lecanemab waren die Ergebnisse der Phase-3-Studie CLARITY AD, die im November 2022 auf der Alzheimer-Konferenz Clinical Trial on Alzheimer´s Disease (CTAD) vorgestellt wurden. An der CLARITY AD-Studie hatten insgesamt 1.795 Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder leichter Alzheimer-Demenz teilgenommen. Während des 18-monatigen Untersuchungszeitraums wurde in regelmäßigen Abständen kognitive Fähigkeiten, wie das Gedächtnis, die Orientierung oder die Fähigkeit, Probleme zu lösen, von Fachleuten überprüft. Ergebnis der Studie war, dass die Krankheit bei denjenigen, die Lecanemab erhielten, um 27 Prozent langsamer voranschritt als bei der Kontrollgruppe. Trotz der messbaren Wirksamkeit wird die Wirkung von Leqembi von vielen Expertinnen und Experten eher als moderat eingeschätzt. Es ist fraglich, inwieweit die Wirkung für an Alzheimer erkrankte Menschen spürbar ist und im Alltag einen Unterschied macht. Die Studie hat jedoch gezeigt, dass sich der verzögernde Effekt mit der Dauer der Einnahme zunimmt. Das könnte bedeuten, dass eine Einnahme über den Zeitraum der bisher untersuchten 18 Monate hinaus die Wirksamkeit von Lecanemab noch erhöht.
Antidementiva: Cholinesterasehemmer und Glutamat-Antagonisten
Antidementiva können helfen, den geistigen Abbau zu verlangsamen und die Selbstständigkeit länger zu erhalten. Es gibt zwei Wirkstoffgruppen, die je nach Stadium der Erkrankung zur Anwendung kommen: Acetylcholinesterase-Hemmer und Glutamat-Antagonisten.
Acetylcholinesterase-Hemmer
Diese Medikamente verbessern die Signalübertragung im Gehirn, indem sie den Abbau des Botenstoffs Acetylcholin hemmen. Sie kommen bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz zum Einsatz. In Deutschland sind derzeit drei Cholinesterasehemmer auf dem Markt:
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- Donepezil (z. B. Aricept®)
- Rivastigmin (z. B. Exelon®) - auch als Pflaster
- Galantamin (z. B. Reminyl®)
Studien zeigen, dass die Cholinesterasehemmer Donepezil, Galantamin und Rivastigmin bei Menschen mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz den Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit leicht verzögern können. Einige Menschen mit Alzheimer-Krankheit, die eines der Medikamente regelmäßig einnehmen, können sich dadurch beispielsweise Dinge etwas besser merken. Allerdings können alle drei Substanzen Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Schwindel oder Durchfall haben. Dies führt dazu, dass manche Menschen die Einnahme abbrechen. Höhere Dosierungen rufen öfter Nebenwirkungen hervor.
Glutamat-Antagonisten
Memantin wird bei mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Demenz verordnet. Es schützt Nervenzellen vor einer Überstimulation durch Glutamat, einen wichtigen Botenstoff im Gehirn. Die Studienlage zu Memantin ist recht dünn. Die meisten Aussagen beschränken sich maximal auf einen sechsmonatigen Behandlungszeitraum, innerhalb dessen bei einem von zehn Probanden (!) ein verzögerter Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit festgestellt wurde. Es gibt keine wissenschaftlichen Belege, dass Patientinnen und Patienten mit einer mittelschweren oder schweren Alzheimer-Demenz von Medikamenten profitieren, die den Wirkstoff Memantin enthalten. Die am häufigsten „aufgetretenen unerwünschten Arzneimittelwirkungen“ bei Memantin sind Schwindel, Kopfschmerzen, Verstopfung, Schläfrigkeit und erhöhter Blutdruck.
Weitere Medikamente und Behandlungsansätze
Ginkgo biloba
Neben Antidementiva kann auch der pflanzliche Wirkstoff Ginkgo biloba zur Unterstützung der kognitiven Funktionen eingesetzt werden. Der Extrakt aus den Blättern des Ginkgo-Baums gilt als gut verträglich, kann aber Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten haben. Deshalb sollte die Einnahme immer ärztlich abgeklärt werden. Laut der aktuellen S3-Leitlinie Demenzen gibt es Hinweise auf eine Wirksamkeit bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz.
