Angst ist ein grundlegendes menschliches Gefühl, das eine entscheidende Rolle für unser Überleben spielt. Sie versetzt uns in Alarmbereitschaft, schärft unsere Sinne und bereitet uns auf eine mögliche Bedrohung vor. Doch was genau passiert in unserem Gehirn, wenn wir Angst empfinden? Welche Hirnregionen sind an der Verarbeitung von Angst beteiligt und wie beeinflusst Angst unsere Gehirnstruktur und -funktion?
Die neuronalen Grundlagen der Angst
Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass vor allem die Amygdala, auch Mandelkern genannt, eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Verarbeitung von Angst spielt. Die Amygdala ist Teil des limbischen Systems, einem Netzwerk von Hirnstrukturen, das für die Verarbeitung von Emotionen, das Gedächtnis und das Verhalten zuständig ist.
Die Amygdala: Die Alarmanlage des Gehirns
Die Amygdala fungiert als eine Art Alarmanlage, die blitzschnell Situationen bewertet und Gefahren einschätzt. Sie erhält Informationen aus verschiedenen Sinnesorganen und verarbeitet diese auf zwei Wegen:
- Der schnelle Weg: Direkt vom Thalamus, einer zentralen Schaltstelle für Nachrichten von den Sinnesorganen, erhält die Amygdala eine grobe Skizze der Situation. Dieser Weg ist schnell, aber auch fehleranfällig.
- Der langsame Weg: Über den Neocortex und den Hippocampus erhält die Amygdala eine detailliertere Analyse der Situation. Dieser Weg ist langsamer, aber genauer.
Sobald die Amygdala eine Gefahr erkennt, aktiviert sie verschiedene Verhaltensprogramme, die von Erstarren über Flucht bis zum Angriff reichen können. Sie informiert auch den Hirnstamm und die Großhirnrinde, die weitere körperliche Reaktionen auslösen, wie z.B. einen erhöhten Herzschlag, beschleunigte Atmung, Muskelanspannung und Schweißausbrüche.
Weitere beteiligte Hirnregionen
Neben der Amygdala sind auch andere Hirnregionen an der Verarbeitung von Angst beteiligt, darunter:
Lesen Sie auch: Schlaganfall und Angst: Was Sie wissen müssen
- Der Hippocampus: Er spielt eine wichtige Rolle bei der Speicherung von Erinnerungen und ermöglicht es uns, angstauslösende Situationen wiederzuerkennen.
- Der Gyrus cinguli: Diese Hirnregion ist an der langfristigen Speicherung von Gedächtnisinhalten und bei der Regulierung von Aufmerksamkeit und Affekten beteiligt.
- Der präfrontale Cortex: Dieser Teil des Gehirns ist für die Kontrolle von Emotionen und die Bewertung von Stressoren zuständig. Er hilft uns, zu entscheiden, ob wir eine Situation als bewältigbar einschätzen oder nicht.
- Der Hypothalamus: Als Schaltzentrale im Zwischenhirn bewirkt der Hypothalamus sekundär über den Start einer hormonellen Kaskade die Angst- und Paniksymptome.
Die Auswirkungen von Angst auf das Gehirn
Angst kann nicht nur unsere momentane Stimmung und unser Verhalten beeinflussen, sondern auch langfristige Veränderungen in unserem Gehirn hervorrufen.
Synaptische Plastizität und Angst
Eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Angst spielt die synaptische Plastizität, die Fähigkeit von Synapsen, sich in ihrer Stärke zu verändern. Synapsen sind die Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen, über die Informationen übertragen werden.
- Veränderungen in der Synapsenanzahl: Studien an Mäusen haben gezeigt, dass kurz nach einem Angst-Erlebnis die Synapsen im Hippocampus vorübergehend dichter werden. Später kommt es zu dauerhaften Veränderungen im Gyrus cinguli und in der Amygdala. Im präfrontalen Cortex nimmt die Zahl der Dornen und somit der Synapsen ab.
- Semaphorine: Die Pharmakologin Rohini Kuner von der Universität Heidelberg untersucht, wie Semaphorine, Moleküle, die das Wachstum von Nervenzellen und Dornen stimulieren können, bei der Entstehung und Verarbeitung von Angst eine Rolle spielen.
