Angst vor Schlaganfall in der Schwangerschaft: Ursachen, Symptome und Prävention

Ein Schlaganfall während der Schwangerschaft ist ein seltenes, aber ernstes Ereignis, das sowohl für die werdende Mutter als auch für das ungeborene Kind eine große Herausforderung darstellt. Obwohl Schlaganfälle in der Schwangerschaft insgesamt selten sind, ist es wichtig, die Risikofaktoren, Symptome und Präventionsmaßnahmen zu kennen, um das Risiko zu minimieren und im Notfall schnell handeln zu können.

Erhöhtes Schlaganfallrisiko in der Schwangerschaft

Jüngere Frauen haben während der Schwangerschaft oder nach der Entbindung ein erhöhtes Risiko für einen Schlaganfall. Laut einer Analyse von Eliza Miller von der Columbia University New York erleiden jährlich 14 von 10.000 Schwangeren einen Schlaganfall. Bei nicht schwangeren Frauen beträgt die Inzidenz jedoch nur 6,4 von 100.000 Frauen.

Es gibt mehrere Gründe, warum das Schlaganfallrisiko während der Schwangerschaft erhöht ist:

  • Blutdruck und Gerinnungsfähigkeit: Auch bei einer komplikationsfreien Schwangerschaft steigen Blutdruck und Gerinnungsfähigkeit des Blutes.
  • Schwangerschaftskomplikationen: Häufige Schwangerschaftskomplikationen wie Hypertonie, Präeklampsie oder Diabetes erhöhen das Risiko zusätzlich.
  • Geburt: Unter den Wehen können Thromben durch ein offenes Foramen ovale ins Gehirn driften oder Aneurysmen platzen.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen für einen Schlaganfall in der Schwangerschaft sind vielfältig. Zu den wichtigsten Risikofaktoren gehören:

