Das digitale Zeitalter hat die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und interagieren, grundlegend verändert. Insbesondere Videospiele sind zu einem integralen Bestandteil der modernen Kultur geworden, die Menschen aller Altersgruppen und Geschlechter begeistern. Doch mit der zunehmenden Popularität von Videospielen wächst auch die Sorge um ihre potenziellen Auswirkungen auf das menschliche Gehirn. Ist Zocken also schädlich für das Gehirn, oder kann es sogar positive Effekte haben? Dieser Frage soll im Folgenden auf den Grund gegangen werden.
Veränderungen im Gehirn durch regelmäßiges Spielen
Regelmäßiges Spielen von Online-Computerspielen kann die Hirnstruktur verändern. Eine Studie von Forschern um Christian Montag an der Universität Ulm untersuchte die Auswirkungen des Spielens auf das Gehirn. Die Ergebnisse zeigten, dass bereits eine Stunde tägliches Spielen des Online-Spiels „World of Warcraft“ (WoW) über einen Zeitraum von sechs Wochen zu einer Abnahme des Hirnvolumens im orbitofrontalen Kortex führen kann. Dieser Bereich im Frontallappen des Gehirns ist zuständig für die Kontrolle von Emotionen und Entscheidungen.
Die Studie im Detail
Die Längsschnittstudie umfasste 119 Teilnehmer, darunter erfahrene Spieler und sogenannte „Game-Neulinge“. Die Neulinge wurden in zwei Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe spielte täglich mindestens eine Stunde WoW, während die andere Gruppe als Kontrollgruppe diente und nicht spielte. Mittels Magnetresonanztomografie (MRT) wurden die Gehirne der Teilnehmer vor und nach der sechswöchigen Periode gescannt.
Ergebnisse und Interpretation
Die MRT-Scans zeigten, dass es in der Gruppe der Spieler zu einer Abnahme der grauen Substanz im orbitofrontalen Kortex kam. Die Forscher interpretieren diese Erkenntnisse als Hinweis auf neuroplastische Prozesse, bei denen sich das Gehirn durch Lernprozesse verändert. Die beobachtete Reduktion des Hirnvolumens könnte mit einer schlechteren Emotionsregulation und Entscheidungsfindung einhergehen.
Zusammenhang mit Suchttendenzen
Bereits zu Beginn der Studie wurde festgestellt, dass erfahrene WoW-Spieler ein geringeres Volumen im orbitofrontalen Kortex aufwiesen, was mit höheren Suchttendenzen einherging. Die Forscher stellten sich die Frage, ob dieses reduzierte Hirnvolumen eine Folge oder eine Voraussetzung für Computerspielabhängigkeit oder Internetsucht ist.
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Computerspielsucht: Wenn das Spielen zur Krankheit wird
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das exzessive Spielen von Videospielen (Gaming Disorder) im Jahr 2018 als psychische Erkrankung anerkannt. Demnach liegt eine Computerspielsucht vor, wenn Gamer andere Interessen und tägliche Aktivitäten hinter dem Spielen zurückstellen, keine Kontrolle mehr über die Häufigkeit und Dauer des Spielens haben und das exzessive Spielen fortsetzen, obwohl negative Konsequenzen drohen.
Ab wann wird Gaming zur Sucht?
Eine Computerspielsucht kann erst diagnostiziert werden, wenn dieses Verhalten über mindestens zwölf Monate hinweg auftritt und das Gaming das Familienleben, die Ausbildung oder die Arbeit gravierend beeinträchtigt. Es ist wichtig zu beachten, dass nicht jedes intensive Spielen gleichbedeutend mit einer Sucht ist.
Mögliche negative Folgen von exzessivem Zocken
- Schlafschwierigkeiten: Das blaue Bildschirmlicht kann die Freisetzung des schlaffördernden Hormons Melatonin blockieren.
- Körperliche Beschwerden: Intensives Spielen kann zu einem Mausarm, einem Gamer-Daumen, Rückenschmerzen und Haltungsschäden führen.
- Bewegungsmangel und Sportverletzungen: E-Sport findet überwiegend im Sitzen statt, was zu einseitiger Belastung und Verletzungen führen kann.
Macht Zocken aggressiv?
