Fallbeispiel Frontotemporale Demenz: Eine umfassende Betrachtung

Die Frontotemporale Demenz (FTD), früher auch als Morbus Pick bekannt, ist eine relativ seltene Form der Demenz, die vor allem Menschen unter 65 Jahren betrifft. Im Gegensatz zur Alzheimer-Krankheit, bei der vor allem das Gedächtnis beeinträchtigt ist, manifestiert sich die FTD durch Veränderungen im Verhalten, der Persönlichkeit und der Sprache. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte der FTD, von den Ursachen und Symptomen bis hin zu Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten, und stützt sich dabei auf aktuelle Forschungsergebnisse und Fallbeispiele.

Was ist Frontotemporale Demenz?

Die Frontotemporale Demenz ist eine heterogene Gruppe von Demenzerkrankungen, die durch den fortschreitenden Abbau von Nervenzellen im Frontallappen (Stirnlappen) und/oder Temporallappen (Schläfenlappen) des Gehirns gekennzeichnet ist. Diese Hirnregionen sind entscheidend für die Steuerung von Gefühlen, Sozialverhalten, Persönlichkeit und Sprache. Die Schädigung dieser Bereiche führt zu den charakteristischen Symptomen der FTD.

Historischer Hintergrund: Morbus Pick

Die FTD wurde erstmals im Jahr 1892 vom Prager Neurologen Arnold Pick beschrieben. Er beobachtete bei seinen Patienten Ablagerungen von krankhaften Proteinen in den betroffenen Nervenzellen, die später als "Pick-Körper" bezeichnet wurden. Früher wurde die FTD daher auch als Morbus Pick bezeichnet. Heute wird diese Bezeichnung jedoch als veraltet betrachtet.

Ursachen und Risikofaktoren

Die genauen Ursachen der FTD sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischen und Umweltfaktoren eine Rolle spielt.

Genetische Faktoren

In etwa 40 % der Fälle tritt die FTD familiär gehäuft auf. Bei etwa 10 bis 15 Prozent aller Menschen mit FTD lässt sich eine genetische Veränderung nachweisen, die die Erkrankung auslöst. Meist handelt es sich um Mutationen in den Genen C9orf72, GRN oder MAPT. Wird diese genetische Veränderung von einem Elternteil vererbt, hat das Kind eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, auch an FTD zu erkranken.

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Umweltfaktoren

Auch Umweltfaktoren könnten bei der Entstehung der FTD eine Rolle spielen. Ein längerer, zu hoher Alkoholkonsum kann bei Personen unter 65 Jahren die Entstehung einer frühen Demenz begünstigen.

Symptome und Verlauf

Die Symptome der FTD können sehr unterschiedlich sein und hängen davon ab, welche Hirnregionen in welchem Ausmaß betroffen sind. Grundsätzlich lassen sich zwei Hauptvarianten unterscheiden: die Verhaltensvariante (bvFTD) und die Sprachvariante (PPA).

Verhaltensvariante (bvFTD)

Die Verhaltensvariante der FTD ist durch tiefgreifende Veränderungen im Verhalten und in der Persönlichkeit gekennzeichnet. Häufige Anzeichen sind:

  • Enthemmung: Unpassende Bemerkungen, unangemessenes sexuelles Verhalten, Ladendiebstahl oder Berührungen von Fremden.
  • Apathie: Rückzug aus sozialen und beruflichen Aktivitäten, Verlust von Interesse an Beziehungen oder Hobbys.
  • Emotionale Abstumpfung / Empathieverlust: Gleichgültigkeit gegenüber den Gefühlen nahestehender Personen, fehlende Anteilnahme oder Einfühlungsvermögen.
  • Zwanghaftes oder ritualisiertes Verhalten: Wiederholte Handlungen, Horten von Gegenständen oder das tägliche Aufsuchen bestimmter Orte.
  • Verändertes Essverhalten: Zwanghaftes Essen bestimmter Lebensmittel oder übermäßiger Konsum von Wasser oder Alkohol.
  • Fehlende Einsicht: Die Betroffenen sehen häufig nicht ein, dass ihr Verhalten ungewöhnlich ist.
  • Neuropsychologisches Profil: Defizite bei der Planung und Organisation des täglichen Lebens, während Gedächtnis- und visuell-räumliche Fähigkeiten oft intakt bleiben.

