In Deutschland leiden fast eine halbe Million Menschen an Parkinson, einer fortschreitenden neurodegenerativen Erkrankung. Obwohl Parkinson derzeit noch als unheilbar gilt, sind grosse Fortschritte in der Forschung zu verzeichnen. Die Suche nach neuen Therapieansätzen, die nicht nur die Symptome lindern, sondern auch den Krankheitsverlauf verlangsamen oder gar stoppen können, steht im Fokus der aktuellen Forschung.
Parkinson: Eine weit verbreitete neurodegenerative Erkrankung
Morbus Parkinson ist nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung des Nervensystems. In Deutschland sind etwa 400.000 bis 500.000 Menschen betroffen. Die Erkrankung manifestiert sich typischerweise im Alter zwischen Ende 50 und Ende 60, wobei die Symptome oft schleichend beginnen und sich über Jahre entwickeln. Klassische Anzeichen sind Muskelsteifheit, unkontrolliertes Zittern und verlangsamte Bewegungen. Zusätzliche Symptome können das "Einfrieren" von Bewegungen (Freezing), Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken sowie Störungen der vegetativen Funktionen sein.
Die Ursachen für Parkinson sind komplex und noch nicht vollständig verstanden. Es wird vermutet, dass eine Kombination aus genetischen, Umwelt- und Lebensstilfaktoren eine Rolle spielt. Im Gehirn von Parkinson-Patienten kommt es zu einem Mangel an Dopamin, einem wichtigen Botenstoff für die Bewegungssteuerung, da immer mehr Nervenzellen, die Dopamin produzieren, absterben.
Aktuelle Forschungsergebnisse und Therapieansätze
Medikamentöse Therapie: Hoffnung durch Diabetes-Medikamente?
Die Wirksamkeit von Diabetes-Medikamenten bei Parkinson wird bereits seit einiger Zeit untersucht. Eine aktuelle Studie, die im April 2024 im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, liefert vielversprechende Ergebnisse. Die Studie untersuchte den Effekt des GLP-1-Rezeptoragonisten Lixisenatid, einem Medikament, das zur Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen ist, auf den Verlauf von Parkinson.
Die LIXIPARK-Studie:
- Design: Multizentrische, randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte klinische Studie
- Teilnehmer: 156 Personen mit leichten bis mittelschweren Parkinson-Symptomen im frühen Stadium
- Intervention: Eine Hälfte der Teilnehmer erhielt ein Jahr lang Lixisenatid, die andere ein Placebo, zusätzlich zu ihren Standard-Parkinson-Medikamenten (Levodopa oder andere Arzneimittel).
- Ergebnisse: In der Placebo-Gruppe verschlechterten sich die Symptome wie erwartet. Auf einer Skala zur Bewertung des Schweregrads der Parkinson-Krankheit (MDS-UPDRS), die die Fähigkeit der Betroffenen, Aufgaben wie Sprechen, Essen und Gehen auszuführen, misst, stieg ihr Wert um drei Punkte. Die mit Lixisenatid behandelten Patienten zeigten eine geringere Verschlechterung.
Bewertung der Ergebnisse:
Joseph Claßen, erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) und Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Leipzig, bezeichnete die Ergebnisse als sehr interessant. Er betonte, dass es ein grosser Erfolg wäre, wenn Parkinson mit dieser Klasse von Medikamenten gebremst werden könnte.
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Claßen wies jedoch auch auf die Nebenwirkungen von Lixisenatid hin, wie Übelkeit (bei fast der Hälfte der Teilnehmer) und Erbrechen (bei 13 Prozent), die in einigen Fällen eine Dosisreduktion erforderlich machten. Zudem sei eine Veränderung von drei Punkten in der Bewertung als gering anzusehen. Es seien weitere Studien erforderlich, um die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit von Lixisenatid bei Parkinson zu bestätigen und zu klären, wie sich die Wirkung über mehrere Jahre hinweg entwickelt.
