Fingerübungen zur Demenzprävention: Studien und Erkenntnisse

Die alternde Bevölkerung und der damit einhergehende Anstieg von Demenzerkrankungen stellen eine globale Herausforderung dar. Umso wichtiger ist es, präventive Maßnahmen zu entwickeln und zu erforschen, die das Risiko für kognitiven Abbau und Demenz senken können. Ein vielversprechender Ansatz sind sogenannte Fingerübungen, also multidimensionale Interventionen, die verschiedene Lebensstilfaktoren gleichzeitig berücksichtigen.

Einflussfaktoren auf das Demenzrisiko

Das Risiko, an Demenz zu erkranken, wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Dabei lassen sich nicht-veränderbare und beeinflussbare Risikofaktoren unterscheiden.

Nicht-veränderbare Einflussfaktoren:

  • Alter
  • Geschlecht
  • Genetik

Beeinflussbare Risikofaktoren:

  • Übermäßiger Alkoholkonsum
  • Kopfverletzungen
  • Luftverschmutzung
  • Geringe Bildung
  • Bluthochdruck
  • Hörminderung
  • Rauchen
  • Fettleibigkeit
  • Depression
  • Körperliche Inaktivität
  • Diabetes
  • Seltene soziale Kontakte
  • Weitere Einflussfaktoren:
    • Nährstoffmangel
    • Schlafapnoe (Atempausen während des Schlafes)
    • Zahnhygiene (Mundgesundheitsprobleme, wie z. B. Periodontitis)

Ein niedriges Bildungsniveau ist der einzige Risikofaktor im frühen Lebensjahr; Hörverlust, Bluthochdruck und Fettleibigkeit im mittleren Alter und zu den im späteren Leben modifizierbaren Risikofaktoren zählen Rauchen, Depression, körperliche Inaktivität, soziale Isolation und Diabetes mellitus. Die Änderung dieser 12 Risikofaktoren könnte bis zu 40 % der Demenzerkrankungen verhindern oder verzögern. Eine Lösung stellen öffentliche Gesundheitsprogramme & individuell zugeschnittene Interventionen dar.

Die FINGER-Studie: Ein Meilenstein in der Demenzprävention

Die Finnish Geriatric Intervention Study to Prevent Cognitive Impairment and Disability (FINGER) ist eine wegweisende Studie, die den Einfluss eines multidimensionalen Lebensstil-Interventionsprogramms auf das Risiko für kognitive Beeinträchtigungen bei älteren Menschen untersucht hat. Im Fokus standen Personen im Alter von 60-77 Jahren mit erhöhtem Risiko für Demenz, aber noch ohne manifeste kognitive Einschränkungen.

Studiendesign und Durchführung

Die FINGER-Studie startete 2009, die Interventionsphase dauerte von 2009 bis 2011, und die Hauptergebnisse wurden 2015 veröffentlicht. In einem randomisierten, kontrollierten Studiendesign erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Interventionsgruppe über zwei Jahre hinweg ein umfassendes Programm, das folgende Elemente umfasste:

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  • Ernährung: Ernährungsanpassung mit einer täglichen Zusammensetzung von 10-20% Proteinen, 25-35% Fett (davon <10% aus gesättigten und trans-Fettsäuren, 10-20% aus einfach ungesättigten Fettsäuren und 5-10 % aus mehrfach ungesättigten Fettsäuren [einschließlich 2,5-3 g/Tag an Omega-3-Fettsäuren]), 45-55 % der täglichen Energie aus Kohlenhydraten (<10 % aus raffiniertem Zucker) und 25-35 g/Tag an Ballaststoffen. Zudem wurde ein hoher Verzehr von Obst und Gemüse, der Verzehr von Vollkorngetreideprodukten und fettarmen Milch- und Fleischprodukten, die Begrenzung des Zuckers auf weniger als 50 g/Tag, die Verwendung von Pflanzenmargarine und Rapsöl anstelle von Butter sowie der Verzehr von mindestens zwei Portionen Fisch pro Woche empfohlen.
  • Bewegung: Individuell zugeschnittene Programme für progressives Muskelkrafttraining (1-3 Mal pro Woche) (Kniestreckung und -beugung, Bauch- und Rückenmuskulatur, Rotation obere Rücken- und Armmuskulatur und Bankdrücken für die Muskeln der unteren Extremitäten) und Ausdauersport (2-5 Mal pro Woche), einschließlich Übungen zur Verbesserung des Gleichgewichts.
  • Kognitives Training: Sitzungen mit Lerninhalte zu altersbedingten kognitiven Veränderungen, Gedächtnis und Denkstrategien für den Alltag sowie Aktivitäten und weitere Sitzungen zur Überprüfung der Fortschritte sowie einem Besuch bei der örtlichen Alzheimer-Gesellschaft. Soziale Aktivitäten wurden durch die zahlreichen Gruppentreffen aller Interventionsteilnehmenden angeregt.
  • Überwachung körperlicher Risikofaktoren: Treffen mit Studienschwester und -arzt, um Blutdruck, Gewicht und BMI sowie Hüft- und Taillenumfang zu messen, körperliche Untersuchungen durchzuführen und Empfehlungen zum Lebensstilmanagement zu geben.

