Chemotherapie-Nebenwirkungen auf das Gehirn: Das sogenannte "Chemobrain" verstehen

Krebspatienten klagen häufig über kognitive Beeinträchtigungen nach einer Chemotherapie, ein Zustand, der oft als "Chemobrain" oder "Chemo-Fog" bezeichnet wird. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Symptome, Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten dieser Nebenwirkung.

Was ist das "Chemobrain"?

Der Begriff "Chemobrain" oder "Onkobrain" beschreibt kognitive Beeinträchtigungen, die im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung oder deren Therapien auftreten können. Diese Beeinträchtigungen können sich auf Konzentration, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Wahrnehmung und das Denkvermögen auswirken. Betroffene beschreiben es oft als ein Gefühl von "Nebel im Kopf".

Früher wurde der Begriff hauptsächlich im Zusammenhang mit Chemotherapien verwendet, aber heute weiß man, dass auch andere Krebsbehandlungen wie Bestrahlung, Hormontherapie oder Immuntherapie sowie die Krebserkrankung selbst zu kognitiven Einbußen führen können. Sogar vor Beginn einer Chemotherapie können bereits Beeinträchtigungen vorhanden sein.

Symptome des Onkobrains

Das Onkobrain kann sich durch verschiedene Symptome bemerkbar machen, die individuell verschieden stark ausgeprägt sein können. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

  • Probleme mit Konzentration und Aufmerksamkeit: Schwierigkeiten, bei der Sache zu bleiben, leichte Ablenkbarkeit, kurze Aufmerksamkeitsspanne.
  • Gedächtnisprobleme: Besonders das Kurzzeitgedächtnis ist betroffen, z.B. Vergessen von gerade Gesagtem.
  • Wortfindungsschwierigkeiten: Probleme, die richtigen Worte und Begriffe zu finden.
  • Verlangsamtes Denken: Mehr Zeitbedarf für Routineaufgaben.
  • Verminderte Lernfähigkeit: Schwierigkeiten, Neues zu erlernen.
  • Schwierigkeiten beim Multitasking: Unfähigkeit, mehrere Aufgaben gleichzeitig auszuführen.
  • Verminderte Fähigkeit, komplexe Aufgaben auszuführen.

Die meisten Betroffenen erleben nur milde kognitive Einbußen, aber auch diese können den Alltag und Beruf erheblich beeinträchtigen.

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Ursachen des Onkobrains

Die genauen Ursachen des Onkobrains sind noch nicht vollständig geklärt. Forschende vermuten, dass mehrere Faktoren an der Entstehung beteiligt sind:

  • Psychische Belastungen: Eine Krebsdiagnose und die damit verbundenen Ängste, Sorgen, Niedergeschlagenheit und Hilflosigkeit können posttraumatischen Stress verursachen und die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen.
  • Krebstherapien: Operationen, Chemotherapie, Strahlentherapie und andere Krebsmedikamente können die Psyche beeinflussen und mit kognitiven Störungen verbunden sein.
  • Schmerzen: Schmerzen, z.B. nach einer Operation oder bei fortgeschrittener Krebserkrankung, können sich auf das Gehirn auswirken.
  • Hormonelle Veränderungen: Medikamente wie die Antihormontherapie bei Brustkrebs können hormonelle Veränderungen wie in den Wechseljahren hervorrufen.
  • Direkte Auswirkungen der Chemotherapie: Einige Chemotherapeutika können direkt Nervenzellen im Gehirn schädigen.

Eine Studie aus dem Jahr 2008 zeigte, dass das Chemotherapeutikum 5-Fluorouracil (5-FU) Zellen im Gehirn angreift, die für die Produktion der Myelinscheiden verantwortlich sind. Diese Myelinscheiden schützen die Nervenfasern und sind für eine schnelle Signalübertragung zuständig.

Forscher haben auch festgestellt, dass eine neue Gruppe von Chemotherapeutika, sogenannte xCT-Inhibitoren, gesunde Nervenzellen im Gehirn angreifen können. Diese werden häufig bei Leber-, Nieren- und Schilddrüsenkrebs eingesetzt.

Mithilfe einer neuen Technik namens SOFA (Synaptic Optogenetic Fluorescence Analysis) konnten Wissenschaftler zeigen, dass Chemotherapeutika die feine Abstimmung der Bläschengruppen in den Nervenzellen durcheinanderbringen und das Zusammenspiel der Signalübertragung verhindern. Schon geringe Dosierungen der Medikamente können die Nervenzellen so stark schädigen, dass sie nicht mehr ordnungsgemäß arbeiten können.

