Georg Christoph Biller: Ein Leben für die Musik und den Thomanerchor

Georg Christoph Biller, der 16. Thomaskantor nach Johann Sebastian Bach, hat die Leipziger Musikgeschichte maßgeblich geprägt. Sein Name ist untrennbar mit dem Thomanerchor verbunden, den er fast 23 Jahre lang leitete. Die Stadt Leipzig würdigte Biller als einen "Ausnahmemusiker", der den Thomanerchor "erfolgreich aus der Nachwendezeit ins neue Jahrtausend geführt" habe. Am 27. Januar 2022 verstarb Biller im Alter von 66 Jahren in Leipzig nach langer Krankheit.

Frühe Jahre und prägende Erfahrungen

Schon mit knapp zehn Jahren kam Georg Christoph Biller zum Thomanerchor Leipzig. Einst war Biller selbst unter Thomanern groß geworden. Als er im September 1965 mit knapp zehn Jahren aus dem wohlbehüteten Pfarrhaus von Nebra an der Unstrut in die Leipziger Chorgemeinschaft kam, sah er sich zunächst am Ziel seiner Wünsche. Doch von Anfang an quälte ihn starkes Heimweh. Diese persönliche Erfahrung war für ihn im Alltagsgeschäft mit den Thomanern zweifellos von Vorteil.

Künstlerischer Werdegang

Billers künstlerischer Werdegang war vielfältig. Er studierte Orchesterdirigieren bei Kurt Masur (1927-2015) und sammelte Konzerterfahrungen als gefragter Gesangssolist. Später leitete er den Leipziger Gewandhauschor. Von 1992 bis 2015 war Biller der 16. Thomaskantor nach Johann Sebastian Bach. Doch für ihn gehörten zur großen Tradition des Chores die gregorianischen Anfänge der geistlichen Chormusik ebenso wie Chorwerke von zeitgenössischen Komponisten. Dieses Spannungsfeld konnte er in besonderer Weise zum 800. Jubiläum des Chores präsentieren. Den modernen Bildungscampus brachte er gegen vielfältige Widerstände in der Stadt letztlich erfolgreich auf den Weg.

Wirken als Thomaskantor

Georg Christoph Biller führte den Thomanerchor nach der Wende in die Weltspitze zurück. Seine Verdienste um das Chordirigieren, um Bach und die Musikstadt Leipzig sind so zahlreich, dass sie jeden Nachruf sprengen. Unterwegs spürte man ständig, wie allgegenwärtig das große Erbe der Thomaner ist. Und wie sich der Chor bei aller Tradition auch wandelt. Biller war ein eleganter Dirigent und ein zugewandter dazu. Er war charismatisch, aber nicht exzentrisch. Er war ein Dirigent mit einem klaren Schlag und tollen Haaren. Fast 23 Jahre lang hatte er das wichtigste Amt mindestens der deutschen protestantischen Kirchenmusik inne, das Thomaskantorat.

Herausforderungen und Rücktritt

Tatsächlich überschattete die Krankheit in den vergangenen Jahren immer wieder sein musikalisches Lebenswerk. Biller leidet unter einer Depression, womit er recht offen umgeht. Seit 1999 musste er sich immer wieder zu Behandlung aus der Arbeit zurückziehen, zum Teil für Monate.

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Als Biller dann Anfang 2015 plötzlich sein Amt niederlegte, war die Überraschung groß. Doch seine gesundheitliche Situation ließ ihm keine andere Wahl. Die Jahre seit seinem Rücktritt erlebte er nach eigenem Bekunden «als Mischung aus Dankbarkeit und Gelassenheit».

Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) sagte zu Billers Rücktritt: „Ich habe größten Respekt vor der Entscheidung des Thomaskantors. Und ich weiß, dass er sie sich nicht leicht gemacht hat. Er zieht sich aus dem Amt zurück, weil er weiterhin das Beste will für seinen Thomanerchor und für die Musik."