Die Kontrollgruppe erhielt lediglich allgemeine Hinweise zur Gesundheit, jedoch keine strukturierte Begleitung.

Ergebnisse der FINGER-Studie

Die Ergebnisse zeigten, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Interventionsgruppe nach zwei Jahren signifikant bessere kognitive Leistungen aufwiesen als die Kontrollgruppe. Besonders deutlich wurden die Vorteile in den Bereichen Exekutivfunktionen, Verarbeitungsgeschwindigkeit und Gedächtnis. Zusätzlich verbesserten sich auch verschiedene gesundheitliche Risikofaktoren.

Die FINGER-Studie liefert damit den Nachweis, dass ein multidimensionales Lebensstilprogramm im höheren Lebensalter wirksam dazu beitragen kann, kognitive Fähigkeiten zu erhalten und dem Risiko einer Demenz entgegenzuwirken.

Schlüsselkomponenten der FINGER-Studie

  • Ganzheitlicher Ansatz: Die FINGER-Studie ging mehrere Risikofaktoren gleichzeitig an - nicht nur einen Bereich wie Ernährung oder körperliche Aktivität. Interviews, Bewegung, Ernährung und Kontrolle gesundheitlicher Risikofaktoren wurden kombiniert.
  • Nachweislicher Effekt auf kognitive Leistungsfähigkeit: Es wird deutlich gemacht, dass die kombinierten Maßnahmen zu einer messbaren Verbesserung der geistigen Fähigkeiten führten. Besonders erwähnenswert sind Verbesserungen bei der Reaktionsgeschwindigkeit, Aufmerksamkeit und bei Gedächtnis- und Neuropsychologietests.
  • Auch geringe Maßnahmen haben Wirkung: Sogar die Kontrollgruppe - die nur Gesundheitsberatung bekam - zeigte Teilverbesserungen. Dies legt nahe, dass schon kleinere Impulse (z. B. Bewusstsein schaffen, regelmäßige Kontrollen) hilfreich sein können.
  • Relative geringe Belastung / guter Alltagstauglichkeit: Die empfohlenen Lebensstilmaßnahmen sind nicht extrem aufwändig: gesunde Ernährung, regelmäßige moderate Bewegung, geistige Aktivitäten und Aufmerksamkeit auf Risikofaktoren sind in vielen Fällen praktikabel und alltagstauglich.
  • Vorbeugung ist möglich - Demenzrisiko lässt sich reduzieren: Eine der wichtigsten Lehren: Es besteht realistische Hoffnung, durch gezielte Lebensstiländerungen das Risiko für Demenz zu senken. Nicht jede Demenz lässt sich verhindern, aber das Risiko kann spürbar reduziert werden.

Das WORLD-WIDE FINGER Netzwerk: Globale Ausweitung der Demenzprävention

Aufbauend auf den Erkenntnissen der FINGER-Studie wurde das WORLD-WIDE FINGER Netzwerk gegründet. Dieses internationale Netzwerk hat sich zum Ziel gesetzt, die Ergebnisse der FINGER-Studie in verschiedenen Ländern und Kulturen zu replizieren und an die jeweiligen Gegebenheiten anzupassen.

POINTER-Studie in den USA

Ein Beispiel für eine solche Adaption ist die POINTER-Studie in den USA. Diese Studie untersucht, ob strukturierte oder selbstgesteuerte multidimensionale Lebensstilinterventionen die globale kognitive Funktion verbessern können.