Wirkmechanismus von GLP-1-Rezeptoragonisten:
Noch ist unklar, wie sich der positive Effekt des Diabetes-Medikaments bei Parkinson erklären lässt. GLP-1-Rezeptoragonisten ahmen die Wirkung des natürlich vorkommenden Peptids Glucagon-like Peptid-1 nach und aktivieren eine intrazelluläre Signalkaskade, die eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung physiologischer Blutzuckerwerte spielt. Es gibt Hinweise darauf, dass GLP-1-Medikamente Entzündungen reduzieren und die Energieversorgung der Neuronen verbessern können, indem sie sie wieder empfänglicher für Insulin machen. Zudem wird untersucht, ob GLP-1-Medikamente vor dem Verlust von Dopamin-produzierenden Neuronen schützen und möglicherweise den Ausbruch von Parkinson verhindern können.
Weitere Diabetes-Medikamente in der Parkinson-Forschung:
Neben Lixisenatid werden auch andere Diabetes-Medikamente wie Exenatid und Metformin auf ihre mögliche Wirksamkeit bei Parkinson untersucht. Eine Studie aus London aus dem Jahr 2017 deutete darauf hin, dass Exenatid den Krankheitsfortschritt bei Parkinson zumindest verlangsamen könnte. Forschende aus Florida und Taiwan beobachteten zudem, dass die Einnahme von Metformin bei manchen Diabetes-Patienten offenbar eine schützende Wirkung hinsichtlich der Entwicklung einer Demenz hat.
Antikörper-Therapie: Prasinezumab im Fokus
Ein weiterer vielversprechender Ansatz in der Parkinson-Forschung ist die Entwicklung von Antikörper-Therapien, die gezielt gegen das krankheitsverursachende Eiweiss Alpha-Synuclein vorgehen. Der monoklonale Antikörper Prasinezumab bindet aggregiertes Alpha-Synuclein und soll so die Ausbreitung der Erkrankung im Gehirn verlangsamen.
Die PASADENA-Studie und ihre Nachfolgeuntersuchungen:
In der vorangegangenen Phase-II-Studie PASADENA verfehlte Prasinezumab zunächst den primären Endpunkt. Eine Post-hoc-Analyse zeigte jedoch, dass der Antikörper in einer Subgruppe von Patienten mit schnellerer motorischer Progression Vorteile zur Reduktion des Fortschreitens motorischer Symptome brachte.
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Aktuelle Analysen aus der Open-Label-Extensionsphase der PASADENA-Studie deuteten darauf hin, dass eine längere Gabe von Prasinezumab über vier Jahre hinweg das Fortschreiten der Erkrankung bei allen behandelten Patienten verlangsamen könnte. Allerdings wird betont, dass das Fehlen einer echten Placebo-Kontrollgruppe die Aussagekraft dieser Ergebnisse einschränkt.
Die PADOVA-Studie:
Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse der PASADENA-Studie wurde die Phase-IIb-Studie PADOVA initiiert. In dieser Studie werden die Effekte von Prasinezumab als Zusatztherapie zur bestehenden symptomatischen Therapie bei Patienten im frühen Stadium der Parkinson-Krankheit untersucht. Die Rekrutierung der 586 Teilnehmer ist abgeschlossen, und die Ergebnisse werden mit Spannung erwartet.
Neuroprothesen und Tiefe Hirnstimulation: Innovative Ansätze bei schweren Gangstörungen
Neben medikamentösen Therapien werden auch innovative neurochirurgische Verfahren zur Behandlung von Parkinson eingesetzt, insbesondere bei schweren Gangstörungen wie Freezing of Gait.
Tiefe Hirnstimulation (THS):
Die Tiefe Hirnstimulation ist ein etabliertes Verfahren, bei dem Neurochirurgen dünne Stimulationselektroden in bestimmte Hirnareale einsetzen. Die elektrischen Impulse sollen insbesondere das Zittern lindern. Die THS kann in einigen Fällen die Symptome von Parkinson deutlich verbessern und die Lebensqualität der Patienten erhöhen.
