Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle können unterschiedliche Auswirkungen auf das Arbeitsleben haben, je nach Anfallsrisiko, Art und Häufigkeit der Anfälle, Wirkung der Medikamente, Beruf und Arbeitsplatz. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die Beurteilung beruflicher Möglichkeiten bei Epilepsie und nach einem ersten epileptischen Anfall, basierend auf den Richtlinien der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und anderen relevanten Quellen.
Einleitung
Die DGUV Information 250-001 "Berufliche Beurteilung bei Epilepsie und nach erstem epileptischen Anfall" gibt Anhaltspunkte zur sachgerechten Beurteilung der beruflichen Möglichkeiten von Personen mit Epilepsie und von Personen nach einem ersten epileptischen Anfall, um deren Eingliederungschancen zu verbessern. Dabei werden nur die Einschränkungen berücksichtigt, die sich durch die Anfälle ergeben. Darüber hinausgehende Funktionsstörungen, z. B. psychische Beeinträchtigungen oder Lähmungen, bedürfen gesonderter Beurteilung, ggf. in einer Facheinrichtung für Epilepsie oder einer Rehabilitationseinrichtung.
Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz
Individuelle Risikobetrachtung
Die große Herausforderung ist, persönliche Wünsche, Leistungsfähigkeit und Einschränkungen, die eine Epilepsie mit sich bringen kann, individuell abzustimmen. Statt die Berufswahl mit dem eingeschränkten Blick zu treffen, was alles wegen der Epilepsie nicht geht, sollte zuerst die Frage gestellt werden: Wo liegen die eigenen Neigungen, Interessen und Begabungen? Danach werden die möglichen Berufsfelder genauer betrachtet. Nicht immer kann der Wunschberuf erlernt werden, weil z.B. von einer Eigen- oder Fremdgefährdung auszugehen ist. Besonders, wenn Jugendliche neben der Epilepsie weitere Einschränkungen haben, z.B. eine Lernbehinderung, bieten die Berufsbildungswerke verschiedene Möglichkeiten. Diese Einrichtungen bilden vor allem junge Menschen mit Behinderungen aus.
Anfallsarten und ihre Auswirkungen
Epileptische Anfälle können sehr verschieden sein und ganz unterschiedliche Auswirkungen haben. Treten die Anfälle plötzlich auf, oder gibt es Vorboten (sog. Aura)? Sind Anfälle während der Arbeitszeit wahrscheinlich, oder kommen sie z.B. nur im Schlaf vor? Die Symptome werden dabei in verschiedene Kategorien eingeteilt. So werden z.B. Auren ("Vorgefühle") sollen als Schutzmöglichkeit berücksichtigt werden, wenn durch Fremdbeobachtungen gesichert ist, dass die Aura es dem Epilepsiekranken erlaubt, geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen und diese Möglichkeit in angemessener Weise genutzt wird.
Eigen- und Fremdgefährdung
Eine Eigengefährdung besteht z.B. bei der Gefahr, durch Anfälle mit gesundheitsschädlichen elektrischen Spannungen, infektiösen oder toxischen Stoffen in Berührung zu kommen. Fremdgefährdung ist z.B. gegeben bei anfallsbedingter Unterbrechung der Aufsicht von Minderjährigen bzw. Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen im Bereich sozialpflegerischer oder pädagogischer Berufe.
Lesen Sie auch: Kann ein Anfall tödlich sein?
TOP-Prinzip
Zur Reduzierung des Risikos der Eigen- bzw. Fremdgefährdung sollte das TOP-Prinzip angewendet werden:
- S Substitution, z.B. weniger giftige Gefahrstoffe verwenden
- T Technische Schutzmaßnahmen zur Verringerung der Gefährdung auswählen u. anwenden
- O Organisatorische Schutzmaßnahmen, z.B. Arbeiten zu zweit
- P Persönliche Schutzmaßnahmen, z.B. Tragen einer polarisierenden Sonnenbrille bei Fotosensibilität
Arbeitsplatzanpassung
Treten Epilepsien erst nach der Berufsausbildung auf und können Betroffene deshalb ihre Tätigkeit trotz Behandlung nicht mehr ausüben, muss geprüft werden, welche Alternativen in Frage kommen. Möglicherweise können Betroffene im selben Unternehmen weiterbeschäftigt werden. Ermöglicht werden kann das z.B. durch Anpassung des Arbeitsplatzes oder Wechsel an einen Arbeitsplatz, an dem weiterhin die Erfahrungen und Qualifikationen von Beschäftigten genutzt werden können, an dem eine Eigen- oder Fremdgefährdung aber ausgeschlossen ist.