Sprachliche Variante (PPA)

Die Primär Progressive Aphasie (PPA) zeigt sich in drei verschiedenen Formen, je nachdem, welche sprachlichen Fähigkeiten am stärksten eingeschränkt sind:

  • Semantischer Typ: Verlust des Verständnisses für Wörter. Die Betroffenen können Dinge oft nicht mehr benennen oder genau beschreiben.
  • Unflüssiger/agrammatischer Typ: Schwierigkeiten beim Sprechen. Die Wörter kommen langsamer über die Lippen und das Sprechen klingt oft angestrengt.
  • Logopenischer Typ: Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden. Das Sprechen wird langsam und zögerlich, und die Betroffenen beschreiben Begriffe umständlich.

Verlauf der Erkrankung

Wie die meisten Demenzerkrankungen hat auch die FTD einen schleichenden Verlauf. Zu Beginn unterscheiden sich die Symptome je nach Subtyp deutlich. Im späten Stadium gleichen sich die Symptome von FTD und anderen Demenzerkrankungen an. Sprache und Verhalten sind stark beeinträchtigt, und es treten zusätzlich Gedächtnisprobleme auf, die an Alzheimer erinnern. Körperliche Symptome wie Bewegungsstörungen, Muskelsteifheit oder Schwierigkeiten beim Schlucken können hinzukommen. Im Endstadium benötigen die Erkrankten rund um die Uhr Pflege. Die häufigste Todesursache ist eine Lungenentzündung, die durch eine Schwächung des Immunsystems oder Schluckprobleme verursacht werden kann. Die Lebenserwartung vom Beginn der Krankheit an liegt im Schnitt bei sechs bis acht Jahren.

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Diagnose

Die Diagnose der FTD ist oft schwierig und kann lange dauern, da die Symptome denen anderer Erkrankungen ähneln können. Es gibt kein einzelnes Verfahren, das FTD eindeutig nachweisen kann. Die Diagnose erfolgt daher in mehreren Schritten:

  • Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und Prüfung grundlegender kognitiver Fähigkeiten.
  • Befragung der Angehörigen: Einschätzungen aus dem Umfeld sind entscheidend, da Erkrankte oft keine Einsicht in ihre Verhaltensänderungen zeigen.
  • Bildgebende Verfahren: MRT, CT oder FDG-PET können Veränderungen in den Stirn- und Schläfenlappen sichtbar machen.
  • Neuropsychologische Tests: Erfassung spezifischer Beeinträchtigungen in Planung, Urteilsvermögen, Sprache oder sozialem Verhalten.
  • Genetische Untersuchungen: Bei familiärer Häufung kann ein Gentest helfen, eine vererbbare Form festzustellen.

Therapie

Die Frontotemporale Demenz ist bisher nicht heilbar. Auch Medikamente, die den Krankheitsverlauf aufhalten oder verlangsamen, gibt es leider nicht. Die Behandlung konzentriert sich daher auf die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen.

Medikamentöse Behandlung

Manche Symptome - etwa starke Unruhe, Aggression oder zwanghaftes Verhalten - lassen sich mit bestimmten Medikamenten lindern.

Nicht-medikamentöse Therapie

Durch nicht-medikamentöse Therapieformen, wie sie auch bei Menschen mit Alzheimer-Demenz angewandt werden können, können einige Symptome der Patienten und Patientinnen gemildert werden. Dazu gehören:

  • Kognitive Verfahren: Gedächtnistraining, Realitätsorientierungstraining.
  • Physiotherapie: Verbesserung der Beweglichkeit und Koordination.
  • Logopädie: Verbesserung der Sprachfähigkeit und des Schluckens.
  • Psychosoziale Interventionen: Unterstützung der Angehörigen, Selbsthilfegruppen.

