Transkranielle Magnetstimulation (TMS) in der Neurologie: Nebenwirkungen und Therapie

Die Transkranielle Magnetstimulation (TMS) hat sich als eine bedeutende Methode in der neurologischen Diagnostik etabliert und könnte sich zunehmend als therapeutisches Verfahren etablieren. Neue Forschungsansätze ermöglichen eine Wirksamkeitssteigerung durch individualisierte Therapieprotokolle.

Einführung

Die Transkranielle Magnetstimulation (TMS) ist eine nichtinvasive und schmerzlose Methode zur Reizung des Gehirns. Sie findet Anwendung in den Neurowissenschaften sowie in der Diagnostik und Therapie psychischer und neurologischer Erkrankungen. Zusätzlich wurde die Anwendung von TMS durch Kombination mit anderen funktionellen Untersuchungsverfahren wie der Elektroenzephalografie (EEG) oder der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) erheblich erweitert.

Historischer Hintergrund

Die Idee der TMS entstand nach erfolgreichen Experimenten zur Stimulation des motorischen Kortex mit transkranieller elektrischer Stimulation (TES) im Jahr 1980. Da die TES jedoch sehr schmerzhaft war, suchte der Ingenieur Prof. Anthony Barker, PhD, nach einer Alternative und entwickelte 1985 mit Kollegen an der University of Sheffield die ersten modernen TMS-Geräte. Seitdem ist die Stimulation der schädelnahen Hirnrinde nahezu schmerzlos und technisch einfach mit kurzen Magnetimpulsen möglich.

Funktionsweise der TMS

Technisch beruht die TMS auf dem Prinzip der elektromagnetischen Induktion. Fließt ein kurzer Stromimpuls durch eine Spule, entsteht ein sich rasch änderndes Magnetfeld von bis zu 3 Tesla, das senkrecht zur Ebene der Spule ausgerichtet ist. Dieses Magnetfeld dringt ungehindert durch die Haut und den Schädel und erreicht so die Hirnrinde, wo es wiederum ein elektrisches Feld induziert, welches bei ausreichender Stärke zu einer Aktivierung von Nervenzellen führt. Die Technik eignet sich zur Stimulation von Hirnregionen nahe der Schädeldecke bei einer Eindringtiefe von wenigen Zentimetern, wobei es zu einem exponentiellen Abfall der induzierten elektrischen Feldstärke mit zunehmender Entfernung von der Spule kommt. Durch die Verwendung von verschiedenen Spulenformen, zum Beispiel Rund- oder Schmetterlingsspule, und Spulengrößen kann für einen gegebenen Anwendungsfall ein optimales elektrisches Feld in der Hirnrinde generiert werden.

Auslösung von Aktionspotenzialen

Bei Stimulation des primären motorischen Kortex beispielsweise wird die Spule direkt auf der Kopfhaut über der entsprechenden kortikalen Region platziert. Bei Auslösung eines TMS-Impulses kommt es zu einem kurzen sensiblen Reiz auf der Kopfhaut und einem hörbaren Klick in der Spule. Das induzierte elektrische Feld führt zu einer Aktivierung von Motoneuronen der Pyramidenbahn. Das Aktionspotenzial wird bis zum Rückenmark fortgeleitet und dort auf spinale Motoneurone übertragen. Durch deren Aktivierung gelangt es entlang peripherer motorischer Nerven zu den Muskeln und kann dort schließlich als Muskelzuckung oder als motorisch evoziertes Potenzial (MEP) mittels Oberflächenelektroden aufgezeichnet werden.

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Sicherheit und Nebenwirkungen

Die jahrzehntelange Erfahrung in verschiedenen Anwendungsbereichen hat gezeigt, dass die TMS unter Beachtung bestimmter Kriterien sicher ist. Die aktuellen Sicherheitsrichtlinien in Abstimmung mit der International Federation of Clinical Neurophysiology (IFCN) wurden zuletzt im Jahr 2021 aktualisiert und überarbeitet. Die häufigsten Nebenwirkungen der TMS sind leichte und vorübergehende Kopfschmerzen sowie Kribbelparästhesien durch Stimulation der Kopfhaut. Die lauten Klickgeräusche bei Stimulation können den maximal zugelassenen Schalldruckpegel überschreiten. Daher sollten Patientinnen und Patienten sowie Untersuchende während der TMS-Anwendung einen Gehörschutz tragen.