  • Schwangerschaftshypertonie: Schwangerschaftshypertonie umfasst verschiedene Formen von Bluthochdruck, die während der Schwangerschaft auftreten, einschließlich schwangerschaftsinduzierter Hypertonie, Präeklampsie und Eklampsie. Schwangerschaftshypertonie bezeichnet einen erhöhten Blutdruck, der während der Schwangerschaft auftritt. Zu den Formen gehören die Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, die nach der 20. Schwangerschaftswoche beginnt, Präeklampsie, bei der zusätzlich zur Hypertonie Proteinurie und Organfunktionsstörungen auftreten, und Eklampsie, bei der Krampfanfälle hinzukommen. Diese Zustände stellen erhebliche Risiken für Mutter und Kind dar, darunter vorzeitige Geburt, Wachstumsverzögerung des Fötus und mütterliche Komplikationen wie Nierenversagen und Schlaganfall.
    • Schwangerschaftsinduzierter Hypertonus (SIH): Der schwangerschaftsinduzierte Hypertonus tritt ab der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) auf und ist durch Blutdruckwerte von ≥140/90 mmHg gekennzeichnet, die erstmals in der Schwangerschaft bei zuvor normotonen Frauen beobachtet werden. Eine schwere Form der Gestationshypertonie liegt vor, wenn die Blutdruckwerte ≥160/110 mmHg erreichen. Frauen mit schweren Blutdruckwerten haben ein 25%iges Risiko, eine Präeklampsie zu entwickeln.
    • Gestationsproteinurie: Die Gestationsproteinurie ist definiert als neu auftretende Proteinurie in der Schwangerschaft mit einer Ausscheidung von ≥300 mg Protein pro Tag oder einem Protein-Kreatinin-Verhältnis von ≥30 mg/mmol, ohne dass eine vorbestehende Nierenerkrankung vorliegt. Wenn die Proteinurie vor der 20. SSW auftritt, deutet dies auf eine bereits bestehende Nierenerkrankung hin.
    • Präeklampsie: Präeklampsie ist gekennzeichnet durch das Auftreten von Hypertonie (Blutdruck ≥140/90 mmHg) während der Schwangerschaft, begleitet von mindestens einer neu auftretenden Organmanifestation, wobei die Nieren am häufigsten betroffen sind (Proteinurie von ≥300 mg/Tag oder ein Protein-Kreatinin-Verhältnis von ≥30 mg/mmol). Auch pathologische Präeklampsie-Marker im Serum können vorhanden sein.
      • Früh einsetzende Präeklampsie: Tritt bis zur 33+6 SSW auf und ist mit einer höheren Morbidität und Mortalität für Mutter und Kind verbunden als die spät einsetzende Form.
      • Spät einsetzende Präeklampsie: Tritt ab der 34. SSW auf.
      • Schwere Präeklampsie: Umfasst Kriterien wie Blutdruckwerte von ≥160/110 mmHg, die das Schlaganfallrisiko erhöhen, neurologische Störungen, Leberfunktionsstörungen, hämatologische Veränderungen (wie Thrombozytopenie <100.000/μL und Hämolysezeichen), Nierenfunktionsstörungen (Oligurie oder Serumkreatininwerte >1,1 mg/dL bzw. 97 μmol/L), respiratorische Störungen (z.B. Lungenödem) und intrauterine Wachstumsretardierung.
    • Eklampsie: Eklampsie stellt eine schwerwiegende Komplikation der Präeklampsie dar, die durch das Auftreten von Krampfanfällen charakterisiert ist. Ein weiteres schwerwiegendes Krankheitsbild ist das HELLP-Syndrom (Inzidenz ca. 0,1-0,5% aller Geburten und etwa 10 bis 20% aller Frauen mit Präeklampsie), ein lebensbedrohlicher Zustand während der Schwangerschaft, der mit typischen Laborveränderungen wie Hämolyse, erhöhten Leberenzymwerten und niedriger Thrombozytenzahl (<100 G/l) einhergeht.
  • Chronische Hypertonie: Bluthochdruck, der vor der 20. SSW diagnostiziert wird und in primäre und sekundäre Hypertonie sowie Weißkittelhypertonie unterteilt wird.
    • Primäre Hypertonie: Keine spezifische Ursache identifiziert.
    • Sekundäre Hypertonie: Aufgrund anderer medizinischer Zustände, wie Nierenerkrankungen oder endokrine Störungen.
    • Weißkittelhypertonie: Erhöhter Blutdruck in klinischen Umgebungen, aber normal zu Hause.
  • Thrombophilie: Eine erhöhte Neigung zu Blutgerinnseln kann das Risiko für einen Schlaganfall erhöhen.
  • Herzerkrankungen: Angeborene oder erworbene Herzerkrankungen können das Risiko ebenfalls erhöhen.
  • Diabetes: Sowohl Typ-1- als auch Typ-2-Diabetes können das Schlaganfallrisiko erhöhen.
  • Migräne: Migräne, insbesondere mit Aura, kann das Risiko für einen Schlaganfall erhöhen.
  • Alter: Mit zunehmendem Alter steigt die Zahl der Schlaganfälle. Die Inzidenz nimmt allerdings bei nicht schwangeren Frauen stärker zu als bei Schwangeren.

Symptome eines Schlaganfalls

Die Symptome eines Schlaganfalls sind vielfältig und können je nach betroffenem Hirnbereich variieren. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

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  • Plötzliche Schwäche oder Taubheit im Gesicht, Arm oder Bein, meist einseitig
  • Sprachstörungen (undeutliche Sprache, Schwierigkeiten, Worte zu finden oder zu verstehen)
  • Sehstörungen (verschwommenes Sehen, Doppeltsehen, Gesichtsfeldausfälle)
  • Schwindel und Gleichgewichtsstörungen
  • Starke Kopfschmerzen, oft in Kombination mit anderen Symptomen
  • Bewusstseinsverlust oder Krampfanfälle

Wichtig: Bei Verdacht auf einen Schlaganfall zählt jede Minute. Rufen Sie sofort den Notruf (112) und schildern Sie die Symptome.

Diagnose

Die Diagnose eines Schlaganfalls basiert auf der klinischen Untersuchung und bildgebenden Verfahren wie Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns. Diese Untersuchungen helfen, die Art des Schlaganfalls (ischämisch oder hämorrhagisch) zu bestimmen und andere mögliche Ursachen für die Symptome auszuschließen.