Beteiligung von Experten
Zur sachgerechten Beurteilung sind ggf. der Betriebsarzt, ggf. auch die Aufsichtsperson des Unfallversicherungsträgers, die Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Sicherheitsbeauftragte des Betriebes hinzuzuziehen. Hilfreich zur Reduzierung von Gefährdungen können u. a. Frühzeitig sollte daher ein Rehaberater eingeschaltet werden, der ggf.
Berufliche Möglichkeiten und Einschränkungen
Generelle Eignung
Es gibt keine Berufe, die bei der Diagnose Epilepsie generell ungeeignet sind. Wie hoch ist das Anfallsrisiko noch? Welche Anfälle treten auf?
Tätigkeiten mit Absturzgefahr
In der Regel sind bei Absturzhöhen von mehr als 1 Meter Maßnahmen gegen Absturz erforderlich. Vorrang hat auf jeden Fall eine vollständige, umfassende, aktuelle arbeitsplatz- und tätigkeitsbezogene Gefährdungsbeurteilung. Arbeiten ganz ohne Absturzsicherung sind praktisch nicht zulässig. Sofern die Gefährdungsbeurteilung nichts anderes ergibt, bestehen bei Tätigkeiten bis zu einer Absturzhöhe von 1 m keine gesundheitlichen Bedenken, da diese Gefährdung in der Regel denen des täglichen Lebens vergleichbar ist. Bei der Beurteilung von beruflichen Möglichkeiten ist darauf zu achten, inwieweit Tätigkeiten mit Absturzgefahr berufsbestimmend sind oder nur gelegentlich vorkommen. Bei gelegentlichem Vorkommen kann Eignung bestehen, wenn die gefährdenden Tätigkeiten nicht ausgeführt werden müssen, z. B. weil ein Kollege sie übernimmt.
Lesen Sie auch: Cortison-Therapie bei Epilepsie im Detail
Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten
Das Gefährdungspotenzial der verschiedenen Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten ist ausgesprochen unterschiedlich, auch innerhalb der Untergruppen der einzelnen Tätigkeiten. Vergleichbar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung muss bei der Beurteilung der gesundheitlichen Risiken am Arbeitsplatz das Risiko eines Anfalls minimal sein, wenn eine Selbstgefährdung oder die Fremdgefährdung möglich ist.
Bildschirmarbeitsplätze
Personen mit Epilepsie sind an solchen Arbeitsplätzen einsetzbar, da im Allgemeinen keine Selbst- oder Fremdgefährdung durch Anfälle besteht. Auch weisen Bildschirmgeräte mit Kathodenstrahlröhrenanzeige (CRT) in der Regel Bildwechselfrequenzen zwischen 75 und 85 Hertz auf. In diesem Bereich wurden keine fotosensiblen Reaktionen bei Personen mit Epilepsie beobachtet. Denkbar ist eine Anfallsauslösung bei Personen mit Fotosensibilität, wenn schnell wechselnde kontrastreiche Bildschirminhalte - unabhängig von der Art des Bildschirms - vorliegen. Moderne Geräte sind derart optimiert, dass nur ein geringer Prozentsatz der Betroffenen gefährdet wäre; konkret 5% bei intermittierenden Lichtreizen zwischen in der Regel 15 und 20 Hertz und 4% bei einer Frequenz von 65 Hertz und höher. Die meisten Bildschirme im Büro arbeiten heute mit der LCD-Technik (Flüssigkristallanzeige), bei der Bilder nicht mehr zeilenweise aufgebaut werden; womit keinerlei Risiko mehr besteht. Dennoch sollten Arbeitgeber ihre Geräte prüfen.
Schichtarbeit
Verschiebungen des Schlaf-Wach-Rhythmus können Anfälle begünstigen, insbesondere Schlafentzug. Es gibt kein Untersuchungsverfahren, mit dem eine entsprechende Disposition festzustellen ist. Es sollte immer der Einzelfall - mit Wertung der anamnestischen Angaben zur Anfallsfrequenz in Verbindung mit Schlafentzug - beurteilt werden.
Erster epileptischer Anfall am Arbeitsplatz
Wie bei Herrn Fuhrmann dargestellt, reicht es nach einem ersten, einmaligen Anfallsereignis in der Regel aus, Tätigkeiten mit erhöhten, anfallsbedingten Risiken vorübergehend auszuschließen. Wie lange eine Tätigkeit im Einzelfall ruhen sollte, hängt von der Anfallsprognose und vom Ausmaß der Gefährdung ab: Tätigkeiten mit mittleren Gefahrenrisiken (zum Beispiel Erzieher, Kfz-Mechatroniker) erfordern geringere anfallsfreie Wartezeiten als Tätigkeiten mit hohen Risiken (zum Beispiel Lkw-Fahrer, Gerüstbauer). Über die Wartezeiten nach erstem Anfall informiert die DGUV-Information 250-001. Wenn nach erstem Anfall jedoch Hinweise auf eine beginnende Epilepsie vorliegen, sollte speziell in Berufen mit hohen anfallsbedingten Gefährdungen über einen Wechsel der Tätigkeit oder über eine Umschulung nachgedacht werden.
