Der Kiefer ist ein bemerkenswertes Werkzeug, das uns nicht nur das Kauen und Sprechen ermöglicht, sondern auch erstaunliche Kräfte entwickeln kann. Im Durchschnitt kann ein Mensch mit seinem Kiefer einen Druck von etwa 80 Kilogramm ausüben. Allerdings kann es zu Problemen kommen, wenn das Kiefersystem nicht richtig funktioniert. In diesem Artikel werden wir uns mit den Ursachen von Kieferschmerzen, einschließlich Krämpfen und Kiefersperren, sowie den verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten befassen.
Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD): Wenn das Kiefersystem Probleme macht
Wenn das Kiefersystem Probleme verursacht, sprechen Mediziner von einer Craniomandibulären Dysfunktion (CMD). Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich dabei um Funktionsstörungen in Bezug auf die Bewegungen und die Beweglichkeit des Unterkiefers. Typische Beispiele sind: Die Zähne passen nicht richtig aufeinander, der Mund lässt sich nicht vollständig öffnen oder schließen, oder das Kiefergelenk knirscht beim Bewegen.
Dr. Bruno Imhoff, Zahnarzt aus Köln und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT), erklärt: „Eine CMD bezieht sich auf drei Bereiche: Kaumuskeln, Kiefergelenke oder den Kontakt zwischen den Zähnen des Ober- und Unterkiefers.“ Er rät, einen Arzt aufzusuchen, wenn moderate Schmerzen länger als vier Wochen andauern, bei starken akuten Beschwerden oder eingeschränkter Beweglichkeit.
Ursachen von Kieferschmerzen
Die Ursachen einer CMD sind vielfältig und oft nicht eindeutig auszumachen. Mögliche Auslöser sind Verletzungen der Bänder des Kiefergelenks. Laut Imhoff betreffen die meisten Fälle in der Praxis jedoch muskuläre Probleme. Eine häufige Ursache ist das Zähneknirschen oder das Zusammenpressen der Zähne, wodurch die Kaumuskeln überlastet werden und sich schmerzhaft verspannen können.
Weitere mögliche Ursachen für Kieferschmerzen sind:
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- Kiefer- und Zahnfehlstellungen: Diese können erblich bedingt sein oder durch äußere Einflüsse wie Daumenlutschen im Kindesalter entstehen.
- Verletzungen: Ein Schlag auf den Kiefer oder ein Unfall können das Kiefergelenk schädigen. Auch eine übermäßige Dehnung beim Gähnen kann zu Kieferschmerzen führen.
- Gelenkerkrankungen: Arthritis kann auch die Kiefergelenke betreffen und zu Schmerzen, Steifheit und eingeschränkter Beweglichkeit führen.
- Fehlende oder abgenutzte Zähne: Dies kann die Bisslage verändern und das Kiefergelenk ungleichmäßig belasten.
- Längere Zahnarztbehandlungen: Bei denen der Mund weit geöffnet bleiben muss, können das Kiefergelenk erheblich belasten.
- Entzündungen: Entzündungen im Zahnbett (Parodontitis), an der Zahnwurzel oder der Ohrspeicheldrüse können Kieferschmerzen verursachen.
- Erkältung oder Kieferhöhlenentzündung: Die Entzündung der Nebenhöhlen kann Druck auf das Kiefergelenk ausüben und zu Schmerzen führen.
- Stress: Stress kann zu einer dauerhaften Verspannung des Kiefers führen.
- Trigeminusneuralgie: Diese Erkrankung kann einseitige Kieferschmerzen im Gesicht verursachen.
- Herzinfarkt: Kieferschmerzen, insbesondere links, können ein Symptom eines Herzinfarkts sein, insbesondere wenn sie mit Brustschmerzen einhergehen.
Symptome von Kieferschmerzen
Die Symptome von Kieferschmerzen können vielfältig sein und sich unterschiedlich anfühlen. Einige häufige Symptome sind:
- Schmerzen im Kiefergelenk: Die Schmerzen können einseitig oder beidseitig auftreten und sich als stechend, dumpf oder pochend anfühlen.
