Demenz und Schlafmangel: Ein komplexer Zusammenhang

Schlafstörungen stellen eine erhebliche Herausforderung in der Betreuung von Menschen mit Demenz dar. Wenn Betroffene nachts wach sind, rufen oder unruhig umherwandern, beeinträchtigt dies nicht nur ihren eigenen Schlaf, sondern auch den der Angehörigen. Viele Pflegende berichten von häufigen nächtlichen Wachphasen oder einem Gefühl ständiger Alarmbereitschaft, was langfristig gesundheitliche Folgen haben kann. Doch warum treten Schlafstörungen bei Demenz so häufig auf, und was kann man dagegen tun?

Die Rolle des Gehirns bei Schlafstörungen im Zusammenhang mit Demenz

Schlaf und Wachsein werden vom Gehirn gesteuert. Bei Demenzerkrankungen wie Alzheimer ist oft schon früh der Bereich im Gehirn betroffen, der den Tag-Nacht-Rhythmus reguliert. Dies führt dazu, dass die innere Uhr aus dem Takt gerät und das Gefühl für Zeit und Tag-Nacht-Unterscheidung verloren geht.

Im Alltag äußern sich Schlafprobleme vielfältig. Ein Phänomen, das als "Sundowning" bekannt ist, tritt am frühen Abend auf. Menschen mit Demenz werden dann unruhiger, verwirrter, ängstlicher oder gereizter und beginnen, unruhig umherzulaufen.

Die Bedeutung von gutem Schlaf für Menschen mit und ohne Demenz

Schlaf ist mehr als nur Ruhe. Während des Schlafs regeneriert sich das Gehirn, verarbeitet Eindrücke, festigt Erinnerungen und baut schädliche Stoffwechselprodukte ab. Gerade für Menschen mit Demenz kann guter Schlaf dazu beitragen, innere Anspannung zu verringern und die kognitiven Fähigkeiten zumindest vorübergehend zu stabilisieren. Auch für pflegende Angehörige ist ausreichender Schlaf unerlässlich.

Strategien zur Verbesserung des Schlafs bei Demenz

Ist die innere Uhr einmal aus dem Takt geraten, lässt sie sich nicht mehr vollständig zurückstellen, aber sie kann unterstützt werden.

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  1. Unterstützung der inneren Uhr:
  • Tageslicht: Wer morgens am Fenster frühstückt oder kurz an die frische Luft geht, hilft dem Gehirn, sich zeitlich zu orientieren. Im Winter kann eine Tageslichtlampe eine sinnvolle Ergänzung sein.
  • Bewegung: Regelmäßige Bewegung, idealerweise im Freien und zu festen Zeiten, baut Spannungen ab und fördert die Müdigkeit am Abend.
  • Vermeidung von Tagesschlaf: Ein kurzer Mittagsschlaf kann guttun, sollte aber 30 Minuten nicht überschreiten, um die innere Uhr nicht zusätzlich zu stören und den Nachtschlaf zu erschweren.
  1. Optimierung der Schlafumgebung:
  • Lichtverhältnisse: Am Tag sollte es hell sein, abends dagegen gedimmt, um die Melatoninproduktion anzuregen. Nachtlichter mit Bewegungsmeldern helfen bei der Orientierung im Dunkeln, ohne durch grelles Licht aufzuwecken.
  • Raumtemperatur: Ideal sind eher kühle 16 bis 20 Grad Celsius. Bei Bedarf kann eine zusätzliche Decke bereitgelegt werden.
  • Gewichtsdecken: Manche Menschen mit Demenz finden mit einer Gewichtsdecke besser zur Ruhe.
  1. Gestaltung eines ruhigen Tagesausklangs:
  • Vermeidung von Reizüberflutung: Laute Fernsehsendungen, hektische Gespräche oder zu helles Licht sollten am Abend vermieden werden.
  • Feste Routinen: Ein Tee, leise Musik, eine kleine Geschichte oder gemeinsames Zähneputzen können als Signale dienen, dass die Nacht beginnt.
  • Ruhe bewahren: Wenn nachts dennoch Unruhe aufkommt, ist es wichtig, ruhig zu bleiben und den Tag ruhig ausklingen zu lassen.
  1. Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen:
  • Ärztliche Abklärung: Eine ärztliche Untersuchung kann helfen, körperliche Ursachen wie Schmerzen, Infekte oder Nebenwirkungen von Medikamenten zu erkennen und gezielt zu behandeln.
  • Entlastungsangebote: Nachtpflege, Tagesbetreuung oder stundenweise Hilfe können pflegende Angehörige entlasten.
  • Medikamentöse Beruhigung: Medikamente zur Beruhigung sollten nur gezielt und nach Rücksprache mit einem Arzt eingesetzt werden, da sie Risiken wie Stürze oder zusätzliche Verwirrtheit mit sich bringen können.
  • Umzug in eine Einrichtung: Wenn die Pflege zu Hause nicht mehr möglich ist, kann ein Umzug in eine Einrichtung neue Stabilität bringen.