Maßnahmen nach einem Anfall
- Den Anfall beobachten und die Anfallsdauer erfassen.
- Bei einem Sturzanfall den Kopf schützen und weich lagern.
- Nach Abklingen der Krämpfe die Person in die stabile Seitenlage bringen.
Rechtliche Aspekte
Mitteilungspflicht des Arbeitnehmers
Menschen mit Epilepsie müssen ihrem Arbeitgeber die Diagnose Epilepsie nur mitteilen, wenn es die Arbeit erheblich beeinflusst, also z.B. eine Eigen- oder Fremdgefährdung mit sich bringt. Betroffene müssen die Epilepsie in diesen Fällen selbst ansprechen, nicht nur, wenn der Arbeitgeber es erfragt.
Lesen Sie auch: Ein umfassender Leitfaden zur idiopathischen generalisierten Epilepsie
Arbeitsunfall
Ein epileptischer Anfall während der Arbeitszeit stellt im Allgemeinen keinen Arbeitsunfall dar. Seine Folgen sind nicht zu entschädigen, da es sich hierbei um einen so genannten "Unfall aus innerer Ursache" handelt. Nur wenn betriebliche Umstände wesentlich zur Entstehung oder zur Schwere des Unfalles beigetragen haben, liegt ein Arbeitsunfall vor. Ein Regress des Unfallversicherungsträgers gegen Unternehmer oder Arbeitskollegen ist nur dann möglich, wenn sie den Arbeitsunfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben.
Unterstützungsmöglichkeiten
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
Kosten, die in diesem Zusammenhang entstehen, können unter Umständen im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben von verschiedenen Kostenträgern übernommen werden. Besteht aufgrund der Epilepsie eine Behinderung, dann gibt es zudem verschiedene Schutz-, Hilfs- und Fördermöglichkeiten.
Erwerbsminderungsrente
Wer wegen Epilepsie nur noch unter 6 Stunden täglich auf dem sog. allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten kann, gilt als teilweise erwerbsgemindert, sind es unter 3 Stunden ist es eine volle Erwerbsminderung. Dann kann ggf. eine Erwerbsminderungsrente das Arbeitseinkommen ersetzen oder ergänzen.
Arbeitsassistenz
Arbeitsassistenz kann Menschen mit Epilepsie eine Berufstätigkeit in Anstellung oder Selbstständigkeit ermöglichen. Arbeitsassistenz bei Epilepsie setzt voraus, dass der Mensch mit Epilepsie der Kernarbeit selbst nachgehen kann und nur für Hilfsarbeiten Assistenz braucht. Arbeitsassistenz kann ggf. eine krankheitsbedingte Kündigung wegen Epilepsie verhindern.
Lohnkostenzuschüsse
Eine Epilepsie kann die Leistungsfähigkeit vermindern. Beschäftigte brauchen dann ggf. für die gleiche Arbeit mehr Zeit als andere. Lohnkostenzuschüsse im Rahmen des sog. Budgets für Arbeit können hier helfen.
Mobilitätshilfen
Allgemein sind Mobilitätshilfen bei Epilepsie kaum bekannt. Leider ist auch die Bewilligungspraxis der zuständigen Leistungsträger mitunter zögerlich.
- Arbeitsweg: Wenn der Arbeitsplatz in zumutbarer Weise ausschließlich mit dem Auto erreichbar ist, können Leistungen aus der Kraftfahrzeughilfe beantragt werden.
- Dienstfahrten: Bei Schwerbehinderung oder Gleichstellung können notwendige Dienstfahrten über die Arbeitsassistenz bezuschusst werden.
Wichtige Informationsquellen
- DGUV Information 250-001: "Berufliche Beurteilung bei Epilepsie und nach erstem epileptischen Anfall"
- REHADAT: Zentrales unabhängiges Informationsangebot zur beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen.
- Bundesprojekt TEA: Handlungshilfe zum inkludierten Gefährdungsmanagement.
- Deutsche Epilepsievereinigung e.V.: Bietet Beratung und Unterstützung für Menschen mit Epilepsie und ihre Angehörigen.
tags: #epilepsie #am #arbeitsplatz #dguv