Die Parkinson-Forschung erlebt derzeit einen entscheidenden Wendepunkt. Fortschritte in der Genetik, Biomarker-Forschung und künstlichen Intelligenz ermöglichen immer individuellere Diagnosen und tiefere Einblicke in die komplexen Stoffwechselwege, die an der Entstehung und dem Verlauf der Krankheit beteiligt sind. Dies eröffnet die Möglichkeit, ursachenspezifische Therapien zu entwickeln, die nicht nur die Symptome lindern, sondern auch das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen oder sogar aufhalten könnten.
Medikamentöse Therapie: Hoffnungsträger Prasinezumab und GLP-1-Rezeptoragonisten
Prof. Brockmann stellte aktuelle Entwicklungen in der medikamentösen Parkinson-Therapie vor, wobei zwei molekulare Zielstrukturen im Fokus stehen: der GLP-1-Rezeptor und Alpha-Synuclein.
Alpha-Synuclein und Prasinezumab
Alpha-Synuclein, dessen Aggregation mit der Pathogenese von Parkinson in Verbindung steht, ist ein wichtiger Angriffspunkt für neue Therapieansätze. Der monoklonale Antikörper Prasinezumab, der sich gegen Alpha-Synuclein richtet, hat in frühen Studien vielversprechende Ergebnisse gezeigt. Die PASADENA-Studie und ihre open-label-Extensionsphase deuteten darauf hin, dass Prasinezumab bei Patienten mit rascher Progression in der Frühphase positive Effekte erzielen und den Krankheitsverlauf verlangsamen könnte.
Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde die PADOVA-Studie initiiert, die Prasinezumab bei 586 Betroffenen im Frühstadium der Parkinson-Erkrankung untersucht. Diese Patienten werden bereits mit Levodopa oder MAO-B-Hemmern behandelt. Die Ergebnisse dieser Studie werden mit Spannung erwartet und könnten einen wichtigen Schritt hin zu einer krankheitsmodifizierenden Therapie darstellen.
GLP-1-Rezeptoragonisten
Neben Alpha-Synuclein rücken auch GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) in den Fokus der Forschung. Diese Substanzen, die ursprünglich zur Behandlung von Diabetes entwickelt wurden, könnten neuroprotektive Wirkungen haben und somit das Fortschreiten der Parkinson-Krankheit verlangsamen. Während eine Phase-3-Studie mit Exenatid keine signifikanten Vorteile zeigte, ergaben multizentrische klinische Studien, dass Lixisenatid die Parkinson-Symptome in einem geringen, aber statistisch signifikanten Umfang verlangsamen könnte.
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Biomarkerforschung: Der Schlüssel zur Früherkennung und personalisierten Medizin
Die Biomarkerforschung spielt eine zentrale Rolle für eine moderne Parkinson-Medizin. Biologische Marker sind essenziell für Früherkennung, Differenzialdiagnostik und individualisierte Therapien.
Früherkennung durch Proteomanalyse
Ein innovatives Testverfahren, das in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern an der Paracelsus Elena Klinik in Kassel entwickelt wurde, ermöglicht die Früherkennung von Parkinson bei Risikopatienten bis zu sieben Jahre vor dem Auftreten typischer motorischer Symptome. Dieser Test basiert auf der Analyse von acht Proteinen im Blut, die neurodegenerative Veränderungen mit einer hohen Treffsicherheit erkennen.
Prof. Mollenhauer und ihr Team entwickeln blutbasierte Tests, um die klinische Nutzbarkeit weiter zu verbessern. Die Identifizierung von 23 Proteinen, die als potenzielle Biomarker dienen könnten, ist ein vielversprechender Schritt in diese Richtung.
Weitere Biomarker und personalisierte Therapieansätze
Neben der Proteomanalyse gewinnen auch weitere Biomarker an Bedeutung:
- Genetische Risikoprofile: Die Aufklärung genetischer Ursachen kann für Menschen mit Parkinson von großer Bedeutung sein, zum Beispiel, um den Verlauf abzuschätzen, etwa die Wahrscheinlichkeit, dass kognitive Störungen auftreten.
- Spezifizierte Immunzellveränderungen: Veränderungen im Immunsystem, wie z.B. eine verstärkte Differenzierung von CD8-TEMRA-Zellen im Frühstadium, eröffnen neue Möglichkeiten für personalisierte Therapieansätze.
- Veränderungen im Mikrobiom: Das Mikrobiom, die Gesamtheit der Mikroorganismen im Darm, steht ebenfalls im Fokus der Forschung. Veränderungen in der Zusammensetzung des Mikrobioms könnten zur Entstehung und zum Verlauf der Parkinson-Krankheit beitragen.
- Digitale Biomarker: Digitale Biomarker ergänzen das Spektrum durch objektive Erfassung motorischer und nichtmotorischer Parameter.
Biomarker würden nicht nur eine frühere und präzisere Diagnosestellung ermöglichen, sondern sind der Schlüssel für eine präventiv-personalisierte Medizin.
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Alpha-Synuclein Seed Amplification Assay (SAA)
Ein zentraler Angriffspunkt für modifizierende Therapien ist das bei der Parkinson-Krankheit fehlgefaltete Eiweiß Alpha-Synuclein. Seit Kurzem ist es mithilfe eines neuen sogenannten Alpha-Synuclein Seed Amplification Assay (SAA) erstmals möglich, das Vorhandensein von fehlgefaltetem Alpha-Synuclein individuell mit einer 95-%-Genauigkeit zu messen. „Der neue Test ist ein Meilenstein für die Parkinson-Forschung und die Entwicklung neuer Therapien. Er könnte eine frühe und vor allem genaue Diagnose ermöglichen, bevor das Gehirn zu stark geschädigt ist“, so Prof. Brockmann.