Eine äußerst seltene, schwere Nebenwirkung ist die Auslösung von epileptischen Anfällen. Basierend auf einer Umfrage mit mehr als 300 000 TMS-Sitzungen für den Zeitraum 2012-2016, wird das Risiko für epileptische Anfälle auf 7/100 000 geschätzt. Besondere Vorsicht ist bei Personen mit erhöhtem Anfallsrisiko, zum Beispiel Epilepsie, geboten (Risiko für epileptische Anfälle: 33/100 000 TMS-Sitzungen). Eine Kontraindikation für die Anwendung der TMS besteht bei Vorliegen von intrakraniellen und elektrischen Implantaten, zum Beispiel intrakranielle Elektroden oder Cochlea-Implantate.

Diagnostische Anwendung der TMS

Als Teil der Routineuntersuchung in der neurologischen Funktionsdiagnostik wird dieses Verfahren täglich in vielen neurologischen Kliniken und Praxen angewandt. Mittels TMS können Schäden im Bereich der zentralen und peripheren motorischen Bahnen nachgewiesen werden. Bei der diagnostischen Anwendung der TMS werden bei supramaximaler Einzelstimulation über der Kopfoberfläche mindestens 5-6 aufeinanderfolgende MEPs aufgezeichnet, wobei nur das MEP mit der größten Amplitude und der kürzesten Latenz berücksichtigt wird. Dies erlaubt eine Aussage über die Integrität der am schnellsten leitenden Fasern der Pyramidenbahn.

Differenzierung zwischen peripheren und zentralen Schädigungen

Durch eine Applikation der Magnetstimulation am Übergang zum peripheren Nervensystem, zum Beispiel Reizung zervikaler oder lumbaler Spinalnervenwurzeln, und Messung der peripheren motorischen Leitungszeit zum Zielmuskel, gelingt eine Unterscheidung zwischen peripherer und zentraler Schädigung. Eine besondere Bedeutung hat die TMS daher bei der Diagnostik von Erkrankungen des motorischen Nervensystems, zum Beispiel:

  • Amyotrophische Lateralsklerose
  • Multiple Sklerose
  • Schlaganfall
  • Bewegungsstörungen
  • Erkrankungen des Rückenmarks

Frühzeitige Diagnose der Amyotrophischen Lateralsklerose (ALS)

Bei der Amyotrophischen Lateralsklerose degenerieren das erste und das zweite Motoneuron im Motorkortex und Rückenmark mit schneller Krankheitsprogression. Bildgebend fehlt ein zuverlässiges Verfahren zur Identifizierung einer Schädigung des zentralen (ersten) Motoneurons. Auch klinisch kann dieser Nachweis bei subklinischer Beteiligung oder durch eine ausgeprägte Schädigung des zweiten Motoneurons maskiert werden und die Diagnosestellung verzögern. Der Nachweis einer Schädigung des ersten Motoneurons kann mittels TMS bis zu 8 Monate früher im Vergleich zu klinischen Kriterien gelingen, das erhöht die diagnostische Sensitivität. Angesichts der aktuellen Entwicklung von kausal wirksamen Medikamenten zur Behandlung der Amyotrophischen Lateralsklerose hat die Frühdiagnose eine besondere Bedeutung. Die TMS kann hier eine Schlüsselrolle übernehmen.

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Multiple Sklerose und andere Rückenmarkserkrankungen

Bei der Multiplen Sklerose lässt sich eine Schädigung im Bereich der Pyramidenbahn durch entzündliche Läsionen mit hoher Sensitivität mittels TMS nachweisen. Verlängerungen der zentralmotorischen Leitungszeit können bereits subklinische Schäden aufdecken und korrelieren mit dem motorischen Defizit, dem Behinderungsgrad, der Krankheitsprogression und dem Therapieerfolg. Eine ähnlich hohe diagnostische Aussagekraft wird bei zervikaler Myelopathie und anderen Rückenmarkserkrankungen erreicht.

