Lecanemab (Leqembi): Der steinige Weg zur Zulassung und die Kontroverse um den Nutzen bei Alzheimer

Die Alzheimer-Demenz stellt eine enorme Herausforderung für Betroffene, Angehörige und Gesundheitssysteme dar. Lange Zeit gab es keine wirksamen Behandlungen, die den Krankheitsverlauf beeinflussen konnten. Die Entwicklung von Medikamenten, die an den Ursachen der Erkrankung ansetzen, weckte daher große Hoffnungen. Ein solcher Wirkstoff ist Lecanemab, ein Antikörper, der gegen Beta-Amyloid-Plaques im Gehirn gerichtet ist. Doch der Weg zur Zulassung von Lecanemab war von Kontroversen und Rückschlägen geprägt.

Amyloid-Antikörper im Visier: Lecanemab und sein Wirkmechanismus

Lecanemab (Handelsname Leqembi) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der spezifisch an Amyloid-Beta-Protofibrillen bindet. Diese Protofibrillen gelten als Vorstufen der Amyloid-Plaques, die sich im Gehirn von Alzheimer-Patienten ansammeln. Lecanemab soll die Bildung dieser Plaques reduzieren und so den Abbau der Nervenzellen verlangsamen. Der Wirkstoff wird gentechnisch in Ovarialzellen des Chinesischen Zwerghamsters (CHO-Zellen) hergestellt und alle zwei Wochen als Infusion verabreicht.

EMA-Entscheidung: Ablehnung und Neubewertung

Im Juli 2024 lehnte der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zunächst eine Zulassung von Lecanemab ab. Die Begründung: Art und Schweregrad der Nebenwirkungen würden den klinischen Nutzen nicht aufwiegen. Besonders kritisch sah der CHMP die Amyloid-assoziierten Bildgebungsanomalien (ARIA), die in der Zulassungsstudie bei 17 % der Probanden auftraten. Dabei handelte es sich um lokale Hirnschwellungen und Mikroblutungen, die in einigen Fällen schwerwiegende Verläufe zeigten.

Der Hersteller Eisai GmbH beantragte daraufhin eine erneute Prüfung der EMA-Stellungnahme. Im November 2024 empfahl der CHMP schließlich eine beschränkte Zulassung für Lecanemab für eine genau umrissene Gruppe von Patientinnen und Patienten mit Alzheimer im Frühstadium. Die EU-Kommission erteilte die Zulassung am 15.04.2025. Zuvor hatte das CHMP sogar noch ein drittes Mal über das Medikament entschieden, weil die EU-Kommission im Anschluss an seine erste positive Empfehlung darum bat, noch weitere Daten zur Sicherheit des Medikaments in die Beurteilung einzubeziehen.

Internationale Zulassungen und unterschiedliche Bewertungen

Während Lecanemab in den USA bereits im Juli 2023 eine vollständige Marktzulassung erhielt, fielen die Bewertungen in anderen Ländern unterschiedlich aus. In Großbritannien wurde der Wirkstoff zwar zugelassen, jedoch werden die Kosten für die Therapie nicht vom staatlichen Gesundheitsservice übernommen, da das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) die hohen Therapiekosten angesichts des geringen Therapieerfolgs als nicht gerechtfertigt ansah.

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ARIA: EinRisiko mit Folgen

Ein zentraler Kritikpunkt an Lecanemab sind die bereits erwähnten Amyloid-assoziierten Bildgebungsanomalien (ARIA). Diese umfassen Hirnschwellungen (ARIA-E) und Hirnblutungen (ARIA-H). In der Zulassungsstudie traten ARIA bei einem erheblichen Teil der Probanden auf, wobei das Risiko bei Trägern von zwei Kopien des ApoE4-Gens besonders hoch war. Aus diesem Grund sind Personen mit dieser genetischen Konstellation von der Behandlung ausgeschlossen.