- Kauschmerzen: Schmerzen beim Kauen, insbesondere bei harten oder zähen Lebensmitteln.
- Eingeschränkte Mundöffnung: Schwierigkeiten, den Mund vollständig zu öffnen oder zu schließen.
- Kieferknacken oder -knirschen: Geräusche im Kiefergelenk beim Bewegen des Kiefers.
- Verspannungen: Verspannungen der Kaumuskulatur, die bis in den Nacken und die Schultern ausstrahlen können.
- Kopfschmerzen: Kieferschmerzen können auch Kopfschmerzen verursachen.
- Ohrgeräusche (Tinnitus): In einigen Fällen können Kieferschmerzen mit Ohrgeräuschen einhergehen.
- Schwindel: Schwindel kann ebenfalls ein Symptom von Kieferschmerzen sein.
- Taubheitsgefühl oder Kribbeln im Gesicht: Diese Symptome können auftreten, wenn Nerven im Kieferbereich betroffen sind.
- Schluckbeschwerden: In seltenen Fällen können Kieferschmerzen zu Schluckbeschwerden führen.
Kieferklemme und Kiefersperre
Eine Kieferklemme ist eine eingeschränkte oder gar nicht mögliche Mundöffnung. Eine Kiefersperre hingegen ist eine plötzliche Blockade des Kiefers, die das Öffnen oder Schließen des Mundes verhindert. Beide Zustände sind keine eigenständigen Erkrankungen, sondern Symptome einer anderen zugrunde liegenden Krankheit.
Ursachen von Kieferklemme
- Muskel- und Faszienverspannungen: Dauerhaft angespannte Muskeln und Faszien können die Mundöffnung einschränken.
- Entzündungen: Entzündungen im Kieferbereich, wie z.B. eine Entzündung der Ohrspeicheldrüse (Parotitis) oder ein Abszess, können zu einer Kieferklemme führen.
- Zahnmedizinische Komplikationen: Ein erschwerter Weisheitszahndurchbruch oder eine Infektion nach einer Zahnbehandlung können eine Kieferklemme verursachen.
- Krebserkrankungen: In seltenen Fällen kann eine Krebserkrankung im Kopf- und Halsbereich zu einer Kieferklemme führen.
Ursachen von Kiefersperre
- Ausrenkung des Kiefergelenks (Kieferluxation): Dies kann durch übermäßiges Gähnen, Lachen oder einen Biss in einen großen Gegenstand verursacht werden.
- Diskusverlagerung: Eine Verschiebung der Gelenkscheibe (Diskus) im Kiefergelenk kann zu einer Kiefersperre führen.
- Krämpfe der Kaumuskulatur (Trismus): Ein lang anhaltender Krampf der Kaumuskulatur kann das Öffnen des Mundes verhindern.
- Tetanus: Eine Tetanus-Infektion kann zu Spastiken und Krämpfen der Kiefermuskulatur führen.
Diagnose von Kieferschmerzen
Um die Ursache von Kieferschmerzen zu ermitteln, wird ein Arzt zunächst eine Anamnese erheben und den Patienten nach seinen Beschwerden fragen. Anschließend wird er den Kiefer und die umliegenden Strukturen untersuchen. Dazu gehört die Messung der Mundöffnung, die Beurteilung der Kieferbeweglichkeit und die Palpation der Kaumuskulatur.
In einigen Fällen können weitere Untersuchungen erforderlich sein, wie z.B.:
- Röntgenaufnahmen: Um den Zustand der Knochen und des Weichgewebes zu beurteilen.
- Computertomografie (CT): Bei Verdacht auf einen Knochenbruch oder eine Tumorerkrankung.
- Magnetresonanztomografie (MRT): Um die Weichteile des Kiefergelenks, wie z.B. die Gelenkscheibe, genauer zu untersuchen.
Behandlung von Kieferschmerzen
Die Behandlung von Kieferschmerzen richtet sich nach der Ursache der Beschwerden. Einige gängige Behandlungsmethoden sind:
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- Schmerzmittel: Schmerzmittel können helfen, die Schmerzen zu lindern.
