Hereditäre sensomotorische Neuropathie: Ursachen, Diagnose und Behandlungen

Die hereditäre sensomotorische Neuropathie (HMSN), auch bekannt als Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT), ist eine Gruppe von erblichen neurologischen Erkrankungen, die das periphere Nervensystem betreffen. Diese Nerven befinden sich außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks und sind für die Steuerung von Muskelbewegungen und die Übertragung von sensorischen Informationen zuständig. CMT ist die häufigste erbliche Krankheit des peripheren Nervensystems und betrifft etwa 1 von 2.500 Menschen.

Was ist die Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung?

Die Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT) ist eine Gruppe von erblichen Erkrankungen des Nervensystems, die auch als Morbus Charcot-Marie-Tooth-Hoffmann oder Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie (HMSN) bezeichnet wird. Sie ist durch eine Schädigung der peripheren Nerven gekennzeichnet, die sich außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks befinden. Diese Nerven sind für die Steuerung der Muskelbewegung und die Übertragung von sensorischen Informationen zuständig.

Ursachen der CMT

CMT wird durch Veränderungen in Genen ausgelöst, die für die Struktur und Funktion der Nerven in Armen und Beinen verantwortlich sind. Die Krankheit ist nicht ansteckend, aber da sie vererbbar ist, können andere Familienmitglieder ebenfalls betroffen sein. Ungefähr einer von 2.500 Menschen leidet unter CMT. Die Erkrankung wird meist autosomal-dominant vererbt, es gibt aber auch autosomal-rezessive und X-chromosomale Formen. Molekulargenetisch liegt am häufigsten eine Duplikation des PMP22-Gens zugrunde. Die entsprechende Deletion des PMP22-Gens führt zu einer Neuropathie mit Neigung zu Druckläsionen. Mutationen des Gens SH3TC2 sind Ursache der autosomal rezessiven Charcot-Marie-Tooth Neuropathie des Typs 4C (CMT4C).

Genetische Grundlagen

Die hereditäre motorisch-sensible Neuropathie Typ I (HMSN I, CMT1) ist die häufigste Form und wird autosomal-dominant vererbt. Bei 70-90 % der Patienten mit HMSN I liegt eine Duplikation auf dem kurzen Arm von Chromosom 17 (17p11.2-12) vor, die den Genort für das periphere Myelinprotein 22 (PMP22) umfasst. Spontane Neumutationen sind häufig. Neben dieser Form (CMT1A) wurde auch eine Mutation auf dem Chromosom 1 (1q22-23) im dort lokalisierten Gen für das Myelinprotein 0 (MPZ) beschrieben (CMT1B). Selten ist ein X-chromosomaler Erbgang (CMTX), bei dem das Gen für das Connexin 32 (GJB1) auf dem X-Chromosom (Xq13.1) betroffen ist. Selten sind autosomal-rezessiv vererbte Formen der HMSN Typ I, die genetisch als CMT4 bezeichnet werden. Verschiedene Gendefekte wurden in den letzten Jahren für diese Form beschrieben.

Als HMSN II (CMT2) wird der neuronale Typ der hereditären motorisch-sensiblen Neuropathie bezeichnet. Hierbei finden sich morphologisch Zeichen einer axonalen Degeneration, Zwiebelschalenformationen oder Zeichen einer Demyelinisierung fehlen. Der Erbgang ist auch bei dieser Form autosomal-dominant, nur sehr selten rezessiv (AR-CMT). Mutationen des Mitofusin 2-Gens auf dem Chromosom 1 (1q23 bzw. 1p35) oder auf Chromosom 3 (3q13-22) oder 7 (7p14) sind die häufigste Ursache.

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Symptome der CMT

Am stärksten betroffen sind die motorischen Nerven, die für die Steuerung der Muskelbewegung zuständig sind. Erste Symptome treten oft bereits im Kindes- oder jungen Erwachsenenalter auf, meist zunächst an den Füßen oder im Bereich des Sprunggelenks. Betroffene haben Probleme beim Laufen, es fehlt Ihnen die Kraft, die Füße richtig anzuheben und abzurollen. Der Fuß kommt „patschend“ wieder auf dem Boden auf. Die Füße selbst sind deformiert und weisen häufig einen zu hohen Fußspann auf (Hohlfuß). In der Regel nimmt die Muskelmasse durch die Erkrankung am Unterschenkel ab. Sehr dünne Beine im Vergleich zu meist normal ausgeprägten Oberschenkeln sind die Folge. Einige Patienten leiden unter Taubheit in den Beinen oder Füßen. Gelegentlich können auch die Hände betroffen sein.

