Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die sich durch vielfältige Symptome und Krankheitsverläufe auszeichnet. Die Auswirkungen der MS auf das Leben der Betroffenen können erheblich sein und reichen von leichten Beeinträchtigungen bis hin zu schwerer Behinderung. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Aspekte der MS, einschließlich der Expanded Disability Status Scale (EDSS), des Grades der Behinderung (GdB), des Pflegegrades und der verfügbaren Unterstützungsleistungen.
Einführung in die Multiple Sklerose
MS ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheiden angreift, die die Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark schützen. Diese Schädigung der Myelinscheiden führt zu einer Verlangsamung oder Blockierung der Nervenimpulse, was zu einer Vielzahl von neurologischen Symptomen führen kann.
Die MS wird auch als die Krankheit mit den 1000 Gesichtern bezeichnet, da sie sich bei jedem Patienten anders äußert und einen individuellen Verlauf nimmt. Die Art und Schwere der Symptome können im Laufe der Zeit variieren und reichen von Sehstörungen, Muskelschwäche und Koordinationsstörungen bis hin zu Fatigue, kognitiven Beeinträchtigungen und psychischen Problemen.
Es gibt verschiedene Formen der MS, darunter:
- Schubförmig remittierende MS (RRMS): Die häufigste Form, bei der sich Schübe mit Phasen der Remission abwechseln.
- Sekundär progrediente MS (SPMS): Entwickelt sich aus RRMS und ist durch eine allmähliche Verschlechterung der Symptome gekennzeichnet, unabhängig von Schüben.
- Primär progrediente MS (PPMS): Eine seltene Form, bei der die Symptome von Anfang an fortschreiten, ohne dass es zu Schüben kommt.
Die Expanded Disability Status Scale (EDSS)
Die Expanded Disability Status Scale (EDSS) nach Dr. John F. Kurtzke ist ein wichtiges Instrument zur Messung und Dokumentation des Grades der Beeinträchtigung bei MS. Die EDSS ist wie ein "Thermometer" für die MS - sie hilft dabei, den aktuellen Zustand zu messen und Veränderungen im Krankheitsverlauf zu dokumentieren. Dr. Kurtzke arbeitete im Veterans Administration (VA) Hospital. Die ursprüngliche Skala wurde 1955 veröffentlicht und enthielt 10 Stufen. 1983 erweiterte Dr. Kurtzke die Skala zur heutigen EDSS mit Halbpunktschritten, um eine genauere Beurteilung zu ermöglichen. Bei niedrigeren EDSS-Werten (0-4) basiert die Bewertung hauptsächlich auf den oben genannten Funktionssystemen.
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Die EDSS bewertet verschiedene Funktionssysteme des Nervensystems, darunter:
- Pyramidenbahnen (motorische Funktionen)
- Kleinhirn (Koordination und Gleichgewicht)
- Hirnstamm (Sprache, Schlucken)
- Sensorik (Empfindungen)
- Blase und Darm
- Sehen
- Kognition
Die EDSS-Werte reichen von 0 (normale neurologische Untersuchung) bis 10 (Tod infolge MS) und werden in Schritten von 0,5 vergeben. Die EDSS-Werte geben Aufschluss über den Grad der Behinderung und helfen Ärzten, den Krankheitsverlauf zu beurteilen und die Behandlung zu planen.
EDSS-Skala:
- 0: Normale neurologische Untersuchung (Grad 0 in allen funktionellen Systemen (FS))
- 1.0: Keine Behinderung, minimale Abnormität in einem FS (d.h. Grad l)
- 1.5: Keine Behinderung, minimale Abnormität in mehr als einem FS (mehr als einmal Grad l)
- 2.0: Minimale Behinderung in einem FS (ein FS Grad 2, andere 0 oder l)
- 2.5: Minimale Behinderung in zwei FS (zwei FS Grad 2, andere 0 oder l)
- 3.0: Mässiggrade Behinderung in einem FS (ein FS Grad 3, andere 0 oder l) oder leichte Behinderung in drei oder vier FS (3 oder 4 FS Grad 2, andere 0 oder l), aber voll gehfähig.
