Epilepsie ist heutzutage selten ein Grund gegen eine Schwangerschaft. Frauen mit Epilepsie im gebärfähigen Alter benötigen jedoch eine detaillierte Beratung zu Themen wie Verhütung, Kinderwunsch, Schwangerschaft, Stillzeit und Elternschaft. Diese Beratung sollte idealerweise proaktiv erfolgen, d.h. vor Beginn einer Schwangerschaft, um Ängste zu nehmen und eine optimale Vorbereitung zu gewährleisten.
Epilepsie und Hormone: Ein komplexes Zusammenspiel
Hormone spielen eine wichtige Rolle bei Epilepsie, insbesondere bei Frauen. Mit der Pubertät steigt die Frequenz des GnRH-Pulses, was zu erhöhten FSH- und LH-Spiegeln und somit zu höheren Östrogenkonzentrationen führt. Östrogene können eine anfallsfördernde Wirkung haben, während Progesteron eher anfallshemmend wirkt. Etwa ein Drittel aller Frauen mit Epilepsie erlebt eine zyklusbedingte Zunahme der Anfallsfrequenz, die als katameniale Anfallshäufung bezeichnet wird. Diese Häufung kann in verschiedenen Zyklusphasen auftreten:
- Periovulatorischer Östrogen-Peak (Tag 10 bis 13)
- Perimenstruell mit Gestagenabfall (Tag 3)
- Gesamte zweite Zyklushälfte bei Störung der lutealen Funktion (Tag 10 bis Tag 3 des Folgezyklus)
Ein Anfallskalender in Kombination mit der Dokumentation des Menstruationszyklus und der Basaltemperatur kann helfen, eine katameniale Anfallshäufung zu erkennen. Therapieoptionen umfassen Progesterone, Progestine, GnRH-Analoga und Antiöstrogene.
Antiepileptika und ihr Einfluss auf den endokrinen Stoffwechsel
Enzyminduzierende Antiepileptika wie Phenytoin, Phenobarbital und Carbamazepin können den Spiegel von LH und Estradiol senken und den Spiegel von SHBG und Prolaktin erhöhen. Dies kann zu einer verminderten Konzentration freier Sexualsteroide führen. Das Polyzystische-Ovar-Syndrom (PCOS) tritt bei Epilepsiepatientinnen häufiger auf als in der Normalbevölkerung. Eine Valproat-Therapie wird mit der Entwicklung von PCOS in Verbindung gebracht, insbesondere bei Frauen, die vor dem 20. Lebensjahr damit begonnen haben. Es ist ratsam, bei Frauen mit Epilepsie Zyklusunregelmäßigkeiten zu erfragen, nach Virilisierungszeichen zu suchen und den Gewichtsverlauf zu dokumentieren.
Folsäure: Ein wichtiger Faktor bei Epilepsie und Kinderwunsch
Folsäure spielt eine entscheidende Rolle für Frauen mit Epilepsie, insbesondere im Zusammenhang mit Kinderwunsch und Schwangerschaft. Ein Folsäuremangel kann in der Normalbevölkerung vermehrt zu Neuralrohrdefekten führen, die auch für Valproat und Carbamazepin bekannt sind. Daher wird eine Folsäuresubstitution bei Antiepileptika-Einnahme und Kinderwunsch empfohlen. Die Dosisangaben schwanken zwischen 0,4 und 5 mg pro Tag für das erste Trimenon.
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Empfehlungen zur Folsäureeinnahme
- Allen Frauen mit Kinderwunsch wird schon präkonzeptionell und im ersten Trimenon täglich 0,4 mg Folsäure empfohlen.
- Bei AE-Therapie, insbesondere bei Valproat- und Carbamazepin-Einnahme, werden 5 mg Folsäure pro Tag empfohlen.
- Die Schweizerische Epilepsie-Liga empfiehlt, dass Frauen und Mädchen unter anfallssuppressiver Medikation im gebärfähigen Alter in ärztlicher Absprache regelmässig Folsäure einnehmen - spätestens bei einem konkreten Kinderwunsch und unbedingt noch vor Eintreten der Schwangerschaft. Höhere Dosierungen können in Einzelfällen in Betracht gezogen werden, je nach Folsäureblutspiegel bzw. Erythrozytentest.