Neuroprothesen:
Ein aufsehenerregender Erfolg wurde Ende vergangenen Jahres mit einer neuartigen Neuroprothese erzielt. Einem französischen Parkinson-Patienten konnte dank der Implantation von mehreren kleinen Pulsgebern direkt am Rückenmark das weitgehend normale Laufen wieder ermöglicht werden. Die Pulsgeber korrigieren die gestörten Nervensignale für die Beinbewegungen durch elektrische Signale. Aktuell laufen weitere Studien, um die Wirksamkeit dieses Ansatzes auch für andere Patienten zu überprüfen.
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Weitere innovative Ansätze:
- Magnetresonanz-gestützte fokussierte Ultraschallbehandlung (MRgFUS): Bei diesem Verfahren werden Ultraschallwellen im Zielgewebe so stark gebündelt, dass sie es erhitzen und gezielt zerstören. Durch die Behandlung entstehen winzige Narben in den Faserbahnen des Gehirns, im sogenannten Tremornetzwerk, was das Zittern verringern soll.
- Roboterassistierte Ansätze mit soften Prothesen: Auch der Einsatz von roboterassistierten Systemen mit soften Prothesen zeigt vielversprechende Ergebnisse bei der Verbesserung der Gangquantität und -qualität bei Parkinson-Patienten.
- Gezielte epidurale spinale Stimulation (TEES): Durch die elektrische Stimulation des Rückenmarks mittels TEES konnten alle wesentlichen Gangparameter erheblich verbessert und die Sturzfrequenz bei einem Parkinson-Patienten mit schweren Gangstörungen dramatisch gesenkt werden.
Stammzelltransplantation: Restaurative Therapie mit Potenzial
Die restaurative Therapie mittels Stammzelltransplantation erlebt laut Prof. Storch eine Renaissance. Ansätze mit induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSCs) und insbesondere embryonalen Stammzellen erweisen sich derzeit als aussichtsreichste Zellquellen.
Früherkennung und personalisierte Therapie: Die Zukunft der Parkinson-Behandlung
Ein wichtiger Schwerpunkt der aktuellen Forschung liegt auf der Verbesserung der Früherkennung von Parkinson. Da zum Zeitpunkt der Diagnose bereits 60% der Nervenzellen in der Substantia Nigra untergegangen sind, zielen aktuelle Studien darauf ab, das Absterben von Dopamin-Neuronen möglichst noch vor dem ersten Auftreten der Symptome zu stoppen.
Künstliche Intelligenz (KI) in der Früherkennung:
Die künstliche Intelligenz spielt eine zunehmend wichtige Rolle bei der Früherkennung von Parkinson. So konnte eine grosse britische Studie zeigen, dass über eine Woche am Handgelenk getragene Bewegungssensoren bis zu 7 Jahre vor der klinischen Diagnose auf einen beginnenden Morbus Parkinson hinweisen können. Auch KI-gestützte Sprachanalysen tragen zur besseren Früherkennung bei.
Genetische Ursachenforschung und personalisierte Therapie:
Die technischen Fortschritte haben der genetischen Ursachenforschung einen bedeutenden Schub gegeben. Inzwischen ist belegt, dass auch genetische Faktoren an der Entstehung von Morbus Parkinson beteiligt sind. Mutationen auf den Genen PINK1 und PRKN sowie pathologische Veränderungen im GBA1-Gen erweisen sich als relevant. Insbesondere die GBA1-Mutation ist mit einer schnelleren Progression zur Parkinson-Demenz und einem durchschnittlich zehn Jahre früheren Krankheitsbeginn verbunden.
Die Erkenntnisse aus der genetischen Forschung sollen dazu beitragen, Parkinson-Patienten anhand ihrer Erbinformationen und biologischen Stoffwechselwege in Untergruppen einzuteilen und so eine möglichst individuelle Therapie zu ermöglichen. Das Ziel ist es, für jeden Patienten das am besten geeignete Medikament zu finden, das gezielt auf die spezifischen Ursachen und Mechanismen seiner Erkrankung wirkt.
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