- Muskelrelaxantien: Muskelrelaxantien können helfen, verspannte Kaumuskeln zu entspannen.
- Aufbissschiene: Eine Aufbissschiene kann helfen, die Kiefermuskulatur zu entspannen und das Kiefergelenk zu entlasten, insbesondere bei Zähneknirschen.
- Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Kiefermuskulatur zu lockern, die Koordination zu verbessern und die Haltung zu korrigieren.
- Logopädie: Logopädie kann helfen, die Kieferbeweglichkeit zu verbessern und die Kaumuskulatur zu stärken.
- Entspannungsübungen: Entspannungsübungen wie Yoga, Meditation oder autogenes Training können helfen, Stress abzubauen und die Kiefermuskulatur zu entspannen.
- Wärmeanwendungen: Wärmeanwendungen können helfen, die Muskulatur zu lockern und die Schmerzen zu lindern.
- Kühlungen: Kühlungen können bei Entzündungen helfen, die Schwellung zu reduzieren.
- Operation: In seltenen Fällen kann eine Operation erforderlich sein, um die Ursache der Kieferschmerzen zu beheben.
Tipps für einen entspannten Kiefer
- Kiefermuskeln schonen: Bei Beschwerden übermäßiges Kaugummikauen vermeiden.
- Massieren: Der große Kaumuskel lässt sich gut selbst ausstreichen. „Finger am Kiefer, etwa auf Höhe des Ohres, ansetzen und mit konstantem Druck nach vorne unten ziehen. Sie werden spüren, wo Ihre Schmerzpunkte sind.“
- Wärmen: Oft sind auch die Hals- und Nackenmuskeln verspannt. „Wickeln Sie ein feuchtwarmes Handtuch um Ihren Nacken, ein trockenes drum herum. Lassen Sie die Wärme im Liegen etwa eine Viertelstunde einwirken.“
- Trainieren: Ausdauersport lockert die Muskulatur und verbessert die Haltung. Empfohlen werden fünf Einheiten pro Woche, jeweils mindestens 30 Minuten.
- Gut schlafen: „Die Grundspannung der Muskeln sowie die Schmerzempfindlichkeit des Menschen hängen wesentlich von einer erholsamen Nachtruhe ab.“
Prognose bei Kieferschmerzen
Die Prognose bei Kieferschmerzen ist in der Regel gut, vorausgesetzt, die Betroffenen arbeiten aktiv mit und führen beispielsweise Übungen diszipliniert durch oder tragen eine Schiene konsequent. Nach sechs, spätestens zwölf Monaten erfahren über 90 Prozent der Patientinnen und Patienten eine deutliche Besserung, die sich in geringerer Schmerzintensität und einer wiederhergestellten Funktion des Kiefers zeigt.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Behandlung von Kieferschmerzen ein Prozess sein kann, der Geduld und Ausdauer erfordert. In einigen Fällen kann es erforderlich sein, verschiedene Behandlungsmethoden auszuprobieren, um die optimale Lösung zu finden.
Wann sollte man einen Arzt aufsuchen?
Es ist ratsam, einen Arzt aufzusuchen, wenn:
- Die Schmerzen stark sind oder länger als vier Wochen andauern.
- Die Mundöffnung stark eingeschränkt ist.
- Schwellungen im Kieferbereich auftreten.
- Die Schmerzen von anderen Symptomen begleitet werden, wie z.B. Kopfschmerzen, Ohrgeräuschen oder Schwindel.
- Der Verdacht auf einen Herzinfarkt besteht (Kieferschmerzen, insbesondere links, in Verbindung mit Brustschmerzen).
Fazit
Kieferschmerzen können verschiedene Ursachen haben und sich unterschiedlich äußern. Eine genaue Diagnose ist entscheidend für die richtige Behandlung. Mit den richtigen Maßnahmen können die meisten Betroffenen eine deutliche Besserung ihrer Beschwerden erreichen und ihre Lebensqualität verbessern.
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