Neuroleptika
Neuroleptika werden bei bestimmten Begleiterscheinungen der Alzheimer-Krankheit eingesetzt. Dazu gehören herausfordernde Verhaltensweisen wie plötzliche Wutausbrüche sowie Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Wegen möglicher Nebenwirkungen ist der Einsatz von Neuroleptika mit Vorsicht zu bewerten. Viele Fachleute halten den Einsatz von Neuroleptika und anderen Gruppen der Psychopharmaka bei neurodegenerativen Erkrankungen für hochbedenklich, da sie die kardiovaskuläre Sterblichkeit signifikant erhöhen und die Sturzneigung fördern können.
Antidepressiva
Depressionen treten bei Menschen mit Demenz häufig auf und sollten behandelt werden, da sie sich negativ auf die Lebensqualität und die geistige Leistungsfähigkeit auswirken können. Die S3-Leitlinie Demenzen von Februar 2025 empfiehlt zur Behandlung von Depressionen bei Alzheimer-Demenz den Einsatz von Mirtazapin oder Sertralin. Die Auswahl des Medikaments sollte individuell erfolgen, da manche Antidepressiva unerwünschte Nebenwirkungen haben können - zum Beispiel ein erhöhtes Sturzrisiko oder eine verstärkte Blutungsneigung. Neben Medikamenten können kognitive Verhaltenstherapie, Bewegungstherapie oder Musiktherapie helfen, depressive Symptome zu lindern.
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Palliative Versorgung
Palliative Versorgung kann Menschen mit Alzheimer in allen Krankheitsphasen entlasten - nicht nur am Lebensende. Palliativversorgung bedeutet mehr als die Behandlung körperlicher Beschwerden wie Schmerzen, Atemnot oder Unruhe. Sie berücksichtigt auch seelische und soziale Aspekte sowie persönliche Werte und Wünsche. Ziel ist es, Symptome zu lindern und eine möglichst gute Lebensqualität zu ermöglichen - unabhängig vom Krankheitsstadium. Gerade in fortgeschrittenen Phasen fällt es vielen Menschen mit Alzheimer schwer, ihre Beschwerden mitzuteilen.
Herausforderungen und Kritik
Begrenzte Wirksamkeit und hohe Kosten
Viele Expertinnen und Experten schätzen die Wirkung von Alzheimer-Medikamenten als moderat ein. Es ist fraglich, inwieweit die Wirkung für an Alzheimer erkrankte Menschen spürbar ist und im Alltag einen Unterschied macht. Zudem sind die Kosten für die Behandlung oft sehr hoch, insbesondere bei neuen Medikamenten wie Leqembi.
Nebenwirkungen und Risiken
Alzheimer-Medikamente können erhebliche Nebenwirkungen haben, die die Lebensqualität der Patienten beeinträchtigen können. Insbesondere Neuroleptika sind mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und Stürze verbunden.
Übermedikation und Polypharmazie
Ältere Menschen nehmen häufig mehrere Medikamente gleichzeitig ein, was das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen erhöht. In manchen Fällen werden Nebenwirkungen von Arzneimitteln als eigenes Problem eingeschätzt und wiederum medikamentös therapiert, was zu einer sogenannten „Verschreibungskaskade“ führen kann.
Einfluss der Pharmaindustrie
Kritiker bemängeln den Einfluss der Pharmaindustrie auf Medikamentenstudien, Zulassungsverfahren und Leitlinien. Es besteht die Gefahr, dass Daten und Ergebnisse zunächst für Pharmawerbezwecke und erst danach für die Forschung genutzt werden.
Die Rolle von Medikamenten-Toxizität bei Demenz
Es gibt Hinweise darauf, dass Medikamenten-Toxizität eine Rolle bei der Entstehung von Demenz spielen kann. Chronische kognitive Beeinträchtigungen aufgrund von Medikamenten sind eine besondere Herausforderung, insbesondere bei älteren Menschen, die anfälliger für Nebenwirkungen sind. Einige Studien deuten darauf hin, dass chronische Delirzustände, die durch Medikamente verursacht werden, fälschlicherweise als Demenz diagnostiziert werden können.
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