Die ketogene Ernährung, eine fettreiche, sehr kohlenhydratarme Diät, hat in den letzten Jahren sowohl in der Forschung als auch in der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung gewonnen. Ursprünglich zur Behandlung von Epilepsie entwickelt, wird ihr Potenzial heute auch in anderen Bereichen der Neurologie und darüber hinaus untersucht. Ziel dieser Ernährungsform ist es, den Körper in einen Zustand der Ketose zu versetzen, in dem er primär Fette anstelle von Glukose zur Energiegewinnung nutzt.
Das Prinzip der Ketose
Bei einer ketogenen Diät werden Kohlenhydrate drastisch reduziert, wodurch der Körper zunächst auf freie Glukose im Blut und anschließend auf Glykogen in Leber und Muskeln zurückgreift. Sind diese Speicher erschöpft, beginnt der Körper, Fettdepots abzubauen. In der Leber werden Fettsäuren zu Ketonkörpern umgewandelt, die dann als alternative Energiequelle dienen. Dieser Stoffwechselzustand, die Ketose, ähnelt dem beim Fasten und tritt nach einigen Tagen ein.
Ketogene Ernährung in der Therapie
Epilepsie
Die ketogene Ernährung wurde vor über 100 Jahren zur Behandlung von Epilepsie entwickelt und stellt auch heute noch eine Option dar, wenn Medikamente nicht ausreichend wirken, insbesondere bei Kindern. Studien haben gezeigt, dass eine KET die Häufigkeit epileptischer Anfälle um mehr als die Hälfte reduzieren kann.
Stoffwechselerkrankungen
Patienten mit seltenen Stoffwechselerkrankungen wie einem GLUT1-Defekt oder einem Pyruvat-Dehydrogenase-Mangel können von einer ketogenen Ernährung profitieren. Beim GLUT1-Defekt ist der Glukosetransport ins Gehirn gestört, wodurch Ketonkörper eine alternative Energiequelle darstellen.
Migräne
Klinische Daten deuten darauf hin, dass eine ketogene Ernährung sich positiv auf das Krankheitsgeschehen bei Migräne auswirken kann. Eine Beobachtungsstudie zeigte, dass übergewichtige Migränepatienten durch eine ketogene Diät nicht nur Gewicht reduzierten, sondern auch eine Verringerung der Kopfschmerzhäufigkeit und der Medikamenteneinnahme feststellten.
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Alzheimer-Krankheit
Andere Forschergruppen untersuchen derzeit, ob Low-Carb-Diäten vom Atkins-Typ die Kognition verbessern und möglicherweise sogar vorbeugend gegen die Alzheimer-Krankheit wirken können. Durch die bei Alzheimer vorherrschende Insulinresistenz im Gehirn ist die Glukoseaufnahme und -verwertung trotz ausreichendem Blutzuckerangebot eingeschränkt.
COVID-19
Forschende der Universität Bonn fanden heraus, dass Personen mit einer COVID-19-Erkrankung im Vergleich zu anderen Infektionen weniger Ketonkörper im Blut haben. In einem Tierversuch konnten die Forschenden zeigen, dass sowohl eine ketogene Ernährung als auch die orale Gabe von Ketonkörpern die Immunantwort wieder verstärkte.
Psychische Erkrankungen
Forscher der Universität Stanford sehen auf Basis aktueller Studienergebnisse in einer ketogenen Ernährung große Chancen für die Behandlung von Patienten mit psychischen Erkrankungen. Im Fokus der Studie stand der Einfluss einer ketogenen Ernährung auf Patienten mit Schizophrenie oder einer bipolaren Störung.
Wirkung auf das Gehirn
Alternative Energiequelle
Das Gehirn, ein Organ mit hohem Energiebedarf, nutzt normalerweise Glukose als Hauptbrennstoff. Ketonkörper können jedoch die Blut-Hirn-Schranke überwinden und dem Gehirn als alternative Energiequelle dienen. Dies ist besonders relevant, wenn die Glukoseverwertung eingeschränkt ist, wie bei Insulinresistenz oder bestimmten Stoffwechselerkrankungen.
Neuroprotektive Effekte
Es wird vermutet, dass Ketonkörper neuroprotektive Eigenschaften besitzen. Sie können Entzündungsreaktionen im Gehirn reduzieren und die Funktion der Mitochondrien verbessern. Zudem hemmen sie die Bildung freier Sauerstoffradikale.
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Einfluss auf Neurotransmitter
Die chronische Ketose könnte das zerebrale Energieniveau heben und vermehrt beruhigende/entspannende Neurotransmitter wie die Gamma-Aminobuttersäure (GABA) ausschütten.
Durchführung und Risiken
Ärztliche Begleitung
Ketogene Ernährungstherapien (KET) sind verschreibungspflichtig und erfordern ein umfangreiches Behandlungsprogramm, das von einem Arzt oder einer Ärztin sowie einer qualifizierten Ernährungsfachkraft begleitet werden muss. Nur so wird sichergestellt, dass eine für den Patienten oder die Patientin geeignete Berechnung des Energie-, Protein- und Nährstoffanteils erfolgt und tatsächlich eingehalten wird.
Mögliche Nebenwirkungen
Zu Beginn der Diät können Symptome wie Erbrechen, Durchfall, Verstopfung, Hunger und Sodbrennen auftreten. Mittel- bis langfristig wurden Nierensteine, Verstopfung und Fettstoffwechselstörungen beschrieben. Bei Kleinkindern können zudem Wachstumsstörungen auftreten.
Wichtige Aspekte
- Fettqualität: Bei einem hohen Fettanteil in der Ernährung ist eine gute Fettqualität entscheidend. Ungesättigte Fettsäuren sollten bevorzugt werden.
- Mikronährstoffe: Auf eine ausreichende Zufuhr von Mikronährstoffen wie Kalzium und Carnitin ist zu achten. Gegebenenfalls ist eine Supplementierung erforderlich.
- Flüssigkeitszufuhr: Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr ist sehr wichtig, auch um Nierensteinen vorzubeugen.
Varianten der ketogenen Ernährung
Es gibt verschiedene Varianten der ketogenen Ernährung, die sich in der Strenge der Kohlenhydratrestriktion und dem Verhältnis der Makronährstoffe unterscheiden:
- Klassische ketogene Ernährung: Streng definierte Makronährstoffverhältnisse, meist 3:1 oder 4:1 (Fett : Kohlenhydrate und Proteine).
- Modifizierte Atkins-Diät (MAD): Die Menge an Kohlenhydraten wird berechnet, die Menge an Proteinen und Fetten ist frei.
- Niedrig-glykämische Indextherapie (LGIT): Auswahl kohlenhydrathaltiger Lebensmittel mit einem glykämischen Index unter 50.
Kritik und Einschränkungen
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät von kurzfristigen Diäten aller Art ab, weil diese nicht zu nachhaltigen Erfolgen führen. Studien haben gezeigt, dass sowohl ein extrem niedriger als auch ein sehr hoher Anteil an Kohlenhydraten in der Nahrung das Sterblichkeitsrisiko erhöht. Bei unsachgemäßer Durchführung der ketogenen Ernährungstherapie kann es zudem zu Essstörungen kommen.
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