Fallbeispiel Epilepsie Pflege

Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen weltweit, die durch wiederholte epileptische Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch Funktionsstörungen der Nervenzellen im Gehirn, bei denen eine elektrische Übererregbarkeit vorliegt. Die Anfälle können sich sehr unterschiedlich äußern, von kurzen, unbemerkten Absencen bis hin zu schweren, generalisierten Anfällen. Die Pflege von Menschen mit Epilepsie erfordert ein umfassendes Verständnis der Erkrankung, ihrer vielfältigen Erscheinungsformen und der individuellen Bedürfnisse der Betroffenen. Eine individuelle Pflegeplanung ist entscheidend, um die Lebensqualität und Unabhängigkeit im Alltag zu verbessern und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu fördern.

Grundlagen der Epilepsie

Ein epileptischer Anfall ereignet sich aufgrund einer Funktionsstörung der Nervenzellen im Gehirn, wobei eine elektrische Übererregbarkeit vorliegt. Dies kann in einem bestimmten Bereich der Hirnrinde beginnen und eine plötzliche, gleichzeitige und rhythmische Entladung einer großen Anzahl von Hirnnervenzellen auslösen. Je nachdem, welche Nervenzellen betroffen sind, kommt es zu unterschiedlichen Ausfällen oder Symptomen, die als Anfall wahrgenommen werden.

Wenn beispielsweise nur eine kleine Nervengruppe im für die Hand zuständigen Areal des Gehirns betroffen ist, kann dies zu umschriebenen motorischen Entäußerungen des Arms führen. Bei einer Ausbreitung über das gesamte Gehirn breitet sich die motorische Aktivität auf den gesamten Körper aus, und der Patient verliert das Bewusstsein.

Epilepsie oder nicht?

Ein erster epileptischer Anfall bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine Epilepsie vorliegt. Viele Menschen erleiden unter bestimmten Umständen epileptische Anfälle. In der Schwangerschaft können sie im Rahmen der Eklampsie auftreten, im Kindesalter bei hohem Fieber ("Krämpfe"), und im Erwachsenenalter nach (unregelmäßigem) Alkoholkonsum oder anderen Drogen, nach Medikamenteneinnahme, starken Elektrolytstörungen oder ähnlichem.

Wenn bestimmte vorübergehende Auslöser oder Ursachen für einen Anfall zugrunde liegen, spricht man von einem "akut-symptomatischen Anfall". Treten jedoch mehrfach im Leben unprovozierte Anfälle auf, besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für weitere Anfälle. In diesem Fall muss je nach Ergebnis einer Hirnstrommessung und weiterer Zusatzdiagnostik entschieden werden, ob eine Therapie mit anfallsunterdrückenden Medikamenten erforderlich ist.

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Im Rahmen vieler Gehirnstörungen kann es zu einem epileptischen Anfall kommen. Unter bestimmten Voraussetzungen spricht man dann von einer Epilepsie. Beispiele hierfür sind:

  • Schlaganfall
  • Hirnhaut- oder Gehirnentzündung
  • Hirntumor
  • Narbige Veränderungen nach einer Hirnverletzung
  • Missbildung/Fehlanlage des Gehirns bei der Geburtsentwicklung
  • Stoffwechselstörung

Von einer Epilepsie spricht man, wenn sich wiederholt unprovoziert epileptische Anfälle ereignen.

Formen epileptischer Anfälle

Epileptische Anfälle können völlig unterschiedlich ablaufen. Einige dauern nur wenige Sekunden und bleiben oft unbemerkt, während andere wenige Minuten andauern und durch einen Bewusstseinsverlust gekennzeichnet sind. Manchmal kommt es zunächst zu einem extremen Anspannen der Muskulatur in Armen und Beinen, gefolgt von rhythmischen Zuckungen von Armen und Beinen. Letzteres wird, abhängig vom Ursprung, als bilateral oder generalisiert tonisch-klonischer Anfall bezeichnet.

Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) teilt die unterschiedlichen Formen von Anfällen und Epilepsien grob ein:

  • Fokale Anfälle: Diese werden von einer Funktionsstörung in einer bestimmten Region des Gehirns ausgelöst und äußern sich klinisch zum Beispiel durch unwillkürliche Zuckungen an einem Arm bei erhaltenem Bewusstsein. Der Patient verspürt häufig ein Vorgefühl (Aura) vor dem Anfall.
  • Fokale Anfälle mit Übergang zu bilateral tonisch-klonischen Anfällen (früher sekundär generalisierte Anfälle): Diese treten zunächst wie fokale Anfälle auf, breiten sich aber im Verlauf auf das ganze Gehirn aus, so dass ein Bewusstseinsverlust und Zuckungen an beiden Armen und Beinen auftreten.
  • Generalisierte Anfälle: Diese zeigen keinen bestimmten Ursprung und betreffen vom ersten Moment das gesamte Gehirn. Hier kommt es zu einer Bewusstseinsstörung ohne Vorgefühl.

