Medikamentöse Therapie der Epilepsie: Leitlinien, Strategien und aktuelle Empfehlungen

Die medikamentöse Therapie ist ein Eckpfeiler in der Behandlung von Epilepsie. Ziel ist es, Anfallsfreiheit oder zumindest eine deutliche Reduktion der Anfallshäufigkeit bei minimalen Nebenwirkungen zu erreichen. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die aktuellen Leitlinien, Therapieansätze und Empfehlungen zur medikamentösen Behandlung der Epilepsie, unter Berücksichtigung verschiedener Patientengruppen und Anfallsformen.

Einführung in die Epilepsie und ihre Therapie

Epilepsie ist definiert als eine andauernde Prädisposition des Gehirns, epileptische Anfälle zu generieren. Diese Anfälle entstehen durch transiente, abnorme, hypersynchrone Entladungen zerebraler Neurone. In der westlichen Welt erkranken jährlich etwa 46 von 100.000 Personen neu an Epilepsie, was die Bedeutung effektiver Behandlungsstrategien unterstreicht.

Die medikamentöse Therapie zielt darauf ab, das Auftreten von Anfällen zu verhindern, ohne jedoch die Ursache der Erkrankung zu beheben. Es gibt jedoch Ausnahmen, bei denen Medikamente oder andere therapeutische Maßnahmen die Ursache der Anfälle behandeln können, wie z. B. Everolimus bei tuberöser Sklerose oder Vitaminsubstitution bei Vitamin-B6-abhängigen Epilepsien.

Grundlagen der medikamentösen Therapie

Monotherapie vs. Dualtherapie vs. Polytherapie

Bei der Diagnose einer Epilepsie sollte zeitnah die passende Pharmakotherapie initiiert werden. In der Regel wird initial eine Monotherapie angestrebt, da diese der Dualtherapie nicht sicher überlegen ist und eine bessere Beurteilbarkeit von Wirksamkeit und Verträglichkeit ermöglicht. Falls eine Duotherapie erwogen wird, sollte auf Anfallssuppressiva mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zurückgegriffen werden. Manche Kombinationen sind besonders gut geeignet. Es gibt z. B. Hinweise auf eine synergistische Wirkung bei gleichzeitiger Gabe von Lamotrigin und Valproat. Aufgrund möglicher Interaktionen und etwaiger starker Nebenwirkungen sollte eine Polytherapie mit mehr als zwei Anfallssuppressiva vermieden werden. Wenn diese in Einzelfällen doch nötig ist, sollte die medikamentöse Einstellung in einer Schwerpunktpraxis/Spezialambulanz bzw. in zertifizierten Zentren erfolgen. Dennoch kann es im Therapieverlauf bei vielen Patient:innen notwendig werden, zwei Anfallssuppressiva parallel zu geben, um eine bestmögliche Anfallskontrolle zu erreichen.

Auswahl des Anfallssuppressivums

Bei der Auswahl des anfallssuppressiven Medikaments ist es wichtig, die individuelle Konstellation des bzw. der Betroffenen zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit eines Wechsels des Anfallssuppressivums gerade in der Anfangszeit der Behandlung ist keine Seltenheit, da nicht jede:r Patient:in auf jeden Wirkstoff zufriedenstellend hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit anspricht. Darüber hinaus ist es wichtig, nach weiteren Erkrankungen zu fragen. Deren spezifische pharmakologische Behandlung kann zu Wechselwirkungen mit den Anfallssuppressiva führen.

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Pharmakoresistenz

Trotz der Verfügbarkeit von über 20 zugelassenen Antikonvulsiva in Deutschland wird bei etwa einem Drittel der Patienten keine Anfallsfreiheit erreicht. Eine pharmakoresistente Epilepsie liegt vor, wenn trotz angemessener Behandlung mit mindestens zwei Antikonvulsiva (in Mono- oder Kombinationstherapie) weiterhin epileptische Anfälle auftreten. "Angemessene Therapie" bedeutet dabei die suffiziente Dosierung und Einnahme eines geeigneten Medikaments über einen gewissen Zeitraum.