Persönlichkeit und Anekdoten

Christoph Biller liebte ordinäre Witze. Sechs Tage vor seinem Tod saß ich an einem Freitagabend im Januar auf dem großen roten Sofa in seinem Wohnzimmer in Leipzig, und er hatte sich schon etwas warm geredet. Dann ging es um eine offenbar zu Recht vergessene Oper, in der Biller als junger Sänger spontan einspringen musste. Er sang das Werk, das er nicht kannte, in der Generalprobe vom Blatt. Es klappte bis zu dem Punkt, an dem er einen großen und schwierigen Sprung von einer sehr tiefen zu einer sehr hohen Note zu singen hatte und dabei auch noch umblättern musste. Wie er allerdings blätterte, kam auf der neuen Seite die Vortragsanweisung des Komponisten für diese Passage zum Vorschein: "Zu singen wie ein Orgasmusschrei". Ich brüllte vor Lachen. Mein Hinweis "Ich bin katholisch" führte nicht dazu, dass er vom Thema abließ. Zur Beruhigung rauchten wir eine. Bloß war "eine" bei Biller eine Zigarre ("Ich rauche organisch, Sie rauchen Papier"). Und in eine seiner Zigarrenlängen passten zirka fünf bis sechs meiner Zigaretten. Diese und der gratis mit eingeatmete Zigarrenrauch lösten in mir hin und wieder einen Brechreiz aus, dass ich schon manchmal gedacht habe, ich müsste mich kurzfristig über seine Balkonbrüstung ins Leipziger Musikviertel übergeben. Wir verabredeten uns auf ganz bald, doch bald war nicht mehr.

Er war ein frühberufener Typ und hatte von der einzigen Sache, die man nicht lernen, kaufen oder erben kann, viel: Talent. Und er war ein Typ, über den der MDR in einem biografischen Film sagte: "Georg Christoph Biller liebt Autos, Wein und Frauen." Geboren wurde er 1955 als Pfarrerssohn in Nebra an der Unstrut. Er war ein hochmusikalischer Junge, ein Kind, das gerne sang und das schon ganz früh unbedingt Thomaner werden wollte. Mit zehn Jahren nahm ihn der Thomaskantor Erhard Mauersberger als Sopran in den Chor auf. Einige Jahre später wurde Biller Chorpräfekt und durfte die Thomaner in diesem Amt auch schon dirigieren. Nach dem Abitur studierte er in Leipzig nicht Chordirigieren, er meinte, das könne er schon, dafür aber Gesang und das, was er noch nicht konnte: Orchesterdirigieren. Letzteres beim Gewandhauskapellmeister Kurt Masur, dessen Ehefrau er nach eigenem Bekunden mehrfach den Kühlschrank leer gegessen hat. Zunächst sang Biller mehr, als er dirigierte; noch heute sagt man in Leipzig, dass es einen besseren Jesus in den Bach’schen Passionen nie gegeben habe. Er dirigierte den Gewandhauschor, gründete hier und da ein Ensemble und wurde schließlich 1992 Thomaskantor. Komponiert hat Biller auch, besonders die späteren Werke bilden menschliches Leiden manchmal schonungslos ab, sodass das Zuhören dann wehtut. Sein Hinweis: "Hab ich am FKK-Strand auf Rügen komponiert" half allerdings, sollte man Gefahr laufen, etwas zu ernst zu nehmen ("Schreiben Sie das mit Rügen doch mal in ein Programmheft, Herr Biller" - "Das würde Teile des Publikums irritieren"). Überhaupt hat er, zumindest in meinem Fall, sehr daran gearbeitet, allzu kunstreligiöse Überzeugungen (Erlösung! Rausch! Drogen! Ich erinnere mich daran, im letzten Frühling nach etwas Herumgegoogle zunächst auf eine Aufnahme des Mozartrequiems gestoßen zu sein. Die Thomaner sangen, das Gewandhaus spielte, er dirigierte. Für gewöhnlich nehmen Dirigenten das "Amen" im Lacrimosa triumphal. Das gilt vor allem für die zweite Silbe des Worts, in der sich g-Moll glorreich in D-Dur verwandelt. Es ist ein Sieg über den Schmerz in der Totenmesse. Biller machte die Sache anders, er ging für die zweite, die Siegessilbe, bis fast ins Piano zurück - was in den Noten nicht steht - und schien damit eine Erlösungsmöglichkeit überhaupt infrage zu stellen. Das ergriff mich. Und wenn man die Möglichkeit hat, den Schöpfer eines starken Gefühls, das man gespürt hat, noch zu fragen, ob, wie und warum, dann sollte man das tun.

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