Die Anästhesie bei neurochirurgischen Eingriffen erfordert ein spezifisches Vorgehen, um die zerebrale Oxygenierung sicherzustellen und optimale Operationsbedingungen zu gewährleisten. Dieser Artikel beleuchtet wichtige Aspekte und Leitlinien, die in der neurochirurgischen Anästhesie zu beachten sind.
Präoperative Beurteilung und Risikostratifizierung
Vor neurochirurgischen Eingriffen ist eine sorgfältige präoperative Evaluierung und Risikostratifizierung unerlässlich. Neben der üblichen Anamnese und körperlichen Untersuchung gilt es, spezielle Krankheitsbilder wie das obstruktive Schlafapnoesyndrom (OSAS) zu berücksichtigen, welches bei Patienten mit Morbus Cushing oder Akromegalie häufiger auftritt. Diese Patienten benötigen postoperativ eine besondere Überwachung, idealerweise für 24 Stunden auf einer Aufwachstation oder Intensivstation.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem intrakraniellen Druck (ICP). Raumforderungen wie Tumore können benachbarte Kompartimente verdrängen und die Zirkulation von Blut und Liquor behindern. Begleiterkrankungen, Syndrome und Verletzungen, die ursächlich für den Eingriff sind, müssen präoperativ berücksichtigt werden (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Präoperative Maßnahmen bei spezifischen Befunden/Störungen
| Befund bzw. Störung | Maßnahme |
|---|---|
| Kortisontherapie | Labor: Blutzucker, Elektrolyte, evtl. Kortison-Cover-Schema |
| Hyper-/Hypoglykämie | BZ präoperativ zwischen 80-150 mg/dl einstellen |
| Diabetes mellitus | An diabetische Neuropathie denken; Dokumentation von sensorischen Ausfällen |
| Dehydratation/Volumenmangel | Nach individuellem Bedarf präoperativ ausgleichen |
| Störung der Blutgerinnung | Labor: PTT, Quick, Thrombozyten, ggf. Thrombozytenfunktionstestung (In-Vitro Blutungszeit, induzierte Thrombozytenaggregation, Impedanzaggregometrie) Evtl. Ursache klären (z. B. Hepathopathie, kongenitale Gerinnungsstörung) Für ausreichende Menge an Blutprodukten sorgen Thrombozytenaggregationshemmer zeitgerecht absetzen, Umstellung auf Heparin |
| Krampfanfälle | Art der Anfälle (fokal, generalisiert) Medikamentöse Therapie (effektiv?) Labor: Transaminasen (Antikonvulsiva), Kalzium, Albumin, evtl. Antikonvulsiva-Spiegel-Bestimmungen |
| Neurologische Ausfälle | Dokumentation: Art der Störung, Lokalisation, zeitlicher Verlauf, evtl. neurologisches Konsil |
| Verdacht auf SAB | Optimieren des Blutdrucks, auf Einklemmungszeichen achten. Ggf. 12-Kanal-EKG; ggfs. Cave: Addison-Krise, Hydrokortisongabe |
| Akromegalie | Erschwertes Atemwegsmanagement; wache orale fiberoptische Intubation vorbereiten Begleiterkrankungen: Hypertonie, Diabetes mellitus, Schlafapnoe, Kardiomyopathie, Karpaltunnelsyndrom: kollaterale Blutversorgung der Hand eingeschränkt (A. ulnaris) |
| TSH-produzierender Tumor | Labor: fT3, fT4, TSH, euthyreote Stoffwechsellage anstreben. Struma kann zu Intubationskomplikationen führen |
Es wird gezielt nach vorherigen Operationen in Allgemeinanästhesien gefragt. Frühere frontotemporale und temporale Kraniotomien können aufgrund von narbigen Veränderungen des Temporalmuskels eine verringerte Mundöffnung zur Folge haben. Besonders Patienten mit frontalen Störungen können wesensverändert und damit nicht in der Lage sein, rechtskräftig in die Narkose einzuwilligen. Auf kognitive Störungen sowie Störungen der Urteilsfähigkeit sollte besonders geachtet werden, da diese teilweise sehr subtil sein können. Eine orientierende Untersuchung ist mit dem Mini-Mental-State Test sowie dem Uhren-Zeichen-Test möglich.
