Manfred Spitzer, ein viel diskutierter Psychiater und Hirnforscher, ist bekannt für seine kritische Haltung gegenüber digitalen Medien. Seine Thesen, insbesondere die der "digitalen Demenz", haben sowohl Zustimmung als auch heftige Kritik hervorgerufen. Dieser Artikel beleuchtet Spitzers Argumentation, die Gegenargumente und die dahinterliegenden gesellschaftlichen Fragestellungen.
Spitzers These: Digitale Medien als Krankmacher
Spitzer vertritt die These, dass der intensive Konsum digitaler Medien, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, negative Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung hat. Er argumentiert, dass die oberflächliche Informationsaufnahme am Computer die "Verarbeitungstiefe" im Gehirn reduziert und somit die Anfälligkeit für Demenz im Alter erhöht. Seine Bücher wie "Vorsicht Bildschirm", "Digitale Demenz" und "Cyberkrank!" warnen vor den angeblich apokalyptischen Folgen von Fernsehen, Videospielen, sozialen Netzwerken und Smartphones.
Konkret kritisiert Spitzer den Einsatz von Laptops in Kitas, Tablets in Schulen, Computerspielen im Kinderzimmer, soziale Netzwerke, Multitasking und das "Googeln". Er sieht darin Gefahren für die kognitive Entwicklung, die emotionale Intelligenz und die sprachliche Entwicklung. Spitzer behauptet, dass digitale Medien "dick, dumm, aggressiv, einsam, krank und unglücklich" machen.
Kritik an Spitzers Thesen
Spitzers Thesen sind wissenschaftlich umstritten. Kritiker werfen ihm vor, selektiv Studien auszuwählen, die seine Argumentation stützen, während er gegenteilige Ergebnisse ignoriert. Markus Appel, Professor für Medienkommunikation, bezeichnet Spitzers Vorgehensweise als "unseriös" und "irreführend". Er und seine Kollegin Constanze Schreiner veröffentlichten 2014 eine Analyse, in der sie "keine Belege" für die meisten von Spitzers Thesen fanden. Sie warfen ihm vor, Korrelationen fälschlicherweise als Kausalitäten darzustellen.
Ein Beispiel hierfür ist Spitzers Interpretation einer Studie, die einen Zusammenhang zwischen Investitionen in Schulcomputer und der Leseleistung von Schülern zeigt. Spitzer interpretiert dies als Beweis dafür, dass mehr Computer zu schlechteren Leistungen führen. Die Autoren der Studie selbst weisen jedoch darauf hin, dass es sich lediglich um eine Korrelation handelt und die Kausalität unklar ist.
Lesen Sie auch: Zusammenfassung: Das musikalische Gehirn
Spitzers Verteidigung und seine Motive
Spitzer sieht Kritik an seinen Thesen als persönlichen Affront und unterstellt Journalisten und Medienwissenschaftlern, nur das zu berichten, "was die Linie ist". Er verteidigt seine Position leidenschaftlich und präsentiert sich als Warner vor den Risiken der digitalen Welt, der den "engstirnigen Eierköpfen" vorhält, was der gesunde Menschenverstand doch eh weiß.
Sein Freund Wulf Bertram beschreibt Spitzer als einen Universalinteressierten, der "Dinge wahnsinnig schnell aufschnappt und sich darin vertieft". Spitzer selbst betont, dass er die Warnung vor den Risiken der digitalen Welt als seine "humanistische Mission" sieht. Er möchte die Bildung an Kindergärten, Schulen und Weiterbildungseinrichtungen verbessern und die Ergebnisse seiner Hirnforschung "in die Schulen zu bringen".
Die gesellschaftliche Relevanz der Debatte
Ungeachtet der wissenschaftlichen Kontroversen hat Spitzers Kritik an den digitalen Medien eine breite gesellschaftliche Debatte angestoßen. Die Frage, wie eine Gesellschaft sachgemäß mit neuen Technologien umgehen soll, ist virulent. Viele Eltern sind ratlos und verängstigt angesichts einer Entwicklung, die sie nicht mehr ganz begreifen.
Spitzer trifft einen Nerv, indem er ein Unwohlsein anspricht, das viele Erwachsene kennen, die hin und wieder mit Jugendlichen zu tun haben. Smartphones machen süchtig? Computerspiele dumm? Soziale Medien neidisch und traurig? Diese Fragen berühren ein Gefühl, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Konstruktive Vorschläge und alternative Perspektiven
Ein Kritikpunkt an Spitzer ist, dass sein Buch jeglicher konstruktiver Vorschläge entbehrt. Stattdessen endet es mit allgemeinen Wohlfühl-Tipps wie "Verbringen Sie Zeit in der freien Natur" und "Meiden Sie die digitalen Medien".
Lesen Sie auch: Manfred Spitzer und seine Kritiker
Eine konstruktivere Perspektive bietet der Ansatz der "Medienkompetenz". Michael Kerres, Professor für Mediendidaktik, betont, dass Kinder Computer, Tablets und Smartphones nicht nur bedienen, sondern vor allem intelligent und sinnvoll nutzen können sollten. Es gehe darum, vielfältige Inhalte kritisch zu hinterfragen und Risiken zu erkennen.
Die Rolle der Eltern und der Bildungseinrichtungen
Medienkompetenz erwerben Kinder nicht von selbst. Sie brauchen Erwachsene an ihrer Seite, die mit ihnen das Netz erkunden - vor allem aber die reale Welt. Eltern und Lehrer müssen sich die Frage stellen, wie viele Stunden in den sozialen Medien für die Kinder in Ordnung sind.
Einige Schulen gehen bereits dazu über, den Umgang mit Handys zu regeln oder sogar Verbote auszusprechen. In Hessen beispielsweise soll die Kultusministerkonferenz über eine bundesweite Regelung für ein Handyverbot beraten.
Lesen Sie auch: Prof. Spitzer über digitale Demenz