Die Vorstellung einer Arbeitswelt ohne digitale Medien ist heutzutage kaum vorstellbar. PC, Smartphone, Tablet & Co. sind feste Bestandteile des modernen Lebens. Professor Dr. Manfred Spitzer ist jedoch überzeugt, dass diese Entwicklung, die vermeintlich die Leistungsfähigkeit steigert, langfristig die geistige Gesundheit gefährden kann.
Was ist digitale Demenz?
Der Begriff "digitale Demenz" wurde 2007 von koreanischen Ärzten geprägt, um ein Syndrom zu beschreiben, das sie bei jungen Menschen (ab ca. 20 Jahren) beobachteten, die viel Zeit mit Computern und dem Internet verbringen. Zu den Symptomen gehören:
- Störungen der Merkfähigkeit und Konzentration
- Schwierigkeiten beim Lesen von Texten
- Abgeschlagenheit, Mattigkeit und Motivationslosigkeit
Spitzer argumentiert, dass die ständige Nutzung digitaler Medien zu ähnlichen Symptomen führen kann, da das Gehirn weniger gefordert wird, Informationen selbst zu speichern und zu verarbeiten.
Spitzers Argumentation im Detail
Spitzer führt mehrere Beispiele an, um seine These zu untermauern:
- Google-Suche vs. Eigenständiges Lernen: Wer Informationen googelt, speichert die Erkenntnisse weniger wahrscheinlich im Gehirn ab, als wenn er sie sich selbst erarbeitet.
- Chatten vs. Persönliche Gespräche: Der Austausch im Chat führt nicht zu einer so guten Merkleistung wie ein persönliches Gespräch.
- Unpräzises Arbeiten des Gehirns: Spitzer behauptet, dass im Internet mehr gelogen und betrogen wird, was dazu führt, dass unser Gehirn nicht in der gleichen Weise präzise arbeitet.
Langfristig könne dieser Vorgang die Gehirn-Bildung hemmen und verfrüht Symptome einer Demenz eintreten lassen. Spitzer verweist auf einen Bericht der Bundessuchtbeauftragten, wonach es in Deutschland bereits 500.000 Internet- und Computersüchtige sowie weitere 500.000 Gefährdete gibt. Er schließt daraus, dass das Problem der digitalen Demenz in den nächsten Jahrzehnten deutlich zunehmen werde.
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Geistiger Abstieg - eine Frage des Alters?
Laut Spitzer hängt das Auftreten von Demenz-Symptomen auch davon ab, wie gut das Gehirn eines Menschen ausgebildet ist. Er vergleicht dies mit dem Abstieg vom Mount Everest bzw. einer Sanddüne: Wer von einer hohen Ausgangsbasis absteigt, befindet sich länger auf einem hohen Niveau. Gut trainierte Gehirne könnten degenerative Veränderungen besser kompensieren und ihre Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter erhalten. Es gäbe sogar Fälle, in denen Menschen trotz erheblicher Hirnschäden klinisch unauffällig seien.
Was tun gegen digitale Demenz?
Spitzer betont die Bedeutung des Gehirntrainings und der "Offline"-Zeit für konzentriertes Arbeiten und Nachdenken. Er kritisiert Multitasking und E-Learning als ineffektive Methoden und plädiert für eine gute Beziehung zwischen Lernendem und Lehrendem, die Begeisterung weckt. "Zeit, die wir vor einer Mattscheibe verdösen, ist keine Lernzeit."
Kritik an Spitzers Thesen
Spitzers Thesen sind umstritten und werden von vielen Experten kritisiert. Einige der Hauptkritikpunkte sind:
- Lückenhafte empirische Basis: Es gibt wenig substanzielle Belege für hirnorganische Schädigungen durch die Nutzung digitaler Medien. Metaanalytische Befunde liefern keine Hinweise für eine Minderung des gesellschaftlich-politischen Engagements oder erhöhte Einsamkeit.
- Ungeeigneter Begriff der Demenz: Der Begriff "Demenz" ist in diesem Zusammenhang irreführend, da er in der Medizin einen krankhaften Verlust kognitiver Fähigkeiten bezeichnet, der durch organische Ursachen ausgelöst wird.
- Pauschalisierung und fehlende Differenzierung: Spitzer differenziert nicht ausreichend zwischen verschiedenen Arten der Mediennutzung. Diskussionen in Onlineforen, Computerspiele, das Lesen von Zeitungsartikeln oder die eigene Musikproduktion werden pauschal als schädlich dargestellt.
- Verwechslung von Korrelation und Kausalität: Spitzer wird vorgeworfen, Korrelationen (Zusammenhänge) zwischen Mediennutzung und bestimmten Verhaltensweisen fälschlicherweise als Kausalitäten (Ursache-Wirkungs-Beziehungen) darzustellen.
Die Gegenposition: Medienkompetenz statt Abstinenz
Viele Medienpädagogen plädieren für Medienkompetenzförderung statt Medienabstinenz. Sie argumentieren, dass ein totales Verbot digitaler Medien weder umsetzbar noch erstrebenswert ist, da Medien einen Großteil unseres Lebens bestimmen. Stattdessen sollte Kindern und Jugendlichen ein sinnvoller Umgang mit Medien vermittelt werden, damit sie deren positive Eigenschaften nutzen und sich nicht von ihnen dominieren lassen.
Fazit
Manfred Spitzer hat mit seiner These der "digitalen Demenz" eine wichtige Debatte über die Auswirkungen der digitalen Medien auf unsere Gesellschaft angestoßen. Seine Warnungen vor den potenziellen Gefahren exzessiver Mediennutzung sind berechtigt und sollten ernst genommen werden. Allerdings ist seine Argumentation oft pauschalisierend und entbehrt einer soliden wissenschaftlichen Grundlage. Eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen Aspekte der Mediennutzung und eine Förderung der Medienkompetenz sind notwendig, um die Chancen der digitalen Welt optimal zu nutzen und ihre Risiken zu minimieren.
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