Bei Patienten mit ischämischer Herzerkrankung sollte vor elektiven Operationen eine interdisziplinäre Risikoeinschätzung erfolgen und ggf. Vielfach sind neurochirurgische Eingriffe jedoch nicht aufschiebbar, sodass ein kardiales Risiko gegen das Risiko einer verzögerten Operation abgewogen werden muss. Auch hier muss die Entscheidung mit allen beteiligten Fachabteilungen gemeinsam mit dem Patienten und dessen Angehörigen getroffen werden. aufgrund der Erkrankung bzw. Verletzung keine Seltenheit.
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Die Mehrzahl der neurochirurgischen Patienten, besonders derer mit Spinalkanalerkrankungen, ist über 50 bzw. 70 Jahre alt. Somit besteht eine erhöhte Prävalenz für Beeinträchtigungen des kardiovaskulären Systems, daher ist bei elektiven neurochirurgischen Patienten präoperativ die Anwendung des „Revised Cardiac Risk Index“ (RCRI) zur perioperativen kardiovaskulären Evaluierung von nichtkardiochirurgischen Patienten sinnvoll.
Intraoperative Aspekte
Ziele der Anästhesie speziell bei neurochirurgischen Patienten sind die Sicherstellung der zerebralen Oxygenierung sowie Herstellung und Sicherung optimaler Operationsbedingungen. Ein „entspanntes“ Gehirn ohne anästhesiebedingte Volumenzunahme erleichtert den Zugang zum Operationsgebiet und minimiert die Gefahr einer Einklemmung von Hirngewebe durch die Kraniotomieöffnung.
Bei neurochirurgischen Eingriffen werden meist Retraktoren eingesetzt, um eine freie Sicht auf den Operationssitus zu erhalten. Falls der Retraktordruck den Perfusionsdruck übersteigt, kann Hirngewebe geschädigt werden. Die Summe aller anästhesiologischen und pharmakologischen Maßnahmen zur Entspannung des Gehirns und zur perioperativen Neuroprotektion wurde als „chemischer Retraktor“ bezeichnet. Ein optimales Anästhesiemanagement verbessert die zerebrale Ischämietoleranz, steigert nicht das CBV, hält einen ausreichenden MAP und CPP aufrecht und verhindert Anstiege des ICP.
Venöse Luftembolie (VLE)
Von besonderer Bedeutung ist neben der Sicherstellung einer adäquaten zerebralen Durchblutung vor allem das Erkennen und Behandeln einer venösen Luftembolie (VLE). Der hier zugrundeliegende Pathomechanismus einer VLE ist durch das erhöhte Operationsgebiet in Relation zum Herzen und der daraus resultierenden hydrostatischen Druckdifferenz zwischen einer offenen Vene und dem Herzen begründet. Wenn die eingetretene Luft in das pulmonalarterielle Stromgebiet gelangt, entsprechen die Auswirkungen primär einer Lungenarterienembolie und können bis zum Rechtsherzversagen und Reanimationspflichtigkeit führen. Hervorzuheben ist, dass die Auswirkungen einer VLE nicht primär vom Volumen der eingetretenen Luft selbst, sondern vom eingetretenen Volumen pro Zeit abhängig sind. Eine besondere Risikokonstellation bei Operationen in (halb-)sitzender Lagerung ergibt sich bei Vorhandensein eines persistierenden Foramen ovale (PFO). In dieser Situation kann es durch den direkten Übertritt von Luftblasen aus dem rechten in das linke Herz zu zerebralen und koronaren Gefäßembolien mit konsekutivem Schlaganfall und Myokardinfarkt kommen. Für die Anästhesie ergeben sich dadurch die Anforderungen, sowohl ein PFO vor Lagerungsbeginn als auch eine intraoperative VLE zu erkennen und zu beurteilen sowie in Kommunikation mit den operativen Partnern gezielt zu therapieren. Durch die transösophageale Echokardiographie (TEE) kann eine VLE direkt visualisiert werden. Je nach Schweregrad der VLE sind verschiedene Maßnahmen zu ergreifen: Information an die Operateure, Vermeidung des weiteren Lufteintritts, Therapie der hämodynamischen Veränderungen, Evaluation der Ausprägung und ggf. der Versuch der Aspiration der eingetretenen Luft bzw.