Therapie

Die Therapie eines Schlaganfalls in der Schwangerschaft ist komplex und erfordert ein interdisziplinäres Team aus Neurologen, Geburtshelfern und Anästhesisten. Die Behandlung zielt darauf ab, die Durchblutung des Gehirns wiederherzustellen (bei ischämischen Schlaganfällen) oder die Blutung zu stoppen (bei hämorrhagischen Schlaganfällen) und weitere Komplikationen zu vermeiden.

  • Medikamentöse Therapie: In bestimmten Fällen können blutverdünnende Medikamente (Thrombolyse) eingesetzt werden, um ein Blutgerinnsel aufzulösen und die Durchblutung wiederherzustellen. Allerdings muss das Risiko für Mutter und Kind sorgfältig abgewogen werden. Bei Eklampsie werden Hydralazin, Urapidil, Nifedipin und Labetalol als Antihypertensiva, außerdem Magnesiumsulfat als Antikonvulsivum verwendet. "Wenn sich Hinweise für Ischämien zeigen, dann sollte außerdem auch in der Schwangerschaft ASS gegeben werden", so Lichy. In niedriger Dosis von 75 bis 100 mg könne das ab dem zweiten Trimenon als sicher angesehen werden.
  • Chirurgische Eingriffe: In einigen Fällen kann ein chirurgischer Eingriff erforderlich sein, um ein Blutgerinnsel zu entfernen oder eine Blutung zu stoppen.
  • Entbindung: In manchen Fällen kann eine vorzeitige Entbindung erforderlich sein, um die Gesundheit der Mutter zu schützen.
  • Überwachung: Nach einem Schlaganfall ist eine engmaschige Überwachung von Mutter und Kind erforderlich, um mögliche Komplikationen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Prävention

Es gibt verschiedene Maßnahmen, die Frauen ergreifen können, um das Risiko für einen Schlaganfall in der Schwangerschaft zu minimieren:

  • Gesunde Lebensweise: Eine gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung und der Verzicht auf Rauchen und Alkohol können das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfälle generell senken.
  • Blutdruckkontrolle: Frauen mit Bluthochdruck sollten ihren Blutdruck regelmäßig kontrollieren und gegebenenfalls medikamentös behandeln lassen.
  • Risikofaktoren minimieren: Übergewicht sollte reduziert und eine gesunde Ernährung angestrebt werden. Stress sollte möglichst vermieden und Entspannungstechniken erlernt werden.
  • Früherkennung: Im Rahmen des Ersttrimester-Screenings lässt sich über eine Kombination aus Ultraschall, Blutdruckmessung bei der Mutter und den Blutwerten eine Berechnung erstellen, ob die Patientin ein erhöhtes Präeklampsie-Risiko hat. Zeigt das Ergebnis ein mögliches Risiko an, kann über die Gabe von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure die Gefahr für eine schwere und frühe Präeklampsie gesenkt werden. Wichtig: Jegliche Einnahme von Medikamenten in der Schwangerschaft sollte nur auf ärztlichen Rat erfolgen beziehungsweise vorab mit den behandelnden Ärzt:innen geklärt werden.
  • Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen: Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen beim Frauenarzt sind wichtig, um Risikofaktoren frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Schwangerschaftsbedingte Herzschwäche (Peripartale Kardiomyopathie, PPCM)