Schlafstörungen als Risikofaktor für Demenz

Wer zu kurz oder unregelmäßig schläft, hat ein höheres Risiko, an Demenz zu erkranken. Wissenschaftler bringen Schlafstörungen schon seit Längerem mit Demenz in Verbindung. Eine Studie aus den USA, die Teilnehmende über einen Zeitraum von 1993 bis 2012 zu ihren Schlafgewohnheiten befragte und neuropsychologisch untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass Seniorinnen und Senioren, die dauerhaft weniger als sieben Stunden pro Nacht schliefen, ein deutlich erhöhtes Risiko für kognitive Beeinträchtigungen aufwiesen. Dies galt auch für Teilnehmende mit einer großen Variabilität in der Schlafdauer.

Die beobachtete Schlafvariabilität führen die Autorinnen und Autoren auf unterschiedliche Gründe zurück, darunter altersbedingte Erkrankungen im neurologischen oder psychiatrischen Bereich wie Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfall. Auch Schichtarbeit, Ruhestand oder Änderungen des Familienstands können damit verbunden sein.

Eine Ursache für ein erhöhtes Demenzrisiko bei kurzer Schlafdauer könnte in der Funktionsweise des sogenannten glymphatischen Systems liegen, das wohl zum Abbau unter anderem von Eiweißen wie Beta-Amyloid beiträgt.

Aktuelle Forschungsergebnisse zum Zusammenhang von Schlaf und Demenzrisiko

Eine aktuelle Studie im Wissenschaftsmagazin Nature Communications hat Zahlen für einen Zusammenhang zwischen Schlaf und Demenzrisiko vorgelegt. Daten von fast 8.000 Menschen über eine Zeit von 25 Jahren wurden dazu ausgewertet. Die Ergebnisse zeigten, dass Teilnehmende mit durchschnittlich sieben Stunden Nachtruhe im Alter die niedrigste Demenzrate hatten. Bei jenen mit kürzeren Schlafzeiten trat eine Demenz hingegen um 30 Prozent öfter auf.

Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung e. V., dämpft jedoch die Erwartungen: „Ob der Schlaf der Auslöser ist, müssen weitere Studien erst klären.“ Ebenso könne der Zusammenhang andersherum sein und der kürzere Schlaf eine Folgeerscheinung der Demenz bei den untersuchten Personen.

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Prof. Dr. Kathrin Reetz, Vizepräsidentin der Deutschen Hirnstiftung, rät, angesichts dieser Ergebnisse nicht in Panik zu verfallen. Schlaflosigkeit kann auch oft psychisch bedingt sein, etwa durch Stress, Probleme oder Sorgen. Menschen, die aber über Monate oder sogar Jahre oft wachliegen, sollten zum Arzt gehen. Generell gelte: Schlaf ist wichtig für die Gesundheit.

Schlafstörungen und spezifische Demenzformen: REM-Schlaf-Verhaltensstörung

Auch bei Parkinson gibt es eine Verbindung zwischen der Erkrankung und schlechtem Schlaf. Viele Menschen, die unter einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung leiden, können im weiteren Verlauf eine Parkinson-Krankheit entwickeln. Diese Störung ist durch lebhafte aktive Träume mit zum Teil aggressivem Inhalt und körperlicher Aktivität wie Treten oder Schreien im Traumschlaf gekennzeichnet.