Eine aktuelle Studie deutet auf einen Zusammenhang zwischen einem höheren Risiko der Nachkommen für Neoplasien und einer hohen Folsäure-Dosis hin. Daher sollte die Folsäureeinnahme sobald ein Kinderwunsch besteht (und bevor eine Kontrazeption beendet wird) beginnen und mindestens bis zum Ende des ersten Trimesters fortgeführt werden.
Folsäure und Sprachentwicklung
Eine Studie ergab, dass Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft Epilepsiemedikamente nahmen und auf Folsäure-Präparate verzichteten, viermal häufiger Sprachverzögerungen im Alter von 18 Monaten zeigten als Kinder von Müttern ohne Epilepsie, die ebenfalls keine Folsäure einnahmen. Die protektive Wirkung einer Folsäuresupplementierung war auffällig.
Kontrazeption bei Epilepsiepatientinnen
Orale Kontrazeptiva (OK) und manche Antiepileptika beeinflussen sich in ihrer Wirksamkeit gegenseitig. Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital, Oxcarbazepin und Topiramat können die Sicherheit von synthetischen kontrazeptiven Steroiden mindern. Lamotrigin senkt die Levonorgestrelspiegel um bis zu 20 Prozent. Es wird davon ausgegangen, dass sich der Pearl-Index der gängigen Pillenpräparate unter Einnahme von enzyminduzierenden Antiepileptika verdoppelt.
Empfehlungen zur Kontrazeption
- Frühzeitige Aufklärung über Kontrazeption bei Epilepsie in der Pubertät oder bei später beginnender Epilepsie mit der Gabe des ersten Anfallssuppressivums.
- Empfehlung von zusätzlichen Barrieremaßnahmen (z. B. Kondom) bei einer hormonellen Kontrazeption und gleichzeitiger Einnahme eines Anfallssuppressivums, welches die hormonelle Kontrazeption beeinflusst.
- Beim Einsatz von Anfallssuppressiva, die die hormonelle Kontrazeption beeinflussen, Empfehlung eines Intrauterinpessars als sicherste anwenderunabhängige Verhütungsmethode.
- Frauen, die enzyminduzierende AE benötigen, sollten sich nicht auf eine hormonelle Kontrazeption verlassen, sondern eine andere Art der Verhütung (zum Beispiel Spirale) wählen und zusätzlich Kondome benutzen.
Manche Antiepileptikaserumspiegel - allen voran der Lamotriginspiegel (bis zu 50 Prozent) - werden durch ethylestradiolhaltige Kontrazeptiva nennenswert gesenkt.
Schwangerschaft und Epilepsie: Was ist zu beachten?
Das genetische Risiko für eine Epilepsie liegt bei 4 bis 5 Prozent für Kinder erkrankter Mütter und bei circa 2 Prozent für Kinder erkrankter Väter. Die Anfallsfrequenz bleibt bei 67 Prozent der Frauen in der Schwangerschaft unverändert, bei 17 Prozent kommt es zu einer Zunahme, bei 16 Prozent zu einer Abnahme der Anfallshäufigkeit.
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Medikamenteneinstellung während der Schwangerschaft
Aus Sorge, dem ungeborenen Kind zu schaden, werden AE oft reduziert oder abgesetzt, was eine Anfallszunahme verursachen kann. Auch pharmakokinetische Veränderungen während der Schwangerschaft tragen dazu bei. Dosisanpassungen sind in der Schwangerschaft sinnvoll und erfordern Vergleichsspiegel vor Beginn der Schwangerschaft vom selben Labor. Bei Anfallsrezidiven ist eine Erhöhung der Medikamentendosis notwendig. Nach der Entbindung kann der Wiederanstieg der Serumspiegel zu Nebenwirkungen führen.
Risiken von Anfällen während der Schwangerschaft
Der Einfluss von epileptischen Anfällen auf Embryogenese oder Fetalentwicklung ist nicht gut belegt. Eine Gefährdung des Fetus ist bei länger dauernder Hypoxämie beziehungsweise Hyperkapnie während generalisierter tonisch-klonischer Anfälle nachvollziehbar. Eine konsequente auf die Schwangerschaft hin optimierte antiepileptische Therapie zielt daher nach wie vor auf Anfallsfreiheit der Mütter.
