Krampfanfälle nach Corona-Impfung: Ursachen, Risiken und aktuelle Forschung

Die Corona-Impfung hat sich als ein entscheidender Faktor im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie erwiesen und rettet Leben. Wie bei jeder medizinischen Intervention können jedoch auch nach einer Corona-Impfung Nebenwirkungen auftreten. In sehr seltenen Fällen können andauernde Krankheitssymptome auftreten, die als Post-Vac-Syndrom bezeichnet werden. Ebenso können Krampfanfälle in zeitlichem Zusammenhang mit einer Corona-Impfung auftreten. Dieser Artikel beleuchtet die möglichen Ursachen, Risiken und den aktuellen Forschungsstand zu Krampfanfällen nach einer Corona-Impfung.

Post-Vac-Syndrom: Ein Überblick

Das Post-Vac-Syndrom, dessen Beschwerden auch nach anderen Impfungen auftreten können, ist durch länger andauernde gesundheitliche Beeinträchtigungen nach einer COVID-19-Schutzimpfung gekennzeichnet. Die Symptome sind zum Teil mit denen von Long COVID vergleichbar und bisher noch wenig erforscht. Laut bisherigem Kenntnisstand tritt ein Post-Vac-Syndrom nur nach 0,01 bis 0,02 Prozent aller Impfungen auf. Das Risiko für ein Post-Vac-Syndrom ist also sehr gering, und Expertinnen und Experten vermuten, dass es genau die Menschen trifft, die sehr wahrscheinlich durch die echte Infektion ähnliche oder noch viel schwerere Symptome bekommen hätten.

Krampfanfälle nach Corona-Impfung: Was wir wissen

Im Zusammenhang mit Coronaimpfungen wurden dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) insgesamt 1169 Verdachtsfallmeldungen eines Krampfanfalls berichtet. Krampfanfälle nach Impfungen gehören laut PEI zu den Ereignissen von besonderem medizinischen Interesse (Adverse Event of Special Interest), die für die Überwachung der Sicherheit von Vakzinen sehr relevant sind.

Die Melderaten variieren je nach verwendetem Impfstoff:

  • Comirnaty (BioNTech/Pfizer): 0,5 Fälle pro 100.000 Impfungen
  • Spikevax (Moderna): 0,4 Fälle pro 100.000 Impfungen
  • Vaxzevria (AstraZeneca): 0,9 Fälle pro 100.000 Impfungen
  • Jcovden (Johnson & Johnson): 1 Fall pro 100.000 Impfungen

Es ist wichtig zu beachten, dass es sich bei diesen Zahlen um Verdachtsfallmeldungen handelt und nicht zwangsläufig einen kausalen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Auftreten von Krampfanfällen beweisen.

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Mögliche Ursachen und Mechanismen

Schwere Infektionen sind ein bekannter Risikofaktor für Krampfanfälle, die allerdings eine insgesamt seltene Komplikation darstellen. Der Pathomechanismus ist nicht genau bekannt. Metabolische Störungen infolge einer schweren Erkrankung könnten die Erregbarkeit der kortikalen Neurone erhöhen. Im schlimmsten Fall könnte auch ein Schlaganfall der Auslöser sein. Bei Patienten mit COVID-19 wurden in früheren Studien im EEG epileptiforme Aktivitäten entdeckt.

Eine Studie aus Oxford hat in elektronischen Krankenakten nach einer Häufung von Krampfanfällen oder Epilepsien bei COVID-19-Patienten gesucht. Die Forscher fanden heraus, dass in den ersten 6 Monaten nach der Diagnose von COVID-19 0,81 % der Patienten wegen Krampfanfällen behandelt wurden. Eine Epilepsiediagnose wurde bei 0,30 % der Kohorte gestellt. Beide Ereignisse waren damit häufiger als bei Grippepatienten, die zu 0,51 % an Krampfanfällen und zu 0,17 % an einer Epilepsie erkrankten.

Die Forscher ermittelten für COVID-19-Patienten (im Vergleich zu den Grippepatienten) eine Hazard-Ratio von 1,55 für das Auftreten von Krampfanfällen. Sie war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,39 bis 1,74 statistisch signifikant. Für eine Epilepsie betrug die Hazard-Ratio signifikante 1,87 (1,54-2,28).

Sen vermutet, dass in den ersten 3 Gruppen immunologische Phänomene für die Krampfanfälle und Epilepsien verantwortlich sind. Bei den hospitalisierten Patienten könnten auch zerebrale Durchblutungsstörungen von Bedeutung sein.

Das erworbene Immunsystem benötigt in der Regel eine gewisse Zeit, bis es auf eine Infektion reagiert. Wie und warum das Immunsystem die Nerven attackieren oder die Empfindlichkeit für Krampfanfälle/Epilepsien steigern könnte, ist derzeit unklar.

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Frühere Studien hatten gezeigt, dass es nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 (vorübergehend) zur Bildung von Autoantikörpern kommt. Bei Kindern kann es zu einem „Multisystem Inflammatory Syndrome“ (MIS) kommen. Krampfanfälle und Epilepsien wurden auch während der SARS-Epidemie und beim „Middle East Respiratory Syndrome“ (MERS) beobachtet.