Leuchtturm-Projektverbund Parkinson: Eine Förderinitiative für innovative Forschung
Im Rahmen des „Leuchtturm-Projektverbunds Parkinson“ fließen in den nächsten drei Jahren 2,3 Millionen Euro aus privaten Mitteln in sechs ausgewählte Forschungsprojekte. Diese Projekte konzentrieren sich auf verschiedene Aspekte der Parkinson-Forschung, von der Optimierung der Klassifikation bis zur Entwicklung hochempfindlicher Nachweisverfahren für Alpha-Synuclein.
Die geförderten Projekte im Überblick:
- Prof. Günter Höglinger (München): Optimierung der präzisen Klassifikation von Parkinson gemäß den SynNeurGe-Kriterien, um die biomarkerbasierte Diagnose und Stadieneinteilung zu fördern.
- PD Dr. Ana Westenberger und Prof. Dr. Norbert Brüggemann (Lübeck): Genetische Charakterisierung der ROPAD-Kohorte mit Fokus auf GBA1-, LRRK2- und PRKN-Mutationen.
- Prof. Matthias Brendel (München): Validierung bildgebender Marker für Neurodegeneration zur differenzierten Diagnostik auch im präklinischen Stadium, um die Prozesse der Neurodegeneration über das gesamte Spektrum der Parkinson-Krankheit abzuleiten.
- Prof. Kathrin Brockmann (Tübingen) und Prof. Björn Falkenburger (Dresden): Entwicklung hochempfindlicher Seed Amplification Assays zum Nachweis pathologischen alpha-Synucleins in Frühstadien und zur Untersuchung der biologischen Heterogenität von Parkinson.
- Prof. Brit Mollenhauer (Kassel): Etablierung prädiktiver Blut-Protein-Marker in einer bevölkerungsbasierten Risikokohorte (BRIDGE-PD).
- **PD Dr. Eva Schäffer und Prof. Dr.
Schlaf, Bewegung und ganzheitliches Management
Die DPG und Parkinson Stiftung betonen die Bedeutung von Schlaf und Bewegung als tragende Elemente eines ganzheitlichen Parkinson-Managements.
Schlafstörungen
Schlafstörungen gehören zu den häufigsten und oft frühesten Begleiterscheinungen von Parkinson. Neben klassischen Beschwerden wie Insomnie oder nächtlichem Harndrang rücken zunehmend auch biologische Hintergründe wie zirkadiane Rhythmusstörungen oder eine gestörte Funktion des glymphatischen Systems in den Fokus. Dieses spielt vermutlich eine Schlüsselrolle bei der nächtlichen „Reinigung“ des Gehirns von neurotoxischen Proteinen.
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Bewegungstherapie
Bewegungstherapie gilt derzeit als der am besten belegte nichtmedikamentöse Ansatz zur Krankheitsmodulation. Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2023 mit über 7.900 Teilnehmenden zeigte, dass verschiedenste Trainingsformen - von Tai Chi bis BIG-Therapie - sowohl motorische Funktionen als auch das allgemeine Wohlbefinden verbessern können.
Genetische Ursachenforschung und neue Klassifikation der Parkinson-Krankheit
Neben dem altersbedingten Nachlassen von zellulären Funktionen sowie Lebensstil und Umweltfaktoren tragen auch genetische Veränderungen zur Entstehung der Parkinson-Krankheit bei. Dabei unterscheiden Forschende klassische seltene Mutationen, z. B. in den Genen SNCA, LRRK2, Parkin und PINK1, von den - häufiger vorkommenden -genetischen Risikofaktoren. Der derzeit wichtigste Vertreter für solch einen Risikofaktor sind Veränderungen im GBA1-Gen.
Neueste Forschungsarbeiten zeigen, dass genetische Varianten in GBA1 nicht nur in Europa, Nordamerika und Asien, sondern auch häufig in Patient:innen mit schwarzafrikanischer Abstammung vorkommen und somit weltweit relevant sind.
Basierend auf all diesen neuen Forschungserkenntnissen arbeiten Forschende weltweit derzeit daran, eine neue Klassifikation der Parkinson-Krankheit zu erstellen. Denn die bisher primär klinische Einteilung wird dem heutigen Wissen über die komplexen Pathomechanismen und die biologische Heterogenität nicht mehr gerecht. Die neue Klassifikation soll nun auf rein biologischen Merkmalen basieren. Dabei werden drei Kernelemente als Biomarker Einzug erhalten: Nachweis von Alpha-Synuclein, Nachweis von Neurodegeneration und Nachweis von genetischen Varianten.
„Die Verwendung einer solchen biologischen Klassifikation wird Fortschritte in der Grundlagen- und der klinischen Forschung in Richtung einer individuellen Präzisionsmedizin weiter voranbringen“, ist Prof. Brockmann überzeugt.
Bayer erreicht letzte Studienphase mit neuer Zelltherapie
Das Pharmaunternehmen Bayer hat bei der Entwicklung einer neuartigen Therapie gegen Parkinson einen wichtigen Meilenstein erreicht. Für den Zelltherapiekandidaten Bemdaneprocel sei der erste Patient in die zulassungsrelevante Phase-3-Studie aufgenommen worden, teilte der Pharma- und Agrarkonzern mit. Die Studie mit rund 100 Parkinson-Patienten ist die weltweit erste ihrer Art mit einer solchen Therapie.
Die Zelltherapie Bemdaneprocel zielt darauf ab, die bei Parkinson verlorenen dopaminproduzierenden Neuronen zu ersetzen. Dafür werden aus Stammzellen gezüchtete Nerven-Vorläuferzellen in das Gehirn der Patienten implantiert.
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