Kleinhirn nicht ausgebildet: Ursachen, Diagnose und Therapie von Ataxie-Erkrankungen

Ataxie, abgeleitet vom griechischen Begriff für "Nicht-Anordnung", bezeichnet eine vielfältige Gruppe von Erkrankungen, die durch zunehmende Gangunsicherheit gekennzeichnet sind. Diese Störung der Koordination führt zu einem fehlerhaften Zusammenspiel verschiedener Muskelgruppen bei der Ausführung von Bewegungen. Die Ursachen für Ataxie sind vielfältig und reichen von Stoffwechselstörungen bis hin zu genetischen Defekten.

Ursachen von Ataxie

Ataxie kann verschiedene Ursachen haben, darunter:

  • Stoffwechselerkrankungen: Störungen des Vitaminhaushaltes oder eine Schilddrüsenunterfunktion können Ataxie verursachen.
  • Toxische Einflüsse: Alkoholmissbrauch (alkoholtoxische Kleinhirndegeneration) oder Vergiftungen mit Schwermetallen (Blei, Thallium u. a.) können das Kleinhirn schädigen und Ataxie auslösen.
  • Entzündliche ZNS-Erkrankungen: Multiple Sklerose (MS) und andere entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) können Ataxie verursachen.
  • Tumorerkrankungen: Paraneoplastische Kleinhirndegeneration, eine Folge von Tumorerkrankungen, kann ebenfalls zu Ataxie führen.
  • Erbliche Formen der Ataxie: Genetische Defekte können autosomal-rezessiv (z. B. Friedreich-Ataxie) oder autosomal-dominant (spinozerebelläre Ataxien und Morbus Huntington) vererbt werden.

Genetische Ursachen

Genetische Mutationen oder Veränderungen sind eine der häufigsten Ursachen für Ataxie. Es gibt eine Vielzahl von Genen, die an der normalen Entwicklung und Funktion des Kleinhirns beteiligt sind. Mutationen in diesen Genen können zu Ataxie führen. Die erbliche Ataxie kann in verschiedenen Formen auftreten, wie der Friedreich-Ataxie oder der spinozerebellären Ataxie. Häufig vererben sich diese innerhalb von Familien.

Erworbene Ursachen

  • Schlaganfall: Ein Schlaganfall im Bereich des Kleinhirns oder der zugehörigen Blutgefäße kann die Funktion des Kleinhirns beeinträchtigen und zu einer Ataxie führen.
  • Schädel-Hirn-Trauma: Verletzungen durch Unfälle, Stürze oder äußere Gewalteinwirkung können das Kleinhirn oder seine Verbindungen schädigen.
  • Entzündungen: Entzündliche Erkrankungen wie Multiple Sklerose, infektiöse Meningitis oder Autoimmunerkrankungen können das Kleinhirn betreffen und die Ataxie verursachen.
  • Toxische Einflüsse: Substanzen wie Alkohol, bestimmte Medikamente, Schwermetalle oder Chemikalien können das Kleinhirn schädigen und zur Entwicklung von Ataxie beitragen.

Degenerative Ursachen

Bei degenerativen Ursachen verschlechtert sich das Kleinhirn im Laufe der Zeit aufgrund von nicht genetischen Faktoren. Dies kann in späteren Lebensjahren auftreten oder durch andere degenerative Erkrankungen wie die sporadische Ataxie oder die altersbedingte Ataxie verursacht werden.

Tumorbedingte Ursachen

Auch Tumore im Bereich des Kleinhirns oder in benachbarten Regionen können den normalen Betrieb des Kleinhirns beeinträchtigen und Ataxie verursachen.

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Chiari-Malformation

Die Chiari-Malformation (ACM) umfasst eine Gruppe von Fehlbildungen der hinteren Schädelgrube im Bereich des Kleinhirns, Hirnstamms und am Übergang zum Rückenmark. Bei der Chiari-Malformation bilden sich der Schädelrand und die ersten Halswirbel fehlerhaft aus. Dadurch findet der hintere Kleinhirnanteil (Kleinhirntonsille) unter der Schädeldecke nicht ausreichend Platz und breitet sich in den Übergang zwischen Schädel und Wirbelsäule aus. Durch das Hinterhauptloch (Foramen magnum) ragt der verdrängte Hirnanteil in den Rückenmarkskanal (Spinalkanal) oder wölbt sich nach außen (Enzephalozele). Die unterschiedlichen Ausprägungen der Chiari-Malformation werden in Typ I bis Typ IV unterteilt.

