Demenz ist ein Syndrom, das durch den Abbau kognitiver Funktionen und Alltagskompetenzen gekennzeichnet ist. Typisch sind eine nachlassende geistige Leistungsfähigkeit, zunehmende Orientierungslosigkeit, Sprachverarmung und der Verlust von Selbstständigkeit. Oft kommen Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens und der Motivation hinzu. Die am weitesten verbreitete Form ist die Demenz bei Alzheimer-Krankheit. Eine besondere Herausforderung bei Demenzerkrankungen stellt die fehlende Krankheitseinsicht (Anosognosie) dar.
Was bedeutet fehlende Krankheitseinsicht bei Demenz?
Krankheitseinsicht bedeutet, zu erkennen und zu akzeptieren, dass man krank ist. Während dies bei vielen körperlichen Erkrankungen selbstverständlich erscheint, fällt es Menschen mit Demenz oft schwer oder ist ihnen gar nicht möglich. Die fehlende Krankheitseinsicht (Anosognosie) äußert sich bei den Demenzkranken oft in der Überzeugung, noch selbständig und fit zu sein und somit auch keine Hilfestellung zu benötigen. Die fehlende Krankheitseinsicht ist ein Symptom vieler neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen. Es handelt sich hierbei um eine Selbstwahrnehmungsstörung; sie kann als eine Störung in der Verarbeitung innerer Reizkonstellationen (dysfunktionale Interozeption) klassifiziert werden. Es bedarf des Hinweises, dass fehlende Krankheitseinsicht bei der Demenz mit verminderter oder fehlender Depressivität einhergeht.
Ursachen der fehlenden Krankheitseinsicht
Die fehlende Krankheitseinsicht bei Demenz wird medizinisch als Anosognosie bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein neurologisch bedingtes Nichterkennen der eigenen Erkrankung, keine Verleugnung im psychologischen Sinn, sondern eine Folge der Hirnschädigung selbst. Ursache dafür sind Veränderungen in Bereichen des Gehirns, die für Selbstwahrnehmung und Urteilsvermögen zuständig sind. Das bedeutet: Die betroffene Person kann ihre Einschränkungen nicht erkennen, selbst wenn sie für Außenstehende offensichtlich sind. Insbesondere bei Menschen mit Frontotemporaler Demenz erlebt man dies sehr häufig, aber auch bei der Alzheimer-Krankheit.
Formen von Demenz und ihre Ursachen
Ätiologisch werden zwei Gruppen unterschieden: die primären degenerativen und vaskulären Demenzen (rund 90% bei den über 65-Jährigen) sowie die sekundären Demenzformen (die restlichen etwa 10%).
Degenerative Ursachen
Bei den degenerativen Demenzen kommt es mit ansteigendem Lebensalter zu einem progredienten, irreversiblen Abbau von Neuronen und konsekutivem Verlust von Nervenzellverbindungen, sodass immer mehr neuronale Funktionen ausfallen.
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Alzheimer-Demenz
Alzheimer-Demenz ist mit 60-70 Prozent die häufigste Form aller Demenzerkrankungen. Fast alle dementen Patienten über 65 Jahre weisen im Gehirn Alzheimer-charakteristische Plaques und Tau-Fibrillen auf; etliche von ihnen zeigen zusätzlich vaskuläre Hirnanomalien. Die Ursache der Eiweißablagerungen ist bislang nicht vollständig entschlüsselt. Bei der Alzheimer-Krankheit blockieren Beta-Amyloid- und Tauproteine den neuronalen Informationsaustausch und führen zum Absterben der Nervenzellen.
Lewy-Körper-Demenz
Mit rund 20 Prozent ist die Lewy-Körper-Demenz (engl. dementia with Lewy bodies, DLB) die zweithäufigste Demenzform. Betroffene weisen aus abnorm phosphorylierten Proteinen bestehende Einschlüsse im neuronalen Zytoplasma auf - die sogenannten Lewy-Körperchen. Warum diese Aggregate entstehen, ist nach wie vor unklar. In einigen Familien besteht eine genetische Prädisposition. Die Mutationen betreffen die gleichen Gene, die auch zur Parkinson-Krankheit führen. Bei der Lewy-Körper-Demenz bilden sich aus bislang unbekannter Ursache sogenannte Lewy-Körperchen, die hauptsächlich aus dem Eiweiß alpha-Synuclein bestehen.
