Neurologische Schäden durch Lachgas: Ein wachsendes Problem

Lachgas, auch bekannt als Distickstoffmonoxid (N2O), erfreut sich als Partydroge wachsender Beliebtheit, insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Was viele nicht wissen: Der Konsum von Lachgas kann schwerwiegende neurologische Schäden verursachen, die im schlimmsten Fall sogar lebenslange Folgen haben können. Immer mehr Menschen suchen mit unklaren neurologischen Beschwerden oder Blutbildstörungen nach Lachgaskonsum medizinische Hilfe. Da viele Betroffene ihren Lachgaskonsum jedoch verschweigen, kann die Diagnose schwierig sein. Je früher eine Therapie begonnen wird, desto größer sind die Chancen, Langzeitschäden zu vermeiden.

Die Geschichte des Lachgases: Vom medizinischen Durchbruch zur Partydroge

Vor über 200 Jahren stellte Lachgas einen medizinischen Durchbruch dar, da es erstmals schmerzfreies Operieren ermöglichte. Die Substanz wirkt in höheren Mengen betäubend und wurde in der Zahnmedizin bis in die 70er Jahre eingesetzt, da sie schmerzfrei anzuwenden ist, Anspannung, Angst und Schmerz reduziert, auch für längere Behandlungen geeignet ist und sogar schon bei Kindern eingesetzt werden kann.

Die berauschende Wirkung des Lachgases wurde jedoch schnell entdeckt und so wurde es bereits vor 200 Jahren auf Jahrmärkten zur Vergnügung konsumiert. Derzeit erlebt diese Praxis eine unheilvolle Renaissance, da die berauschende Wirkung sich schnell in den sozialen Medien verbreitet hat und das Narkosegas zunehmend zur Stimmungsaufhellung und Erzeugung von Glücksgefühlen und Halluzinationen (bis hin zur Euphorie) genutzt wird.

Anstieg des Lachgaskonsums: Besonders besorgniserregend bei Jugendlichen

Der Konsum von Lachgas steigt insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise hat sich die Zahl der dem Landeskriminalamt bekannten Missbrauchsfälle von 2022 bis 2023 mehr als verdreifacht. Dieser Anstieg ist besonders besorgniserregend, da junge Menschen oft die Risiken des Lachgaskonsums unterschätzen.

Risiken des Lachgaskonsums: Von Erfrierungen bis hin zu Hirnschäden

Der Konsum von Lachgas ist nicht ungefährlich. Bei der Verwendung werden die Gaskartuschen extrem kalt (bis zu -55° C), so dass bei direkter Inhalation schwerste Verletzungen an Fingern oder Lippen möglich sind. Durch den hohen Druck des komprimierten, sich ausdehnenden Gases kann es auch zu Lungenrissen (Pneumothorax) kommen.

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Noch besorgniserregender sind jedoch die neurologischen Folgen des Lachgaskonsums. Diese reichen von Bewusstlosigkeit (durch Verdrängung des Sauerstoffs in der Lunge) über Lähmungserscheinungen bis hin zu hypoxischen Hirnschäden. Bei chronischem Konsum kann es zu Störungen im Zellstoffwechsel kommen, wodurch Vitamin B12 in seiner Funktion beeinträchtigt wird, was zu einem funktionellen B12-Mangel führt (laut Literatur in 20-40 % der Fälle).

Neurologische Schäden durch Vitamin-B12-Mangel

Ein funktioneller Vitamin-B12-Mangel kann schwere hämatologische Schäden wie Leukopenie, Thrombozytopenie oder Anämie verursachen, aber auch neurologische Störungen wie die funikuläre Myelose (Rückenmarkschaden) und periphere Neuropathie auslösen.

In der Fachzeitschrift „Der Nervenarzt“ wurde der Fall eines 45-jährigen Patienten geschildert, der mit zunehmendem Taubheitsgefühl der Hände und Füße sowie Lähmungserscheinungen der Extremitäten in die Klinik kam. Zunächst wurde klinisch an ein Guillain-Barré-Syndrom gedacht. Die Liquordiagnostik war dahingehend unauffällig, und es wurden eine axonal-demyelinisierende Polyneuropathie sowie eine Rückenmarkschädigung in der Magnetresonanztomographie (MRT) diagnostiziert. Der Vitamin‑B12-Blutspiegel war normal, jedoch war die Aminosäure Homocystein stark erhöht. Der Homocystein-Stoffwechsel ist Vitamin-B12-abhängig und kann durch Lachgaskonsum gestört werden. Gleichzeitig kommt es zu einem Mangel der Aminosäuren Methionin und Methylmalonsäure, was zur Zerstörung der Nervenscheiden (Demyelinisierung) führt und damit die Lähmungserscheinungen erklärt. Auf Nachfragen berichtete der Mann von einer Lachgasinhalation vor sieben Wochen.

Schwierigkeiten bei der Diagnose und Bedeutung der Offenheit der Patienten

Die Diagnose von neurologischen Schäden durch Lachgaskonsum kann schwierig sein, da der funktionelle Vitaminmangel meistens nicht direkt im Blut nachweisbar ist, sondern erst bei Bestimmung weiterer Stoffwechselmarker auffällt. Zudem erwähnen viele Patienten den Lachgaskonsum bei der Erstvorstellung nicht, da sie keinen Zusammenhang herstellen, insbesondere wenn es sich um Spätfolgen handelt.