Prädiktoren der Therapieresistenz:Eine pharmakoresistente Epilepsie tritt besonders häufig auf bei:

  • Hoher initialer Anfallsfrequenz
  • Fokalen Anfällen
  • Kombination unterschiedlicher Anfallstypen
  • Manifestationsalter vor dem ersten oder nach dem zwölften Lebensjahr
  • Krampfanfällen im Neugeborenenalter
  • Strukturell/metabolisch verursachte Epilepsien
  • Auffälligkeiten in der zerebralen Bildgebung (z. B. kortikale Dysplasie, Hippocampusatrophie oder -sklerose)

Das Ansprechen auf die zuerst eingeleitete antikonvulsive Therapie ist prognostisch bedeutend. Wenn das initiale adäquate Medikament keine Anfallsfreiheit bewirkt, ist die Wahrscheinlichkeit, durch eine alternative Medikation eine Remission zu erreichen, gering.

Ursachen der Therapieresistenz:

  • Pseudoresistenz: In bis zu 30 % der Fälle wird die Diagnose der Epilepsie irrtümlich gestellt. Toxische oder metabolische Zustände sowie dissoziative Anfälle können fälschlicherweise als epileptische Anfälle interpretiert werden.
  • Inadäquate Dosierung: Bei einem Drittel der Patienten kann eine Dosissteigerung zu Anfallsfreiheit führen.
  • Wechselwirkungen: Bei unzureichender Wirkung einer Monotherapie ist die Kombination verschiedener Medikamente notwendig, wobei Interaktionen mit möglichem Wirkungsverlust beachtet werden sollten.
  • Mangelnde Adhärenz: Therapietreue und eine adäquate Lebensführung (regelmäßiger Tag-Nacht-Rhythmus, Alkoholabstinenz) sind entscheidend.

Therapeutische Optionen bei Pharmakoresistenz

Im Falle einer pharmakoresistenten Epilepsie existieren verschiedene Behandlungsansätze, darunter:

  • Epilepsiechirurgie
  • Neurostimulation (z. B. Vagusnervstimulation)
  • Ketogene Ernährungstherapie

Spezielle Patientengruppen

Ältere Patienten

Gerade bei älteren Patient:innen stellen die Polypharmazie und somit mögliche Wechselwirkungen eine große Herausforderung dar. Ältere Patient:innen unterscheiden sich von jüngeren auch in den pharmakologischen Parametern von Anfallssuppressiva, wie Bioverfügbarkeit, Halbwertszeit und therapeutische Breite. Als Mittel der ersten Wahl wird bei älteren Patient:innen mit einer neu aufgetretenen fokalen Epilepsie Lamotrigin empfohlen, da diese Substanz wenig Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten hat und gut verträglich ist. Wenn die Gabe von Lamotrigin nicht infrage kommt, sollten Gabapentin, Lacosamid oder Levetiracetam eingesetzt werden. Bei älteren Patient:innen sollen bei der initialen Therapieeinstellung Carbamazepin, Oxcarbazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Topiramat und Valproat nicht zum Einsatz kommen.

Empfehlungen für die Praxis:

  • Langsamer aufdosieren, ggf. Dosisreduktion bei bestehender anfallssuppressiver Medikation.
  • Pharmakotherapie anderer Erkrankungen bzgl. möglicher Wechselwirkungen im Blick haben.
  • Lamotrigin in Monotherapie als Mittel der ersten Wahl bei der Initialtherapie.

Frauen im gebärfähigen Alter

Besondere Vorsicht bei der Wahl der antiepileptischen Therapie ist bei Frauen im gebärfähigen Alter geboten. Valproinsäure ist bei Frauen im gebärfähigen Alter sogar streng kontraindiziert.

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Medikamentöse Therapie im Detail

Antiepileptika der ersten und zweiten Wahl

Gemäß den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und zusätzlichen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) werden zwei Medikamente, Lamotrigin und Levetiracetam, für die Ersttherapie bei neu diagnostizierter fokaler Epilepsie empfohlen. Diese Empfehlungen basieren unter anderem auf der SANAD II Studie. Andere Medikamente haben individuelle Nachteile, etwa bestimmte Wechselwirkungen, Kontraindikationen oder vermehrte bzw. spezielle Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Konzentrationsprobleme, Schwindel, Sprachstörungen, Gewichtszunahme, Zittern oder Haarausfall, können aber in bestimmten Fällen als erste Wahl in Betracht gezogen werden. Das gilt zum Beispiel für Carbamazepin, Gabapentin, Oxcarbazepin, Topiramat, Valproat und Zonisamid.