Frontotemporale Demenz (FTD)
Die Frontotemporale Demenz (FTD) ist mit etwa 3-9 Prozent aller Demenzfälle deutlich seltener als die Alzheimer- und Lewy-Körper-Demenz. Bei jüngeren Demenzpatienten liegt der Anteil höher. Charakteristisch sind intra-/extrazelluläre Proteinakkumulationen, subkortikale Gliosen und ein Neuronenverlust. Noch ist weitgehend unbekannt, welche Faktoren diesen pathologischen Ablagerungsprozess verursachen. Ein Drittel der FTD-Patienten weist eine ursächliche Genmutation auf. Die häufigsten drei Mutationen betreffen C9orf72, GRN (Progranulin) und MAPT (microtubili associated protein tau). Bei der Frontotemporalen Demenz dominiert eine präsenil beginnende neuronale Dysfunktion und der Verlust von neuronalen Verbindungen im Frontal- und Temporalbereich.
Vaskuläre Ursachen
Vaskuläre Demenzen (VaD) sind ebenfalls mit neurodegenerativen Veränderungen und einem Verlust neuronaler Netzwerke assoziiert. Ätiologisch liegt jedoch eine vaskuläre Hirnschädigung zugrunde. Dazu gehören insbesondere: Multiple Infarkte (Multi-Infarkt-Demenz), strategische Infarkte, Marklagerläsionen und Lakunen, Hirnblutungen.
Sekundäre Ursachen
Zahlreiche Erkrankungen können zu kognitiven Störungen und demenzieller Symptomatik führen, zum Beispiel: Endokrinopathien, Vitaminmangelkrankheiten, metabolische Enzephalopathien, Intoxikationen, Elektrolytstörungen, hämatologisch bedingte Störungen, chronische Infektionskrankheiten. Sehr selten ist eine demenzielle Symptomatik auf raumfordernde Prozesse wie Tumore, Hämatome oder Hydrozephalus zurückzuführen.
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Auswirkungen der fehlenden Krankheitseinsicht
Die fehlende Krankheitseinsicht kann zu einer Reihe von Problemen führen:
- Ablehnung von Hilfe: Betroffene lehnen oft Unterstützung ab, da sie ihre Einschränkungen nicht erkennen.
- Gefährdung: Sie bestehen darauf, weiterhin Auto zu fahren, tragen bei Kälte Sommerkleidung oder nehmen Medikamente falsch ein.
- Konflikte: Es kommt häufig zu Konflikten mit Angehörigen, die die Notwendigkeit von Hilfe sehen.
- Erhöhte Belastung der Angehörigen: Die Angehörigen sind stark belastet, da sie die Betroffenen beaufsichtigen und unterstützen müssen, ohne dass diese die Notwendigkeit erkennen.
- Pflegeverweigerung: Die fehlende Krankheitseinsicht (Anosognosie) äußert sich bei den Demenzkranken oft in der Überzeugung, noch selbständig und fit zu sein und somit auch keine Hilfestellung bei der Körperpflege und dem Ankleiden zu benötigen.
Umgang mit fehlender Krankheitseinsicht
Der Umgang mit Menschen mit Demenz und fehlender Krankheitseinsicht erfordert viel Geduld, Verständnis und Einfühlungsvermögen. Hier einige Strategien, die helfen können:
- Verständnis zeigen: Akzeptieren Sie, dass die fehlende Einsicht Teil der Erkrankung ist und kein böser Wille.
- Respektvoll kommunizieren: Vermeiden Sie Vorwürfe und Kritik. Sprechen Sie in ruhigem Ton und verwenden Sie einfache Sätze.
- Sicherheit vermitteln: Schaffen Sie eine vertraute und sichere Umgebung, in der sich die Betroffenen wohlfühlen.
- Realitätsnahe Argumente: Vermeiden Sie grundsätzlich Begriffe wie Demenz, Alzheimer oder auch Vergesslichkeit. Stellen Sie den Arztbesuch so dar, dass er einem bei einem für die Person wichtigen Ziel helfen kann: „Wenn du … weiter alleine wohnen / die große Reise planen / selber Auto fahren möchtest … warum dann nicht ärztlich abklären, ob du wirklich fit genug bist?“
- Kreative Lösungen: Kreative Lösungen können dann greifen, wenn jemand sich und andere gefährdet, weil er beispielsweise unkontrolliert Geld ausgibt, unsicher Auto fährt, zu wenig isst oder Medikamente falsch einnimmt.