Charakteristisch für die REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD) ist, dass die sonst im REM-Schlaf blockierte Muskelaktivität teilweise vorhanden ist. Dadurch kann der Traum teilweise in Aktionen umgesetzt (ausagiert) werden. Da die Trauminhalte meist einen aggressiven Charakter haben, bewegen sich die Patientinnen und Patienten zum Teil heftig. Sie wehren sich im Traum, schreien, schlagen um sich oder versuchen zu fliehen. Die Betroffenen sind schnell erweckbar und erinnern sich an die Inhalte des Traumes gut. Aus bisher ungeklärten Gründen wird die RBD hauptsächlich bei Männern diagnostiziert.

Wenn die RBD isoliert auftritt, haben die hiervon Betroffenen ein Risiko von bis zu 80 Prozent, innerhalb von 10-15 Jahren an einer neurodegenerativen Erkrankung wie der Parkinson-Krankheit oder der Lewy-Körper-Demenz zu erkranken. Wer also an einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung leidet, darüber hinaus eine Riechstörung hat und merkt, dass er vergesslicher wird oder sich nicht mehr so gut orientieren kann wie früher, sollte sich ärztlichen Rat holen.

Langzeitstudien bestätigen den Zusammenhang

Eine Langzeitstudie in Nature Communications (2021; DOI: 10.1038/s41467-021-22354-2) kommt zu dem Ergebnis, dass ausreichender Schlaf langfristig auch vor kognitiven Schäden schützen und helfen könnte, im Alter einer Demenz vorzubeugen.

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Die Funktionen des Schlafs, in dem die Menschen etwa 1/3 ihres Lebens verbringen, sind erst ansatzweise erforscht. Eine Aufgabe könnte darin bestehen, das Gehirn, das Organ mit dem höchsten Energieverbrauch im ganzen Körper, von Schadstoffen wie Beta-Amyloid zu befreien, deren Ablagerungen den Boden für degenerative Erkrankungen wie den Morbus Alzheimer bilden, der häufigsten Ursache von Demenzerkrankungen im Alter.

Für diese Hypothese spricht die vor 10 Jahren gemachte Entdeckung, nach der der Liquor cerebrospinalis, der in den Hirnventrikeln gebildet wird, vor seiner Resorption in den Hirnhäuten regelmäßig das Gehirn „spült“. Dies erfolgt über ein „glymphatisches“ System, das in den nächtlichen Stunden den Zwischenraum zwischen den Nervenzellen vergrößert und die Reinigungsarbeiten am Gehirn ermöglicht.

Die Whitehall-II-Studie: Langzeitbeobachtung von Schlafgewohnheiten und Demenzrisiko

Eine weitere Möglichkeit, den Zusammenhang zwischen Schlafstörungen und Demenzen zu untersuchen, besteht in der Beobachtung von größeren Menschengruppen über einen längeren Zeitraum. Eine solche Kohorte bilden 7.959 britische Staatsangestellte, die in der Whitehall-II-Studie seit Mitte der 1980er-Jahre regelmäßig befragt und auch medizinisch untersucht werden.

Séverine Sabia vom University College London und Mitarbeiter haben die Antworten in den Fragebögen und die Daten aus den Akzelerometern mit den späteren Demenzdiagnosen in Verbindung gesetzt. Eine Stärke der Studie ist, dass zwischen den Befragungen und dem Beginn der Demenzen teilweise mehr als 25 Jahre lagen, eine für Beobachtungsstudien ungewöhnlich lange Nachbeobachtungszeit. Außerdem wurden die Teilnehmer nicht nur 1 Mal, sondern über die Jahre immer wieder befragt, so dass wechselnde Schlafgewohnheiten berücksichtigt werden konnten.

Die Angestellten, die im Alter von 50 Jahren eine Schlafdauer von weniger als 6 Stunden angegeben hatten, waren zu 22 % häufiger erkrankt. Angestellte, die im Alter von 60 Jahren weniger als 6 Stunden in der Nacht schliefen, waren zu 37 % häufiger erkrankt. Am höchsten war das Risiko bei den Angestellten, die zu allen Terminen einen kurzen Schlaf angegeben hatten.

Bluthochdruck und Schlafmangel als Risikofaktoren

Bluthochdruckpatienten mit zu wenig Schlaf haben ein erhöhtes Risiko für kognitive Beeinträchtigungen und Demenz. Eine Analyse der Framingham Heart Study zeigt, dass Bluthochdruckpatienten mit unzureichendem Schlaf ein höheres Risiko für kognitive Beeinträchtigungen und vaskuläre Hirnschäden haben.