Schlaganfall

Nach einem Schlaganfall prädiziert die fehlende Auslösbarkeit von MEPs bei Stimulation des ipsiläsionalen Motorkortex in der Akutphase des Schlaganfalls eine schlechte Erholung von motorischen Defiziten.

Anwendung in der Neurochirurgie

In der Neurochirurgie wird die TMS in einigen Zentren zur präoperativen Planung eingesetzt. Sie ermöglicht die nichtinvasive funktionelle Kartierung des primären motorischen Kortex und kortikaler Sprachareale vor der operativen Entfernung beispielsweise von Hirntumoren. Hierdurch können eine radikalere Resektion des Tumors und eine verbesserte Prognose bezüglich rezidivfreiem Überleben und Überlebenszeit erreicht werden. Die Anwendung von TMS zur präzisen Kartierung motorischer und sprachbezogener Hirnareale wurde durch Fortschritte im Bereich der Neuronavigation ermöglicht. Die hierfür erforderliche hochauflösende strukturelle MRT des oder der jeweiligen Betroffenen wird mittels eines computergestützten Verfahrens in Echtzeit auf ein gemeinsames Koordinatensystem übertragen und in Relation zur Spulenposition dreidimensional visualisiert. Aufgrund der Möglichkeit der millimetergenauen Bestimmung des Stimulationsortes ist die neuronavigierte TMS im Bereich der Forschung und der therapeutischen Anwendung der TMS nicht mehr wegzudenken.

Kombination mit EEG (TMS-EEG)

Eine andere wichtige methodische Weiterentwicklung bezieht sich auf die Kombination von TMS mit EEG (TMS-EEG). Hierdurch kann mittels EEG der Reizerfolg der TMS direkt aus elektrischen Signalen des Gehirns gemessen werden. Zudem lassen sich Hirnareale außerhalb des motorischen Kortex untersuchen. Beispielsweise kann durch diesen Ansatz aus dem EEG die Komplexität der Reizantwort des Gehirns nach Stimulation, sogenannter Perturbational Complexity Index, bestimmt werden. Dieser Index kann die Aufwachprognose von Patientinnen und Patienten aus dem Koma, das Erholungspotenzial von Personen mit Schlaganfall oder das Risiko eines Post-Stroke-Delirs mit zum Teil hoher Genauigkeit vorhersagen.

Diese Beispiele illustrieren, dass TMS, insbesondere in Kombination mit anderen Methoden, innovative Anwendungen zur nichtinvasiven diagnostischen und prognostischen Funktionsprüfung des Gehirns ermöglicht.

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Therapeutische Anwendung der TMS

Zunehmend kommt die TMS als nichtinvasives neuromodulatorisches Werkzeug auch zur therapeutischen Anwendung. Durch repetitive Stimulationsverfahren können abhängig von der Stimulationsfrequenz Aktivitätsveränderungen im stimulierten Hirnareal induziert werden, die über die Dauer der Stimulation hinaus anhalten. Bei der repetitiven Transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) wird eine hochfrequente rTMS (> 1 Hz) verwendet, um die Erregbarkeit des stimulierten Kortex über Mechanismen der Langzeitpotenzierung zu erhöhen. Die niederfrequente rTMS (< 1 Hz) wird dagegen genutzt, um die kortikale Erregbarkeit ähnlich einer Langzeitdepression zu verringern.

Theta-Burst-Stimulation

Ein speziell weiterentwickeltes Stimulationsprotokoll der rTMS, die sogenannte Theta-Burst-Stimulation, nutzt kurze Stimulationssalven (50-100 Hz), die durch längere Zeitintervalle (200 Millisekunden, entspricht 5 Hz) voneinander getrennt sind. Die Theta-Burst-Stimulation hat sich in einigen Anwendungsbereichen als nützlich erwiesen, um Aktivitätsveränderungen im Vergleich zu konventionellen rTMS-Protokollen mit einer deutlich kürzeren Stimulationsdauer und möglicherweise sogar länger anhaltend zu beeinflussen. Das ermöglicht eine schnellere Durchführung der Therapie in weniger Sitzungen.