- Dritte Person einbeziehen: Beziehen Sie eine dritte Person ein, zum Beispiel einen guten Freund der erkrankten Person. Oft folgen Menschen lieber dem Rat von Außenstehenden als dem von Verwandten.
- Professionelle Hilfe: Suchen Sie Unterstützung bei Gedächtniszentren, Alzheimer-Organisationen oder anderen Beratungsstellen.
- Validation: Ziel ist es, ihr Verhalten und ihre Gefühle als gültig zu akzeptieren („zu validieren“), ohne zu korrigieren oder zu beurteilen.
Therapieansätze bei Demenz
Eine Demenz sollte ganzheitlich therapiert werden. Eine Heilung der primären Demenzen (z.B. Demenz vom Alzheimer-Typ) ist bislang nicht möglich. Therapieziel bei der primären Demenz ist die Erhaltung der geistigen Leistungsfähigkeit und der Alltagskompetenzen.
Ursachenbezogene Behandlung
Seit April 2025 gibt es in Deutschland ein neues Medikament gegen Alzheimer mit dem Wirkstoff Lecanemab. Es reduziert schädliche Ablagerungen im Gehirn und greift damit direkt eine der möglichen Krankheitsursachen an. Bisherige Medikamente konnten nur die Symptome lindern, aber nicht die Ursache bekämpfen. Heilung bringt das Medikament jedoch nicht, es kann nur das Fortschreiten verlangsamen.
Symptomatische Behandlung
Obwohl es keine Heilung für primäre Demenzen gibt, können bestimmte Medikamente, sog. Antidementiva, den Krankheitsverlauf verlangsamen. Diese Medikamente wirken auf verschiedene Art und oft ist eine Kombination aus mehreren Medikamenten notwendig, um Erfolge zu erzielen. Manche Menschen sprechen gut auf die Behandlung an, andere weniger. Zusätzlich können Begleiterscheinungen wie Schlafstörungen, Schmerzen, Depressionen, Wahnvorstellungen, Ruhelosigkeit, Niedergeschlagenheit oder Aggressionen mit speziellen Medikamenten behandelt werden.
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Psychosoziale Maßnahmen
Psychosoziale Maßnahmen sind wichtig bei der Behandlung von Demenz. Sie berücksichtigen die Persönlichkeit und Geschichte der Betroffenen, um Überforderung und negative Gefühle zu vermeiden.
- Kognitives Training: Kognitives Training kann bei Menschen mit Demenz hilfreich sein, besonders bei leichter und mittlerer Demenz. Es kann helfen, den Gedächtnisverlust zu verlangsamen und die geistige Leistungsfähigkeit länger zu erhalten.
- Ergotherapie: Ergotherapeutische, individuell angepasste Maßnahmen können bei leichter und mittelschwerer Demenz zum Erhalt der Alltagsfunktionen beitragen.
- Bewegungstherapie: Körperliche Aktivität verbessert Beweglichkeit, Balance und geistige Leistungsfähigkeit.
- Logopädie: Die Logopädie umfasst bei Demenz die Bereiche Sprache zur Verbesserung der Kommunikation und/oder Schlucken zur Verbesserung der Ernährungssituation.
- Kunst- und Musiktherapie: Musik hören, kreativ arbeiten und Bilder/Fotos anschauen kann je nach Lebenserfahrung des Menschen auch noch im fortgeschrittenen Stadium positive Gefühle vermitteln sowie agitiertes Verhalten und Aggressionen reduzieren.
- Snoezelen/ multisensorische Verfahren: Individuelle biographiebezogene Reize (z.B. Massagen, Berührungen). Körperliche Berührung kann als Kommunikationsmittel eingesetzt werden und eine beruhigende Wirkung haben.
Dementia Care Management
Das Bundesgesundheitsministerium hat die nationale Demenzstrategie entwickelt, um die Situation von Menschen mit Demenz und ihren Familien zu verbessern. Ein Teil dieser Strategie ist die Einführung des Versorgungskonzepts Dementia Care Management. Dabei arbeiten speziell geschulte Pflegefachkräfte gemeinsam mit dem Hausarzt daran, die Behandlung und Betreuung von Menschen mit Demenz zu Hause zu verbessern und bestmöglich zu koordinieren.
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