Diagnose des Onkobrains

Um ein Onkobrain festzustellen, wird der Arzt zunächst die Krankengeschichte erheben und nach den Symptomen fragen. Dabei ist es wichtig zu erfragen, seit wann die Probleme mit dem Gedächtnis oder der Konzentration bestehen, wie stark die Beschwerden ausgeprägt sind und in welchen Situationen sie auftreten. Auch die Art der Krebsbehandlungen, die der Patient erhält oder bereits durchlaufen hat, sowie andere Grunderkrankungen und Medikamente sind von Bedeutung.

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Ziel ist es, andere Ursachen für die Symptome auszuschließen.

Behandlung und Management des Onkobrains

Bisher gibt es keine einheitliche Therapie, die gezielt für das Onkobrain empfohlen wird und allen Betroffenen gleichermaßen hilft. Auch speziell gegen das Onkobrain zugelassene Medikamente gibt es nicht. Es gibt jedoch verschiedene Strategien, die helfen können, die Symptome zu lindern und die kognitiven Funktionen zu verbessern:

  • Psychotherapie: Eine kognitive Verhaltenstherapie (KVT) kann helfen, ungünstige Denkmuster und Verhaltensweisen zu erkennen und durch positive Alternativen zu ersetzen. Psychoonkologische Unterstützung kann helfen, die psychischen Belastungen im Zusammenhang mit der Krebserkrankung zu bewältigen.
  • Bewegung und Sport: Körperliche Aktivität fördert die Durchblutung, verbessert die Sauerstoffversorgung des Gehirns und hilft beim Stressabbau.
  • Ausreichend Schlaf: Ein ausgeschlafenes Gehirn funktioniert meist besser.
  • Entspannungstechniken: Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder Yoga können gegen Ängste und Stress helfen und die kognitiven Fähigkeiten positiv beeinflussen.
  • Achtsamkeitstraining: Achtsamkeitsübungen können helfen, mehr in der Gegenwart zu bleiben und Stress abzubauen.
  • Gesunde Ernährung: Eine vollwertige und abwechslungsreiche Ernährung mit ausreichend Nährstoffen, Vitaminen und Mineralien ist wichtig für die Gehirnfunktion.
  • Gehirntraining: Regelmäßiges Gehirntraining oder Gehirnjogging kann helfen, das Denken zu fördern und die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung zu schärfen. Aktivitäten, die intellektuell herausfordern und geistig fit halten, wie Schachspielen, Kreuzworträtsel lösen oder das Erlernen einer Fremdsprache oder eines Instruments, können ebenfalls hilfreich sein.
  • Medikamente: In manchen Fällen können Medikamente eingesetzt werden, die die Konzentration, Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit verbessern.

Zusätzlich können folgende Tipps helfen, die Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit im Alltag und Beruf zu verbessern:

  • Multitasking vermeiden: Aufgaben nacheinander erledigen und sich auf eine Sache konzentrieren.
  • Pausen einlegen: Regelmäßige kurze Pausen helfen dem Gehirn, sich zu erholen.
  • Prioritäten setzen: Jeden Tag eine Priorität festlegen und sich dieser zuerst widmen.
  • Ruhige Atmosphäre schaffen: Ablenkungen wie Smartphone-Klingeln oder andere störende Reize ausschalten.
  • Informationen strukturieren: Große Informationsmengen in kleinere, logisch zusammenhängende Einheiten zerlegen.
  • Verknüpfungen bilden: Neue Informationen mit bereits bekannten Informationen verknüpfen.
  • Gedächtnishilfen nutzen: Notizbücher, Kalender, To-do-Listen oder Diktierfunktionen verwenden.

Verlauf des Onkobrains

Der Verlauf des Onkobrains ist von Mensch zu Mensch verschieden. Bei manchen Menschen erholen sich die kognitiven Funktionen teilweise oder vollständig innerhalb weniger Monate wieder. Andere haben möglicherweise länger mit ihren kognitiven Störungen zu kämpfen.

Es ist wichtig, sich von seinem Behandlungsteam beraten zu lassen, wenn man ein Onkobrain bei sich selbst vermutet. Es gibt Therapien und Maßnahmen, um diesem entgegenzuwirken.

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