Weitere Maßnahmen

Neben therapeutischen Maßnahmen gibt es viele kleine Dinge, die dazu beitragen können, dass Menschen mit Frontotemporaler Demenz länger körperlich und geistig aktiv bleiben:

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  • Sport: Tägliche moderate Bewegung (Walking, Tanzen, Gymnastik etc.) kann Ängste abbauen, Unruhe mildern und beim Ein- und Durchschlafen helfen.
  • Geistige Aktivität: Brettspiele, Puzzles, Handarbeiten oder Basteln können die geistige Fitness erhalten.
  • Soziale Kontakte: Gute Gespräche, gemeinsame Erlebnisse oder einfach Nähe geben Halt und tun dem Gehirn gut.

Fallbeispiel Micha Stiegler

Das Fallbeispiel von Micha Stiegler, einem 31-jährigen Mann, der an FTD erkrankt ist, verdeutlicht die Herausforderungen, mit denen Betroffene und ihre Familien konfrontiert sind. Bei Micha begann die Krankheit mit einer panischen Angst vor Schimmel und Zwangsstörungen. Später kamen sexuell anzügliche Bemerkungen und Verhaltensauffälligkeiten hinzu. Nach einer langen Odyssee durch verschiedene psychiatrische Einrichtungen wurde schließlich die Diagnose FTD gestellt. Micha lebt seitdem wieder im Haus seiner Eltern, die sich um ihn kümmern. Sein Vater hat sich im Internet informiert und weiß, was bald schon droht: Inkontinenz, Aggressivität, Sprachstörungen bis zum Verstummen, Gehprobleme, Bettlägrigkeit, Schluckstörungen.

Herausforderungen im Umgang mit FTD

Eine der größten Herausforderungen im Umgang mit FTD ist, dass viele Erkrankte keine Einsicht in die eigene Erkrankung haben. In solchen Momenten ist es wichtig zu wissen: Man kann eine an FTD erkrankte Person nicht vom eigenen Fehlverhalten überzeugen, weil ihr schlicht der innere Maßstab fehlt.

Tipps für Angehörige

  • Informieren Sie sich: Verstehen Sie, was Frontotemporale Demenz ist, welche Symptome sie verursacht und wie sie sich im Laufe der Zeit entwickeln kann.
  • Treffen Sie frühzeitig rechtliche Vorkehrungen: Erstellen Sie rechtzeitig Vollmachten und Verfügungen.
  • Passen Sie die Kommunikation an: Formulieren Sie möglichst einfache Sätze.
  • Schaffen Sie Routinen im Alltag: Ein geregelter Tagesablauf gibt Patienten mit FTD Sicherheit und kann dazu beitragen, Verwirrung zu reduzieren.
  • Schaffen Sie ein demenzgerechtes Zuhause: Passen Sie das häusliche Umfeld Ihres betroffenen Angehörigen Stück für Stück an, um eine Wohlfühlatmosphäre zu erzeugen und die Sicherheit zu erhöhen.
  • Bleiben Sie geduldig: Veränderungen im Verhalten und in der Persönlichkeit können sehr belastend sein - gerade für die Angehörigen.
  • Achten Sie bei allem auch auf sich selbst: Vergessen Sie Ihre eigene Gesundheit und Ihr Wohlbefinden nicht.
  • Schaffen Sie positive Momente: Versuchen Sie, trotz aller Herausforderungen auch schöne Momente miteinander zu erleben.

Forschung und Ausblick

Weltweit wird intensiv an der Erforschung der FTD gearbeitet. Ziel ist es, die Ursachen der Erkrankung besser zu verstehen und neue Therapieansätze zu entwickeln. Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) hat 2016 eine Langzeitstudie gestartet, an der Patienten mit einer diagnostizierten FTD teilnehmen können.

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