Postoperative Phase
Neurochirurgische Patienten gehören zur Patientengruppe mit mittlerem bis hohem Risiko für postoperative Thrombosen und Embolien. Eine mechanische Thromboseprophylaxe mit Kompressionsstrümpfen bzw. intermittierender pneumatischer Kompression oder mittels niedermolekularen Heparinen (LMWH) ist obligat. Beide Methoden müssen ggfs. kombiniert werden. Ein Absetzen der Prophylaxe mit LMWH am Vorabend der Operation ist ausreichend. Wann die Prophylaxe postoperativ weitergeführt werden kann, hängt vom Ausmaß der Operation, dem intraoperativen Befund sowie dem Befund im postoperativen CT-Bild ab.
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Die Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin beteiligt sich am „Qualitätsvertrag Delir“. Zur Prävention und möglichen Früherkennung eines postoperativen Delirs werden Patienteninnen mit besonders hohem Risiko für ein Delir in Rahmen des Vorgespräches in der Anästhesieambulanz identifiziert So können die Therapie -und vor allem Präventionsmaßnahmen gemeinsam mit den Patientinnen und Angehörigen abgestimmt und vorbereitet werden, wie z.B. das Mitbringen von Hörgeräten und Sehhilfen.
Antithrombotische Therapie und perioperatives Management
Die Guidelines des American College of Cardiology bzw. der American Heart Association 2014 empfehlen, nach Implantation eines Drug-eluting-Stents (DES) chirurgische Eingriffe mindestens 12 Monate zu verschieben. Ggf. kann ein Eingriff auch bereits nach 6 Monaten durchgeführt werden, „wenn das Risiko einer weiteren Verzögerung größer ist als das erwartete Risiko einer Ischämie und Stentthrombose“. Innerhalb der ersten 6 Wochen nach Stenting erleiden 1 von 10 Patienten nach einem chirurgischen Eingriff einen „major adverse cardiac event“, im Zeitraum 6 Wochen bis 6 Monate immer noch 1 von 20 Patienten. Interessanterweise fand diese Studie keinen Unterschied in der Eventrate zwischen DES und Bare-metal-Stents (BMS). Nach dieser Zeit stabilisiert sich das periprozedurale Risiko auf ca. Das periprozedurale Risiko nach Ballonangioplastie ist hingegen bereits 2 Wochen nach dem Eingriff niedrig, sodass diese oder eine operative Revaskularisierung vor einer nicht oder nur kurz aufschiebbaren Operation erwogen werden sollten.
Bei unaufschiebbaren Interventionen kann ggf. Clopidogrel vorher abgesetzt und ASS weitergeführt werden. Allerdings fand eine Metaanalyse auch bei alleiniger ASS-Gabe bei intrakraniellen Eingriffen ein deutlich erhöhtes Blutungsrisiko. Der passende Operationszeitpunkt kann durch Bestimmung der Medikamentenwirkung mittels induzierter Thrombozytenaggregation n. Born oder Impedanzaggregometrie (Multiplate; Kap. „Bedside-Monitoring der Blutgerinnung“) festgelegt werden.
Ein Bridging mit niedermolekularen Heparinen, unfraktioniertem Heparin, direkten Thrombininhibitoren oder GPIIb/IIIa-Antagonisten kann diskutiert werden, ist jedoch für die Gruppe der neurochirurgischen Patienten nicht durch Studien abgesichert. Bei Patienten unter plättchenhemmender Therapie kann in Notfällen eine zumindest partielle Antagonisierung durch Gabe von Thrombozytenkonzentraten, Desmopressin oder Tranexamsäure versucht werden. Allerdings ist die Effektivität von Thrombozytenkonzentraten bei dieser Indikation nur durch eine Studie mit kleiner Fallzahl abgesichert. Weiterhin zeigen ca. 9-21 % der Patienten eine Resistenz gegen Plättchenhemmer, weshalb vor Thrombozytengabe die Thrombozytenfunktion z. B.
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