Diagnostik und Therapie

Bei einem Erstereignis ist es sehr wichtig, so viele Informationen wie möglich zusammenzutragen. Die Beschreibung eines Anfallsereignisses lässt bereits Rückschlüsse auf die erkrankte Region des Gehirns zu (Semiologie). Der Ablauf eines Anfalles kann beschrieben werden als:

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  • Anfallsphase (iktale Phase)
  • Unmittelbar folgende Phase (postiktale Phase)
  • Zwischenanfallsphase (interiktale Phase)

Meist kann der Patient eine sogenannte Aura, also ein Vorgefühl, beschreiben. Als Aura können beispielsweise eine Sehstörung, eine Missempfindung aus der Magengegend, Geruchs- oder Geschmacksstörungen, emotionale Erregungszustände (Angst- oder Glücksgefühl) oder ein Déjà-vu-Erlebnis wahrgenommen werden.

Verliert der Patient bei einem Anfall das Bewusstsein, ist eine Fremdbeobachtung des weiteren Geschehens sehr hilfreich. Oft hilft heutzutage auch eine Handy-Videoaufnahme, das Ereignis einzuordnen und einen epileptischen Anfall von anderen Arten der plötzlichen Bewusstlosigkeit abgrenzen zu können.

Zusätzlich zu diesen Informationen sind Basisuntersuchungen wie eine Blut- und Nervenwasseranalyse hilfreich. Eine Elektroenzephalographie (EEG), auch bekannt als Hirnstrommessung, kann Veränderungen in der Funktion der Hirnrinde aufdecken.

Therapie

Anfallsunterdrückende Medikamente (Anfallssuppressiva) werden in der Regel dann von Ihrem Arzt verordnet, wenn mindestens zwei Anfälle unprovoziert auftreten. In Einzelfällen kann jedoch bereits nach dem ersten Anfall eine medikamentöse Behandlung erforderlich sein. Eine regelmäßige Betreuung durch einen Neurologen, manchmal auch lebenslang, ist für einen guten Behandlungserfolg unerlässlich. Ebenso wichtig ist das Führen eines Anfallskalenders durch den Patienten, um Auslöser für Anfälle zu identifizieren, deren Gefahren zu erkennen und die Häufigkeit ihres Auftretens besser abschätzen zu können.

Die Medikamenteneinstellung kann durch ein einzelnes Präparat oder durch Kombinationen erfolgen. Wenn durch die medikamentöse Therapie keine ausreichende Anfallskontrolle erreicht werden kann, kann auch ein epilepsiechirurgischer Eingriff oder ein elektrisches Stimulationsverfahren (Vagusstimulator) zur Anfallsfreiheit oder Anfallsreduktion führen.

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Komplikationen und Notfallsituationen

Die Mehrzahl der epileptischen Anfälle dauert nur wenige Sekunden bis ein oder zwei Minuten und klingt folgenlos ab. Bei Bewusstseinsverlust kann es jedoch durch einen Sturz oder heftige Entäußerungen zu Verletzungen kommen. Manche Muskelanspannungen können so heftig sein, dass es zu Knochenbrüchen kommt. Bei einem bewusstlosen Patienten im Anfall sollte nicht versucht werden, Gegenstände in den Mundraum einzubringen, da dies zu Zahnverletzungen, Verschlucken oder gar Ersticken führen kann. Stattdessen ist es wichtig, die Atemwege freizuhalten. Gefahrenstellen müssen mit jedem Patienten individuell durchgegangen werden, beispielsweise am Arbeitsplatz.

Status epilepticus

In seltenen Fällen dauern Anfälle länger an und verlaufen nicht selbstlimitierend. Dieser Zustand, der als Status epilepticus bezeichnet wird, kann lebensgefährlich sein. Das Gehirn kann bei längerer Dauer eines Anfalles Schaden nehmen. Die Situation muss so schnell wie möglich mit Medikamenten durchbrochen werden.

Ambulante Beratung und Schulung

Neben der medizinischen Behandlung ist auch die ambulante Beratung sozialer Fragen rund um das Thema Epilepsie wichtig (z.B. Arbeit, Führerschein, Sport, Schwerbehinderung). Viele Kliniken organisieren regelmäßig Epilepsie-Patientenschulungen, um Betroffene und Angehörige umfassend über medizinische und psychosoziale Fragen rund um die Krankheit zu informieren.