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Langfristige Effekte von Lebensstil-Interventionen

Eine Nachfolgeuntersuchung zur ersten FINGER-Studie aus Finnland zeigt, dass die positiven Effekte von Lebensstil-Interventionen langfristig bestehen bleiben. Noch 11 Jahre später sind Unterschiede zwischen der Interventions- und Kontrollgruppe messbar.

Kognitives Training als wichtiger Baustein

Digitales, personalisiertes Gehirntraining in Eigenanwendung ist Teil der multimodalen Lebensstil-Intervention. Die australische und deutsche Partner-Studie nutzen dafür das Gehirntraining NeuroNation der deutschen Synaptikon GmbH. Die digitale Gesundheitsanwendung NeuroNation MED wurde dauerhaft in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen und kann per Rezept verordnet werden.

Meta-Analyse bestätigt Wirksamkeit multimodaler Interventionen

Eine Meta-Analyse von 17 Studien mit insgesamt über 12.000 Teilnehmenden bestätigt die "hohe Evidenz", dass multimodale Lebensstil-Interventionen das Demenzrisiko senken können.

Umsetzung der FINGER-Prinzipien in Deutschland

Die Lehren der FINGER-Studie sind in Deutschland grundsätzlich gut umsetzbar, da fast alle Bausteine (Ernährung, Bewegung, Gedächtnistraining, Risikokontrolle) bereits in Strukturen vorhanden sind. Hindernisse liegen vor allem in:

  • Motivation und Teilnahmebereitschaft der Zielgruppe
  • Sozialen Ungleichheiten (Bildung, Einkommen, Zugang zu Angeboten)
  • Fehlender langfristiger Finanzierung integrierter Präventionsprogramme

FINGER-Umsetzungsmodell für Pflegeheime

Auch in Pflegeheimen können die FINGER-Prinzipien umgesetzt werden, um die kognitiven und körperlichen Fähigkeiten der Bewohner:innen zu erhalten und zu fördern. Ein entsprechendes Umsetzungsmodell umfasst folgende Kernbausteine:

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  1. Ernährung: Anpassung der Speisepläne an mediterran/nordisch inspirierte Kost.
  2. Bewegung: Regelmäßige, niedrigschwellige Bewegungseinheiten.
  3. Kognitives Training: Gruppenbasierte Gedächtnisaktivitäten, angepasst an Bildungsniveau und Demenzstatus.
  4. Vaskuläre Risikokontrolle: Medizinische Basisversorgung systematisch in die Prävention einbinden.
  5. Soziale Teilhabe / Motivation: Stärkung sozialer Bindungen als Schutzfaktor.

Weitere Ansätze zur Demenzprävention

Neben den multidimensionalen Interventionen der FINGER-Studie gibt es weitere Ansätze, die zur Demenzprävention beitragen können.

WHO-Richtlinien zur Risikoverringerung des kognitiven Rückgangs

Die WHO hat eine Richtlinie zur Risikoverringerung des kognitiven Rückgangs veröffentlicht und auf folgende Aspekte hingewiesen:

  • Körperlich aktiver Lebensstil
  • Einleitung von Interventionsmaßnahmen bei Tabakabhängigkeit
  • Gesunde, ausgewogene Ernährung/ mediterrane Ernährung
  • Reduzierung von Alkoholkonsum
  • Kognitives Training
  • Soziale Teilhalbe und Unterstützung
  • Gewichtskontrolle (Vermeidung von Übergewicht)
  • Senkung bzw. Kontrolle des Bluthochdrucks
  • Senkung des Cholesterinspiegels
  • Behandlung von Diabetes, in Form von Medikamenten und/oder Lebensstilinterventionen
  • Behandlung von Depressionen, in Form von Antidepressiva und/oder psychologischen Interventionen (psychologische Behandlungen, Reaktivierung sozialer Netzwerke etc.)
  • Früherkennung von Hörverlust & Nutzung von Hörgeräten bei Hörverlust

Ganzheitliche Ansätze, die Körper und Geist verbinden

Viele Modelle können jedoch die Komplexität des Lebensstils nicht erfassen, da der Lebensstil viel mehr als die Summe quantifizierbarer Größen (kognitives Training, körperliche Aktivität, Ernährung etc.) ist. Allerdings können subjektive Lebensqualität und Seelenfrieden als latente Konstrukte schwer gemessen werden.