Kurzatmigkeit, Abgeschlagenheit und geschwollene Beine: Gegen Ende der Schwangerschaft oder nach der Geburt erscheinen solche Symptome bei einer Frau nicht ungewöhnlich. Sie können aber Anzeichen einer ernsthaften Erkrankung sein, der schwangerschaftsbedingten Herzschwäche, medizinisch peripartale Kardiomyopathie (PPCM) oder Schwangerschafts-Kardiomyopathie genannt. „Ein möglicher Auslöser für diese Form der Herzschwäche ist das Stillhormon Prolaktin, das über eine komplexe molekulare Kette das Herz schädigt“, sagt Kardiologe Prof. Dr. med. Johann Bauersachs vom Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung und Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Rechtzeitig erkannt und behandelt, erholt sich das Herz oft vollständig. Wird die Erkrankung zu spät erkannt, kann sie jedoch dramatisch verlaufen. Schätzungen zufolge entwickelt sich bei einer von 1000 bis 1500 Schwangerschaften eine peripartale (auch: postpartale) Kardiomyopathie. Das Problem: Die Anzeichen ähneln Beschwerden, die gegen Ende der Schwangerschaft und nach der Entbindung auftreten können. „Die Symptome werden deshalb häufig fehlgedeutet und zunächst nicht mit einer Schwäche des Herzens in Verbindung gebracht“, sagt Prof. Dr. Denise Hilfiker-Kleiner, Leiterin der Molekularen Kardiologie und Forschungsdekanin der MHH und Mitglied des Wissenschaftsrats. Wichtig sei es aber, bei Schwangeren oder Wöchnerinnen, die eines oder mehrere der genannten Symptome zeigen, immer auch an eine Schwangerschafts-Kardiomyopathie zu denken. Bei Verdacht auf PPCM reicht ein EKG allein nicht aus. Zur Diagnose ist neben einer Ultraschall-Untersuchung des Herzens (Echokardiographie) auch ein Bluttest nötig, um die Proteine nachzuweisen, die eine Herzschwäche anzeigen. Mit diesen beiden Methoden lässt sich die Erkrankung schnell feststellen oder ausschließen. Steht die Diagnose PPCM fest, ist fast immer ein Krankenhausaufenthalt nötig. Unter einer frühzeitig eingeleiteten Herzinsuffizienztherapie in Kombination mit dem Prolaktinblocker Bromocriptin und einer zumindest prophylaktischen Antikoagulation hat die schwangerschaftsbedingte Herzschwäche eine gute Prognose und die meisten Patientinnen erholen sich. Je nach Schwere der Erkrankung kann es notwendig sein, die Patientin künstlich zu beatmen oder Herzunterstützungssysteme einzusetzen. Wird die Diagnose rechtzeitig gestellt und frühzeitig eine Therapie eingeleitet, sind die Heilungschancen gut. Bei mehr als der Hälfte der Patientinnen mit PPCM erholt sich das Herz innerhalb des ersten Jahres nach Diagnose vollständig. Dreißig bis 40 Prozent der Frauen müssen in der Folge aber leichte Beeinträchtigungen in Kauf nehmen, viele erholen sich aber im weiteren Verlauf und nur bei etwa zehn Prozent der Betroffenen bleibt eine schwere Herzschwäche bestehen.

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Der Einfluss der Schwangerschaft auf das Kind