Typische Symptome

  • Muskelschwäche beziehungsweise Lähmungen (Paresen) in den Extremitäten und Muskelschwund (Atrophie), meist beginnend in Fuß und Unterschenkel
  • Verlust der Muskeleigenreflexe
  • Fußheberschwäche
  • Hohlfüße und Krallenzehen
  • „Steppergang“ und „Storchenbeine“
  • Empfindungs- sowie Durchblutungsstörungen (sensorische, autonome, vegetative Störungen)
  • Skoliose
  • Skelettdeformitäten
  • Schwerhörigkeit
  • Kognitive Defizite
  • Tremor
  • Sprech- und Schluckstörungen
  • Atemprobleme
  • Strukturelle Zentralnervensystem-Veränderungen

Spezifische Symptome der CMT4C

Der Erkrankungsbeginn einer CMT4C kann bereits in der ersten Lebensdekade liegen, ist aber sehr variabel und bis in das 5. Lebensjahrzehnt hinein beschrieben. Auch der Schweregrad der CMT4C-Neuropathie ist variabel. Die Mehrzahl der Patienten entwickelt früh im Krankheitsverlauf eine schwer ausgeprägte Skoliose, die Erstmanifestation der Erkrankung sein kann. Neben den typischen distal betonten Paresen und Sensibilitätsstörungen der unteren Extremität findet sich bei einem Teil der Patienten auch eine proximal betonte Schwäche der oberen Extremität, die zusammen mit einer Scapula alata einer fazioscapulohumeralen Muskeldystrophie ähnlich sehen kann. Häufig findet sich auch eine Mitbeteiligung der Hirnnerven, die sich insbesondere in einer Hörminderung, fazialen Schwäche oder einer Stimmbandlähmung mit Dysphonie äußern kann. Die motorischen Nervenleitgeschwindigkeiten sind in unterschiedlichem Ausmaß verzögert (durchschnittlich 22 m/s), häufig wurden auch partielle Leitungsblöcke beschrieben.

Diagnose der CMT

Die Diagnose erfordert eine ausführliche Anamnese sowie eine sorgfältige körperliche Untersuchung. Kraft und Reflexe der Beinmuskulatur werden überprüft. Zusätzlich können Röntgenaufnahmen der Füße und Sprunggelenke durchgeführt werden, insbesondere wenn die Betroffenen Schmerzen in einem bestimmten Bereich haben. Zur weiteren Diagnosestellung kann die Nervenleitgeschwindigkeit gemessen und die Nervenfunktion bei einer Myographie überprüft werden. Darüber hinaus kann der Arzt das Erbgut des Patienten auf Veränderungen untersuchen.

Diagnostische Verfahren

  • Klinische Untersuchung: Beurteilung von Muskelkraft, Reflexen, Sensibilität und Koordination.
  • Elektrophysiologie: Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG), um zwischen demyelinisierenden und axonalen Formen zu unterscheiden.
  • Bildgebung: Röntgenaufnahmen zur Beurteilung von Fußdeformitäten, Kernspintomografie (MRT) zur Darstellung von Muskelatrophien.
  • Nervenbiopsie: Entnahme und Untersuchung einer Nervenprobe (Nervus suralis), um andere Ursachen auszuschließen.
  • Genetische Tests: Analyse des Erbguts, um Mutationen in bekannten CMT-Genen zu identifizieren.

Genetische Diagnostik

Bei Verdacht auf eine demyelinisierende CMT sollte als erster diagnostischer Schritt die Kopienzahl des PMP22-Gens bestimmt werden. Bis zu 70 % der Patienten mit einer familiären CMT1 weisen eine Duplikation des PMP22-Gens auf. Umgekehrt findet sich bei einer hereditären Neuropathie mit Neigung zu Druckläsionen (HNPP) häufig eine Deletion des entsprechenden Genabschnitts. Ergeben sich Hinweise auf einen X-chromosomalen Erbgang in einer Familie (CMTX), sollte zunächst das GJB1-Gen inklusive seiner genregulatorischen Abschnitte überprüft werden. Bei anderen Formen der CMT oder HSAN beziehungsweise HMN ist eine NGS-Panel-Diagnostik als erster Schritt in der Regel zielführender.