Niederländische Langzeitstudie: Schlafstörungen und Demenzrisiko über 23 Jahre

Die Longitudinal Aging Study Amsterdam untersuchte 2.218 Personen über einen Zeitraum von bis zu 23,8 Jahren. Die Ergebnisse zeigen, dass Schlafstörungen das Demenzrisiko mit zunehmender Beobachtungsdauer signifikant beeinflussen:

  • Kurze Schlafdauer (≤6 Stunden): Erhöhtes Risiko wurde besonders bei einer Latenz von ≥15 Jahren beobachtet.
  • Unterbrochener Schlaf: Die Odds Ratio erreichte 7,16 nach 23 Jahren, was auf eine starke Assoziation hinweist.
  • Frühes Erwachen: Mit einer Verzögerung von 16 Jahren war das Risiko mehr als verdreifacht.
  • Lange Schlafdauer (≥9 Stunden): Hier wurde das Risiko nur bei kurzen Beobachtungszeiten (ca. 3 Jahre) erhöht gemessen, was auf mögliche Rückkopplungseffekte durch die prodromale Phase der Demenz hinweist.

Die Studie zeigt, dass bei kurzen Beobachtungszeiten ein sogenannter "reverse causation"-Effekt auftreten kann. Dies bedeutet, dass neurodegenerative Veränderungen bereits vor dem klinischen Auftreten einer Demenz die Schlafqualität beeinflussen können. Längere Beobachtungszeiträume mindern diesen Einfluss und erlauben eine genauere Einschätzung der kausalen Beziehungen zwischen Schlafstörungen und Demenz.

Präventive Bedeutung von gutem Schlaf

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die frühe Erkennung und Behandlung von Schlafstörungen essenziell für die Prävention von Demenz sein könnte. Guter Schlaf ist mehr als Erholung: Er schützt unser Gehirn.

Forschende vermuten, dass gesunder Schlaf sogar helfen kann, einer Alzheimer-Erkrankung vorzubeugen. Schlaf und Hirngesundheit sind eng miteinander verknüpft. Auch wenn der Zusammenhang zwischen chronischem Schlafmangel und der Entstehung von Demenzerkrankungen wie Alzheimer noch nicht genau geklärt ist, deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass im Schlaf wichtige Regenerationsprozesse im Gehirn ablaufen, die auch vor Demenzerkrankungen schützen können. Dazu gehören unter anderem die Stärkung der Nervenzellverbindungen und die Verarbeitung von Erinnerungen.

Einer der wichtigsten Prozesse ist der Abtransport schädlicher Substanzen aus dem Gehirn, wozu auch Amyloid-Beta gehört - das Protein, das sich bei der Alzheimer-Krankheit im Gehirn zu Alzheimer-Plaques verklumpt und die Verbindungen zwischen den Nervenzellen zerstört.

Wenn wir schlafen, übernimmt das Gehirn also eine Art Reinigungsfunktion.

Schlafhygiene: Tipps für einen gesunden Schlaf

Gute Schlafgewohnheiten (auch bekannt als "Schlafhygiene") umfassen alle Maßnahmen, die einen gesunden Schlaf ermöglichen beziehungsweise fördern. Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) empfiehlt:

  • Eine angenehme Schlafumgebung: Das Schlafzimmer sollte möglichst kühl (16°C bis 18°C), ruhig und dunkel sein.
  • Abendroutinen: Gehen Sie möglichst immer zur selben Uhrzeit schlafen, auch am Wochenende.
  • Einschlafhilfen: Baldriantropfen, Kräutertees mit Passionsblume, Melisse oder Lavendelblüten können beruhigend wirken.
  • Sich Zeit geben: Schlaf lässt sich nicht erzwingen, achten Sie daher darauf, was Ihnen gut tut und Sie entspannt.

Wenn Sie häufig schlecht schlafen und sich dies negativ auf Ihren Alltag auswirkt, lassen Sie dies ärztlich abklären. So lässt sich feststellen, ob die Schlafprobleme durch äußere Umstände entstehen - oder ob körperliche oder seelische Ursachen dahinterstecken.

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