Genetische Grundlagen erblicher Ataxien

Die erblichen Ataxien lassen sich in autosomal-dominant und autosomal-rezessiv vererbte Formen unterteilen.

Autosomal-dominante Ataxien

Bei einem dominanten Erbgang (spinozerebelläre Ataxien und Morbus Huntington) genügt es, wenn ein Elternteil das veränderte Gen trägt. Es reicht zum Ausbruch der Krankheit aus, wenn nur ein verändertes Gen vorhanden ist. Dies bedeutet aber auch, dass nur Eltern, die selbst erkrankt sind oder eventuell noch erkranken werden, das Gen weitergeben können. Die dominant vererbten SCA können derzeit aufgrund der vorliegenden Genmutation in die SCA 1-28 unterschieden werden (Stand 2007). Zu den autosomal dominant vererbten Ataxien gehören ferner auch die Episodischen Ataxien (EA 1-5), eine Sonderform stellt die Dentato-rubro-pallido-luysiane Atrophie (DRPLA) dar, die überwiegend in Japan vorkommt.

Autosomal-rezessive Ataxien

Bei einem rezessiven Erbgang (z.B. Friedreichsche Ataxie) müssen beide Eltern das gleiche veränderte Gen haben und es an das Kind weitergeben, damit die Krankheit auftritt. Hat das Kind nur ein verändertes Gen, erkrankt es nicht, kann dieses aber weitergeben. Autosomal-rezessive Ataxien mit Beteiligung des Kleinhirns (= autosomal-rezessive cerebelläre Ataxien, ARCAs) sind dadurch definiert, dass in einem Gen auf beiden Genkopien Genveränderungen (Mutationen) vorliegen - und nicht nur eine Genkopie mutiert ist, wie bei den autosomal-dominanten Ataxien. In der Regel wird jeweils eine der beiden Genveränderungen vom Vater und eine von der Mutter vererbt. ARCAs entstehen - wie auch autosomaldominante Ataxien - ebenfalls aus dem Abbau bzw. Funktionsverlust (= Degeneration) des Kleinhirns und seiner zuführenden Nervenfaserstränge.

Symptome von Ataxie

Charakteristisch für alle Ataxien ist die Gangunsicherheit. Je nach Untergruppe einer SCA können jedoch verschiedene andere Symptome hinzukommen, wie etwa eine zunehmend verwaschene Sprache, Augenfolgestörungen und Doppelbilder, Schädigungen der peripheren Nerven, Krampfanfälle, Netzhautdegeneration, Zittern (Tremor) oder eine vermehrte Muskelsteifigkeit.

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Die Symptome der Chiari-Malformation können, abhängig von Typ und Ausprägung, individuell unterschiedlich sein. Beschwerden und mögliche funktionelle Einschränkungen betreffen in der Regel u. a.:

  • Kopf- und/oder Nacken (Schmerzen)
  • Extremitäten (Schwäche, Gangunsicherheit, Lähmungserscheinungen)
  • Augenbeweglichkeit (unkontrollierte Zuckungen = Nystagmus)
  • Koordination bzw. Gleichgewicht (Schwindel, Gleichgewichtsstörungen)

Zerebelläre Ataxie: Symptome

Die zerebelläre Ataxie zählt zu den neurologischen Krankheiten, die das Kleinhirn betreffen und in erster Linie die Bewegungskoordination und das Gleichgewicht beeinträchtigen. Die Symptome dieser Krankheit können dabei vielfältig sein und variieren von Person zu Person.