Nicht nur die Gesundheit der Mutter ist wichtig, sondern auch der Einfluss der Schwangerschaft auf das Kind. Wie die Schwangere, so ihr Kind. Prof. Dr. Schon Einflüsse im Mutterleib prägen das ungeborene Kind, zum Teil lebenslang. Stress der Mutter führt dazu, dass ihr Kind schneller und oft gestresst ist, aber unter Stress auch vergleichsweise gute Leistungen erbringt. Pränataler Stress könnte den geistigen Abbau im Alter bedingen, besagt eine der neuesten Hypothesen. Ängstliche Schwangere haben tendenziell eher vorsichtige Babys, die Gefahren blitzschnell erkennen. In einer sicheren Umwelt kann das allerdings ungünstig sein. Als „Fetale Alkohol-Spektrum-Störungen“ werden alle alkoholbedingten Schädigungen auf die Entwicklung des Babys im Mutterleib bezeichnet. Alkohol ist ein giftig wirkender Stoff für das Kind, der die Plazenta ungehindert passiert, weshalb schon kleine Mengen bleibende Schäden verursachen können. Ein gestörtes Wachstum, Schädigungen des Gehörs, des Sehsystems sowie des Herzens können beispielsweise die Folgen sein. Im Januar 2016 listete das kanadische Center for Addiction and Mental Health in Ontario 428 einzelne Entwicklungsdefizite auf, die durch Alkohol verursacht werden. Lana Popova, die Hauptautorin der in Lancet erschienen Übersichtsarbeit betont, dass es keine Menge und keine Phase in der Schwangerschaft gäbe, in der Alkohol nicht schade. Auch könnten Schädigungen in jedem Organ des Körpers auftreten. Kinder tragen je zur Hälfte die Gene von Vater und Mutter in ihren Zellen, somit könnte man davon ausgehen, dass sie von beiden Eltern je den gleichen Anteil unterschiedlicher Eigenschaften erben. Tatsächlich aber redet die Frau weit stärker mit. Im Mutterleib wirken Ernährung und Emotionen, vermittelt durch Botenstoffe, auf das Baby ein und verändern unter anderem die Signatur der Gene, sprich wie der genetische Bauplan in den Zellen in Proteine übersetzt wird. Dies geschieht unter anderem, indem sich Methylgruppen an die Bausteine des genetischen Codes heften. Es klingt eigentlich zu platt, um wahr zu sein: Glückliche Schwangere gebären glückliche Kinder. Wer in den Umständen cool bleibt, bekommt ein gelassenes Baby und wer überängstlich durch die zehn Monate schlingert, hat auch ein unausgeglichenes Kind. Kann das stimmen? Fragt man Neonatologen, Geburtsmediziner und Neurowissenschaftler nach den Zusammenhängen zwischen der Zeit im Mutterleib und dem späteren Charakter des Kindes, erstaunt die Antwort: „Vieles ist zwar noch Gegenstand der Grundlagenforschung, aber es ist naheliegend, dass eine glückliche Mutter tendenziell eher ein glückliches Kind bekommt“, sagt Andreas Plagemann, Geburtsmediziner an der Charité. Während der zehn Monate werden zentrale Regelkreise im Gehirn und in den Genen kalibriert. Dieser Vorgang der fetalen Programmierung prägt ein Leben lang das Verhalten. Ein solcher Stempel zum Beispiel ist der Stress, den eine werdende Mutter während der Schwangerschaft empfindet. Unter Stress wird im Körper Cortisol ausgeschüttet. Etwa zehn Prozent des Hormons passieren die Plazentaschranke und erreichen das kindliche Gehirn. Die Auswirkungen von Cortisol auf Kinder sind sehr gut erforscht - auch deshalb, weil etwa jede zehnte Schwangere vorzeitig Wehen bekommt und die Ärzte dann Stresshormone spritzen, um die Lunge des Babys schneller heranreifen zu lassen. Der pharmakologische Stresslevel lässt sich messen und mit dem Verhalten des Kindes in Beziehung setzen. Ein bisschen scheint zu genügen, um das Verhalten dauerhaft zu verändern: Wenn Schwangere nur an zwei Tagen Stresshormone bekamen, waren ihre Kinder noch mit acht Jahren wesentlich stressempfindlicher, zeigte Matthias Schwab, Neurologe vom Universitätsklinikum Jena, in einer noch unveröffentlichten Untersuchung. Er machte bei den entsprechenden Kindern auch häufiger ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom aus: Die Betroffenen können sich dabei schlechter