Extinktionstraining und das Verlernen von Angst
Durch ein Extinktionstraining kann man lernen, dass ein zuvor angstauslösender Reiz keine Gefahr mehr darstellt. Dabei wird das zuvor Gelernte nicht vergessen oder ausgelöscht, sondern etwas Neues gelernt: „Der Ton macht keine Angst.“ Dieser neue Gedächtnisinhalt konkurriert dann mit dem alten Gedächtnisinhalt: „Der Ton macht Angst.“
- Molekulare Kaskaden: Das einmalige Vorspielen des ursprünglich angstauslösenden Tons scheint die Spuren der Erinnerung zu labilisieren. Die molekularen Kaskaden, die an der ursprünglichen Kodierung der Erinnerung beteiligt waren, werden wieder aktiv; das Erinnerte muss wohl erneut verfestigt werden.
- D-Cycloserin (DCS): Das Antibiotikum D-Cycloserin (DCS), das auch NMDA-Rezeptoren in der Zellmembran aktiviert, kann den Erfolg eines Extinktionstrainings verbessern und so den neuen Gedächtnisinhalt schneller lernen.
Das Löschen von Angst-Erinnerungen
In einer Untersuchung der zellulären Veränderungen im präfrontalen Cortex zeigte sich, dass es manchmal eben doch klappt, ein Verhalten zu löschen. Dabei integriert ein Teil des präfrontalen Cortex als Assoziationszentrum aktuelle sensorische Signale unter anderem mit Gedächtnisinhalten und emotionalen Bewertungen aus Amygdala und Hippocampus und spielt so eine wichtige Rolle bei ihrer Neubewertung.
- Histon-Deacetylase-Inhibitoren: Sogenannte Histon-Deacetylase-Inhibitoren können die Struktur des Genoms so verändern, dass die Gene für neuronale Plastizität benötigten Moleküle wieder abgelesen werden. So gelang es 2014 im Mausmodell, auch schon seit Langem verfestigte Angsterinnerungen auszulöschen.
- THC: THC, der Hauptwirkstoff von Cannabis, scheint die Plastizität im Hippocampus und präfrontalen Cortex, die für das Extinktionstraining besonders benötigt wird, anzukurbeln.
Stress und Angst
Stress kann Angst erhöhen. Der Glucocorticoidrezeptor für das Stresshormon Cortisol vermittelt verstärkte Angst. Forscher des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie konnten erstmals nachweisen, dass nicht nur die Hirnregion, sondern auch die Art der Neuronenpopulation eine entscheidende Rolle spielt.
Lesen Sie auch: Gehirnstrukturen und Angstreaktionen
- Glutamaterge und GABAerge Neuronen: Nur Mäuse, in denen der Glucocorticoidrezeptor in glutamatergen Neuronen ausgeschaltet war, hatten weniger Angst. Die andere Gruppe mit einer Manipulation in GABAergen Neuronen zeigte keinen Effekt auf die Angst.
Angststörungen
Wenn die Angst zu lange andauert, zu häufig auftritt oder dann auftaucht, wenn gar keine Gefahr besteht, spricht man von einer Angststörung. Angststörungen können das Leben der Betroffenen stark beeinträchtigen und zu Vermeidungsverhalten und Beeinträchtigungen im Alltag führen.
Vulnerabilitäts-Stress-Modell
Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell besagt, dass jeder Mensch eine ganz eigene Verletzlichkeit aufweist. Menschen, die eine hohe biologische Verletzlichkeit mitbringen, überschreiten die Schwelle zur Angststörung schneller - bei ihnen können anhaltender Stress oder dramatische Ereignisse das Fass eher zum Überlaufen bringen und eine Angsterkrankung auslösen.
Therapie von Angststörungen
Es gibt verschiedene Therapieansätze für Angststörungen, darunter:
- Expositionstherapie: Dabei werden die Betroffenen schrittweise mit den angstauslösenden Situationen konfrontiert, um die Angst zu verlernen.
- Kognitive Verhaltenstherapie: Dabei lernen die Betroffenen, ihre Gedanken und Verhaltensweisen zu verändern, um ihre Angst zu reduzieren.
- Medikamente: Serotonin-Wiederaufnahmehemmer können bei der Behandlung von Angststörungen eingesetzt werden.
Die positive Seite der Angst
Obwohl Angst oft als ein negatives Gefühl wahrgenommen wird, hat sie auch positive Seiten. Sie kann uns vor Gefahren schützen, unsere Sinne schärfen und uns zu Höchstleistungen anspornen. Ein mittleres Maß an Angst ist sogar hilfreich bei Prüfungen, denn es macht wachsam und ruft so eine optimale Leistungsfähigkeit hervor. Angst kann sogar Spaß machen, sie ist sozusagen das Salz in der Suppe. Viele Menschen nutzen die Angst als Nervenkitzel. Wenn wir uns einer (sicheren) Mutprobe stellen und sie bestehen, gewinnen wir an Selbstbewusstsein dazu.
Lesen Sie auch: Wie man Angst bewältigt: Eine Anleitung