Fallbeispiele

Um die Vielfalt der Epilepsie und die unterschiedlichen Herausforderungen in der Pflege zu veranschaulichen, werden im Folgenden einige Fallbeispiele vorgestellt:

Fallbeispiel 1: Ein 43-jähriger Brauereimeister stellt sich beim Neurologen vor, da er vier Mal im letzten Monat Zuckungen an seinem rechten Arm bemerkt hatte. Das Zucken würde immer zunächst an der Hand beginnen und sich dann auf den kompletten Arm ausbreiten. Er könne dies überhaupt nicht kontrollieren. Die „Anfälle“ dauerten meist wenige Sekunden. Einmal beobachtete er dies aber über zwei Minuten und stellte im Anschluss eine Kraftlosigkeit im Arm fest, so dass er nicht mehr arbeitsfähig war.

Fallbeispiel 2: Ein 22-jähriger Mann mit bekannter Epilepsie wird vom Notarzt in die Klinik gebracht. Er hatte heute bereits vier Anfälle, obwohl er sonst nur etwa alle drei Monate einen Anfall hat. In der Notaufnahme schreit er plötzlich auf, atmet schwer und verliert das Bewusstsein. Es kommt zu einer starken Muskelanspannung an Armen und Beinen, bevor diese rhythmisch zu zucken beginnen. Die Augen sind geöffnet, die Pupillen erweitert und reagieren nicht auf Licht.

Fallbeispiel 3: Ein junger Mann mit geistiger Behinderung erleidet in einem Elektromarkt einen generalisierten Krampfanfall. Das Rettungsdienstteam trifft ein, als der Anfall bereits vorüber ist. Die Betreuerin des Mannes gibt an, dass er als Epileptiker bekannt ist und Valproat und Levetiracetam einnimmt. Der Patient ist schläfrig und desorientiert, hat aber freie Atemwege und stabile Vitalwerte.

Diese Fallbeispiele verdeutlichen, wie unterschiedlich sich Epilepsie äußern kann und wie wichtig eine individuelle Betreuung und Anpassung der Therapie ist.

Pflegegrad bei Epilepsie

Menschen mit Epilepsie haben unter Umständen Anspruch auf einen Pflegegrad, der ihnen Leistungen der Pflegekasse ermöglicht, um den Alltag zu erleichtern. Um einen Pflegegrad zu beantragen, sind folgende Schritte erforderlich:

  1. Formular besorgen: Den "Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung" bei der Krankenkasse oder online herunterladen.
  2. Angaben machen: Alle erforderlichen Informationen im Formular wahrheitsgemäß und ausreichend ausfüllen.
  3. Anruf vom MD erwarten: Sich auf einen Anruf vom Medizinischen Dienst (MD) zur Vereinbarung eines Termins für die Pflegebegutachtung einstellen.
  4. Bescheid abwarten: Spätestens nach 25 Arbeitstagen einen Bescheid von der Pflegekasse erhalten, der über den Pflegegrad informiert.
  5. Prüfen und ggf. Einspruch einlegen: Den Bescheid genau prüfen und bei Bedarf innerhalb eines Monats schriftlich Widerspruch einlegen.

Herausforderungen in der Pflege

Die Pflege von Menschen mit Epilepsie ist vielfältig und kann je nach Anfallsfrequenz, Anfallsart und Begleiterkrankungen sehr unterschiedlich sein. Zu den wichtigsten Aufgaben in der Pflege gehören:

  • Beobachtung und Dokumentation: Genaue Beobachtung der Anfälle (Art, Dauer, Begleitumstände) und Dokumentation im Anfallskalender.
  • Anfallsmanagement: Maßnahmen während eines Anfalls ergreifen (z.B. Schutz vor Verletzungen, Freihalten der Atemwege).
  • Medikamentenmanagement: Sicherstellung der regelmäßigen Medikamenteneinnahme und Beobachtung auf Nebenwirkungen.
  • Schulung und Beratung: Aufklärung des Patienten und der Angehörigen über die Erkrankung, Anfallsauslöser und Notfallmaßnahmen.
  • Psychosoziale Unterstützung: Unterstützung bei der Bewältigung der psychischen und sozialen Folgen der Epilepsie (z.B. Angst, Stigmatisierung, Einschränkungen im Alltag).
  • Förderung der Selbstständigkeit: Unterstützung bei der Alltagsbewältigung und Förderung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Epilepsie und geistige Behinderung

Besondere Herausforderungen ergeben sich bei der Pflege von Menschen mit Epilepsie und geistiger Behinderung. Hier ist es wichtig, die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse des Betroffenen zu berücksichtigen und die Kommunikation entsprechend anzupassen. Es hilft, ruhig und mit angepasster Lautstärke zu sprechen und einfache, klare Anweisungen zu geben.

Aktuelle Entwicklungen in der Epilepsiebehandlung

Die Epilepsiebehandlung hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Neben neuen Medikamenten gibt es auch innovative Therapieverfahren wie die Lasertherapie, bei der mit Hilfe einer Lasersonde die Hirnregion, in der die epileptischen Anfälle entstehen, abgetragen wird. Dieses Verfahren ist besonders für Patienten geeignet, bei denen eine Operation aufgrund von Angst oder anderen Gründen nicht in Frage kommt.

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