Die Frage, ob mRNA-Impfstoffe das Demenzrisiko beeinflussen, ist ein Thema von wachsendem Interesse und Anlass für zahlreiche Forschungsarbeiten. Dieser Artikel beleuchtet die aktuellen Erkenntnisse und Studienergebnisse, um ein umfassendes Bild der komplexen Zusammenhänge zu vermitteln.
Gürtelrose, Impfung und Demenz: Ein möglicher Zusammenhang
Ein wichtiger Aspekt in der Demenzforschung ist die Rolle von Virusinfektionen. Interessanterweise gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Gürtelrose-Impfung und einem reduzierten Demenzrisiko. Gürtelrose wird durch das Varizella-Zoster-Virus verursacht, dasselbe Virus, das auch Windpocken auslöst. Nach einer Windpockeninfektion, meist in der Kindheit, verbleibt das Virus lebenslang in den Nervenzellen und kann im höheren Lebensalter oder bei einem geschwächten Immunsystem reaktiviert werden und eine schmerzhafte Gürtelrose verursachen.
Seit etwa 20 Jahren gibt es eine Impfung gegen Gürtelrose, die für Menschen über 60 Jahren empfohlen wird. Frühere Studien zeigten bereits, dass geimpfte Personen seltener an Demenz erkrankten. Es blieb jedoch unklar, ob dies ein zufälliger Zusammenhang oder ein tatsächlicher ursächlicher Zusammenhang war, da geimpfte Personen möglicherweise auch einen gesundheitsbewussteren Lebensstil pflegen, der die Demenzrate beeinflusst.
Das "natürliche Experiment" in Wales: Einblicke in die Kausalität
Ein Forscherteam entdeckte in Wales ein "natürliches Experiment", das neue Einblicke in diesen Zusammenhang ermöglichte. In Wales wurde am 1. September 2013 ein Impfprogramm gestartet, das einen Impfstoff gegen Gürtelrose anbot. Jeder, der zu diesem Zeitpunkt 79 Jahre alt war, hatte ein Jahr lang Anspruch auf den Impfstoff. Personen, die 78 Jahre alt waren, hatten im nächsten Jahr Anspruch darauf usw. Menschen, die am 1. September 2013 80 Jahre oder älter waren, hatten keinen Anspruch auf den Impfstoff.
Diese Regelung, die primär der Rationierung des Impfstoffvorrats diente, ermöglichte es, die Wirkung des Impfstoffs isoliert zu betrachten. Nahezu 50 % der 79-jährigen Waliser, die ihren 80. Geburtstag nur eine Woche nach dem Start des Impfprogramms hatten, ließen sich gegen Gürtelrose impfen, verglichen mit fast niemandem der 80-Jährigen, die ihren Geburtstag eine Woche vor dem Startdatum hatten. Da sich diese beiden Kohorten nur um eine Woche im Alter unterschieden, waren sie in Bezug auf Gesundheits- und Verhaltensmerkmale vergleichbar.
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Die Analyse der Gesundheitsdaten von über 280.000 älteren Erwachsenen aus Wales ergab, dass der Impfstoff das Auftreten von Gürtelrose bei den Geimpften über einen Zeitraum von sieben Jahren um etwa 37 % senken konnte. Noch wichtiger ist, dass bei etwa einem von sechs älteren Erwachsenen, die nicht geimpft wurden, eine Demenz diagnostiziert wurde, während dies nur bei etwa einem von acht geimpften Erwachsenen der Fall war.
Die Wissenschaftler prüften die Gesundheitsdaten auf mögliche Faktoren, die ihre Analyse verfälschen könnten. Es gab jedoch keinen Unterschied im Bildungsniveau, bei der Inanspruchnahme von Präventionsmaßnahmen oder in der Häufigkeit von anderen Volkskrankheiten wie Diabetes, Herzkrankheiten oder Krebs. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Gruppen bestand im Rückgang der Demenzdiagnosen.
Geschlechtsspezifische Unterschiede und unbekannte Wirkmechanismen
Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie war, dass der Schutz vor Demenz durch die Impfung bei Frauen viel stärker zu sein schien als bei Männern. Dies könnte auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Immunantwort oder in der Art und Weise, wie sich Demenz entwickelt, zurückzuführen sein. Frauen haben im Durchschnitt eine stärkere Antikörperreaktion auf eine Impfung und sowohl Gürtelrose als auch Demenz treten bei Frauen häufiger auf als bei Männern.
Der genaue Wirkmechanismus, wie der Impfstoff vor Demenz schützt, ist noch unbekannt. Es könnte sein, dass er das Immunsystem insgesamt ankurbelt, dass er speziell verhindert, dass das schlummernde Varizella Zoster Virus reaktiviert wird, oder über einen ganz anderen Mechanismus funktioniert. Unbekannt ist auch, ob eine neuere Version des Impfstoffs, die nur bestimmte Proteine des Virus enthält und wirksamer vor Gürtelrose schützt, einen ähnlichen oder möglicherweise sogar größeren Schutz vor Demenz bietet.