- 3.5: Voll gehfähig, aber mit mässiger Behinderung in einem FS (Grad 3) und ein oder zwei FS Grad 2; oder zwei FS Grad 3; oder fünf FS Grad 2 (andere 0 oder l) Grad 2; oder zwei FS Grad 3; oder fünf FS Grad 2 (andere 0 oder l)
- 4.0: Gehfähig ohne Hilfe und Rast für mindestens 500 m. Aktiv während ca. 12 Stunden pro Tag trotz relativ schwerer Behinderung (ein FS Grad 4, andere 0 oder l)
- 4.5: Gehfähig ohne Hilfe und Rast für mindestens 300 m. Ganztägig arbeitsfähig. Gewisse Einschränkung der Aktivität, benötigt minimale Hilfe, relativ schwere Behinderung (ein FS Grad 4, andere 0 oder l)
- 5.0: Gehfähig ohne Hilfe und Rast für etwa 200 m. Behinderung schwer genug, um tägliche Aktivität zu beeinträchtigen (z. B. ganztägig zu arbeiten ohne besondere Vorkehrungen). (Ein FS Grad 5, übrige 0 oder l; oder Kombination niedrigerer Grade, die aber über die Stufe 4.0 geltenden Angaben hinausgehen)
- 5.5: Gehfähig ohne Hilfe und Rast für etwa 100 m. Behinderung schwer genug, um normale tägliche Aktivität zu verunmöglichen (FS Äquivalente wie Stufe 5.0)
- 6.0: Bedarf intermittierend, oder auf einer Seite konstant, der Unterstützung (Krücke, Stock, Schiene) um etwa 100 m ohne Rast zu gehen. (FS-Äquivalente: Kombinationen von mehr als zwei FS Grad 3 plus
- 6.5: Benötigt konstant beidseits Hilfsmittel (Krücke, Stock, Schiene), um etwa 20 m ohne Rast zu gehen (FS-Äquivalente wie 6.0)
- 7.0: Unfähig, selbst mit Hilfe, mehr als 5 m zu gehen. Weitgehend an den Rollstuhl gebunden. Bewegt den Rollstuhl selbst und transferiert ohne Hilfe (FS-Äquivalente Kombinationen von mehr als zwei FS Grad 4 plus, selten Pyramidenbahn Grad 5 allein)
- 7.5: Unfähig, mehr als ein paar Schritte zu tun. An den Rollstuhl gebunden. Benötigt Hilfe für Transfer. Bewegt Rollstuhl selbst, aber vermag nicht den ganzen Tag im Rollstuhl zu verbringen. Benötigt eventuell motorisierten Rollstuhl (FS-Äquivalente wie 7.0)
- 8.0: Weitgehend an Bett oder Rollstuhl gebunden; pflegt sich weitgehend selbständig. Meist guter Gebrauch der Arme (FS-Äquivalente Kombinationen meist von Grad 4 plus in mehreren Systemen)
- 8.5: Weitgehend ans Bett gebunden, auch während des Tages. Einiger nützlicher Gebrauch der Arme, einige Selbstpflege möglich (FS-Äquivalente wie 8.0)
- 9.0: Hilfloser Patient im Bett. Kann essen und kommunizieren (FS-Äquivalente sind Kombinationen, meist Grad 4 plus)
- 9.5: Gänzlich hilfloser Patient. Unfähig zu essen, zu schlucken oder zu kommunizieren (FS-Äquivalente sind Kombinationen von fast lauter Grad 4 plus)
- 10.0: Tod infolge MS
Grad der Behinderung (GdB) bei MS
In Deutschland wird der Grad der Behinderung (GdB) bei MS anhand der zerebralen und spinalen Ausfallserscheinungen sowie des Krankheitsverlaufs festgestellt. Der GdB wird in Zehnergraden von 20 bis 100 angegeben, wobei höhere Werte einen höheren Grad der Behinderung bedeuten.