Medikamente für fokale Epilepsien

Die nachfolgende Übersicht zeigt einige Medikamente, die in Deutschland für die Therapie von fokalen Epilepsien zugelassen sind. Die Wirksamkeit der genannten Medikamente ist meist ähnlich, jedoch können Unterschiede in der Verträglichkeit und Handhabung bestehen. Daher basiert die Therapie oft auf praktischen Überlegungen, Erkenntnissen aus der Diagnose der Anfallsform, z.B. aus EEG- Untersuchungen und bereits gemachten Erfahrungen, sowohl der Patientinnen und Patienten als auch der Ärztinnen und Ärzte.

Medikamente für generalisierte Epilepsien

In Deutschland sind diese Medikamente für die Therapie von generalisierten Epilepsien zugelassen. Sie können entweder alleine (Monotherapie) oder in Kombination (Kombinationstherapie) verabreicht werden.

Neue Antiepileptika

Als Weiterentwicklung von Levetiracetam wurde 2016 Brivaracetam auf dem Schweizer Markt eingeführt. Aufgrund der höheren Affinität zu den SV2A-Rezeptoren besteht im Vergleich zu Levetiracetam eine möglicherweise höhere antikonvulsive Wirksamkeit bei günstigerem Nebenwirkungsprofil, wobei bislang wenige Studien zum direkten Vergleich verfügbar sind. Brivaracetam ist bisher lediglich als Add-on und nur für Epilepsien mit fokalen Anfällen zugelassen. Im November letzten Jahres wurde mit Cenobamat ein weiteres Medikament zur Add-on-Therapie bei fokalen Epilepsien am amerikanischen Markt zugelassen.

Cannabidiol (CBD)

Eine weitere neuere Substanz, deren Rolle in der Epilepsiebehandlung kontrovers diskutiert wird, ist Cannabidiol (CBD). CBD zeigte bei bestimmten, ansonsten schwer einstellbaren Epilepsiesyndromen (z.B. Dravet- oder Lennox-Gastaut-Syndrom) eine gewisse Wirksamkeit, wobei die Interaktion mit Clobazam in der Anfallsreduktion allenfalls eine wichtige Rolle spielen könnte. Kommerziell erhältliches Cannabidiol-Öl ist im Vergleich zu den Dosierungen in den Studien sehr viel tiefer dosiert und es kann daher bei «Selbstmedikation» mit CBD-haltigen Tropfen nicht von einer signifikanten antikonvulsiven Wirkung ausgegangen werden.

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Therapieplanung und -durchführung

Initialtherapie

Grundsätzlich ist es zulässig, im Erwachsenenalter mit einem ASM der individuellen Wahl die Therapie zu beginnen, sofern dies der Zulassungsstatus zulässt. Dennoch gibt es trotz fehlender verblindeter, komparativer Monotherapiestudien Empfehlungen, die sich in erster Linie auf die sog. Der Einsatz aller zur Monotherapie zugelassenen ASM ist je nach individueller Bedürfnislage natürlich trotz der Leitlinien möglich, wird aber nicht empfohlen. Leitlinien sind Empfehlungen, keine verbindlichen Vorgaben. In aller Regel beginnen Therapien zumindest im Erwachsenenalter bei fokalen Epilepsien leitlinienkonform bevorzugt mit Lamotrigin entsprechend der Ergebnisse der SANAD-II-Studie. Die am häufigsten primär eingesetzte Alternative ist Levetiracetam. Sie ist sicherlich weiterhin gerechtfertigt, wenn Lamotrigin aufgrund der Notwendigkeit der langsamen Eindosierung nicht primär in Frage kommt. Bei Lamotrigin können trotz der notwendigen und empfohlenen langsamen Eindosierung allergische Symptome, bei Levetiracetam Müdigkeit oder psychiatrische Störwirkungen wesentliche Gründe für ein Scheitern der Therapie sein.

Therapeutisches Drugmonitoring

Die Bedeutung des therapeutischen Drugmonitorings wird dabei v. a. bei der Beurteilung der initialen Monotherapie überschätzt. Sie dient dann nur der Sicherstellung der Adhärenz und kann bei einem günstigen Verlauf dazu dienen, den individuellen therapeutischen Bereich festzuhalten, unter dem Patientinnen und Patienten anfallsfrei bei einwandfreier klinischer Verträglichkeit sind. Da angestrebt wird, eine möglichst niedrig dosierte und damit besser verträgliche Monotherapie zu etablieren, sollte nicht vergessen werden, zu besprechen, wie zu verfahren ist, wenn sich Betroffene nicht sicher sind, ob sie die Medikation eingenommen haben oder nicht, was gerade bei Patientinnen und Patienten vorkommt, die nach Initiation der Therapie oft erstmals gezwungen sind, Medikamente einzunehmen.