Teratogenität von Antiepileptika
Das Risiko für Nachkommen mit kongenitalen Fehlbildungen und für Aborte oder Fehlgeburten verdoppelt sich nach den bisher vorliegenden Studien von 1 bis 2 Prozent in der Normalbevölkerung auf 3 bis 9 Prozent bei Frauen mit Epilepsie, die Antiepileptika einnehmen. Monotherapien haben deutlich niedrigere Risiken für Fehlbildungen als Kombinationstherapien. Die höchste Fehlbildungsrate besteht unter Valproat bei Tagesdosen über 1000 mg. Nach den derzeitigen Empfehlungen der Amerikanischen Epilepsie-Gesellschaft sowie der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie sollte Valproat während des ersten Trimenons vermieden werden.
Empfehlungen für Schwangere mit Epilepsie
- Bitte nicht aus Panik oder Sorge um das Kind die Medikamente eigenmächtig absetzen oder reduzieren! Melden Sie sich sofort bei Ihrem Neurologen oder in unserer Spezialambulanz.
- Es gibt inzwischen gut untersuchte Epilepsie-Medikamente (Lamotrigin, Levetiracetam), die dem Kind im Mutterleib nicht schaden. Bei anderen Medikamenten ist das Risiko für Fehlbildungen und eine schlechte intellektuelle Entwicklung beim Kind erhöht (z.B. Valproat) oder es liegen noch ungenügende Daten vor.
- Wenn eine Dosisanpassung der Medikamente erfolgt, treten in der Schwangerschaft in der Regel nicht mehr Anfälle auf als vorher.
- Während der Schwangerschaft sind regelmäßige neurologische Kontrollen mit Medikamentenspiegel-Messungen, ggf. Dosis-Anpassungen und - je nach Epilepsie-Art - EEG erforderlich.
- Die Vitamingabe von Folsäure sollte in einer höheren Dosis als routinemäßig üblich erfolgen.
- Eine Schwangerschaft bei Frauen mit Epilepsie gilt formal immer als Risiko-Schwangerschaft. Deshalb ist ein zusätzlicher Spezial-Ultraschall zur Organdiagnostik etwa in der 20. Schwangerschaftswoche vorgesehen und wird von der Krankenkasse übernommen.
- Bei den meisten Frauen mit Epilepsie verlaufen Schwangerschaft und Geburt wie bei gesunden Frauen, d.h. ein Kaiserschnitt nur wegen der Epilepsie ist nicht nötig.
- Grundsätzlich können und sollten Frauen mit Epilepsie stillen. Die Epilepsie-Medikamente gehen nur in geringem Maße in die Muttermilch über, das Kind ist bereits durch die Schwangerschaft daran gewöhnt.
- Mütter mit Epilepsie, die nicht anfallsfrei sind, können eine Reihe von Maßnahmen zur Sicherheit des Kindes treffen. Dazu gehört zum Beispiel, das Baby nicht auf einer Kommode zu wickeln, sondern auf dem Boden. Oder es in einem Eimer zu baden, damit das Kind nicht ertrinken kann.
Fertilität und Kinderwunsch bei Epilepsie
Störungen der Fortpflanzungsfähigkeit sind bei Patienten mit Epilepsie häufiger als in der Normalbevölkerung. Amenorrhoen sieht man bei 15 bis 20 Prozent der Epilepsiepatientinnen, sonstige Zyklusstörungen einschließlich Zwischenblutungen bei fast 50 Prozent. Man findet bei Temporallappenepilepsien gehäuft anovulatorische Zyklen, hypogonadotrope Amenorrhoen und PCO-Syndrome.
Empfehlungen bei Kinderwunsch
- Das Ziel der anfallssuppressiven Behandlung bei Frauen mit Kinderwunsch ist neben einer bestmöglichen Anfallskontrolle und Verträglichkeit ein möglichst niedriges teratogenes Risiko für das Kind.
- Wenn eine Operation zur Behandlung der Epilepsie möglich ist (Epilepsiechirurgie), sollte diese vor einer geplanten Schwangerschaft erfolgen.
- Eine Kinderwunsch-Behandlung ist trotz Epilepsie möglich.
Epilepsie im höheren Lebensalter
Ein Drittel der Menschen mit Epilepsie erkrankt erst nach dem 60. Lebensjahr. Ältere Menschen sind oft anfälliger für Nebenwirkungen von Medikamenten. Dies gilt auch für Antiepileptika. Wenn man aufgrund anderer Erkrankungen weitere Medikamente einnimmt, können Wechselwirkungen zwischen Medikamenten auftreten. Als älterer Mensch ist es daher besonders wichtig, am besten nur ein Epilepsie-Medikament in möglichst niedriger Dosis einzunehmen.
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