Die COVID-19-Pandemie hat die Welt vor große Herausforderungen gestellt und die Forschung auf viele Bereiche der Medizin und Gesundheitsversorgung gelenkt. Neben den akuten Auswirkungen der Infektion rücken nun auch die langfristigen Folgen in den Fokus. Ein besonders besorgniserregender Aspekt ist der mögliche Zusammenhang zwischen COVID-19 und der Entstehung oder Beschleunigung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer.
Virusinfektionen und Demenzrisiko
Die Forschung vermutet schon seit längerem, dass Virusinfektionen das Risiko für Demenzerkrankungen erhöhen könnten. Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass dies nicht nur nach schweren Infektionen der Hirnhäute oder des Gehirns der Fall ist. Auch Grippe und andere Viren, die normalerweise nicht das Gehirn infizieren, wurden mit einem erhöhten Demenzrisiko in Verbindung gebracht.
COVID-19 und Alzheimer-Biomarker: Eine Studie gibt Aufschluss
Eine aktuelle Studie, veröffentlicht in Nature Medicine, untersuchte den Zusammenhang zwischen COVID-19 und Alzheimer. Forscher des UK Dementia Research Institute in London verglichen Blutproben von 626 Personen, die an COVID-19 erkrankt waren, mit denen von 626 Personen, die sich nicht mit SARS-CoV-2 infiziert hatten. Die Blutproben stammten aus der Zeit vor der Pandemie (2005-2010) und wurden im Rahmen der UK Biobank-Studie gesammelt. Zusätzlich wurden von allen Teilnehmern vor und nach der Erkrankung MRT-Aufnahmen des Gehirns angefertigt.
Veränderungen der Alzheimer-Biomarker nach COVID-19
In den Blutproben wurden Biomarker bestimmt, die derzeit als Screeninginstrument zur Früherkennung von Alzheimer diskutiert werden. Ein wichtiger Parameter ist der Quotient aus Abeta42 und Abeta40. Die Studie zeigte, dass dieser Quotient bei Personen, die an COVID-19 erkrankt waren, abfiel. Bei älteren Menschen und solchen mit einer erhöhten Vulnerabilität sank auch die Abeta42-Konzentration insgesamt, während die pTau-181-Konzentration anstieg. pTau-181 ist ein Marker für die vermehrte Ablagerung von Tau-Fibrillen, die nach dem Untergang von Nervenzellen im Gehirn auftreten. Abeta42 und Abeta40 sind Marker für Beta-Amyloide, die außerhalb der Nervenzellen abgelagert werden.
Auswirkungen auf das Gehirn: Beschleunigung des Alzheimer-Verlaufs?
Laut den Forschern entspricht der Abfall des Abeta42/Abeta40-Quotienten einem Anstieg des Alters um 4 Jahre. Das erhöhte Risiko war halb so hoch wie bei einer Heterozygotie auf APOE-e4, dem wichtigsten genetischen Risikofaktor für Alzheimer. Die Assoziation mit den Biomarkern war besonders deutlich bei Patienten, die wegen COVID-19 im Krankenhaus behandelt wurden oder eine Hypertonie in der Vorgeschichte hatten. Die Auswirkungen von COVID-19 auf die Biomarker hingen auch von den Veränderungen ab, die in der ersten MRT gefunden wurden. Bei Patienten mit einer „AD-Signatur“ kam es nach COVID-19 zu der stärksten Veränderung der Biomarker.
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Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 den jahrzehntelangen Verlauf der Alzheimer-Erkrankung beschleunigen könnte, auch wenn sie die Krankheit nicht direkt auslöst. Allerdings sind weitere epidemiologische Studien erforderlich, um dies zu bestätigen.