Besonderheiten bei fokalen Epilepsien

Bei Epilepsien fokalen Ursprungs sind beispielsweise Carbamazepin, Lamotrigin, Levetiracetam, Topiramat und Valproinsäure Mittel der ersten Wahl.

Besonderheiten bei generalisierten Epilepsien

Das wesentliche Problem bei generalisierter Epileptogenese ist die Tatsache, dass unstreitig und bestätigt durch die epileptologische Expertise sowie die SANAD-Studien Valproinsäure das wirksamste Medikament ist. Wie schon oben erwähnt resultiert daraus die in den Leitlinien exzellent bearbeitete Schwierigkeit, dass Frauen im gebärfähigen Alter bei nicht ausgeschlossener Schwangerschaft das bestwirksame ASM zunächst nicht gegeben werden sollte und bei nicht einfach therapierbaren generalisierten Epilepsien nach Jahren eben doch die Entscheidung ansteht, ob ein Valproat-Versuch nicht nur bedenkenswert, sondern unausweichlich ist. Dass Valproinsäure ebenso wie Topiramat in dieser Patientinnengruppe hinsichtlich großer Fehlbildungen (Valproat) als auch hinsichtlich des Risikos für Autismusspektrumstörungen und kognitive Beeinträchtigungen des Nachwuchses Risikosubstanzen sind, wurde inzwischen mit überwältigender Evidenz gezeigt und wird durch neue Studien immer wieder bestätigt.

Pharmakogenetik

Ein vielversprechender, sich rasch entwickelnder Bereich ist die Pharmakogenetik. Trotz vergleichbarer demografischer und epileptischer Charakteristika sprechen Patienten häufig sehr disparat und individuell auf die antikonvulsive Behandlung an. Dabei spielt möglicherweise der genetische Hintergrund eine wichtige Rolle. Auch der teilweise interindividuell sehr verschiedenen Ausprägung der Nebenwirkungen könnte eine genetische Variabilität zugrunde liegen. Aktuelle Forschungsansätze zielen darauf ab, basierend auf Genomsequenzierung bzw.

Auswirkungen der Epilepsie und Therapie

Folgen der Therapieresistenz

Im Vergleich zur übrigen Bevölkerung ist das Risiko vorzeitig zu versterben zwei- bis zehnmal so hoch. Die häufigste Todesursache stellt der „plötzliche unerwartete Tod bei Epilepsie“ („sudden unexpected death in epilepsy - SUDEP“) dar, welcher mit der Anzahl der iktalen Ereignisse korreliert und für 10-50 % der Todesfälle verantwortlich ist. Tödliche Unfälle im Rahmen von epileptischen Anfällen oder Ertrinken sind weitere Ursachen, und auch das Unfallrisiko ist mit einem dreimal so häufigem Vorkommen von Krankenhausaufenthalten im Vergleich zur übrigen Bevölkerung erhöht. Pharmakoresistente Epilepsie bedeutet ferner psychosoziale Folgen mit einem erhöhten Risiko von Depression sowie Angst- und psychotischen Erkrankungen. Soziale Stigmatisierung, Ausgrenzung sowie Einsamkeit und Schamgefühle in Folge der Erkrankung werden darüber hinaus von 25 % der Patienten berichtet.

Einschränkungen im Alltag

Epilepsie beeinflusst den Alltag: Beruf, Mobilität und soziale Aktivitäten. Wichtig ist es, Auslöser zu kennen und zu meiden. Fahreignung und Arbeitssicherheit müssen ärztlich geprüft werden. In der Regel ist nach einem ersten Anfall bereits die Fahreignung (insbesondere für Fahrzeuge der Gruppe 2) nicht mehr gegeben. Auch andere Tätigkeiten, bei denen das Auftreten eines Anfalls gefährlich wäre, müssen gemieden werden. Es ergeben sich also Folgen für die Ausübung der Arbeit, die Berufswahl und die Lebensführung und -planung.

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