Beispiele für ganzheitliche Ansätze, die Körper und Geist verbinden:

  • Wandern
  • Spielen eines Musikinstrumentes
  • Tanzen
  • Yoga

Geistige Aktivität und kognitive Reserve

Wer geistig aktiv ist, kann die Leistungsfähigkeit seines Gehirns verbessern. Durch Anregung der Nervenzellen können sich diese besser vernetzen und sich die Verbindungen besser festigen. Die kognitive Reserve ist einer von mehreren Aspekten, die den Verlauf einer Alzheimer-Erkrankung beeinflussen können.

So zeigen sich typische Alzheimer-Symptome nachweislich später bei Menschen, die ihr Leben lang geistig aktiv waren - zum Beispiel im Beruf oder im sozialen Leben. Auch wer schon älter ist, kann seine geistigen Reserven positiv beeinflussen. Wichtig ist, das Gehirn zu fordern und so die Neuronen zur Vernetzung anzuregen.

Es hilft zum Beispiel nicht, jeden Tag ein Kreuzworträtsel zu lösen, denn dabei wird nur bereits bekanntes Wissen abgefragt. Eine eindeutige Empfehlung, welche Aktivität am besten geeignet ist, um eine Demenzerkrankung wie Alzheimer vorzubeugen, gibt es nicht.

Welche geistigen Aktivitäten das Gehirn besonders gut fordern? Eine Auswahl:

  • Musik - hören oder machen
  • Lesen - Bücher, Zeitschriften, Zeitungen
  • Spiele - Kartenspiele, Gesellschaftsspiele, Puzzles, Computer- und Videospiele
  • Neues lernen - eine Fremdsprache, eine Sportart, ein Hobby

Dabei gilt: Je komplexer die Tätigkeit, desto anregender fürs Gehirn. Wer zum Beispiel tanzt, trainiert gleichzeitig Gedächtnis, Motorik und Koordination - und profitiert zudem vom sozialen Miteinander als Paar oder in der Gruppe.

Wie soziale Kontakte Alzheimer vorbeugen? Es gibt wenige Dinge, die das Gehirn so anregen wie Musik. So regt Musik neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen im Gehirn an und hilft so bei der Vorbeugung gegen Alzheimer.

Ähnlich wie das Tanzen hat das Musizieren dabei einen der größten Trainingseffekte. Das Erlernen und Üben feinmotorischer Bewegungen, das Lesen von Noten und die Schulung des Gehörs stärken das Gehirn und tragen zur geistigen Fitness bis ins hohe Alter bei.

Und es ist nie zu spät, um anzufangen. So fand eine Musikprofessorin der University of South Florida in einer Studie heraus, dass selbst Menschen, die erst im Seniorenalter ein Instrument erlernen, in relativ kurzer Zeit ihre kognitiven Fähigkeiten, wie Gedächtnis und Problemlösen verbessern können. Auch das bloße Musikhören trainiert das Gehirn - vor allem, wenn die Musik für uns neu ist. Ungewohnte Klänge, Melodien oder Akkorde bringen Abwechslung auf die Ohren. Unser Tipp: Öfter mal die Playlist wechseln! Wie wäre es zum Beispiel mit Songs, die Ihre Kinder oder Enkel lieben? Neben gezielten Aktivitäten, die die Hirngesundheit verbessern, sind auch kleine Abwechslungen im Alltag eine gute Maßnahme, um das Gehirn nebenbei zu trainieren. Ein Trend, der durch Corona so richtig an Fahrt aufgenommen hat, sind kleine "Mikroabenteuer", die direkt vor der eigenen Haustür starten, und die ohne große Vorbereitung funktionieren. Gedächtnistraining ist auch für Menschen mit einer bestehenden Demenz sinnvoll. Aktivierende Übungen können die kognitiven Funktionen des Patienten länger erhalten, das Langzeitgedächtnis trainieren, soziale Kompetenzen erhalten sowie Sinneswahrnehmungen, Lebensfreude und Selbstwertgefühl stärken.

Was man bei der Aktivierung von Menschen mit Alzheimer besonders beachten sollte, erklärt Gedächtnistrainerin Dr. Dr. Anne Pfitzer-Bilsinghat sich nach ihrem Studium der Biochemie an der Uni Düsseldorf während ihrer Doktorarbeit auf Amyloide spezialisiert.

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