Kognitive Auswirkungen und Vulnerabilität
Die Studie zeigte auch, dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 mit einem Rückgang der kognitiven Fähigkeiten verbunden war, der etwa einem zusätzlichen Alter von 2 Jahren entsprach. Allerdings korrelierten die kognitiven Einbußen nicht direkt mit dem Abfall des Abeta42/Abeta40-Quotienten. Nur bei Patienten mit erhöhter Vulnerabilität waren erste Auswirkungen auf Abeta42 und pTau erkennbar.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Studie keine Kausalität beweisen kann. Dennoch liefern die Ergebnisse wichtige Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen COVID-19 und der Beschleunigung von Alzheimer.
COVID-19 und Demenz: Weitere Forschungsergebnisse
Weitere Studien haben zusätzliche Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen COVID-19 und Demenz geliefert.
Erhöhtes Risiko für Demenz nach COVID-19
Eine Metaanalyse von 15 Kohortenstudien mit insgesamt 26.408.378 Teilnehmern ergab, dass eine COVID-19-Erkrankung mit einem erhöhten Risiko für neu auftretende Demenz verbunden ist (Hazard Ratio, HR: 1,49; 95 % Konfidenzintervall, KI: 1,33 - 1,68). Dieses Risiko blieb auch im Vergleich zu Kontrollgruppen ohne COVID-19 (HR: 1,65; 95 % KI: 1,39 - 1,95) sowie zu Gruppen mit anderen Atemwegserkrankungen (HR: 1,29; 95 % KI: 1,12 - 1,49) erhöht, jedoch nicht im Vergleich zu Influenza- oder Sepsis-Kohorten.
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Auswirkungen auf Menschen mit Demenz
Menschen mit Demenz sind besonders stark von der COVID-19-Pandemie betroffen. Die Notwendigkeit von Kontaktbeschränkungen und fehlendem Körperkontakt ist für Menschen mit reduzierten kognitiven Funktionen schwer zu verstehen und zu ertragen. Dies kann zu Einsamkeit, Depressivität und einer Beschleunigung des kognitiven Funktionsverlusts führen. Zudem haben Menschen mit Demenz ein höheres Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf.
Eine Studie der Universität Exeter in Großbritannien ergab, dass das adjustierte Risiko (Odds Ratio, OR) der an Demenz Erkrankten für einen COVID-19-bedingten Krankenhausaufenthalt um den Faktor 3,5 erhöht war (95-%-Konfidenz-Intervall [KI] 1,93-6,34; p = 0,000036). Eine andere britische Registerstudie zeigte, dass eine zerebrovaskuläre Vorerkrankung, einschließlich Schlaganfall, transitorischen ischämischen Attacken (TIA) und Demenz, das Risiko für eine tödlich verlaufende COVID-19-Infektion auf mehr als das Doppelte erhöht (Hazard Ratio [HR] 2,16; 95-%-KI 2,06-2,27).
Pathophysiologische Mechanismen
Es gibt verschiedene pathophysiologische Mechanismen, die im Rahmen einer SARS-CoV-2-Infektion das Demenzrisiko erhöhen könnten. Insbesondere schwere COVID-19-Verläufe können mit einer Enzephalopathie einhergehen, von der bis zu 50 % aller hospitalisierten COVID-19-Erkrankten betroffen sind. Neuroinflammatorische Effekte und mikrovaskuläre Schäden führen im Zuge einer COVID-19-Erkrankung zu zerebraler Minderperfusion, Hypoxie und diffuser Schädigung der weißen Substanz.
Ein SARS-CoV-2-spezifischer Mechanismus könnte darin bestehen, dass das Virus Zellen unter anderem über den Angiotensin-(ACE-)2-Rezeptor infiziert, wodurch dessen Bioverfügbarkeit reduziert wird. ACE2 spielt aber im Renin-Angiotensin-System eine wichtige Rolle bei der Regulation von Gefäßweite und Blutdruck. Ein ACE2-Mangel induziert unspezifische inflammatorische Effekte einschließlich einer erhöhten Zytokinausschüttung.