konzentrieren und seltener ruhig verhalten als andere Altersgenossen. Selbst der Intelligenzquotient lag niedriger. Auch eine Frühgeburt könnte solche Auffälligkeiten erklären. Stress wird im Gehirn vornehmlich von Hippocampus und Hypothalamus reguliert. Ist beim Baby während der Schwangerschaft der Cortisolspiegel dauerhaft erhöht, wird dies als Normalzustand festgelegt. Die körpereigenen Stresssysteme werden so justiert, dass das Kind schneller und auch häufiger gestresst ist - was es aber auch braucht, um zur Höchstform aufzulaufen. Die Stressachse, also die Aktivierungskette innerhalb der Stresssysteme, wird hyperaktiv, erläutert Schwab. Für einen einmaligen Beziehungsstreit oder eine Auseinandersetzung auf der Arbeit hat aber bisher niemand eine solche Veränderung des Verhaltens beim Nachwuchs beobachtet. Die Wirkungen werden vielmehr bei jenen Personen festgestellt, die sich fast immer sehr gestresst und nervös fühlten. Einen detaillierten Einblick in die Mechanismen dieser frühen Justierung der Stressempfindsamkeit geben Tierversuche von Forschern um Tracy Bale von der University of Pennsylvania School of Veterinary Medicine. Sie konnten in einer Studie zeigen, dass mütterlicher Stress die Synthese eines Enzyms namens OGT - ortho-​N-​Acetylglucosamintransferase - vermindert, wodurch das Gehirn ihrer Feten vor der Geburt reprogrammiert wird. Schon bei Geburt auf Stress geeicht zu sein, ist dennoch nicht per se schlecht. „Evolutiv ist das von Vorteil“, betont Schwab, „weil diese Menschen schneller auf der Hut sind und sich kaum leichtfertig in Gefahr begeben.“ Doch für die Nervenzellen ist die ständige Alarmbereitschaft auf lange Sicht ungünstig. Cortisol fördert den Zelltod, hemmt das Zufriedenheitshormon Serotonin und bedingt einen erhöhten Blutdruck. Deshalb bekommen Dauergestresste auch häufiger Schlaganfälle und haben eine kürzere Lebenserwartung. Und damit der Nachteile nicht genug, vermutet Schwab: Weil das Stresshormon den Zelluntergang antreibt, erwartet er, dass Stress im Mutterleib den geistigen Abbau im Alter vorzeichnet. Rührt die Epidemie der Demenzen in den Industrienationen also vom Dauerstress der Schwangeren? Diesem Verdacht geht Schwab zurzeit im EU-​Projekt BrainAging auf den Grund. Entsprechende Langzeituntersuchungen am Menschen fehlen noch. Doch Tierversuche deuten in diese Richtung, findet Schwab: Pränataler Stress führe zu einer vorzeitigen Alterung des Gehirns bei Mäusen und auch bei Primaten. „Wir sehen eine frühere Atrophie. Das Gehirn wird vereinfacht gesprochen runzliger.“ Nicht nur Stress, sondern sogar spezifische Emotionen wie die Angst der Mutter in der Schwangerschaft hinterlassen Spuren im Kind. Das legen nicht nur, aber vor allem die Untersuchungen der Psychologin Bea van den Bergh von der Tilburg University in Belgien nahe. Sie erhob schon 1989 anhand eines standardisierten psychologischen Tests die Angst von 86 Schwangeren zu verschiedenen Zeitpunkten. Ihr fiel auf, dass Kinder von Müttern, die zwischen der 12. und 22. Schwangerschaftswoche sehr furchtsam waren, in den ersten sieben Lebensmonaten viel schrien und besonders unregelmäßig schliefen und aßen. In der ersten Schwangerschaftshälfte werden nahezu alle Nervenzellen im Gehirn angelegt und, so vermutet van den Bergh, das limbische System, die Stressachse und verschiedene Neurotransmittersysteme im Gehirn der Babys auf den erlebten Angstlevel hin geeicht. Zumal Angst in den grauen Zellen ähnlich verarbeitet wird wie Stress. Solche Erfahrungen im Mutterleib würden sich bestimmt herauswachsen, könnte man meinen. Doch dem widersprechen van den Berghs Arbeiten. Mit acht bis neun Jahren beurteilten Lehrer und Mütter jene Kinder häufiger als besonders schwierig, unkonzentriert und rastlos, die von einer überängstlichen Frau ausgetragen wurden. Diese Mütter hatten in einem standardisierten Test zur Ermittlung der Ängstlichkeit besonders hohe Werte erzielt, weil sie