Die Höhe des GdB bei MS richtet sich nach den individuellen Beeinträchtigungen und kann im Laufe der Zeit variieren. Zu den Faktoren, die bei der Feststellung des GdB berücksichtigt werden, gehören:
- Zerebrale Ausfallserscheinungen: Sehstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Sprachstörungen, kognitive Einschränkungen
- Spinale Ausfallserscheinungen: Lähmungen, Muskelschwäche, Sensibilitätsstörungen
- Krankheitsverlauf: Schubförmig, progredient
Bedeutung des GdB:
Ein GdB von mindestens 50 gilt als Schwerbehinderung und berechtigt zu einem Schwerbehindertenausweis. Mit einem Schwerbehindertenausweis gehen verschiedene Nachteilsausgleiche einher, wie z.B.:
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- Zusätzliche Urlaubstage
- Steuerfreibeträge
- Erhöhter Kündigungsschutz
- "Einladungszwang" bei Vorstellungsgesprächen im öffentlichen Dienst
Pflegegrad bei MS
Ein Pflegegrad wird von der Pflegeversicherung vergeben, wenn Menschen aufgrund von gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage sind, ihren Alltag selbstständig zu gestalten. Die MS kann zu vielfältigen neurologischen Störungen führen, die wiederum Funktionsstörungen in Form einer Behinderung zur Folge haben können. Allerdings nimmt die Multiple Sklerose bei jedem Patienten einen individuellen Verlauf, sodass sich sowohl der Grad der Behinderung als auch der Pflegebedarf stark voneinander unterscheiden können.
Die Pflegegrade reichen von 1 (geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit) bis 5 (schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit). Der Pflegegrad wird anhand eines Begutachtungsverfahrens durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) festgestellt.
Faktoren, die bei der Feststellung des Pflegegrades berücksichtigt werden:
- Mobilität
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
- Selbstversorgung
- Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
Pflegeleistungen:
Je nach Pflegegrad stehen verschiedene Pflegeleistungen zur Verfügung, wie z.B.:
- Pflegegeld
- Pflegesachleistungen
- Teilstationäre Pflege (Tages- oder Nachtpflege)
- Vollstationäre Pflege (Pflegeheim)
- Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen
Unterstützung und Ressourcen für MS-Patienten
MS-Patienten und ihre Angehörigen können auf eine Vielzahl von Unterstützungsangeboten und Ressourcen zurückgreifen, darunter:
- Ärztliche Behandlung: Neurologe, Hausarzt
- Therapie: Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Psychotherapie
- Selbsthilfegruppen: Erfahrungsaustausch, gegenseitige Unterstützung
- Beratungsstellen: Informationen zu sozialrechtlichen Fragen, Pflegeleistungen
- Patientenorganisationen: Interessenvertretung, Aufklärung
Erfahrungen und Tipps von Betroffenen
Viele MS-Patienten berichten von ähnlichen Erfahrungen im Umgang mit der Erkrankung und den damit verbundenen Herausforderungen. Einige Tipps, die Betroffene geben, sind:
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- Frühzeitige Diagnose und Behandlung: Je früher die MS diagnostiziert und behandelt wird, desto besser können die Symptome kontrolliert und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamt werden.
- Aktive Teilnahme an der Behandlung: MS-Patienten sollten aktiv an ihrer Behandlung teilnehmen und ihre Bedürfnisse und Wünsche gegenüber ihren Ärzten und Therapeuten äußern.
- Annahme von Unterstützung: Es ist wichtig, Unterstützung von Familie, Freunden, Selbsthilfegruppen und professionellen Helfern anzunehmen.
- Anpassung des Lebensstils: MS-Patienten müssen möglicherweise ihren Lebensstil anpassen, um mit den Symptomen der Erkrankung besser umgehen zu können. Dazu gehören beispielsweise regelmäßige Bewegung, eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf und Stressmanagement.
- Beantragung eines Schwerbehindertenausweises: Ein Schwerbehindertenausweis kann MS-Patienten viele Vorteile bringen, wie z.B. zusätzliche Urlaubstage, Steuerfreibeträge und einen erhöhten Kündigungsschutz.
- Widerspruch gegen Ablehnungen: Es lohnt sich oft, Widerspruch gegen Ablehnungen von Anträgen auf Schwerbehindertenausweis oder Pflegegrad einzulegen.