Morbus Parkinson ist eine fortschreitende neurologische Erkrankung, die durch eine Vielzahl von motorischen und nicht-motorischen Symptomen gekennzeichnet ist. Während die konventionelle medizinische Behandlung hauptsächlich auf die Linderung der Symptome durch Medikamente abzielt, suchen viele Patienten nach ergänzenden Therapieansätzen, um ihre Lebensqualität zu verbessern. In diesem Zusammenhang hat sich die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) als eine vielversprechende Option herausgestellt, insbesondere die Akupunktur.
Grundlagen der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM)
Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) ist ein umfassendes medizinisches System, das seit Jahrtausenden in China praktiziert wird. Im Kern der TCM steht die Vorstellung von Qi, einer Lebensenergie, die in Meridianen durch den Körper fließt. Gesundheit wird als Zustand des Gleichgewichts und des harmonischen Flusses von Qi verstanden. Krankheiten entstehen durch Störungen dieses Gleichgewichts.
Akupunktur: Nadeln als Schlüssel zur Harmonie
Die Akupunktur ist eine zentrale Säule der TCM und basiert auf der Stimulation spezifischer Punkte auf den Meridianen, um den Qi-Fluss zu regulieren. Durch das Setzen feiner Nadeln an diesen Akupunkturpunkten sollen Blockaden gelöst und das gestörte Gleichgewicht wiederhergestellt werden. Jeder Akupunkturpunkt ist mit bestimmten Organen oder Organsystemen verbunden und hat eine genau definierte Heilwirkung.
Die Reizung von Akupunkturpunkten ist eine der ältesten und am weitesten verbreiteten Heilmethoden der Welt. Akupunktur (lat. Acus=die Nadel, pungure=stechen) steht für die Behandlung bestimmter Punkte am Körper, Kopf oder Ohr mit Nadeln. Zugrunde liegt dieser Lehre eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Menschen, die sich von unserer naturwissenschaftlich geprägten stark unterscheidet. Während für die westliche Medizin Gesundheit messbar ist - sie spiegelt sich etwa im EKG oder Cholesterinwert wider - wird sie aus chinesischer Sicht von der Lebensenergie Qi, mit ihren Anteilen Yin und Yang, bestimmt, die auf Energiebahnen, den Meridianen, durch den Körper strömt und an mehr als 700 Punkten die Hautoberfläche berührt. Fließt die Qi-Energie harmonisch, d. h. sind Yin und Yang als gegenpolige Kräfte im Gleichgewicht, ist der Mensch gesund. Störungen dieses Gleichgewichtes führen zu Krankheit.
Das Ziel der Akupunktur ist es, die gestörten Energien zu normalisieren. Die auf den Meridianen liegenden Akupunkturpunkte werden mittels feinster Nadeln angeregt, der aus dem Takt geratene Energiestrom wird so behutsam reguliert. Jeder dieser Punkte steht in Verbindung mit einem bestimmten Organ oder Organkreis und hat eine genau definierte Heilwirkung. Für die Behandlung wählen wir deshalb nur diejenigen Punkte an Körper, Händen, Füßen oder am Ohr des Patienten, die zu dessen Beschwerdebild passen. Schon wenige Momente nach dem Einstechen der Nadeln macht sich das De-Qi-Gefühl bemerkbar - so nennen Chinesen das typische, wohltuend spürbare Anfluten der Lebensenergie Qi. Das erkrankte Organ wird also nicht, wie in der westlichen Medizin, direkt behandelt, sondern indirekt über Außenstellen auf der Haut, die Akupunkturpunkte, beeinflusst.
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Weitere Säulen der TCM: Kräutertherapie, Tuina und Qi-Gong
Neben der Akupunktur umfasst die TCM auch die chinesische Kräutertherapie, Tuina-Massagen und Qi-Gong-Übungen. Die Kräutertherapie nutzt spezifische Kräuterkombinationen, um das innere Gleichgewicht wiederherzustellen und die Selbstheilungskräfte des Körpers zu aktivieren. Tuina ist eine spezielle Form der Massage, die darauf abzielt, Blockaden in den Meridianen zu lösen und den Qi-Fluss zu fördern. Qi-Gong ist eine meditative Bewegungsform, die Körper und Geist in Einklang bringt und die Lebensenergie stärkt.
TCM-Ansatz bei Morbus Parkinson
Aus Sicht der TCM ist Morbus Parkinson nicht nur eine Dopaminmangelerkrankung, wie sie von der westlichen Medizin betrachtet wird, sondern auch eine Jing- (Substanz-) Mangelerkrankung. Die naturheilkundliche Endokrinologie ergänzt diese Sichtweise um den Aspekt einer Steroidhormon-Mangelerkrankung, während die Immunologie auf eine erhöhte TNF-alpha-Produktion hinweist, die eine Entzündungssituation hervorruft.
Die TCM betrachtet Parkinson-Syndrome als Folge von drei möglichen Zustandsbeschreibungen:
- Depletio von Qi und Xue (Mangel an Energie und Blut)
- Depletio von Yin renale und Yin hepatica (Mangel an Nieren- und Leber-Yin)
- Depletio von Qi lienale et stomachi (Mangel an Milz- und Magen-Qi)
Diagnostik in der TCM: Puls- und Zungendiagnostik
Die Diagnosestellung in der TCM basiert auf einer umfassenden Anamnese und körperlichen Untersuchung, einschließlich der Puls- und Zungendiagnostik. Die Pulsdiagnostik ermöglicht es dem Therapeuten, den Zustand der inneren Organe und des Qi-Flusses zu beurteilen. Die Zungendiagnostik gibt Aufschluss über dieBalance von Yin und Yang sowie über mögliche Disharmonien im Körper. Ergänzend kann eine endokrinologische Labordiagnostik der Hormonverhältnisse wertvolle Hinweise geben.