Wirksamkeit der rTMS bei verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Störungen

Die rTMS kann eine signifikante klinische Verbesserung bei verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Störungen bewirken. Die beste Wirksamkeitsevidenz besteht für:

  • die hochfrequente rTMS des primären motorischen Kortex kontralateral zur schmerzhaften Körperseite bei neuropathischen Schmerzen,
  • die hochfrequente rTMS des linken dorsolateralen präfrontalen Kortex bei Depressionen und
  • die niederfrequente rTMS des kontraläsionalen Motorkortex zur motorischen Erholung nach motorischem Schlaganfall.

rTMS bei Depressionen

Bei Depressionen hat die rTMS in zahlreichen Studien und Metaanalysen eine signifikante antidepressive Wirkung gezeigt. Sie wirkt, indem sie die Aktivität in den Gehirnregionen moduliert, die für die Stimmungsregulation verantwortlich sind. Insbesondere die hochfrequente Anwendung (HF-rTMS) auf den linken dorsolateralen präfrontalen Kortex hat sich in randomisiert-kontrollierten Studien für die Endpunkte depressive Symptome und Remission als wirksam erwiesen. Typischerweise wird die rTMS mehrmals wöchentlich in 20- bis 30-minütigen Sitzungen für 3-6 Wochen angewandt. Eine Erhöhung der Anzahl der Sitzungen und der Gesamtzahl der Stimulationsimpulse pro Sitzung ist mit einer erhöhten antidepressiven Wirksamkeit verbunden.

Aktuelle Leitlinien und Empfehlungen

Die TMS wurde im Jahr 2015 in Deutschland in die Nationale Versorgungsleitlinie zur Unipolaren Depression als Offene Empfehlung (Empfehlungsgrad 0, „Kann“-Empfehlung) bei therapieresistenten Patienten aufgenommen. In der aktuellen Leitlinienversion von 2022 wurde der Empfehlungsgrad auf eine abgeschwächte Positiv-Empfehlung (Empfehlungsgrad B, „Sollte“-Empfehlung) hochgestuft. In den USA ist die rTMS seit 2008 zur Anwendung bei Depression zugelassen und in Großbritannien wurde die Anwendung im Jahr 2015 von den jeweiligen Behörden genehmigt. In Deutschland wird die rTMS in zahlreichen psychiatrischen Universitätskliniken angeboten und findet zunehmend auch im außeruniversitären stationären und ambulanten Setting Verbreitung. Die gesetzliche Krankenversicherung erstattet die rTMS-Behandlung der Depression noch nicht. Die meisten privaten Versicherungen übernehmen die Kosten. Eine vorangehende Klärung der Kostenübernahme ist in jedem Fall zu empfehlen.

Herausforderungen und zukünftige Forschung

Trotz der zunehmenden weltweiten routinemäßigen Anwendung in der Psychiatrie existiert noch kein Konsens darüber, wie die rTMS-Behandlung von Depressionen nach der akuten Phase fortgeführt werden sollte. Zudem ist die Rolle der rTMS im Behandlungsalgorithmus der Depression aufgrund der hohen Heterogenität der veröffentlichten Daten und der in Studien eingeschlossenen Patientenpopulationen noch nicht eindeutig definiert.

rTMS zur Verbesserung der motorischen Funktionen nach Schlaganfall

Weiterhin hat sich die rTMS als wirksam zur Verbesserung der motorischen Funktionen nach einem Schlaganfall erwiesen. Sie kann die motorische Erholung nach einem Schlaganfall verbessern, indem sie über kortikale Erregbarkeitsveränderungen die neuronale Plastizität fördert. Basierend auf dem Konzept der durch einen Schlaganfall verursachten interhemisphärischen Dysbalance, werden typischerweise erregbarkeitssteigernde hochfrequente rTMS-Protokolle über der ipsiläsionalen Hemisphäre und erregbarkeitssenkende niederfrequente rTMS-Protokolle dagegen über der kontraläsionalen Hemisphäre angewendet. Dabei scheint eine niederfrequente rTMS des kontraläsionalen Motorkortex im subakuten Stadium nach einem Schlaganfall am wirksamsten zu sein. Diese positiven Ergebnisse wurden insbesondere beobachtet, wenn rTMS direkt vor physiotherapeutischer Übungsbehandlung durchgeführt wurde.

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