Behandlung der CMT

Derzeit gibt es keine Heilung für die Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung. Ziel der Behandlung der Patienten ist die Linderung der Symptome und Beschwerden. Regelmäßige Krankengymnastik wird besonders empfohlen, um Muskelkraft und Beweglichkeit zu erhalten. Hilfsmittel wie Fußheber-Prothesen und orthopädische Schuhe können den Alltag erleichtern. Medikamente gegen das Taubheitsgefühl können ebenfalls in Erwägung gezogen werden. Bei schweren Deformitäten oder erhebliche funktionelle Einschränkungen, können Operationen zu einer wesentlichen Verbesserung der Fußfunktion führen. Hierzu gehören Osteotomien, Sehnentransferoperationen oder Sehnenverlängerungen, sowie Teilversteifungen der kleinen Fußwurzelgelenke. Solche funktionsverbessernde Eingriffe erfordern eine hohe Expertise des Operateurs.

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Konservative Behandlungsmethoden

  • Physiotherapie: Aktive und passive Übungen zur Erhaltung der Muskelkraft und Beweglichkeit, Sturzprophylaxe.
  • Ergotherapie: Training der Feinmotorik und des Umgangs mit Hilfsmitteln.
  • Orthopädische Hilfsmittel: Fußheberorthesen, orthopädische Schuhe zur Unterstützung der Fußfunktion und Vermeidung von Fehlstellungen.
  • Medikamentöse Therapie: Schmerzmittel, Medikamente gegen neuropathische Schmerzen, gegebenenfalls Lecithin zur Verbesserung der Erregungsreizweiterleitung.

Operative Behandlungsmethoden

  • Fußkorrekturen: Osteotomien, Sehnentransfers, Sehnenverlängerungen, Teilversteifungen der Fußwurzelgelenke zur Verbesserung der Fußfunktion und Vermeidung von Fehlstellungen.
  • Arthrodese: Versteifungsoperationen zur Stabilisierung stark zerstörter Gelenke und zur Schmerzlinderung.
  • Sehnentransfers: Verlagerung von Sehnen zur Verbesserung der Muskelbalance und Fußhebung.

Prinzipien der operativen Therapie

Bei CMT-Erkrankungen ist eine sehr individuelle Beurteilung der Situation notwendig. Für jede Therapieentscheidung werden eine große Zahl an Parametern erhoben, um eine Einschätzung des Verlaufes zu erreichen und damit ein sehr individuelles Behandlungsschema zu ermöglichen. Ziel der operativen Behandlung ist es, starke Fehlstellungen und weitreichende Folgeschäden in benachbarten Regionen zu vermeiden.

Sehnentransfers

Sehnentransfers dienen dazu, die Funktion geschwächter Muskeln durch die Verlagerung von Sehnen zu verbessern. Die Sehnentransfers werden nach ihrem verwendeten Muskel und der zu verstärkenden Muskulatur bezeichnet. So kann beispielsweise der hintere Schienbeinmuskel (M. tibialis posterior) auf den geschwächten kurzen Wadenbeinmuskel (M. peroneus brevis) nach außen verlagert werden.

Knochenkorrekturen

Knochenkorrekturen, wie beispielsweise die Entfernung eines Fußkeiles am höchsten Punkt des Hohlfußes, bieten eine gute Möglichkeit der Korrektur von Fehlstellungen. Je nach Ort der Fehlstellung kann die Position der Keilentnahme auch am 1. Mittelfußknochen im Rahmen einer sogenannten Weil-Osteotomie sinnvoll sein.

Gelenkversteifungen

In Fällen von Arthrose oder schweren Fehlstellungen des Sprunggelenkes können weitere Operationen sinnvoll sein. Die Behandlung der innen liegenden Arthrose am Sprunggelenk bei einem Hohlfuß erfolgt durch eine Begradigung und damit Horizontalstellung des Talus (Sprungbein).

Verlauf und Prognose

CMT ist eine fortschreitende Erkrankung und erfordert eine lebenslange kontinuierliche Behandlung. Der Krankheitsverlauf wird durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen überwacht. In der Regel wird die Behandlung mit mehreren Spezialisten im Team durchgeführt. Obwohl die Erkrankung nicht heilbar ist, können die Symptome durch eine individuell angepasste Therapie gelindert und die Lebensqualität verbessert werden.

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Häufige Fragen zu Charcot-Marie-Tooth

Eine häufig auftretende Fußfehlstellung bei Patienten mit Charcot-Marie-Tooth ist der Hohlfuß.

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