In den letzten Jahren hat die Forschung zunehmend Verbindungen zwischen verschiedenen neurologischen Entwicklungsstörungen aufgedeckt. Eine besonders interessante Konstellation bilden Autismus, Epilepsie und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), wobei auch die frühere Bezeichnung Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) relevant ist. Dieser Artikel beleuchtet die Zusammenhänge dieser Erkrankungen und gibt einen Überblick über aktuelle Erkenntnisse.
Diabetes in der Schwangerschaft und neurologische Entwicklungsstörungen
Bereits vor einigen Jahren wurde ein Zusammenhang zwischen Schwangerschaftsdiabetes und Autismus bei Kindern festgestellt. Eine aktuelle Studie bestätigt nun eine Korrelation zwischen Diabetes der Mutter während der Schwangerschaft und verschiedenen neurologischen Entwicklungsstörungen ihrer Kinder. Die Auswertung von Daten aus Taiwan, die über 870.000 Kinder umfasste, zeigte, dass Diabetes während der Schwangerschaft das Risiko für Autismus, ADHS, Entwicklungsverzögerungen, geistige Behinderungen, Zerebralparesen und Epilepsie erhöhen kann. Dabei hatten Frauen mit Typ-1-Diabetes überdurchschnittlich häufig Kinder mit Entwicklungsverzögerungen, geistigen Behinderungen und Epilepsie, während Typ-2-Diabetes mit einem erhöhten Risiko für Autismus, ADHS, Entwicklungsverzögerungen, geistige Behinderungen, zerebrale Lähmungen und Epilepsie assoziiert war. Schwangerschaftsdiabetes war laut den vorliegenden Daten mit einem erhöhten Risiko für Autismus, ADHS und Entwicklungsverzögerungen verbunden.
Autismus, ADHS und Epilepsie: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Autismus-Spektrum-Störungen (ASS), ADHS und Epilepsie sind neurologische Entwicklungsstörungen, die oft gemeinsam auftreten. Es wird vermutet, dass es einen gemeinsamen genetischen Hintergrund gibt, der das Auftreten dieser Erkrankungen begünstigt.
Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)
ASS sind durch Beeinträchtigungen in der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie durch repetitive Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen gekennzeichnet. Die Ausprägung der Symptome kann dabei sehr unterschiedlich sein, weshalb man von einem Spektrum spricht.
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
ADHS ist durch Probleme mit Aufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität gekennzeichnet. Betroffene haben oft Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, Aufgaben zu organisieren und impulsive Handlungen zu kontrollieren.
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Epilepsie
Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte epileptische Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch unkontrollierte elektrische Entladungen im Gehirn. Es gibt verschiedene Arten von Anfällen, die sich in ihren Symptomen und ihrer Dauer unterscheiden.
Das gemeinsame Auftreten von Autismus und Epilepsie
Ca. 10-40 % der Menschen mit ASS haben auch Epilepsie. Und Menschen mit Epilepsie haben wiederum ein höheres Risiko, Autismus zu entwickeln. Laut einer Meta-Analyse leiden über 6 % der Menschen mit Epilepsie auch an einer Form von ASS. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen mit Epilepsie ist ein Zusammenhang zu beobachten. Je ausgeprägter die geistige Behinderung bei von Autismus betroffenen Kindern ist, desto häufiger sind primär fokale oder multifokale Anfallsformen zu beobachten. Ursache sind überwiegend symptomatisch fokale Epilepsien, da sich der Anteil idiopathisch fokaler Epilepsien gegenüber einem Kollektiv ohne Autismus wenig ändert.
Rolando-Epilepsie: Eine spezielle Form der Epilepsie im Kindesalter
Die Rolando-Epilepsie (RE) ist die häufigste Epilepsie-Form im Kindesalter. Sie tritt zwischen dem 3. und 13. Lebensjahr auf und wächst sich normalerweise ohne bleibende Schäden aus, sobald die Jugend erreicht ist. Charakteristisch für die RE sind nächtliche Anfälle beim Schlafen. Die epileptischen Anfälle zeichnen sich durch ungewöhnliche Empfindungen im Gesichtsbereich und Sprachschwierigkeiten aus. Kinder mit Rolando-Epilepsie zeigen im Elektroenzephalogramm (EEG) oft auffällige zentrotemporale Spitzen. Laut Fachmedizin liegt bei Epilepsie-Kindern häufig auch eine ADHS vor. Die genauen Gründe dafür sind nicht geklärt, vermutlich haben beide Störungen eine gemeinsame genetische Basis.
Diagnose und Behandlung
Die Diagnose von Autismus, ADHS und Epilepsie erfordert eine umfassende Untersuchung durch Spezialisten. Dabei werden unter anderem Verhaltensbeobachtungen, neurologische Untersuchungen und psychologische Tests durchgeführt. Die Behandlung richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen des Patienten und kann verschiedene Therapieansätze umfassen.
Therapie von Autismus
Es gibt keine Heilung für Autismus, aber verschiedene Therapieansätze können helfen, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern. Dazu gehören Verhaltenstherapien, Ergotherapie, Logopädie und soziale Kompetenztrainings.
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Therapie von ADHS
ADHS wird häufig mit Medikamenten behandelt, die die Aufmerksamkeit und Konzentration verbessern. Daneben können auch Verhaltenstherapien und Elterntrainings hilfreich sein.
Therapie von Epilepsie
Die Behandlung von Epilepsie zielt darauf ab, Anfälle zu verhindern oder zu reduzieren. Dies kann durch Medikamente (Antiepileptika) oder in manchen Fällen auch durch eine Operation erreicht werden.
Herausforderungen und Perspektiven
Das gemeinsame Auftreten von Autismus, ADHS und Epilepsie stellt Betroffene und ihre Familien vor besondere Herausforderungen. Es ist wichtig, die individuellen Bedürfnisse jedes Einzelnen zu berücksichtigen und eine umfassende, interdisziplinäre Behandlung anzubieten. Die Forschung auf diesem Gebiet ist weiterhin aktiv, um die zugrunde liegenden Mechanismen besser zu verstehen und neue Therapieansätze zu entwickeln.
Bedeutung einer umfassenden Therapie
Eine interdisziplinäre Behandlung mit kombinierter neurologischer und psychiatrischer Expertise erscheint für die Behandlung dieser komplexe Störung notwendig. In einem individuellen umfassenden („comprehensive“) Therapieansatz hat eine ASS bei der Epilepsiebehandlung allerdings einen hohen Stellenwert, da durch eine erfolgreich gewählte Anfallsbehandlung zwar nicht die autistische Kernsymptomatik, aber durchaus die weitere psychiatrische Begleitsymptomatik und somit die Teilhabe verbessert werden können.
Medikamentöse Behandlung von ADHS bei Epilepsie
Bei Menschen mit Epilepsie, die gut medikamentös eingestellt und darunter anfallsfrei sind, führte die zusätzliche Gabe von Methylphenidat (dem Wirkstoff in den gängigen Medikamenten, die bei AD(H)S verordnet werden) nicht zu einem erneuten Auftreten von Anfällen. Bei denjenigen, bei denen keine Anfallsfreiheit bestand, zeigte sich in einer einzigen Studie eine leichte Erhöhung in der Häufigkeit der Anfälle. Alle anderen Studien fanden auch hier keine Verschlechterung des Anfallsleidens. Insofern ist eine Gabe von Methylphenidat bei Kindern mit dieser Epilepsieform also nicht nur zu tolerieren, sondern sogar ausdrücklich empfehlenswert, wenn sie zusätzlich unter AD(H)S leiden.
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