  • Störungen des Gleichgewichtssinns: Eine der auffälligsten Symptome der zerebellären Ataxie sind Gleichgewichtsstörungen. Betroffene haben Schwierigkeiten, aufrecht zu stehen und zu gehen. Aufgrund der Schädigung sind sie häufig anfällig für Stürze. Dies führt zu Unsicherheit bei der Fortbewegung und zu erheblichen Einschränkungen in der Mobilität.
  • Koordinationsprobleme: Die Fähigkeit, Bewegungen präzise zu steuern, ist stark beeinträchtigt. Die Betroffenen können unkontrollierte und zittrige Bewegungen in den Armen und Beinen zeigen. Alltägliche Aufgaben wie das Schreiben, Greifen von Gegenständen oder das Anziehen von Kleidung werden zu einer Herausforderung.
  • Sprachstörungen: Die zerebelläre Ataxie kann auch die Sprache beeinflussen. Betroffene haben oft Schwierigkeiten beim Sprechen, da die Muskelkoordination für die Artikulation von Lauten gestört ist. Dies kann zu einer undeutlichen Aussprache und Verständigungsschwierigkeiten führen.
  • Augenbewegungsstörungen: Das Kleinhirn spielt eine entscheidende Rolle bei der Koordination der Augenbewegungen. Bei einer zerebellären Ataxie können unkontrollierte Augenbewegungen auftreten, die das Sehen und Lesen erschweren können.
  • Muskelsteifheit und Muskelschwäche: Zusätzlich können Betroffene auch Muskelsteifheit und Muskelschwäche entwickeln. Diese Begleiterscheinungen erschweren nicht nur die Bewegungskoordination, sondern beeinträchtigen auch die Kraft und Flexibilität der Muskulatur.

Diagnose von Ataxie

Gewissheit über den jeweils vorliegenden Typ der SCA kann die molekulargenetische Diagnostik bringen, da es viele Überschneidungen zwischen den Symptomen gibt.

Aus den individuellen Symptomen und der Krankengeschichte können weitere diagnostische Schritte abgeleitet werden. Die für die Chiari-Malformation charakteristischen Veränderungen im Schädel-Hirn-Bereich sowie die Wirbelsäule können mittels CT und MRT eindeutig dargestellt und näher untersucht werden. Den Fluss des Nervenwassers im Schädel bzw. Rückenmarkskanal kann man mithilfe einer speziellen MRT-Untersuchung aufzeichnen und so mögliche Beeinträchtigungen erkennen. Auch einen flüssigkeitsgefüllten Hohlraum im Rückenmark (Syrinx) oder Hirnstamm kann man feststellen und näher untersuchen. Bei Ungeborenen (Föten) können Ultraschalluntersuchungen (pränataldiagnostische Sonografie) im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge Hinweise auf eine Chiari-Malformation liefern. Die Ergebnisse helfen, die geeignete Therapie festzulegen.

Zerebelläre Ataxie: Verlauf der Erkrankung

Es ist wichtig zu beachten, dass die Symptome der zerebellären Ataxie in der Regel fortschreitend sind. Das bedeutet, dass sie sich im Laufe der Zeit verschlimmern können, was sich stark auf die Lebensqualität der Betroffenen auswirkt. Der Verlauf der Krankheit kann von Person zu Person stark variieren, jedoch gibt es einige allgemeine Merkmale, die einen typischen Krankheitsverlauf beschreiben können.

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  • Beginn und Frühstadium: Die meisten Fälle von zerebellärer Ataxie beginnen schleichend und entwickeln sich oft über Jahre hinweg. In den frühen Stadien können die Anzeichen mild sein und werden möglicherweise kaum bemerkt. Dies führt manchmal zu einer verzögerten Diagnostik, da die Probleme anfänglich leicht als normale Alterserscheinungen oder andere Gesundheitsprobleme fehlinterpretiert werden können.
  • Fortschreitende Verschlechterung: Mit der Zeit neigen die Symptome dazu, sich zu verschlechtern. Die Koordinationsprobleme beim Gehen und Bewegen werden ausgeprägter, was zu wiederholten Stürzen und einer Zunahme der Mobilitätseinschränkungen führen kann. Die Muskelschwäche kann sich verstärken und das Alltagsleben immer anspruchsvoller werden.
  • Variabilität der Symptome: Ein bemerkenswertes Merkmal der zerebellären Ataxie ist die große Variabilität der Symptome und des Verlaufs. Dies hängt oft mit der zugrunde liegenden Ursache zusammen. Einige Patienten können schneller fortschreitende Symptome haben, während andere über viele Jahre hinweg relativ stabil bleiben. Zusätzlich zu den primären motorischen Symptomen können auch begleitende Symptome auftreten, die den Krankheitsverlauf weiter komplex gestalten.