Weitere Forschung und randomisierte Studien
Das Forscherteam hat die Ergebnisse aus Wales mit den Gesundheitsdaten anderer Länder, darunter England, Australien, Neuseeland und Kanada, wiederholt und dabei immer wieder ein starkes Schutzsignal für Demenz festgestellt.
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Um den endgültigen Beweis zu liefern, wäre eine große randomisierte, kontrollierte Studie erforderlich, in der die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip entweder den Impfstoff gegen Gürtelrose oder ein Placebo erhalten. Da die Unterschiede in den Demenzraten bereits nach etwa eineinhalb Jahren sichtbar wurden, könnten solche Studien relativ schnell Ergebnisse liefern.
Die Rolle des SARS-CoV-2-Spike-Proteins
Neben der Forschung zur Gürtelrose-Impfung gibt es auch Untersuchungen über die Auswirkungen des SARS-CoV-2-Spike-Proteins auf das Gehirn. Eine Studie von Helmholtz Munich und der Ludwig-Maximilians-Universität München zeigte, dass das SARS-CoV-2-Spike-Protein bis zu vier Jahre nach der Infektion in den schützenden Schichten des Gehirns, den Hirnhäuten und im Knochenmark des Schädels verbleiben kann. Dies könnte zu chronischen Entzündungen führen und das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer- oder Parkinson-Krankheit erhöhen.
Mithilfe einer KI-gestützten Bildgebungstechnik entdeckten die Forschenden eine bisher nicht festgestellte Ablagerung des Spike-Proteins in Gewebeproben von Menschen mit COVID-19 sowie Mäusen. Interessanterweise stellten sie fest, dass der mRNA-COVID-19-Impfstoff von BioNTech/Pfizer die Anreicherung des Spike-Proteins im Gehirn um 50 Prozent reduzierte.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass mRNA-Impfstoffe das Risiko langfristiger neurologischer Folgen erheblich senken können und somit einen entscheidenden Schutz bieten. Allerdings kommt es auch nach Impfungen zu Infektionen, die zu persistierenden Spike-Proteinen im Körper führen können.
Langzeitfolgen von COVID-19 auf neurologische Erkrankungen
Eine große Beobachtungsstudie mit über 1,2 Millionen Corona-Infizierten untersuchte das Risiko neurologischer und psychiatrischer Diagnosen über einen Zeitraum von 24 Monaten. Die Studie ergab, dass das Risiko für Demenz, Psychosen oder Krampfleiden bis zu zwei Jahre nach einer SARS-CoV-2-Erkrankung erhöht bleibt. Das Risiko für Angststörungen und Depressionen sinkt schon nach zwei Monaten.
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Insgesamt waren Kinder nach einer COVID-19-Erkrankung seltener von neurologischen und psychiatrischen Diagnosen betroffen als Erwachsene. Allerdings war das Risiko für kognitive Defizite, Schlaflosigkeit, psychotische Störungen, Krampfanfälle und Epilepsie erhöht.
Die Auswirkungen der COVID-19-Impfung auf das Immunsystem
Eine Studie der Universität Köln untersuchte, wie mRNA-Impfstoffe das Immunsystem langfristig beeinflussen. Die Analyse von Blutproben geimpfter Probanden zeigte, dass die Impfstoffe das menschliche Immunsystem langfristig ankurbeln können. Demnach kann der Körper deutlich besser und schneller auf Infektionen reagieren - auch solche, die nicht auf Corona-Viren basieren.
Die mRNA-Impfstoffe konnten nicht nur die Immunantwort des adaptiven Immunsystems verbessern, sondern auch die Abwehrzellen des angeborenen Immunsystems langfristig umprogrammieren. Sogenannte epigenetische Markierungen des Erbgutes wurden beobachtet, die die Aktivität der Gene steigerten, die für die Bekämpfung von Krankheiten förderlich sind.
Diese Veränderungen waren auch sechs Monate nach der Impfung noch nachweisbar, was darauf hindeutet, dass das Immunsystem die Änderung als Reaktion auf die Impfung abspeicherte und sie auch an neue Zellen weitergab. Eine zweite Impfung oder eine Auffrischungsimpfung stabilisierte die epigenetische Modifikation nachhaltig, was die Notwendigkeit mehrerer Impfungen für die langfristige Aufrechterhaltung der Immunantwort unterstreicht.
Hirnverletzungen und das Risiko von Alzheimer
Eine Studie der New York University beobachtete, dass Patientinnen und Patienten, die wegen COVID-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurden, und insbesondere solche, die während ihrer akuten Infektion neurologische Symptome haben, ein Niveau an Hirnverletzungsmarkern aufweisen können, die so hoch oder höher sind als diejenigen, die bei Patientinnen und Patienten mit Alzheimer beobachtet werden.
Die Studie zeigte, dass Hirnverletzungen, die auch mit einem Anstieg dieser Biomarker verbunden sind, das Risiko für die Entwicklung von Alzheimer oder einer damit verbundenen Demenz erhöhen können.