Modifizierbare Risikofaktoren
Ein Teil der potenziell modifizierbaren Risikofaktoren für eine Demenz scheint auch das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf zu erhöhen. Dazu gehören klassische kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Hypertonie, Adipositas, Diabetes mellitus oder körperliche Inaktivität.
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Prävention und Therapie
Angesichts der potenziellen Auswirkungen von COVID-19 auf das Demenzrisiko sind Präventionsmaßnahmen von großer Bedeutung.
Impfung
Die Impfung gegen COVID-19 ist eine der wichtigsten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und zur Reduzierung des Risikos für schwere Verläufe. Laut Robert Koch-Institut ist bei den über 60-Jährigen eine Impfquote von 90 % anzustreben (bei 12-59-Jährigen 85 %). Ein halbes Jahr nach Grundimmunisierung sollte eine Boosterimpfung erfolgen, prioritär für alle über 70-Jährigen und deren Kontaktpersonen.
Antidiabetika
Da der Typ-2-Diabetes ein wichtiger Trigger für eine Demenz darstellt, könnten bestimmte Antidiabetika möglicherweise sowohl den COVID-19-Verlauf im Infektionsfall als auch das Demenzrisiko beeinflussen. So haben etwa Glucagon-Like Peptide-1-Receptor-(GLP-1R-)Agonisten, Dipeptidyl-Peptidase-4-(DPP-4-)Hemmer und Pioglitazon neben ihren glukoseregulierenden auch antiinflammatorische Effekte.
Blutdruckkontrolle
Ein weiterer Faktor, der sowohl das Risiko für Auftreten und Fortschreiten einer Demenz als auch die Rate schwerer COVID-19-Verläufe erhöht, ist die arterielle Hypertonie. Eine intensivierte antihypertensive Therapie könnte das Demenzrisiko reduzieren, wobei jedoch darauf geachtet werden muss, dass der Blutdruck nicht zu stark gesenkt wird, um eine zerebrale Minderperfusion zu vermeiden.
Weitere Empfehlungen
Für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen ist es wichtig, die gewohnten Routinen beizubehalten und soziale Kontakte so gut wie möglich aufrechtzuerhalten. Spaziergänge an der frischen Luft, Beschäftigung in der Wohnung und die Nutzung von Kommunikationskanälen wie Telefon und Videogespräche können helfen, Einsamkeit und Depressivität zu vermeiden.
Die Rolle von Medin bei Alzheimer
In den Blutgefäßen des Gehirns von Alzheimer-Patienten lagert sich zusammen mit dem Protein Amyloid-β auch das Protein Medin ab. Diese sogenannte Co-Aggregation haben Forschende am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) entdeckt. Ihre Beobachtung veröffentlichen sie jetzt im renommierten Fachmagazin Nature. „Medin ist zwar schon seit rund 20 Jahren bekannt, wurde aber in seinem Einfluss auf Krankheiten bisher unterschätzt. Wir konnten zeigen, dass krankhafte Veränderungen der Blutgefäße von Alzheimer-Patienten durch Medin deutlich verstärkt werden“, sagt Studienleiter Dr. Jonas Neher vom Tübinger Standort des DZNE.
Medin gehört zur Gruppe der Amyloide. Von diesen Proteinen ist Amyloid-β am besten bekannt, da es im Gehirn von Alzheimer-Patienten verklumpt. Diese Aggregate lagern sich dann sowohl als sogenannte Plaques direkt im Gehirngewebe, aber auch in dessen Blutgefäßen ab und schaden dadurch den Nervenzellen bzw. den Blutgefäßen. Während sich daher viele Studien mit Amyloid-β beschäftigten, stand Medin bisher nicht im Mittelpunkt des Interesses.