Neue Erkenntnisse zur Diagnose

Ein Forschungsteam in Hannover hat eine neue Art der zerebellären Ataxie entdeckt, die durch Autoantikörper namens Anti-DAGLA verursacht wird. Diese Autoantikörper richten sich gegen Kleinhirnzellen und führen so zu einer schweren Entzündung mit den entsprechenden Symptomen. Der Nachweis dieser Autoantikörper im Nervenwasser kann als Biomarker für diese spezifische Form der Ataxie dienen.

Therapie von Ataxie

Die Behandlung von Ataxie richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache. Einige Ataxieformen, die durch Stoffwechselstörungen oder toxische Einflüsse verursacht werden, können durch die Behandlung der Grunderkrankung gebessert werden. Bei erblichen Ataxien ist die Therapie in der Regel symptomatisch.

Zerebelläre Ataxie: Behandlung und Therapie

Obwohl die zerebelläre Ataxie derzeit nicht heilbar ist, stehen verschiedene Therapieansätze zur Verfügung, die darauf abzielen, die Beschwerden zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern. Dazu gehören verschiedene Ansätze in der Therapie:

  • Physiotherapie
  • Ergotherapie
  • Medikamente zur Symptomkontrolle
  • Spezialisierte Hilfsmittel

Die therapeutischen Maßnahmen sind darauf ausgerichtet, die individuellen Bedürfnisse und Herausforderungen jedes Betroffenen bestmöglich zu berücksichtigen. Eine frühe Diagnose sowie eine regelmäßige, fachärztliche Betreuung sind entscheidend, um den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen.

Aktuelle Forschungsansätze

In Tübingen forschen Neurologen an erblichen Koordinationsstörungen und bereiten erste zielgerichtete Therapien vor. Ein Forschungsteam arbeitet an der Entschlüsselung der genetischen Ursachen der autosomal-rezessiven cerebellären Ataxie (ARCA) und entwickelt Therapieideen, wie z.B. die Reparatur von Gendefekten oder die Unterstützung der Enzymwirkung.

Neue Therapieansätze

Bei der Behandlung der neu entdeckten Anti-DAGLA-assoziierten Ataxie haben sich Entzündungshemmer, Blutwäsche zur Entfernung der Antikörper und der Wirkstoff Rituximab als wirksam erwiesen. Rituximab hemmt unspezifisch Immunreaktionen und wird bei Autoimmunerkrankungen eingesetzt.

ARSACS

ARSACS beginnt charakteristischerweise früh (<20. Allerdings werden diese MRT-Auffälligkeiten in der radiologischen Routine häufig übersehen, sodass betreuende Ärzte die MRT-Bildgebung aller ARCA-Patienten immer noch einmal selbst durchsehen sollten, ob sich diese charakteristischen Befunde nicht doch finden lassen. Ein weiterer diagnostischer Biomarker ist eine Verdickung der Nervenfaserschicht in der Netzhaut (retinale Nervenfasern), die in einer augenärztlichen Schichtaufnahme (optische Kohärenztomographie, OCT) erkennbar ist. Genauere Charakterisierungs- und vor allem Längsschnitt-Untersuchungen zum natürlichen Erkrankungsverlauf werden gerade an verschiedenen europäischen Zentren durch das PROSPAX-Konsortium durchgeführt. Neben einer Kleinhirnataxie kommt es hier zu einer Störung von schnellen Augenbewegungen (okulomotorische Apraxie), Überbewegungen der Hände (Hyperkinesien), Fehlhaltungen der Gliedmaßen (Dystonie) und Störung der Fuß- und Handnerven (sensomotorische Neuropathie).