Auch wenn die meisten ARIA-Fälle symptomlos verlaufen, können sie in einigen Fällen zu schwerwiegenden Beschwerden wie Kopfschmerzen, Verwirrtheit oder Übelkeit führen. Um ARIA frühzeitig zu erkennen, sind regelmäßige MRT-Kontrollen innerhalb der ersten 15 Behandlungsmonate erforderlich. Treten Auffälligkeiten im MRT oder symptomatische Beschwerden auf, müssen die Kontrollen sogar wöchentlich oder zweiwöchentlich erfolgen. Dies bedeutet eine immense Belastung für die Patienten und das Gesundheitssystem.

Zweifel am klinischen Nutzen

Neben den Sicherheitsbedenken gibt es auch Zweifel am klinischen Nutzen von Lecanemab. In der Zulassungsstudie wurde eine Verringerung in der Clinical Dementia Rating Scale Sum of Boxes (CDR-SB) festgestellt, einem 18-Punkte-Score zur Bewertung der kognitiven Funktionen. Der Unterschied zwischen der Lecanemab-Gruppe und der Placebo-Gruppe betrug jedoch lediglich 0,45 Punkte, was einer relativen Reduktion von 27 % entspricht.

Dieser Unterschied wird von vielen Experten als gering und klinisch kaum relevant eingestuft. Einige argumentieren, dass dieser Effekt weniger als die Hälfte dessen beträgt, was Patienten typischerweise als klinische Verbesserung wahrnehmen können. Zudem ist der Nutzen fraglich, wenn man ihn mit Studien zu Acetylcholinesterase-Inhibitoren wie Donepezil vergleicht, die in der Vergangenheit zur Behandlung der Alzheimer-Demenz eingesetzt wurden.

Die Rolle von Beta-Amyloid in der Alzheimer-Pathogenese

Die Amyloid-Hypothese, die besagt, dass Beta-Amyloid-Plaques eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Alzheimer-Demenz spielen, ist seit vielen Jahren ein wichtiger Ansatzpunkt in der Forschung. Lecanemab und andere gegen Beta-Amyloid gerichtete Antikörper lösen diese Plaques nachweislich auf. Allerdings ist die genaue Rolle von Beta-Amyloid im Krankheitsgeschehen noch nicht vollständig geklärt.

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Einige Wissenschaftler weisen darauf hin, dass sich solche Plaques auch im Gehirn von Menschen finden, die in geistiger Klarheit gestorben sind. Andererseits scheinen Menschen, die aufgrund einer genetischen Besonderheit kaum Beta-Amyloid-Plaques bilden können, vor der Krankheit geschützt zu sein. Es wird vermutet, dass die Amyloid-Bildung in einem frühen Stadium den Krankheitsprozess vorantreibt, der dann aber auch unabhängig von Amyloid voranschreiten kann.

Alternative Therapieansätze und die Bedeutung der Frühdiagnostik

Trotz der Kontroversen um Lecanemab und andere Amyloid-Antikörper gibt es in der Alzheimer-Forschung auch vielversprechende alternative Therapieansätze. Dazu gehören Medikamente, die auf Tau-Fibrillen abzielen, einem weiteren charakteristischen Merkmal der Alzheimer-Krankheit. Einige Experten setzen auf eine Kombination von Medikamenten, die sowohl Amyloid-Beta-Plaques als auch Tau-Fibrillen beseitigen.

Unabhängig vom Therapieansatz scheint es entscheidend zu sein, die Behandlung so früh wie möglich zu beginnen. Bei Alzheimer sind bereits rund 15 Jahre vor Krankheitsbeginn pathologische Veränderungen im Gehirn messbar. Eine frühzeitige Diagnose, beispielsweise durch den Nachweis von Beta-Amyloid und Tau-Fibrillen mit bildgebenden Verfahren, könnte es ermöglichen, die Therapie zu beginnen, bevor irreversible Schäden entstanden sind.

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