In ihren jüngsten Studien färbten die Forschenden Gewebeschnitte sowohl von Mäusen als auch von Alzheimer-Patienten so, dass konkrete Proteine sichtbar werden. Dadurch konnten sie zeigen, dass sich Medin und Amyloid-β gemeinsam in Blutgefäßen des Gehirns ablagern - Co-Lokalisation ist dafür der Fachbegriff. Mit weiteren Versuchen konnten sie in einem nächsten Schritt beweisen, dass diese beiden Amyloide auch co-aggregieren - also gemischte Anhäufungen bilden. Genau daraus schöpfen die Forschenden Hoffnung für die Entwicklung einer möglichen Behandlung. „Medin könnte ein therapeutisches Ziel sein, um vaskuläre Schäden und kognitive Verschlechterungen zu verhindern, die aus Amyloid-Ansammlungen in den Blutgefäßen des Gehirns resultieren“, lautet ihre Schlussfolgerung. In Fachkreisen ist es unumstritten, dass Ursachen für die Alzheimer Erkrankung nicht nur die Aggregate von Amyloid-β im Hirngewebe, sondern auch vaskuläre Veränderungen sind - also die verringerte Funktion oder die Beschädigung von Blutgefäßen. In einem nächsten Schritt muss jetzt geklärt werden, ob sich bereits gebildete Medin-Aggregate therapeutisch entfernen lassen und ob dieser Eingriff tatsächlich einen Einfluss auf die Gedächtnisleistung hat.
Genetische Faktoren und COVID-19
Forscher*innen von der Rockefeller Universität und der Charité - Universitätsmedizin Berlin wiesen nach, dass Mäuse mit Genvarianten, die zuvor mit der Alzheimer-Krankheit in Verbindung gebracht wurden, ein höheres Sterberisiko hatten, wenn sie mit SARS-CoV-2 infiziert waren. Und eine retrospektive Analyse ergab, dass Patienten mit denselben Genvarianten während der gesamten Pandemie mit größerer Wahrscheinlichkeit an COVID-19 gestorben sind. Da drei Prozent der Weltbevölkerung diese Genvarianten besitzen, könnten die Ergebnisse Auswirkungen auf Hunderte von Millionen von Menschen weltweit haben.
Ein genauerer Blick auf APOE In früheren Arbeiten untersuchte Tavazoies Labor ein Gen namens APOE, das bei der Metastasierung von Krebs eine Rolle spielt. Nachdem die Wissenschaftler*innen nachgewiesen hatte, dass das Gen die Ausbreitung von Melanomen unterdrückt und die Immunreaktionen gegen Tumore reguliert, begannen er und sein Team, die verschiedenen Varianten oder Allele des Gens genauer zu untersuchen. Jeder Mensch besitzt zwei Kopien der APOE-Gene, eines von der Mutter, eines vom Vater. Die meisten Menschen tragen auf beiden Chromosomen eine Form namens APOE3, 40 Prozent der Bevölkerung tragen mindestens eine Kopie der Variante APOE2 oder APOE4. Personen mit APOE2 oder APOE4 produzieren Proteine, die sich vom APOE3-Protein um eine oder zwei Aminosäuren unterscheiden.
Eine oder zwei Aminosäuren machen einen Unterschied. Menschen mit zwei Kopien von APOE4 haben ein höheres Risiko, an Alzheimer und Atherosklerose zu erkranken. Tavazoie und Benjamin Ostendorf, damals Postdoktorand in seinem Labor und heute Fellow im Digital Clinician Scientist Program von Charité und BIH, konnten zeigen, dass APOE4 und APOE2 die Immunantwort gegen Melanome beeinflussen. Mit dem Fortschreiten der Pandemie fragten sich Tavazoie und Ostendorf, ob die verschiedenen APOE-Varianten auch den Verlauf der COVID-19-Erkrankungen beeinflussen könnten.
Um das herauszufinden, setzten die Forscher zunächst mehr als 300 Mäuse, die mit menschlichem APOE ausgestattet waren, einer an die Maus angepassten Version von SARS-CoV-2 aus. Sie stellten fest, dass Mäuse mit APOE4 und APOE2 mit größerer Wahrscheinlichkeit starben als solche mit dem häufigeren APOE3-Allel.
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