Die Offenheit der Patienten ist daher von besonderer Wichtigkeit für eine schnelle Diagnose. Zur Diagnostik werden ergänzend Messungen der Nervenleitgeschwindigkeit (Elektroneurographie) und eine MRT durchgeführt. Je früher die Diagnose bekannt ist und eine Therapie begonnen werden kann, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass keine Schäden bleiben.

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Therapie und Behandlung von neurologischen Schäden

Die Therapie besteht in der hochdosierten Vitamin-B12-Gabe und ggf. weiteren unterstützenden Maßnahmen. Es ist wichtig zu beachten, dass Vitamintabletten das Problem nicht lösen, da nicht der Mangel an sich das Problem verursacht, sondern Prozesse der Enzymproduktion durch Lachgas gestört werden. Ein Verzicht oder zumindest eine drastische Reduktion des Konsums ist daher die einzige therapeutisch sinnvolle Lösung. In 95 bis 97 Prozent der Fälle bessern sich die Beschwerden nach dem Absetzen des Lachgases wieder. Von den Betroffenen, die sich wegen ihrer Beschwerden im Krankenhaus behandeln ließen, leidet allerdings jeder Dritte auch Monate später noch unter neurologischen Störungen.

Unterschätzung der Gefahr und Forderung nach Aufklärungskampagnen

Die DGN und die Deutsche Hirnstiftung weisen darauf hin, dass die Gefahr durch Lachgas unterschätzt wird und fordern großangelegte Informationskampagnen, um auf die Gefahren von Lachgas hinzuweisen und gerade die junge Bevölkerung zu sensibilisieren. In Deutschland sind Verkauf und Konsum von Lachgas nicht verboten. In anderen Ländern hingegen, wie in den Niederlanden oder Großbritannien, wurde es bereits als Droge eingestuft, in Frankreich ist der Verkauf an Minderjährige verboten. Die DGN befürwortet daher eine Kaufeinschränkung von N2O außerhalb medizinischer Indikationen und fordert, dass die Abgabe für gewerbliche Zwecke gesetzlich geregelt werden muss.

Studie aus Paris zeigt Anstieg schwerer Folgeerkrankungen

Eine Studie aus dem Großraum Paris zeigt den Anstieg schwerer Folgeerkrankungen durch den Freizeitkonsum von Lachgas (N2O) seit 2020, wobei die Ergebnisse auf eine deutliche Verschiebung der Konsummuster hin zu hohen und damit schädlichen Dosen deuten. Vor allem junge Menschen sind betroffen. Es kommt zu Rückenmarks- und Nervenschäden, welche sensible Symptome, Gangstörungen und bleibende Lähmungen hervorrufen.

Von 2018 bis 2021 wurden in neurologischen und internistischen Abteilungen alle über 18-jährigen Personen mit schweren Lachgas-Vergiftungen erfasst. Bis Ende 2019 wurden keine entsprechenden Fälle beobachtet. Die Forschenden ermittelten die danach zunehmende Häufigkeit und verglichen sie mit der Frequenz vergleichbarer neurologischer Krankheiten anhand der Krankenversicherungsdaten von 91.000 Klinikpatient*innen.

Im Ergebnis zeigte sich: Von 181 Patient*innen hatten 25 % eine Schädigung des Rückenmarks (Myelopathie), 37 % eine Schädigung peripherer Nerven (periphere Neuropathie) und 38 % eine Kombination beider Schäden. Betroffen waren v.a. junge Erwachsene mit schlechten sozioökonomischen Bedingungen: die meisten waren 20-25 Jahre alt und lebten in städtischen, sozial benachteiligten Gegenden; 37 % waren arbeitslos.

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Der durchschnittliche tägliche Lachgas-Verbrauch lag bei 1200 g; die mediane Dauer zwischen dem Beginn des Lachgas-Konsums und dem Auftreten der Symptome lag bei einem halben Jahr (IQR 2-12 Monate). Die Inzidenz neurologischer Lachgas-assoziierter Erkrankungen nahm in Paris im Laufe des Jahres 2020 zu und erreichte Mitte 2021 einen Höhepunkt. Bei 20- bis 25-Jährigen lag 2021 die Inzidenz für eine Lachgas-Myelopathie bei 6,15/100.000 Personenjahre. Für periphere Lachgas-Neuropathien lag sie bei 7,48/100.000 Personenjahre. Dies war signifikant häufiger als nicht-Lachgas-assoziierte Myelitiden (Rückenmarksentzündungen) in derselben Altersgruppe, die mit einer Inzidenz von nur 0,35/100.000 Personenjahre auftreten oder das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) mit 2,47/100.000 Personenjahre. In den sozial am stärksten benachteiligten Regionen waren die Inzidenzen 2- bis 3mal höher als in den anderen Regionen.

Kein Schwellenwert für neurologische Folgen

Für die neurologischen Folgen des Lachgaskonsums gibt es keinen Schwellenwert. Es existieren Fallberichte, nach denen nur vier inhalierte Luftballons nach sieben Wochen zu einem Krankheitsbild ähnlich dem Guillain-Barré-Syndrom geführt hätten. Auf entsprechenden Partys würden aber von manchen Menschen durchaus 50 und mehr Ballons inhaliert.

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