beispielsweise angaben, sehr oft nervös, rastlos, besorgt, unruhig zu sein und sich vor einem Unglück fürchten würden. Dieser seelische Dauerzustand wirkte sich auf ihre Kinder nachhaltig aus. Auch als Jugendliche im Alter von vierzehn bis fünfzehn sind sie in Tests noch immer impulsiver. Etwa antworten sie schneller, aber machen mehr Fehler als andere Kinder. Auch mit knapp zwanzig Jahren blieben die Unterschiede zu van den Berghs Überraschung bestehen: „Sie sind in den kognitiven Tests nicht unbedingt schlechter. Sie sind beispielsweise kreativer und reagieren viel stärker auf Lob“, betont sie. „Aber in Settings mit wenig Reizen, etwa einer langweiligen Schulstunde, fallen sie häufig in ihrem Verhalten aus dem Rahmen. Sie können sich nicht konzentrieren. Nur unter Stress - ihrem Normalzustand - kommen sie gut klar.“ In den vergangenen Jahren konnte van den Bergh ergründen, wie die Angst der Mutter sich auf das Baby niederschlägt. Über die Maßen besorgte Frauen haben besonders wenig von einem spezifischen Enzym, dass dafür sorgt, dass das Stresshormon Cortisol abgebaut wird, ehe es die Plazenta passiert. Das Gehirn und die Gene des Ungeborenen werden deshalb besonders hohen Werten von Cortisol ausgesetzt. Das wirkt sich auf ganz spezifische Verhaltensweisen aus. Babys ängstlicher Schwangerer reagierten etwa einer Studie zufolge auf einen harmlosen da-​da-​dada-​Ton im Alter von neun Monaten fortwährend mit innerer Alarmbereitschaft. Gewöhnlich lernen die Säuglinge, wenn sie das Geräusch einige Male gehört haben, dass es nichts bedeutet und beachten es nicht weiter. „In einer sicheren Umwelt ist diese sensible Reaktion von Nachteil und begünstigt Angsterkrankungen und andere psychische Auffälligkeiten“, glaubt van den Bergh. Die Kleinen reagierten in einem standardisierten Test aber auch stärker auf panische Frauenstimmen und schenkten ihnen verglichen mit heiterem Geplauder mehr Aufmerksamkeit. Sie sind also nicht nur ängstlicher, sondern filtern auch angsterzeugende Informationen viel stärker aus ihrer Umwelt. Für Kinder, die in einem Krisengebiet geboren werden, ist das von Vorteil. Nicht nur die emotionale Lage, auch das Essverhalten der Mutter beeinflusst das Kind, das sie austrägt. Wie stark dieser Einfluss sein kann, fiel Forschern schon vor Jahren bei der Krankheit Diabetes mellitus auf. Sie wird zwei bis drei Mal häufiger über die mütterliche Linie weitergegeben. Warum, war lange nicht klar. Heute ist die Antwort bekannt: Das Überangebot an Nahrung und Blutzucker während der Schwangerschaft macht die Stoffwechselschieflage auch beim Baby zur Norm. Gewöhnlich helfen die Hormone Leptin und Insulin die Zuckerflut zu bewältigen und vermitteln auch das Signal fürs Sattsein. Doch das Gehirn der Babys von Diabetikerinnen spricht auf diese Stoffe kaum an. Das wirkt sich zeitlebens auf ihr Essverhalten aus. Sie brauchen viele Kalorien, um ihren Hunger zu stillen. Sogar Hinweise auf eine mögliche Suchtgefährdung durch die Ernährung der Mutter fanden Forscher - zumindest bei Tierversuchen. Zucker und Alkohol sprechen im Gehirn die gleichen Belohnungssysteme an. Kinder, in deren Familien Alkoholmissbrauch vorkommt, verzehren oft auch besonders viele Süßwaren. Vierzehn Teelöffel in einem Glas Wasser sind ihnen gerade Recht - doppelt so süß wie handelsübliche Cola. Andere Kinder sind dagegen schon mit zehneinhalb Löffeln zufrieden, belegt eine Studie der amerikanischen Entwicklungsbiologin Julie Mennella aus dem Jahr 2010. Werden im Mutterleib also schon die Weichen für eine spätere Sucht gestellt, wenn die Schwangere viel Süßes isst? Die Meinungen der Forscher darüber gehen auseinander. „Die weißen Kristalle machen süchtig“, sagt der Epidemiologe Simon Thornley vom Auckland Regional Public Health Service. Doch Avena, die die bedenklichen Befunde erhob, schreckt davor zurück, Zucker als pränatale Einstiegsdroge einzuordnen.

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