Weitere mögliche Mechanismen im Zusammenhang mit Impfstoffen

  • Vakzin-induzierte immunthrombotische Thrombozytopenie (VITT): Bei den betroffenen Patienten entwickelten sich innerhalb von 5 bis 30 Tage nach der Impfung Thrombosen (Blutgerinnsel) an untypischen Stellen, z.B. in den Hirnvenen (Sinusvenenthrombosen) und der Milz.
  • Autoimmunreaktionen: Nach der Impfung gibt es bei einigen wenigen Patienten eine breite autoimmune Antwort gegen die Thrombozyten, eine Fehl-Ausrichtung des eigenen Immunsystems gegen die körpereignen Blutplättchen.
  • Entzündliche Prozesse: Bei entzündlichen Erkrankungen kann durch immunologische Vorgänge die Blutgerinnung aktiviert werden. Auch eine Impfung mit einer gewünschten Immunreaktion kann hier dazurechnet werden, genau wie der Verlauf einer Covid-19 Erkrankung selbst.

Risikofaktoren

Das Risiko für Nebenwirkungen des Herz-Kreislaufsystems durch eine Impfung ist bei bestimmten Menschen erhöht.

Viele externe und variable Faktoren können die Blutgerinnungsneigung aktivieren bzw. das Risiko einer Venenthrombose erhöhen. Dazu zählen auch einige spezielle Infektionserkrankungen. Bei entzündlichen Erkrankungen kann durch immunologische Vorgänge die Blutgerinnung aktiviert werden. Auch eine Impfung mit einer gewünschten Immunreaktion kann hier dazurechnet werden, genau wie der Verlauf einer Covid-19 Erkrankung selbst. Bei Autoimmunerkrankungen kann eine vermehrte Thromboseneigung auftreten. Hierzu zählt besonders das Antiphospholipid-Syndrom (APS). Bei dieser Autoimmunerkrankung richten sich körpereigene Antikörper gegen Phospholipide und bestimmte Proteine. Das Antiphospholipid-Syndrom ist meistens nur vorübergehend im Blut nachweisbar, ist allerdings mit einer sehr starken Thromboseneigung assoziiert. Weitere Risikofaktoren für Thrombosen sind: höheres Lebensalter, Gewebsverletzungen (Operationen, Verletzungen), Bewegungsmangel oder Immobilisation, Langstrecken-Flüge/Reisen, Einnahme der Pille, bzw. von östrogenhaltigen Hormonpräparaten und auch Schwangerschaften. Bei jungen Frauen ist vor allem die Einnahme der Pille in Kombination mit Rauchen und einer eventuell vorhandenen Gerinnungsstörung eine thrombosefördernde Konstellation.

Diagnostik und Behandlung

Bei Herz-Kreislaufsymptomen nach einer Impfung ist eine Untersuchung bei einem Kardiologen oder einer Kardiologin wichtig. Bei der Diagnostik besonders hilfreich ist die nicht-invasive Kreislaufmessung mit dem Finapres®-System. Sie erlaubt eine Bestimmung von Herzfrequenz, Blutdruck, Blutfluss und arteriellem Blutgefäßwiderstand von Herzschlag zu Herzschlag.

Im Fall des akuten Stadiums von Kreislaufreaktionen auf eine Impfung sind die Ursachen klar, denn es handelt sich um eine typische Kreislaufreaktion auf eine akute Entzündung. Hier können Störungen der neuronalen Steuerung, der Muskulatur der Arterien der Mikrozirkulation oder der Blutgefäßinnenhaut (Endothel) vorliegen.

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Treten zeitverzögert (ca. 4 Tage nach der Impfung) unklare Beschwerden auf (starke anhaltende Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen, Beinschwellungen, punktförmige Hautblutungen), dann sollten Sie dringend einen Arzt aufsuchen.

Aktuelle Forschung und Ausblick

Die Ursachen des Post-Vac-Syndroms und der damit verbundenen Symptome, einschließlich Krampfanfällen, sind Gegenstand intensiver Forschung. Es gibt mehrere Theorien dazu, was bei einem Post-Vac-Syndrom im Körper passiert:

  • ACE2-Molekül: Die Marburger Forschenden haben ein Molekül im Visier, das eine wichtige Rolle bei der Blutdruckregulierung spielt: ACE2. Dieses Protein ist außerdem ein Rezeptor für Coronaviren - darüber gelangen die Viren in die Zellen. Besonders viel ACE2 haben jüngere, sportliche Frauen - also diejenigen, die am häufigsten ein Post-Vac-Syndrom bekommen.
  • Immunsystem: Es wird durch die Infektion, aber auch durch die Impfung, stark aktiviert. Dabei kann es zu überschießenden Reaktionen kommen. Es entstehen Autoantikörper, die körpereigenes Gewebe angreifen und so Autoimmunkrankheiten auslösen.

Die Universität Marburg bereitet mit dem PEI eine deutschlandweite Erhebung vor, mit dem Ziel, „die Menschen mit einem erhöhten Risiko für Post-Vac vor der nächsten Impfkampagne im Herbst herauszufiltern und diese Menschen dann zu schützen“. Auch das PEI bestätigte, dass eine Studie geplant sei, in der lang andauernde Beschwerden nach COVID-19-Impfung, die mit chronischer Müdigkeit einhergehen, charakterisiert werden sollen.

Neben der Patientenversorgung wolle auch die Ambulanz der Charité in Kooperation mit dem Labor von Prof. Dr. med Harald Prüß vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) einen wissenschaftlichen Beitrag leisten, sagte Franke. Klinische Symptome und die Zusatzdiagnostik (Untersuchungen von Blut, Liquor, Bildgebung und Elektrophysiologie) sollen erhoben werden, so die Neurologin. Zudem seien sie auf der Suche nach pathophysiologischen Mechanismen, analog zum Post-COVID-19-Syndrom.

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