Ataxie Teleangiektasie (AT)

Die gestörte Reparatur der DNA führt dazu, dass Strahlenauswirkungen auf die DNA, z. B. von Röntgenstrahlen, nicht repariert werden können und auch Krebs- Arten schneller entstehen können (vor allem Blutkrebs, wie z. B. Darum sollten insbesondere Röntgenstrahlen bei AT so gut es geht vermieden werden und regelmäßige Krebsvorsorgeuntersuchungen erfolgen. Im Blut findet sich bei den allermeisten AT-Betroffenen das Eiweiß Alphafetoprotein (AFP) erhöht; diese Erhöhung hat wahrscheinlich keine krankmachende Relevanz per se, hilft jedoch als Blutmarker, um eine AT zu diagnostizieren. Dagegen sind mehrere Botenstoff-Eiweiße des Immunsystems (sog. Dieses erklärt, warum AT-Patienten vermehrt zu Infekten neigen und daher eines höheren Schutzes vor Infekten bedürfen. Meist beginnt die AT bereits vor dem 10. Lebensjahr, wobei nun zunehmend auch Betroffene mit ungewöhnlich spätem Erkrankungsbeginn >20. Lebensjahr identifiziert werden. So können hier auch charakteristische Zusatz-Eigenschaften der klassischen AT-Erkrankung - wie z. B. die Augenbewegungsstörung oder die AFP-Erhöhung - u. U. fehlen. Da ohne diese charakteristischen Krankheitszeichen der klinische Verdacht auf eine AT-Erkrankung viel schwieriger zu stellen ist, erklärt dieses, warum diese Kranken oftmals erst später diagnostiziert werden.

Friedreich-Ataxie (FA)

Die Friedreich-Ataxie (FA) ist die häufigste ARCA: Sie macht 50 % aller ARCAs aus. Meist beginnt sie vor dem 25. Lebensjahr, kann jedoch auch noch nach dem 40. Sie wird durch übermäßige Wiederholungen bestimmter Abschnitte (= GAA-Repeatexpansionen) in Intron 1 im FXN-Gen (Normalbereich 5-33 Wiederholungen; Ataxie verursachend > 65 Wiederholungen) bedingt, wodurch wiederum zu wenig des FA-Eiweißes („Frataxin“) gebildet wird. Somit wird es ein Schlüssel künftiger Therapieansätze sein, durch Medikamente oder genetische Therapien die Bildung dieses Eiweißes zu steigern. Die FA betrifft zwar teilweise auch das Kleinhirn (hier vor allem die Kleinhirnkerne), vorrangig betrifft sie jedoch die Nervenzellen im Rückenmark, welche Lagesinn- und Vibrationsinformationen von den Beinen und Armen ans Gehirn weiterleiten (Spinalganglien). Dies führt dazu, dass die Ataxie dann besonders ausgeprägt ist, wenn man auf diese Informationen angewiesen ist: Im Dunkeln oder wenn man seine Extremitäten nicht sieht. Hierdurch kommt es zu Schwäche (Paresen) und Steifheit (Spastik) an Beinen und Armen. Durch diese kombinierte Schädigung mehrerer Rückenmarksbahnen bilden sich oft typische Hohlfüße (Pes cavus) und fehlerhafte Verkrümmungen der Wirbelsäule (Skoliose). Die FA bleibt aber oft nicht auf das Nervensystem begrenzt, sondern kann auch das Herz [Herzwandverdickung (Kardiomyopathie), Herzrhythmusstörungen) und - wenngleich seltener - die Bauchspeicheldrüse (Diabetes mellitus) und auch die Hör- und Sehnerven betreffen. Eine reduzierte Lebenserwartung ist gerade bei frühem Beginn der FA möglich; da diese vorrangig durch Komplikationen der Herzmitbeteiligung bedingt ist, gilt es, diese durch regelmäßige kardiologische Kontrollen stets im Blick zu behalten - selbst dann, wenn man als FA-Betroffener subjektiv gar keine Herz-Symptome bemerkt. Da die FA schon am längsten bekannt und relativ häufig ist und bereits zentrale Krankheitsmechanismen erforscht sind, sind hier auch molekulare Therapieansätze am weitesten. So zeigte eine jüngst berichtete Phase-2/3-Studie mit einem Aktivator der oxidativen Stress-Antwort namens Omaveloxolone erste ermutigende Effekte auf eine Verlangsamung der neurologischen Funktionsstörungen.