Die Frage, ob Videospiele aggressiv machen, ist Gegenstand zahlreicher Debatten. Eine Langzeitstudie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf konnte keine Zunahme der Aggressivität bei erwachsenen Gamern feststellen, die gewaltverherrlichende Videospiele spielen. Auch andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
Die Rolle der individuellen Motivation
Ob Videospiele negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben, hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter die individuelle Motivation, die hinter dem Gaming steckt, die körperliche Aktivität, die soziale Interaktion und das Vorhandensein von Gewalt. Auch Vorerkrankungen wie Depressionen können eine Rolle spielen.
Positive Auswirkungen von Videospielen
Trotz der potenziellen Risiken gibt es auch zahlreiche positive Auswirkungen von Videospielen auf die kognitiven und motorischen Fähigkeiten.
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Förderung von Kompetenzen und Fertigkeiten
Computerspiele können verschiedene Kompetenzen und Fertigkeiten stärken, darunter:
- Kognitive Kompetenzen: Logisches Denkvermögen und die Fähigkeit zur Problemlösung
- Sensomotorische Fähigkeiten: Schnelle Reaktionsfähigkeit und eine gute Hand-Auge-Koordination
- Soziale Kompetenzen: Teamwork und Empathie, insbesondere bei Mehrspieler-Games
- Technikkompetenz: Umgang mit technischen Geräten wie Laptop, Tablet und PC
- Persönliche Kompetenzen: Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz
Videospiele im therapeutischen Einsatz
Sogenannte „Serious Games“ oder „Health Games“ werden zunehmend im therapeutischen Bereich eingesetzt, um Verhaltensänderungen anzustoßen, Wissen zu vermitteln oder die Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu lenken.
Beispiele für den therapeutischen Einsatz von Videospielen
- Digitale Spiele für Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen, um das richtige Verhalten in Notfällen zu trainieren
- Spiele für Menschen mit Krebs oder Diabetes, um Informationen zu vermitteln und bei der Auseinandersetzung mit der Erkrankung zu helfen
- Spiele, die zu einer gesunden Lebensweise und mehr Fitness anregen
- Videogames, die Rehabilitationsmaßnahmen unterstützen
- Spiele, die helfen, Depressionen besser zu verstehen
- Spiele, mit denen Senioren geistig wie körperlich fit bleiben
Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit
Studien haben gezeigt, dass Videospiele die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern können. So wurde beispielsweise festgestellt, dass Menschen, die Actionspiele spielen, eine bessere Sehfähigkeit haben und kleine Details besser erkennen können. Auch die Konzentrationsfähigkeit und die Fähigkeit, schnell von einer Aufgabe zu einer anderen zu wechseln, können durch Videospiele verbessert werden.
Förderung des räumlichen Denkens
Eine Studie der Neurowissenschaftlerin Simone Kühn zeigte, dass sich die graue Substanz des Gehirns im entorhinalen Kortex, der für das räumliche Denken eine wichtige Rolle spielt, bei Videospielern vergrößerte. Dies führte zu einem besseren räumlichen Denken bei den Teilnehmern.
Stärkung der mentalen Gesundheit
Videospiele können auch bei Depressionen und Gefühlen der Einsamkeit helfen. Erfolgserlebnisse bei Videospielen setzen Glückshormone frei, die die Stimmung verbessern. Viele Spiele finden gemeinsam mit anderen statt, was das Gefühl der Verbundenheit stärken kann.
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Videospiele im Alter
Auch im Alter können Videospiele positive Auswirkungen haben. Sie können dazu beitragen, den Abbauprozessen im Gehirn entgegenzuwirken und die Fähigkeit zur Selbstkontrolle (Inhibition) zu verbessern.
Was Eltern beachten sollten
Viele Eltern machen sich Sorgen über den Einfluss von Videospielen auf ihre Kinder. Es ist wichtig, ein ausgewogenes Verhältnis zu finden und die potenziellen Risiken und Vorteile des Zockens zu berücksichtigen.
Tipps für Eltern
- Spielt mit! Durch das gemeinsame Erleben des Spiels können Eltern die Faszination ihres Kindes nachvollziehen und besser erkennen, ob das Spiel geeignet ist.
- Andere Aktivitäten anbieten: Kinder und Jugendliche brauchen Kontakt zu Gleichaltrigen und sollten auch anderen Hobbys und Interessen nachgehen.
- Regeln aufstellen: Eltern sollten gemeinsam mit ihren Kindern Regeln für die Mediennutzung aufstellen und diese auch verbindlich einhalten.
- Auf Warnzeichen achten: Eltern sollten auf Verhaltensänderungen bei ihrem Kind achten, die auf eine mögliche Spielsucht hindeuten könnten.