Therapieansätze der TCM bei Parkinson
Die Therapie in der TCM zielt darauf ab, die zugrunde liegenden Ungleichgewichte zu beheben und die Symptome zu lindern. Hierzu werden verschiedene Methoden eingesetzt, die individuell auf den Patienten abgestimmt werden:
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- Akupunktur: Durch die Stimulation spezifischer Akupunkturpunkte können motorische Symptome wie Tremor, Rigor und Bradykinese verbessert werden. Zudem kann Akupunktur auch bei nicht-motorischen Symptomen wie Schlafstörungen, Depressionen und Obstipation helfen.
- Chinesische Kräutertherapie: Spezifische Kräuterkombinationen werden eingesetzt, um Qi und Blut zu stärken, Yin und Yang auszugleichen und die Funktionen von Leber, Niere und Milz zu unterstützen.
- Tuina-Massage: Diese spezielle Form der Massage kann helfen, Muskelverspannungen zu lösen, die Durchblutung zu verbessern und den Qi-Fluss zu fördern.
- Qi-Gong: Regelmäßige Qi-Gong-Übungen können die Körperwahrnehmung verbessern, dieBalance fördern und die Lebensenergie stärken.
- Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit warmen, nährenden Lebensmitteln ist wichtig, um den Körper zu stärken und die Produktion von Qi und Blut zu unterstützen. Der Verzicht auf Kuhmilch und Gluten kann helfen, die Bildung von "Schleim" zu reduzieren, der in der TCM als ein Faktor bei der Entstehung von Demenz angesehen wird.
Evidenzbasierte Forschung zur Akupunktur bei Parkinson
Obwohl die TCM seit Jahrhunderten angewendet wird, ist die wissenschaftliche Evidenz für ihre Wirksamkeit bei Morbus Parkinson noch begrenzt. Allerdings gibt es zunehmend Studien, die positive Effekte der Akupunktur auf bestimmte Symptome zeigen.
Eine Studie von Wissenschaftlern der Universität für Chinesische Medizin in Guangzhou untersuchte die Wirkung von Akupunktur auf neuropsychiatrische Symptome bei Parkinson-Patienten. Die Ergebnisse zeigten, dass Akupunktur im Vergleich zu einer rein medikamentösen Therapie oder einer Scheinbehandlung die Schlafqualität signifikant verbesserte. Zudem gab es Hinweise auf positive Effekte auf die Unified Parkinson’s Disease Rating Scale (UPDRS), die Epworth Sleepiness Scale (ESS) und den Parkinson’s Disease Questionnaire-39 (PDQ-39). Die Forscher schlussfolgerten, dass Akupunktur neben dem Schlaf auch psychische Störungen, auffälliges Verhalten sowie den Gesamtzustand des Patienten günstig beeinflussen kann.
Eine weitere Studie untersuchte die kurz- und langfristige Wirksamkeit von Akupunktur bei Parkinson-Patienten. Eine Gruppe von Patienten erhielt über einen Zeitraum von 18 bzw. 36 Wochen zusätzlich zur westlichen Medizin zweimal pro Woche Akupunktur. In der kurzfristigen Untersuchung zeigte die Akupunktur-Gruppe eine stärkere Verbesserung der UPDRS-Werte, des BDI-II (Beck-Depressions-Inventar) und der WHO-Lebensqualität. In der langfristigen Studie gingen diese positiven Effekte jedoch wieder zurück.
Implantat-Ohr-Akupunktur
Eine spezielle Form der Akupunktur, die Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A), wird seit einigen Jahren bei neurologischen Erkrankungen in Deutschland eingesetzt. Hierbei werden kleine Nadeln aus medizinischem Rein-Titan an Ohr-Akupunkturpunkte gesetzt und implantiert. Eine prospektive Verlaufsbeobachtung mit 79 Parkinson-Patienten über einen Zeitraum von 6 Monaten nach der Implantation zeigte, dass die I-O-A das Behandlungsspektrum bei Morbus Parkinson erweitern kann. Die Patienten berichteten von einer Verbesserung der Symptome und der Lebensqualität. In der Endpunktauswertung nach 24 Wochen zeigte sich eine Verbesserung der vier Hauptsymptome (Tremor, Rigor, Bewegungsverlangsamung und Schmerzen) im Vergleich zum Ausgangsbefund. Zudem konnte bei einigen Patienten die Parkinson-Medikation reduziert werden.
Grenzen und Risiken der Akupunktur
Obwohl Akupunktur im Allgemeinen als sicher gilt, gibt es auch potenzielle Risiken und Nebenwirkungen. Gelegentlich kann es zu Hämatombildung, Kollaps oder einer Erstverschlimmerung kommen. Selten treten Nervenirritationen mit Schmerz und Sensibilitätsstörung an der Einstichstelle auf. Die Akupunktur sollte bei schweren Gerinnungsstörungen vermieden werden.
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Es ist wichtig zu beachten, dass die Akupunktur nicht für jeden Patienten geeignet ist und nicht alle Symptome von Morbus Parkinson lindern kann. Die Wirksamkeit der Akupunktur kann von Patient zu Patient variieren.
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