POLG-assoziierte Ataxie

Die POLG-assoziierte Ataxie beginnt im Mittel mit 26 Jahren (Spanne: 7-52 Jahre). Charakteristisch ist hier eine Kombination aus einer gemischten Kleinhirn-plus- Hinterstrang-Ataxie (ähnlich wie bei FA und RFC1), einer fortschreitenden Lähmung der Augenmuskeln (chronische externe Ophthalmoparese, cPEO), welche oft schon der Ataxie vorausgeht, und einer Schädigung der Nerven an Armen und Beinen (sensible axonale Polyneuropathie). Zu diesen Kernsymptomen treten bei POLG oft in unterschiedlicher Häufigkeit weitere neurologische Symptome wie beidseits herabhängendes Augenlid (Ptosis, bei ca. 70 %), Krampfanfälle (Epilepsie, bei ca. 40 %) und Bewegungsstörungen wie Chorea, Dystonie oder Myoklonus, jeweils bei ca. 20-30 %, hinzu.

RFC1-Ataxie

Sie ist jedoch mit 2-6 % aller ARCAs schon ungleich seltener als die FA. Wie die FA, wird auch sie durch übermäßige Wiederholungen (= AAGGG-Repeatexpansionen) in einem Intron des entsprechenden Gens (RFC1-Gen) verursacht. Während die FA meist vor dem 30. Lebensjahr beginnt, beginnt die RFC1-Ataxie meist nach dem 40. Lebensjahr. Ähnlich der FA betrifft auch sie neben dem Kleinhirn führend die langen Nervenbahnen, welche Lagesinn- und Vibrationsinformationen von den Beinen und Armen ans Gehirn weiterleiten. Überdies ist bei der RFC1-Ataxie aber häufig auch beidseits der Gleichgewichtsnerv betroffen. Darüber hinaus wird diese Ataxie von einem über viele Jahrzehnte anhaltenden Husten begleitet, welcher teilweise der Ataxie auch schon über viele Jahre vorausgehen kann.

SPG7-assoziierte Ataxie

In den letzten 10 Jahren wurde jedoch deutlich, dass nicht nur 30-60 % aller SPG7-Patienten auch eine begleitende Ataxie haben, sondern dass Ataxie auch das führende - und teilweise sogar einzige - Symptom der Erkrankung sein kann. Inzwischen wird angenommen, dass SPG7-Ataxie sogar häufiger sein könnte als ARSACS. Zumeist ist bei der SPG7-assoziierten Ataxie neben dem Kleinhirn auch die zentrale motorische Bahn im Rückenmark (Pyramidenbahn) gestört, was sich mit Steifigkeit (Spastik) äußert; darum spricht man bei diesem Erscheinungsbild auch von einer „spastischen Ataxie“. Die Spastik tritt meist jedoch erst im Verlauf der Erkrankung auf und fehlt am Krankheitsbeginn bei bis zu 65 % der Erkrankten mit SPG7-Ataxie. Das durch das SPG7-Gen codierte Eiweiß Paraplegin ist in den Mitochondrien der Zellen verortet. Bei SPG7-Ataxie bleiben die hieraus entstehenden Funktionseinbußen jedoch zumeist mild und entstehen erst später im Krankheitsverlauf. Sie fallen meist eher dem untersuchenden Neurologen bzw. Augenarzt als dem Betroffenen selbst auf. SPG7-Ataxie beginnt später als viele anderen ARCAs, im Mittel erst zwischen dem 35. und 40.

SYNE1-Betroffene

In anderen Fällen kann die Ataxie mit einer Spastik (durch Beteiligung der Pyramidenbahn), Muskelabbau (durch eine Polyneuropathie) oder auch kognitiven Einschränkungen einhergehen. Korrespondierend zeigt sich bei einem Teil der SYNE1-Betroffenen im MRT eine Kleinhirnatrophie ohne wesentliche weitere Beteiligung anderer Anteile des Gehirns, während bei anderen Betroffenen auch der Hirnstamm und das Großhirn betroffen sein können.

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